Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 20.12.2007 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin wehrt sich gegen die mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) in Höhe von 612,- Euro für den Zeitraum vom 02.12.2007 bis 31.12.2007.
Der 1966 geborene Kläger türkischer Nationalität bezog laufend Leistungen nach dem SGB II, die ihm zuletzt vor dem streitigen Zeitraum mit Bescheid vom 06.07.2007 für die Zeit vom 01.07.2007 bis 31.11.2007 in Höhe von 612,- Euro monatlich bewilligt worden waren.
Im Zusammenhang mit der Stellung des Leistungsantrages für den Folgezeitraum legte der Antragsteller Ablichtungen seines türkischen Reisepasses vor, aus denen sich ergab, dass der Pass am 04.10.2006 abgelaufen war, sowie, dass der Antragsteller im Besitz einer am 04.07.2005 unbefristet ausgestellten Niederlassungserlaubnis mit gestatteter Erwerbstätigkeit nach § 9 Abs. 2 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – AufenthG – war.
Mit Bescheid vom 26.10.2007 lehnte die Antragsgegnerin den am 25.10.2007 gestellten Antrag auf Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II mit der Begründung ab, der Antragsteller habe keinen gültigen Pass mehr. Zur Begründung bezog sie sich auf § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II iVm § 3 Abs. 1 AufenthG.
Mit seinem Widerspruch vom 05.11.2007 wies der Antragsteller darauf hin, ihm werde die Verlängerung seines türkischen Passes im Hinblick auf nicht abgeleisteten und auch nicht finanziell abgegoltenen Wehrdienst in der Türkei verweigert. Zur finanziellen Abgeltung sei er nach seinen Verhältnissen nicht in der Lage.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2007 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück, da wegen fehlenden Passes ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II sowohl nach § 7 Abs. 1 S. 3 SGB II wegen fehlenden gewöhnlichen Aufenthaltes als auch wegen aus Rechtsgründen nicht bestehender Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II entfalle.
Am 02.12.2007 hat der Antragsteller hiergegen Klage erhoben (S 28 AS 502/07 SG Dortmund) sowie im vorliegenden Verfahren die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 612,- Euro monatlich ab dem 01.12.2007 begehrt.
Dies hat die Antragsgegnerin auch weiterhin abgelehnt und den Antragsteller zur Beantragung von Leistungen nach dem SGB XII angeregt. Dieser Antrag wurde durch Bescheid der Stadt N vom 18.12.2007 unter Hinweis auf die Vorrangigkeit von Leistungen nach dem SGB II abgelehnt. Nach § 21 des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch, Sozialhilfe – SGB XII -, erhielten Leistungen nach dem SGB XII nur Personen, die nicht erwerbsfähig nach dem SGB II seien. Der Antragsteller sei jedoch erwerbsfähig und im Besitz einer gültigen Arbeitserlaubnis. Er habe somit dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.
Mit Beschluss vom 20.12.2007, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 612,- Euro für die Zeit ab Antragstellung bis zum 31.12.2007 verpflichtet.
Gegen den ihr am 27.12.2007 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 03.01.2008 Beschwerde eingelegt. Wegen des Fehlens eines Passes sei der Antragsteller faktisch nicht vermittelbar. Unter diesem Gesichtspunkt sei Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach § 8 Abs. 2 SGB II zu verneinen. Zudem verstoße der Antragsteller gegen die Passpflicht nach § 4 Abs. 1 des Ausländergesetzes (gemeint: § 3 AufenthG), er halte sich illegal im Bundesgebiet auf und habe deswegen keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Leistungsvoraussetzung nach § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II.
Der Antragsteller hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und weist bezüglich Annahme der Antragsgegnerin, er halte sich illegal im Bundesgebiet auf, auf seinen Aufenthaltstitel nach § 9 AufenthG hin.
Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 03.01.2008), ist unbegründet.
Zur Recht hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin zur einstweiligen Erbringung von Leistungen nach dem SGB II verpflichtet. Die Voraussetzungen für die ausgesprochene Regelungsanordnung im Sinne von § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – liegen vor. Sowohl Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) als auch der Anordnungsanspruch im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruches auf die begehrte Leistung sind glaubhaft gemacht. Der Antragsteller ist seinem Lebensalter nach leistungsberechtigt (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Auch seine Hilfebedürftigkeit hat er nach Aktenlage glaubhaft gemacht; sie wird von der Antragsgegnerin nicht bezweifelt.
Entgegen der Rechtsmeinung der Antragsgegnerin hat der Antragsteller auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der weiteren Leistungsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II in der Bundesrepublik Deutschland.
