Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.02.2019 aufgehoben, soweit das Sozialgericht den Erstattungsbetrag auf 77.348,35 EUR festgesetzt hat. Der Tenor wird wie folgt neu gefasst: Der Bescheid vom 20.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2015 sowie der Änderungsbescheid vom 19.10.2015 werden aufgehoben, soweit der Beklagte Leistungen von Januar 2005 bis Juni 2005 zurückfordert. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung und Pflicht zur Erstattung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von Juli 2005 bis Juni 2012.
Die am 00.00.1957 geborene Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Verkäuferin und arbeitete anschließend als Montiererin, zuletzt bei der Fa. S Prüftechnik (SP). 1997 erhielt sie von SP eine Abfindung, deren Höhe die Klägerin mit (umgerechnet) 20.000 EUR angibt. Die Klägerin übte sodann zeitweise geringfügige Beschäftigungen als Verkäuferin aus und war ansonsten arbeitsuchend. Sie bezog Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe.
Die Klägerin beantragte am 23.09.2004 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Im Antragsformular gab die Klägerin zu dem Punkt "Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" ein Sparbuch (1.716,58 EUR), eine Kapitallebensversicherung bei der B Versicherung (Versicherungsschein-Nr.xxx) mit einem damaligen Rückkaufwert iHv 10.755,58 EUR und ein Guthaben auf dem Girokonto (571,46 EUR) an. Die Klägerin kreuzte die Frage nach Bargeld mit "Nein" an und unterschrieb den "Vordruck VM".
Der Beklagte bewilligte der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von Januar 2005 bis Juni 2012, bis Juni 2006 in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer 1994 geborenen Tochter. Die Frage nach Änderungen in den Vermögensverhältnissen beantwortete die Klägerin in den Fortzahlungsanträgen stets mit "Nein". Der Beklagte rechnete die Kapitallebensversicherung nicht an, da ein Rückkauf nur mit einem Verlust von mehr als 10% möglich sei. Mit Bescheid vom 13.06.2012 bewilligte der Beklagte vorläufig Leistungen für Juli 2012 und August 2012 und forderte die Klägerin zur Ermittlung ihrer aktuellen Vermögenssituation zur Mitwirkung auf. Auf Antrag der Klägerin bewilligte der Beklagte für September 2012 und Oktober 2012 Leistungen als Darlehen. Den Antrag vom 08.08.2012 auf Bewilligung von Leistungen als Zuschuss ab September 2012 lehnte der Beklagte ab. Die Klägerin sei nicht hilfebedürftig, da der aktuelle Rückkaufwert der Kapitallebensversicherung den Vermögensfreibetrag übersteige.
Die Klägerin kündigte zum 01.12.2012 die Kapitallebensversicherung. Am 04.12.2012 überwies die B Versicherung daraufhin 21.893,61 EUR auf das Girokonto der Klägerin bei der T Bank. Bis auf einen Restbetrag iHv ca. 7.900 EUR verbrauchte die Klägerin diesen Betrag für ihren Lebensunterhalt.
Am 25.11.2013 beantragte die Klägerin erneut Leistungen mit der Begründung, das Vermögen aus der Lebensversicherung sei fast aufgebraucht. Zum Nachweis legte sie Auszüge des Girokontos und eines Tagesgeldkontos vor. Daraus ergibt sich neben der genannten Überweisung der B Versicherung iHv 21.893,61 EUR auf das Girokonto bei der T Bank und einer Umbuchung vom 17.06.2013 iHv 7.900 EUR vom Girokonto auf das Tagesgeldkonto eine Bareinzahlung vom 06.06.2013 iHv 23.000 EUR auf das Tagesgeldkonto bei der T Bank. Anschließend überweis die Klägerin 30.000 EUR von dem Tagesgeldkonto an ein Depot zur Anlage in Aktien. Nach einer von der Klägerin unterschriebenen Niederschrift über die Vorsprache bei dem Beklagten am 06.01.2014 hat die Klägerin die 23.000 EUR bereits vor Januar 2005 in einem Bankschließfach aufbewahrt und in der "Anlage VM" bewusst nicht angegeben, da sie nicht eingesehen habe, ihr Vermögen vor der Antragstellung zu verbrauchen.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 13.01.2014 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag vom 25.11.2013 mangels Hilfebedürftigkeit ab.
