Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.04.1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Lehrgangsgebühren für eine berufliche Umschulungsmaßnahme in voller Höhe zu erstatten sind.
Der Kläger nahm vom 19.04.1993 bis zum 14.09.1994 an einer Umschulungsmaßnahme mit dem Berufsziel "Technischer Redakteur" im T.O.P. Bildungszentrum in D. teil. Die Maßnahme war erfolgreich in dem Sinne, daß der Kläger nunmehr einen Arbeitsplatz bei der Firma P.-M. in H. hat.
Der Kläger beantragte am 29.04.1993 die Förderung der Maßnahme. Mit Bescheid des Arbeitsamtes Dortmund vom 02.06.1993 wurden ihm unter anderem Lehrgangsgebühren in einer Höhe bewilligt, die 70 % der ihm entstehenden Gebühren entsprach.
Ein Schreiben des Klägers vom 27.05.1993 wertete die Beklagte als Widerspruch. Sie zog eine Äußerung des Berufberaters T. vom 11.03.1993 bei, mit der ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse an der Förderung der Maßnahmeteilnehmer verneint wurde. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.1993 zurück.
Mit der dagegen am 21.07.1993 erhobenen Klage hat der Kläger ins besondere geltend gemacht, nach der Dienstanweisung der Beklagten sei ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse nur erforderlich, wenn die geforderten Lehrgangsgebühren bestimmte Landes richtwerte überschritten, was hier nicht der Fall sei. Im übrigen hat er sich auf eine Äußerung in der Literatur (Gagel/Richter, AFG – Komm., § 45 Rn. 69) berufen, nach der eine notwendige Förderung stets auch eine solche sei, die besondere arbeitsmarktpolische Bedeutung habe. Der Kläger hat von ihm so bezeichnete "Verbleib listen" vorgelegt, mit denen er den Erfolg seines Lehrgangs (Kurs 7) der drei vorher zuletzt abgehaltenen Kurse 4-6 und des nachfolgenden Kurses 8 dokumentieren will.
Die Beklagte hat zur Klage erwidert, die Fortbildungskurse "Technischer Redakteur" 1 – 3 hätten Erfolgsquoten zwischen 80 und 95 % erzielt, ein deutlicher Einbruch sei jedoch bei dem 4. Kurs (Maßnahmeende 10.09.1992) zu verzeichnen gewesen. Nach intensiven bundesweiten Recherchen sei festzustellen gewesen, daß 11 von 22 Bildungsteilnehmern entsprechend dem Lehrgangsziel nach Kursende in Arbeit gegangen seien. Eine weitere Person sei zumindest teilweise fachfremd beschäftigt gewesen, ein anderer Teilnehmer habe eine selbständige Tätigkeit als technischer Redakteur aufgenommen, 9 von 22 Teilnehmern seinen im August 1993 effektiv arbeitslos gewesen. Je nach Berechnung bedeute dies eine Erfolgsquote zwischen 52 und 62 %. Zur Arbeitsmarktlage sei generell festzustellen, daß je nach wirtschaftlicher Gesamtlage mit einem Bedarf an technischen Redakteuren zu rechnen sei, bundesweit es jedoch mittlerweile eine sehr große Anzahl von Fortbildungsanbietern (ca. 40 Institute) gebe. Ebenso sei festzustellen, daß bundesweit in entsprechend großem Umfang technische Redakteure auf dem Arbeitsmarkt sich anböten und auch insbesondere in den neuen Bundesländern ein größerer Anteil von technischen Redakteuren von Arbeitslosigkeit betroffen sei. Dies mache deutlich, daß die Teilnahme an der Fortbildung die Beschäftigungschancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern und von daher als notwendige Förderung zu bejahen sei, daß andererseits jedoch ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse nicht mehr gegeben sei. Eine hundertprozentige Förderung sei daher ausgeschlossen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Arbeitsberaters für akademische Berufe beim Arbeitsamt Dortmund R. T. als Zeugen. Auf die Sitzungsniederschrift vom 16.04.1996, Bl. 70 ff. der Prozeßakten, wird Bezug genommen.