Gemeint ist hiermit der in § 30 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – SGB I – definierte Begriff (Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/1516, 52). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird die Aufenthaltsposition eines Ausländers wesentlich durch den Inhalt der von der Ausländerbehörde erteilten Bescheinigungen bestimmt, wie er sich nach der gegebenen Rechtslage darstellt (BSG, Urteil vom 04.11.1998 – B 13 RJ 9/98 R m.w.N.). Bedenken hinsichtlich des (zukunftsoffenen) Lebensmittelpunktes des Antragstellers, der sich nach dem Inhalt der beigezogenen Ausländerakte seit 1973 in der Bundesrepublik aufhält, bestehen nicht. Am legalen Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet gibt es im Hinblick auf seinen Aufenthaltstitel nach § 9 Abs. 2 AufenthG keinerlei Zweifel. Der Antragsteller hat eine unbefristete Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG. Dieser Aufenthaltstitel ist bislang weder widerrufen worden, noch erscheint ein Widerruf wegen des Fehlens eines Passes oder Passersatzes nach § 52 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG im Hinblick auf den besonderen Schutz des Antragstellers nach Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = Inf Ausl.R 1982,33) wahrscheinlich.
Art. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 verschafft den Kindern legal eingewanderter türkischer Arbeitnehmer, zu denen nach Lage der Ausländerakten auch der Antragsteller zählt, eine Rechtsposition, die im Rahmen der nach § 52 AufenthG zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sein dürfte (vgl. zum Anwendungsbreich Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 02.05.2002, abgedruckt im Inf. Ausl. R 2002, 349 ff, 358 sowie Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Aufenthalts- und Ausländerrecht, Stand Mai 2007, Band 3 – EWG – 381 Art. 7).
Der Antragsteller ist auch erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II. Hiernach können Ausländer nur erwerbsfähig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Dies ist beim Antragsteller der Fall, denn ihm ist im Rahmen der unbefristeten Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 AufenthG ausdrücklich die Erwerbstätigkeit gestattet. Die aus Sicht der Antragsgegnerin im Hinblick auf das Fehlen eines gültigen Passes vermutete eingeschränkte Vermittelbarkeit des Antragstellers ist hierfür ohne Belang. § 8 Abs. 2 SGB II verlangt alleine die rechtliche Befugnis, eine Tätigkeit aufzunehmen bzw. die Möglichkeit, eine Erlaubnis zur Aufnahme einer Beschäftigung zu erlangen (einhellige Meinung, vgl. Blüggel, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 8 Rn. 42 f.; Brühl, in: LPK SGB II, § 8 Rn. 27 f; Hackethal, in: JurisPK, SGB II, 2. Aufl. 2007, § 8 Rn. 31 f.). Nach den Materialien zu § 8 Abs. 2 SGB II, der § 8 Abs. 3 der Ursprungsfassung entspricht, waren erkennbar auch ausländische Arbeitnehmer gemeint, die nur einen nachrangigen Arbeitsmarktzugang haben oder denen eine Beschäftigung eingeschränkt oder befristet erteilt werden könnte (BT-Drs. 15/1516, S. 52 sowie 15/1749, S. 31; Hackethal, aaO, Rn. 33). In BT-Drs. 15/1516, der Begründung zum Entwurf eines Vierten Gesetzes für Moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt, heißt aaO: "Da die Beschäftigung von Ausländern grundsätzlich unter Erlaubnisvorbehalt steht, ist für die in Abs. 3 (heute: Abs. 2) geregelte Frage der Erwerbsfähigkeit nur allgemein nach den Bestimmungen des Arbeitsgenehmigungsrechts darauf abzustellen, ob rechtlich ein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht oder zulässig wäre, wenn keine geeignete inländischen Arbeitskräfte verfügbar sind. Die Frage, wie ein solcher unbeschränkter oder nachrangiger Arbeitsmarktzugang rechtlich gewertet wird, richtet sich dabei ausschließlich nach den – durch dieses Gesetz insoweit unberührten – arbeitsgenehmungsrechtlichen Regelungen."
Hieraus folgt, dass der unbefristet geltende, mit einer unbeschränkten Niederlassungserlaubnis und der Gestattung (jedweder) Erwerbstätigkeit verbundene Aufenthaltstitel des Antragstellers nach § 9 Abs. 2 AufenthG die Voraussetzung des § 8 Abs. 2 SGB II erfüllt.
Ob der Aufenthaltstitel den Vorstellungen der Antragsgegnerin entsprechend entzogen werden könnte, ist derzeit und insbesondere für den nun zurückliegenden Anordnungszeitraum ohne Belang. Denn ein Widerruf nach § 52 AufenthG ist bislang nicht vorgenommen worden und im Hinblick auf die Nationalität des Antragstellers nicht zu erwarten – vgl. vorstehend. Er wäre auch für den Zeitraum bis zur endgültigen gerichtlichen Klärung der Wirksamkeit des Widerrufs für die Berechtigung zur Arbeitsaufnahme im Sinne von § 8 Abs. 2 SGB II ohne Bedeutung. Insoweit bestimmt nämlich § 84 Abs. 2 S. 2 AufenthG, dass der Aufenthaltstitel für Zwecke der Aufnahme oder Ausübung einer Erwerbstätigkeit als fortbestehend gilt, solange die Frist zur Erhebung des Widerspruchs oder der Klage noch nicht abgelaufen ist, während eines gerichtlichen Verfahrens über einen zulässigen Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung oder solange der eingelegte Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG entsprechend.
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG endgültig.
Erstellt am: 10.03.2008
Zuletzt verändert am: 10.03.2008