Mit Schreiben vom 05.12.2014 hörte der Beklagte die Klägerin nach § 24 SGB X zu der beabsichtigten Aufhebung und Erstattung der Leistungen für den Zeitraum von Januar 2005 bis August 2012 in Höhe von insgesamt 86.683,17 EUR an. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 16.12.2014 mit, die Versicherungssumme aus der Lebensversicherung habe erst Anfang 2014 zur Verfügung gestanden.
Mit Bescheid vom 20.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2015 nahm der Beklagte die Bescheide vom 26.11.2004, 01.06.2005, 03.05.2006, 13.11.2006, 30.11.2006, 19.12.2006, 18.06.2006, 29.11.2007, 12.06.2008, 16.07.2008, 04.12.2008, 03.06.2009, 07.06.2009, 21.07.2009, 01.12.2009, 07.06.2010, 16.08.2010, 23.11.2010, 26.03.2011, 06.06.2011, 01.12.2011 und 23.05.2012 von Januar 2005 bis einschließlich August 2012 nach § 45 SGB X zurück und forderte von der Klägerin die Erstattung von Leistungen einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv insgesamt 86.683,17 EUR. Unter Berücksichtigung eines Vermögens iHv 29.241,99 EUR und eines Vermögensfreibetrages iHv 9.150 EUR sei die Klägerin nicht hilfebedürftig gewesen. Die Überzahlung beruhe nicht auf der Auszahlung der Versicherungssumme. Ursächlich für die Überzahlung sei vielmehr die Abfindung, die die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag im Bankschließfach aufbewahrt habe. Die Voraussetzungen des §§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 3 SGB III, 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X seien erfüllt. Die überzahlten Leistungen seien nach § 50 SGB X zu erstatten, die Pflicht zur Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung folge aus §§ 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II, 335 Abs.1 und 5 SGB III.
Am 29.05.2015 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Düsseldorf erhoben. Zwar treffe zu, dass sie im Jahre 1997 eine Abfindung iHv umgerechnet 19.984 EUR erhalten hat. Der Abfindungsbetrag sei bei der B Lebensversicherung angelegt worden. Das Arbeitsamt K habe im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens über die Aufhebung und Erstattung von Arbeitslosenhilfe anerkannt, dass es sich bei diesem zur Alterssicherung angelegten Vermögen um Schonvermögen handele, da sie nur über geringe Rentenanwartschaften verfüge. Deshalb habe sie jedenfalls nicht grob fahrlässig Vermögen verschwiegen. Auch unter Berücksichtigung der im Bescheid gelisteten Vermögenswerte sei die Hilfebedürftigkeit höchstens für ca 18 Monate zu verneinen. Den Nachweis bedarfsdeckenden Vermögens für den gesamten Aufhebungs- und Erstattungszeitraum habe der Beklagte nicht erbracht.
Mit Bescheid vom 01.10.2015 hat der Beklagte den Anspruch auf Leistungen für Juli 2012 und August 2012 abgelehnt und die Erstattung von insgesamt 1.876,94 EUR gefordert, weil die Klägerin über verwertbares Vermögen iHv 29.241,99 EUR verfüge. Der Beklagte hat sich im Termin zur mündlichen Verhandlung am 09.01.2020 verpflichtet, über den von der Klägerin hiergegen erhobenen Widerspruch zu entscheiden.
