Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.02.2012 geändert. Dem Kläger wird für die Zeit ab 22.09.2011 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt N , S Iserlohn, bewilligt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache begehrt der Kläger höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.06.2011 bis zum 30.11.2011.
Der 1955 geborene Kläger bezieht laufend Leistungen nach dem SGB II. Für die Zeit vom 01.06.2011 bis zum 30.11.2011 bewilligte der Beklagte ihm monatliche Leistungen unter Berücksichtigung des in diesem Zeitraum geltenden monatlichen Regelbedarfs in Höhe von 372,00 Euro – davon 8 Euro Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung – (Bescheid 10.05.2011).
Den mit der Begründung, die Neuregelung der Regelbedarfe ab 01.01.2011 sei verfassungswidrig, eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 21.07.2011 zurück. Die Festlegung der Regelbedarfe entspreche den gesetzlichen Vorgaben.
Der Kläger hat am 02.08.2011 Klage erhoben. Er wendet sich gegen die Höhe der Regelbedarfe. Die Ermittlung der Regelbedarfe sei mit einer Vielzahl von Fehlern behaftet, die den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts widersprächen. Deshalb sei die Höhe verfassungswidrig zu niedrig festgesetzt worden.
Das Sozialgericht Dortmund hat den zeitgleich mit der Klageerhebung gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und Beiordnung eines Rechtsanwalts (die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ging am 22.09.2011 ein) mit Beschluss vom 23.02.2012 abgelehnt. Die Klage habe keine Aussicht auf Erfolg. Zur Begründung hat sich das Sozialgericht im Wesentlichen der Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 21.10.2011 L 12 AS 3445/11 B angeschlossen.
Gegen den am 05.03.2012 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 26.03.2012 Beschwerde eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.
Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf PKH (hierzu 1) und Beiordnung eines Rechtsanwalts (hierzu 2).
1) Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73a Rz. 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 73a Rz. 7). Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Ein Gericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im PKH-Verfahren "durchentschieden" werden können, verkennt die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG vom 14.06.2006 – 2 BvR 626/06 -, vom 08.11.2004 – 1 BvR 2095/04 – und 04.02.2004 – 1 BvR 596/03). Wird eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH bewilligt werden. Klärungsbedürftig in diesem Sinn ist aber nicht bereits jede Rechtsfrage, die noch nicht höchstrichterlich entschieden ist. Vielmehr ist maßgeblich, ob die entscheidungserhebliche Rechtsfrage im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen schwierig erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 – juris Rz. 29 – BVerfGE 81, 347). Ist dies der Fall, muss die bedürftige Person die Möglichkeit haben, ihren Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren zu vertreten und ggf. Rechtsmittel einlegen zu können (BVerfG, Beschluss vom 10.12.2001 1 BvR 1803/97 – juris Rz. 9 – NJW-RR 2002, 793). Macht der Kläger geltend, dass das Gesetz, auf dem die angefochtene Entscheidung beruht, verfassungswidrig sei, sind Erfolgsaussichten gegeben, wenn die Möglichkeit, dass das Gericht das Gesetz für verfassungswidrig hält und das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) aussetzt, nicht fernliegend ist (in diesem Sinne auch LSG Bayern, Beschlüsse vom 22.08.2012 L 11 AS 549/12, L 11 AS 550/12, L 11 AS 551/12).
Bei der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe in der Neugestaltung durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453 ff) handelte es sich zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrages am 22.09.2011 noch um eine schwierige, bisher nicht höchstrichterlich geklärte Rechtsfrage (Beschluss des Senats vom 26.10.2012 L 6 AS 1837/11 B -; Beschluss des Senats vom 28.09.2012 L 6 AS 1895/11 B -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.05.2012 L 12 AS 1862/11 B ; Beschluss vom 12.07.2012 L 7 AS 813/12 B ; Beschluss vom 06.08.2012 L 19 AS 734/12 B ).