Sodann hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 16.04.1996 abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe aufgrund des Fehlens eines besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses kein Einvernehmen über die Höhe der Kosten im Sinne des § 12 Abs. 5 Satz 1 AFuU in der bis zum 09.05.1993 geltenden Fassung herstellen können. Die ursprünglich festgestellte Marktlücke sei im bisherigen Umfang nicht mehr vorhanden gewesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger am 19.06.1996 Berufung eingelegt.
Zur Begründung wiederholt er sein erstinstanzliches Vorbringen zur Frage des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses. Im übrigen ist er der Auffassung, die Vermittlungsquote sei zwar bei den Vorkursen höher gewesen, dies besage ab nur, daß die Erfolgsquote eben noch besser gewesen sei. Der Hinweis der Beklagten auf die angeblich große Zahl von Fortbildungsanbietern besage nichts, da sich diese Zahl augenscheinlich in erster Linie auf die neuen Bundesländer beziehe. Die Mobilität der Arbeitnehmer sei nicht so groß, daß sich dadurch Auswirkungen für Nordrhein-Westfalen ergäben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.04.1996 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 02.06.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.1993 zu verurteilen, ihm für die berufliche Fortbildungsmaßnahme zum Technischen Redakteur vom 19.04.1993 bis 14.09.1994 die Lehrgangsgebühren zu 100 % zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Sie verweist darauf, ausschlaggebend bleibe nach ihrer Auffassung, daß sich die Arbeitsmarktsituation im Zeitpunkt der Maßnahmeteilnahme des Klägers erheblich ungünstiger als in den Zeiten zuvor bzw. zu einem späteren Zeitpunkt dargestellt habe.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet. Zwar ist die Klage zulässig, insbesondere ist die Klagebefugnis nach § 54 SGG gegeben.
Anspruchsnorm ist im vorliegenden Fall § 45 AFG in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung. Dies ergibt sich aus § 242q Abs. 3 AFG, weil der Kläger vor dem 01. Januar 1994 in die Maßnahme ein getreten ist und Leistungen beantragt sowie Leistungen bewilligt erhalten hat. Diese Anspruchsnorm ist nach § 30 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 AFuU vom 29.04.1993 noch zusammen mit § 12 Abs. 5 der AFuU vom 23.03.1976 in der Fassung der 19. Änderungsanordnung vom 08.03.1991 anzuwenden, weil der Kläger vor Inkrafttreten der neuen AFuU (am 10.05.1993) in die Maßnahme eingetreten (am 19.04.1993) bzw. Leistungen beantragt hat (am 29.04.1993).
Diese Anspruchsnorm dient – entgegen der Auffassung des LSG Niedersachsen (Urteil vom 26.01.1995 – L 8 Ar 186/94 – Breith. 1995, 724 = NZS 1995, 229) – nicht allein den von der Beklagten wahrzunehmenden Interessen der Allgemeinheit an einer sparsamen und kostenvermindernden Verwendung öffentlicher Mittel für beruflich Bildungsmaßnahmen. Mit dem 13. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 31.05.1996 Az. 13 (9) Ar 156/95, nicht veröffentlicht) leitet der erkennende Senat aus dem Wortlaut des § 12 Abs. 5 AFuU ("werden die notwendigen Lehrgangsgebühren in voller Höhe getragen") einen prüfungsfähigen eigenen Rechtsanspruch des Leistungsempfängers ab. Offenbleiben kann, ob dieser Anspruch möglicherweise lediglich auf fehlerfreie Ermessensausübung gerichtet ist.
Der Kläger hat jedoch keinen seiner Klagebegehren stützenden Anspruch gegen die Beklagte.