Mit Bescheid vom 19.10.2015 hat der Beklagte den Bescheid vom 20.02.2015 geändert und das der damals minderjährigen Tochter der Klägerin von Januar 2005 bis Juni 2006 bewilligte Sozialgeld von der Aufhebung und Erstattung ausgenommen und die Summe auf 80.511,69 EUR reduziert. Der Bescheid werde gem. § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 20.02.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2015 in Fassung der endgültigen Festsetzung und Erstattung durch Bescheid vom 01.10.2015 und des Änderungsbescheids vom 19.10.2015 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin habe neben den von ihr angegebenen Vermögenswerten über verschwiegenes Barvermögen iHv 23.000 EUR verfügt, weshalb die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien.
Das Sozialgericht hat am 17.11.2017 einen Erörterungstermin durchgeführt und die Klägerin mit Schreiben vom 13.02.2019 aufgefordert, die Herkunft der Bareinzahlung iHv 23.000 EUR nachzuweisen. Die Klägerin hat im Verhandlungstermin vom 21.02.2019 die Rentenpolice, den Abhilfebescheid des Arbeitsamtes K und einen Kontoauszug vom 17.07.1997 vorgelegt. Nach Einsicht hat das Sozialgericht die Unterlagen im Termin wieder der Klägerin ausgehändigt.
Mit Urteil vom 21.02.2019 hat das Sozialgericht "den Bescheid vom 20.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2015 in der Fassung der endgültigen Festsetzung und Erstattung durch Bescheid vom 01.10.2015 und des Änderungsbescheids vom 19.10.2015 teilweise aufgehoben" und "den Erstattungsbetrag auf 77.348,35 EUR festgesetzt". Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Aufhebung für die Zeit von Januar 2005 bis Juni 2005 sei wegen Ablaufs der Zehnjahresfrist gem. § 45 Abs. 3 Satz 1, 3 SGB X rechtswidrig. Für die Zeit von Juli 2005 bis Juni 2012 sei der Bescheid rechtmäßig. Die Bewilligungsbescheide seien von Anfang an nach § 45 SGB X rechtswidrig gewesen. Die Klägerin sei nicht hilfebedürftig gewesen. Nach dem Vortrag im Verwaltungsverfahren und der mündlichen Verhandlung sei bewiesen, dass ein Betrag iHv 20.000 EUR im streitigen Zeitraum als Bargeld im Bankschließfach deponiert gewesen sei. Grobe Fahrlässigkeit liege vor. Der Klägerin sei bekannt gewesen, dass sie hohe Bargeldsummen in einem Bankschließfach aufbewahre. Es hätte jedem einleuchten müssen, dass die abgefragten Vermögenswerte bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit relevant seien. Die Leistungen seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Hinsichtlich des Zeitraums Juli 2012 und August 2012 sei der Bescheid vom 01.10.2015 gem. §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II aF iVm § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts rechtmäßig, allerdings könne der Beklagte die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung nicht zurückfordern. Daher sei die Forderung um weitere 306,94 EUR zu reduzieren.
Gegen das am 05.03.2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.03.2019 Berufung eingelegt. Sie habe darauf vertraut und vertrauen dürfen, dass Vermögen, welches zur Altersvorsorge dient und deshalb im Rahmen der Arbeitslosenhilfe als Schonvermögen anerkannt worden sei, auch für die Leistungen nach dem SGB II nicht zu berücksichtigen sei. Jedenfalls habe sie insoweit nicht grob fahrlässig gehandelt. Sie habe davon ausgehen dürfen, dass die Unterlagen hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe bei dem Beklagten bekannt seien. Die Rückforderung eines Betrages, der das angerechnete Vermögen erheblich übersteigt, sei zudem unverhältnismäßig, der Verweis auf ein Erlassverfahren sei unzulässig.