Der Bewilligung von PKH steht für den vorliegenden Fall die Rechtsprechung des BSG zur Verfassungsmäßigkeit der Regelbedarfe für alleinstehende Leistungsberechtigte gem. §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 1 und Abs. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII (Urteile vom 12.07.2012 B 14 AS 153/11 R; B 14 AS 189/11 R) noch nicht entgegen. Allerdings ist, jedenfalls nachdem das BVerfG die im Verfahren B 14 AS 153/11 R erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat (BVerfG, Beschluss vom 20.11.2012 1 BvR 2203/12 u.a.), die entscheidungserhebliche Rechtsfrage mittlerweile höchstrichterlich geklärt (ebenso LSG Niedersachsen, Beschluss vom 18.10.2012 L 11 AS 1165/11 B). Hieran ändert der Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25.04.2012 (S 55 AS 29249/12, ZFSH/SGB 2012, 345) nichts (ebenso LSG Bayern, Beschlüsse vom 22.08.2012 L 11 AS 549/12; L 11 AS 550/12; L 11 AS 551/12). Das BSG hat sich mit diesem Vorlagebeschluss ausdrücklich auseinandergesetzt (BSG, Urteil vom 12.07.2012 B 14 AS 153/11 R, Juris RdNr. 58) und auch angesichts der Überlegungen des SG Berlin keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe des Regelbedarfs iS einer im Rahmen des Art. 100 GG vorausgesetzten Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit. Ungeachtet dessen war der Beschwerde stattzugeben. Der PKH-Antrag war am 22.09.2011 entscheidungsreif. Zu diesem Zeitpunkt waren die Urteile des BSG vom 12.07.2012 noch nicht ergangen. Erst nach Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe steht fest, dass eine dem Rechtsschutzbegehren entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung existiert, gegen die nicht schlüssig dargelegt worden ist, dass diese Rechtsprechung nicht zutreffend oder im speziellen Fall nicht anwendbar sei (zur Bewilligung von PKH bei Einwendungen gegen die Höhe der Regelleistung vor Veröffentlichung der schriftlichen Begründung der Urteile des BSG vom 12.07.2012 vergl. auch Beschlüsse des Senats vom 26.10.2012 L 6 AS 1837/11 B und vom 28.09.2012 L 6 AS 1895/11 B).
Der Kläger ist ausweislich seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedürftig. Er verfügt über kein im Rahmen des § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen oder Vermögen, so dass ihm (ratenfrei) Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen ist.
2) Die Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten war im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrages erforderlich iSv § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO. Die Erforderlichkeit iSd § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.04.1983 – 2 BvR 1304/80, 2 BvR 432/81 – juris Rz. 39). Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10 – juris Rz. 16 m.w.N.). Zu berücksichtigen ist ferner, ob dem Beteiligten rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.05.2009 – 1 BvR 439/08 – juris Rz. 18). In einem solchen Fall wird ein vernünftiger Rechtsuchender regelmäßig einen Rechtsanwalt einschalten, wenn er nicht ausnahmsweise selbst über ausreichende Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt, um das Verfahren in jedem Stadium durch sachdienlichen Vortrag und Anträge effektiv fördern zu können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2011 – 1 BvR 1737/10 – juris Rz. 18). Eine andere Bewertung kann allerdings gelten, wenn der Rechtsuchende mehrere parallel gelagerte Verfahren betreibt. Lässt sich die anwaltliche Beratung ohne wesentliche Änderungen auf alle übrigen Fälle übertragen, so gebietet es das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit nicht, dem unbemittelten Rechtsuchenden für jeden einzelnen Gegenstand erneut einen Rechtsanwalt beizuordnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.05.2011 1 BvR 3151/10 juris Rz. 16).
Hinsichtlich der Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, dass es bereits "Musterverfahren" gab, die beim BSG anhängig waren. Die Erforderlichkeit der Beiordnung ist aus der individuellen Sicht des unbemittelten Rechtsuchenden zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des PKH-Antrags zu prüfen. Diesem kann auch bei bereits anhängigen "Musterverfahren" nicht das Recht abgesprochen werden, seinen Rechtsstandpunkt unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zu vertreten. Das beinhaltet die rechtliche Prüfung und Entscheidung, ob das eigene Verfahren im Hinblick auf ein Musterverfahren ruhen kann oder ob es angesichts individueller Besonderheiten doch eigenständig geführt werden soll. Für weitere Verfahren desselben Klägers gleichen Inhalts gilt das hingegen nicht. Denn für solche ist zu unterstellen, dass auch ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise keinen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen mehr beauftragen würde (vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 26.10.2012 L 6 AS 1837/11 B -; Beschluss vom 28.09.2012 L 6 AS 1895/11 B -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 24.06.2013
Zuletzt verändert am: 24.06.2013