Gem. § 45 Satz 1 AFG in der bis zum 31.12.1993 geltenden Fassung kann die Bundesanstalt ganz oder teilweise die notwendigen Kosten tragen, die durch Fortbildungsmaßnahmen unmittelbar entstehen, insbesondere unter anderem Lehrgangskosten, wobei nach Satz 4 der- selben Vorschrift sich die Höhe der zu tragenden Kosten je nach Zugehörigkeit des Teilnehmers zu einer bestimmten arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe unterscheiden kann. Hierzu bestimmt § 12 Abs. 5 AFuU in der maßgeblichen Fassung der 19. Änderungsanordnung vom 08.03.1991, daß die notwendigen Lehrgangsgebühren dann in voller Höhe getragen werden, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen des § 44 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 2d AFG erfüllt und zwischen dem Arbeitsamt und dem Träger der Maßnahme Einvernehmen über die Höhe der Kosten hergestellt wurde oder es sich um eine Auftragsmaßnahme handelt. Ein Einvernehmen ist dann herzustellen, wenn die Lehrgangsgebühren nicht höher liegen als bei gleichartigen Maßnah men am Ort und an der Teilnahme ein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse besteht.
Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte dieses Einvernehmen nicht herzustellen hatte, weil an der Teilnahme des Klägers kein besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse bestand.
Die Beurteilung eines besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses verlangt ebenso wie die sogenannte arbeitsmarktpolitsche Zweckmäßigkeit eine Prognose unter Einbeziehung planerischer und wertender Elemente (§ 2 AFG) wie auch unter Berücksichtigung nicht nur der aktuellen Lage, sondern auch der künftigen Entwicklung des Arbeitsmarktes. Wenn es hierüber keine Kenntnisse im Sinne einer sicheren Feststellung geben kann, so kann dem nur durch Annahme eines Beurteilungsspielraums Rechnung getragen werden (BSG, Urteil vom 23.01.1997, Az. 7 Ar 36/96, m. w. N.). Der erkennende Senat kann ebenso wie schon das Bundessozialgericht (a. a. O.) offenlassen, ob die Konkretisierung, die der Begriff des besonderen arbeitsmarktpolitischen Interesses durch § 9 AFuU in der Fassung der 19. Änderungsverordnung vom 08.03.1991 erfahren hat, den durch den Wortlaut des § 12 Abs. 5 AFuU geschaffenen, oben definierten Beurteilungspielraum beseitigt hat und ob dies überhaupt zulässig ist. Im Fall des Klägers sind weder die Voraussetzungen des § 9 AFuU aF erfüllt, noch sind darüber hinaus weitere Umstände erkennbar, die die mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.06.1993 getroffene Prognoseentscheidung der Beklagten als falsch erscheinen lasse.
Die Voraussetzungen des § 9 AFuU aF sind nicht gegeben, weil die Umschulung des Klägers im Berufsfeld "Technischer Redakteur" weder für die Sicherung oder Bereitstellung von anderen Arbeits- oder Ausbildungsplätzen notwendig war noch benötigt wurde, um arbeitsmarkt- oder strukturpolitisch erwünschte Betriebsansiedlungen oder -erweiterungen durchführen zu können (§ 9 Abs. 1 Ziffer 1 und 2 AFuU aF). Solche wesentlichen, mittelbar arbeitsmarktrelevanten Wirkungen sind beim Berufsbild des technischen Redakteurs weder zu erwarten, noch sind sie vom Kläger oder von der Beklagten vorgetragen worden. Darüber hinaus schließt die Maßnahme auch nicht mit einer allgemein anerkannten Prüfung im Sinne des § 9 Abs. 2 AFuU aF ab. Schließlich handelt es sich nicht um eine Maßnahme, die nach § 9 Abs. 3 AFuU aF ein Betrieb bei einer besonders ungünstigen Beschäftigungslage für seine eigenen Arbeitnehmer, die anderenfalls von Arbeitslosigkeit bedroht wären, durchführt oder durchführen läßt.