Auf den Hinweis des Vorsitzenden, dass der Bescheid vom 01.10.2015 bezüglich der Monate Juli 2012 und August 2012 nicht gem. §§ 86, 96 SGG Gegenstand des Verfahrens ist und es an dem notwendigen Widerspruchsverfahren fehlt, hat der Beklagte zugesichert, über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.10.2015 gesondert zu entscheiden und auf die Rückforderung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für diese beiden Monate verzichtet. Daraufhin hat die Klägerin das Verfahren auf die Zeit von Juli 2005 bis Juni 2012 beschränkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 21.02.2019 zu ändern und den Bescheid vom 20.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2015 sowie den Änderungsbescheid vom 19.10.2015 in vollem Umfang aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verweist auf die Ausführungen des Sozialgerichts im Urteil vom 21.02.2019. Hinsichtlich der Höhe des Erstattungsbetrags verweist er auf das Urteil des BSG vom 25.04.2018 – B 14 AS 15/17 R.
Mit Fax vom 04.12.2019 (Eingang bei Gericht um 13.21 Uhr) hat der Bevollmächtigte die Verlegung des Verhandlungstermins unter Hinweis auf die sich aus dem Attest seines behandelnden Dermatologen vom 04.12.2019 ergebende Erkrankung beantragt. Darin wird dem Bevollmächtigten wegen der Diagnosen "exazerbierter Herpes Zoster, temporäre Immunschwäche und Hautinfektion" eine "intensivierte Lokal- und Systemtherapie", die mit "strenger Bettruhe und frühem Schlafengehen" therapiert wird, bescheinigt. Der Vorsitzende hat mit einem per Fax übermittelten Schreiben vom 04.12.2019 den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 12.12.2019 verlegt und den Bevollmächtigten sowie die Klägerin darauf hingewiesen, dass im Falle der fortbestehenden Verhinderung des Bevollmächtigten ein anderer Rechtsanwalt der Kanzlei oder einer anderen Kanzlei beauftragt werden muss. Mit Fax vom 09.12.2019 hat der Bevollmächtigte den Senat über seine Verhinderung wegen der Wahrnehmung eines bereits im Oktober 2019 anberaumten Termins beim Arbeitsgericht K (12.12.2019 um 9.00 Uhr) und die am gleichen Tag stattfindende Beisetzung eines Freundes informiert und erneut die Verlegung des Termins beantragt. Mit Schreiben vom 09.12.2019 hat der Vorsitzende den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 09.01.2020 verlegt und nochmals für den Fall der fortbestehenden Verhinderung des Bevollmächtigten auf die Notwendigkeit der Beauftragung eines anderen Rechtsanwaltes der Kanzlei oder einer anderen Kanzlei hingewiesen. Mit Fax vom 09.01.2020 (Eingang bei Gericht um 7.37 Uhr) hat der Bevollmächtigte erneut die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Aus der beigefügten ärztlichen Bescheinigung vom 06.01.2020 ergeben sich eine Behandlung mit Antibiotika wegen der Diagnosen "exacerbierter Herpes Zoster, Sinusitis" und die Notwendigkeit einer "strengen Bettruhe und frühes Schlafengehen bei deutlich erkennbarem Erschöpfungszustand". Der Bevollmächtigte hat gesondert mitgeteilt, er leide "seit heute Nacht" unter den "Nebenwirkungen der Antibiotikatherapie (Durchfall und Übelkeit)". Der Vorsitzende hat um 9.15 Uhr der Kanzlei des Bevollmächtigten mitgeteilt, dass an dem Verhandlungstermin festgehalten wird.
Zur mündlichen Verhandlung ist die Klägerin mit ihrem Lebensgefährten, Herrn S, als Beistand, nicht aber ein Bevollmächtigter, erschienen. Vor Eröffnung der mündlichen Verhandlung hat der Vorsitzende die Beteiligten über den Terminsaufhebungsantrag vom 09.01.2020 und seinen Anruf in der Kanzlei unterrichtet. Die Klägerin hat erklärt, sich vollständig in der Lage zu sehen, ohne den Rechtsanwalt den Termin wahrzunehmen. Nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung hat die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle einen Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 09.01.2020 (Eingang bei Gericht um 10.01. Uhr) vorgelegt. Der Schriftsatz beinhaltet einen "Befangenheitsantrag" gegen den Vorsitzenden Richter Dr. K und "alle anderen Richter des Senats" wegen der "unberechtigten Ablehnung" des Terminsaufhebungsgesuchs. Da der Bevollmächtigte erhebliche Gründe vorgetragen habe, sei dies "reine Willkür und eine Unverschämtheit". Der Bevollmächtigte habe sich vorgenommen gehabt, trotz seiner Erkrankung den Termin wahrzunehmen, sonst hätte er den Aufhebungsantrag "sicherlich bereits am Montag" gestellt. Die Situation habe sich aber "heute morgen wie geschildert" dargestellt.
Die Klägerin hat sich dem Ablehnungsantrag des Bevollmächtigten angeschlossen. Nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung hat der Senat ohne Beteiligung der abgelehnten Richter mit Beschluss vom 09.01.2020 den Antrag abgelehnt. Sodann hat die Klägerin die Vertagung des Verhandlungstermins beantragt. Nach Zwischenberatung des Senats hat der Senat mit Beschluss vom 09.01.2020 die Vertagung des Verhandlungstermins abgelehnt und den Beteiligten die wesentlichen Gründe mitgeteilt.
Auf Befragung durch den Senat hat die Klägerin erklärt, sie bestreite den Inhalt der Niederschrift vom 06.01.2014. Sie habe die entsprechende Erklärung nicht abgegeben. Warum ihre Unterschrift auf der Erklärung ist, wisse sie nicht. Irgendwie habe sie nicht gewusst, was sie da unterschreibt. Was sie nicht bestreite ist, dass sie damals ein Abfindung iHv umgerechnet ungefähr 20.000 EUR von Rheinmetall bekommen habe. Auf Vorhalt des Kontoauszugs, aus dem sich eine Bareinzahlung iHv 23.000 EUR im Juni 2013 ergibt, hat die Klägerin erklärt, woher dieser Betrag komme, könne sie jetzt auch nicht mehr so genau sagen. Wenn sie gefragt werde, ob es sein kann, dass es sich hierbei um Bargeld handelt, dass sie aus einem Schließfach bei der T Bank entnommen hat, so müsse sie sagen "das kann schon gut sein. Das muss ich wohl zugeben". Sie habe damals eine Erdgeschosswohnung gehabt und doch irgendwie Angst vor Einbrechern gehabt.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ergänzend einen Antrag auf vollständigen oder teilweisen Erlass der Forderung bei dem Beklagten gestellt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsakten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der geschäftsplanmäßigen Besetzung über die Berufung entscheiden, ohne gegen das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs. 1 Satz 2 GG) zu verstoßen. Das Ablehnungsgesuch des Bevollmächtigten der Klägerin vom 09.01.2020 ist mit Beschluss vom 09.01.2020 zurückgewiesen worden.
Der Senat war aufgrund des Verlegungsantrags des Bevollmächtigten vom 09.01.2020 nicht an der Durchführung des Termins zur mündlichen Verhandlung gehindert. Über den Antrag ist verfahrensrechtlich und inhaltlich zutreffend entscheiden worden, weshalb offen bleiben kann, ob die Erklärung der Klägerin, sie sehe sich in der Lage, auch ohne Anwalt den Termin wahrzunehmen, als Rücknahme des Terminsverlegungsantrags auszulegen ist.
Über einen Antrag auf Verlegung des Verhandlungstermins hat vor dem Termin der Vorsitzende zu entscheiden (§ 202 SGG iVm § 227 Abs. 4 ZPO). Dies gilt auch, wenn der Antrag erst am Tag der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingeht, es sei denn, es ist nach den Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen, dass das Verlegungsgesuch den Richter noch erreicht (BSG Beschlüsse vom 24.10.2013 – B 13 R 230/13 und vom 12.05.2017 – B 8 SO 69/16 B). Der Vorsitzende hat über den um 7.41 Uhr bei Gericht per Fax eingegangenen Antrag auf Terminverlegung vor Beginn der für 11.00 Uhr anberaumten mündlichen Verhandlung entschieden, indem er gegen 9.15 Uhr der Kanzlei des Bevollmächtigten der Klägerin telefonisch mitgeteilt hat, dass der Verhandlungstermin stattfindet.