Auch andere Umstände, die ein möglicherweise bestehendes, von der Definition des § 9 AFuU nicht erfaßtes besonderes arbeitsmarktpolitisches Interesse begründen könnten, sind nicht erkennbar. Solche Umstände könnten insbesondere darin liegen, daß durch die geförderte Teilnahme an der Maßnahme mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit oder gar mit Sicherheit zu erwarten ist, daß die Arbeitslosigkeit des Umschülers beseitigt wird. Hierzu ist eine Prognoseentscheidung der Beklagten in dem Sinne erforderlich, wie sie vom Bundessozialgericht im oben zitierten Urteil vom 23.01.1997 angesprochen wird. Die hierzu ergangene – negative – Prognoseentscheidung der Beklagten ist auch aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Hierzu kann zur Vermeidung von Wiederholungen (§ 153 Abs. 2 SGG) auf die zutreffenden Folgerungen verwiesen werden, die das erstinstanzliche Gericht aus den Bekundungen des Zeugen T. gezogen hat.
Die vom Kläger erstinstanzlich vorlegten, vom ihm so genannten Verbleiblisten bieten dazu keine weiteren Entscheidungskriterien. Denn die Beklagte war gefordert, alsbald nach Antragstellung und nach Beginn der Maßnahme zu entscheiden. Sie konnte keineswegs ab warten, bis die Maßnahme abgeschlossen und der Erfolg der danach einsetzenden Vermittlungsbemügungen absehbar war, selbst wenn die eingeleiteten Veränderungen im Ablauf der Maßnahme künftig eine Verbesserung der Vermittlungsquote erhoffen ließen. Im übrigen vergleicht der Kläger zu Unrecht die Vermittlungsquote nach er folgreichem Besuch der Maßnahme mit der allgemeinen Vermittlungsquote der Beklagten. Denn bei der Finanzierung von Umschulungsmaß nahmen geht es gerade darum, diese allgemeine Vermittlungsquote durch den Einsatz erheblicher Fördermittel weiter zu erhöhen. Im Interesse des effektiven Einsatzes öffentlicher Gelder muß schon bei einer nur teilweisen Förderung eine deutlich verbesserte Vermittlungsquote zu erwarten sein, noch viel mehr gilt dies für die vom Kläger begehrte vollständige Förderung.
Sein Argument, durch eine große Zahl von Fortbildungsanbietern in den neuen Bundesländern oder in anderen Bundesländern seien Auswirkungen auf die Vermittlungsmöglichkeiten für Teilnehmer an Lehrgängen in Nordrhein-Westfalen nicht zu erwarten, weil die Mobilität der Arbeitnehmer nicht so groß sei, wiederlegt der Kläger selbst. Denn auch er hat nach erfolgreichem Abschluß der Maßnahme einen Arbeitsplatz in einem anderem Bundesland angenommen. Dies bestätigt die Annahme, daß die räumlich Mobilität von Arbeitnehmern mit zunehmender Qualifikation größer wird.
Auch zu der in der Literatur (Gagel / Richter AFG – Komm. § 45 Rn. 69) geäußerten Auffassung, daß das besondere arbeitsmarktpolitische Interesse bei notwendigen Bildungsmaßnahmen nach § 44 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 2b AFG immer vorliegen werde, kann auf die zutreffende Auffassung des Sozialgerichts verwiesen werden (§ 153 Abs. 2 SGG). Gegenüber der Notwendigkeit der Maßnahme ist das be sondere arbeitsmarktpolitische Interesse im Sinne des § 12 Abs. 5 AFuU ein weiteres Anspruchselement. Nach der Systematik des § 12 AFuU ist die Notwendigkeit der Maßnahme schon immer Voraussetzung für die Förderung des Klägers zumindest zu 70 % gewesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Erstellt am: 14.08.2003
Zuletzt verändert am: 14.08.2003