Ein erheblicher Grund für die beantragte Terminsverlegung iSd § 202 SGG, § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO lag nicht vor. Bei der Prüfung eines erheblichen Grundes sind das Interesse der Allgemeinheit und der Prozessbeteiligten an der zeitnahen Entscheidung eines nach dem Ergebnis des vorbereitenden Verfahrens entscheidungsreifen Rechtsstreits (§ 106 Abs. 2 SGG) und das Interesse des Beteiligten auf Wahrung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) gegeneinander abzuwägen, wobei jedenfalls im öffentlich-rechtlichen sozialgerichtlichen Verfahren das Beschleunigungsinteresse im Zweifel nachrangig ist (in diesem Sinne BSG Urteil vom 10.08.1995 – 11 RAr 51/95). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (BSG Beschluss vom 12.05.2017 – B 8 SO 69/16 B). Ein iSd § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminsverlegungs- oder Terminsvertagungsgrund begründet daher grundsätzlich eine Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung (BSG Urteile vom 13.11.2008 – B 13 R 277/08 B, vom 28.04.1999 – B 6 KA 40/98 R und vom 12.02.2003 – B 9 SB 5/02 R; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 15.03.2016 – L 7 AS 1849/15 NZB). In den Fällen, in denen ein Bevollmächtigter wegen Krankheit die Aufhebung eines anberaumten Termins begehrt, ist maßgeblich, ob bei Eintritt des Verhinderungsgrundes genügend Zeit verblieb, einen anderen Rechtsanwalt zu beauftragen. Denn auch im sozialgerichtlichen Verfahren kann ein Beteiligter grundsätzlich darauf verwiesen werden, einen anderen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung des angesetzten Termins zu beauftragen, wenn hierzu sein Prozessbevollmächtigter nicht in der Lage oder nicht willens ist. Solange eine anderweitige Vertretung möglich erscheint, ist ein Gericht unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs nicht verpflichtet, einen anberaumten Termin wegen Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten aufzuheben (BSG Urteil vom 25.11.1992 – 2 BU 159/92). Wer geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorgt, muss damit grundsätzlich Vorkehrungen für den Fall einer nicht vorhersehbaren Erkrankung treffen, damit Termine wahrgenommen bzw Fristen gewahrt werden können. Als erheblicher Grund anzuerkennen ist grundsätzlich nur eine plötzliche Verhinderung iS einer unvorhergesehen Erkrankung eines Beteiligten oder seines Bevollmächtigten (BSG Beschlüsse vom 21.08.2007 – B 11a AL 11/07 B und vom 31.05.1990 – 11 BAr 153/89; BGH Beschluss vom 19.02.2019 – VI ZB 43/18; BFH Beschluss vom 09.04.2018 – X R 9/18).
Vorliegend war der Bevollmächtigte gerade nicht plötzlich, sondern wegen einer schon länger bestehenden Erkrankung, die ihn bereits zuvor an einer Terminswahrnehmung gehindert hatte, verhindert. Die Erkrankungen, mit denen der Bevollmächtigte den Verlegungsantrag begründet hat, lagen, wie sich aus dem Attest vom 04.12.2019 ergibt, bereits Anfang Dezember 2019 vor. Die Hinderungsgründe, die der Bevollmächtigte am 04.12.2019 und am 09.01.2020 jeweils vorgetragen hat, sind nach der Diagnose und der ärztlich empfohlenen Therapie nahezu identisch. Der Senat hat den Bevollmächtigten zweimal rechtzeitig darüber unterrichtet, dass im Falle der fortbestehenden Verhinderung ein anderer Rechtsanwalt der Kanzlei oder einer anderen Kanzlei beauftragt werden muss. Der Anwalt hatte damit ausreichend Zeit, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass seine Erkrankung andauert und ihn abermals an der Terminswahrnehmung hindert. Gründe dafür, dass dies ausnahmsweise nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen ist, sind weder vorgetragen noch aus der Akte ersichtlich.
Aus den genannten Gründen hinderte auch der Vertagungsantrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung den Senat an der Durchführung des Termins und an einer Entscheidung in der Sache nicht. Der Senat hat den Vertragungsantrag in ordnungsgemäßer Besetzung mit Berufs- und ehrenamtlichen Richtern (§§ 153 Abs.1, 12 Abs. 1 Satz 2 SGG) in der mündlichen Verhandlung abgelehnt.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist – abgesehen von der Neufassung des Tenors des angefochtenen Urteils – unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 20.02.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2015 sowie nach § 96 SGG der Bescheid vom 19.10.2015, mit dem der Beklagte sämtliche Leistungsbewilligungen von Juli 2005 bis einschließlich Juni 2012 aufgehoben hat und Erstattung fordert. Der Bescheid vom 01.10.2015 ist nicht mehr Gegenstand des Verfahrens, nachdem die Klägerin den Streitgegenstand entsprechend begrenzt und der Beklagte sich zur Erteilung eines Widerspruchsbescheides verpflichtet hat. Da der Bescheid vom 01.10.2015 sich auf die Monate Juli 2012 und August 2012 bezieht, während der angefochtene Bescheid sich auf die Zeit bis Juni 2012 bezieht, ist der Bescheid vom 01.10.2015 nicht gem. § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Im Rahmen der Anfechtungsklage hat das Gericht die Befugnis, die Rechtslage durch vollständige oder teilweise Aufhebung des angefochtenen Bescheides zu gestalten ("kassatorische Entscheidung", vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Aufl., § 131 Rn. 3). Eine Befugnis, den Erstattungsbetrag darüber hinaus – etwa im Sinne eines eigenständige Vollstreckungstitels (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG) – festzusetzen, wie das Sozialgericht dies vorgenommen hat, enthält das SGG nicht. Auf die Berufung der Klägerin war der entsprechende Ausspruch daher aufzuheben und der Tenor klarstellend, inhaltlich aber im Sinne der Entscheidung des Sozialgerichts (Aufhebung des angefochtenen Bescheides, soweit der Zeitraum von Januar 2005 bis Juni 2005 betroffen ist), neu zu fassen (zur Befugnis des Beschwerde- bzw Berufungsgerichts zur Klarstellung des Tenors Beschluss des Senats vom 09.09.2019 – L 7 AS 935/19 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 27.06.2019 – L 9 SO 360/16).
Die Bescheide sind formell rechtmäßig. Der Beklagte hat die Klägerin mit Schreiben vom 05.12.2014 zu der beabsichtigten Rücknahme gemäß § 24 SGB X angehört.
Die Bescheide sind hinreichend bestimmt iSv § 33 Abs. 1 SGB X. Der Beklagte benennt die zurückgenommenen Bescheide, die von der Rücknahme betroffenen Zeiträume und stellt für jeden Monat die bewilligten und den nach Auffassung des Beklagten der Klägerin tatsächlich zustehenden Leistungsbetrag sowie die zur Erstattungssumme führende Differenz dar.
Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme ist § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 45 Abs. 1 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gem. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB III ist das nach § 45 Abs. 1 SGB X bestehende Ermessen aufgehoben, soweit die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts vorliegen.
Die für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 30.06.2012 erlassenen Bewilligungsbescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin war nicht hilfebedürftig iSv §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II. Ihr jeweils monatlich zu deckender Bedarf belief sich auf die im Bescheid vom 19.10.2015 von dem Beklagten zutreffend ermittelten Beträge aus dem Regelbedarf und den Bedarfen für Unterkunft und Heizung sowie zunächst den Mehrbedarf für Alleinerziehende. Auf die Berechnung im Bescheid vom 19.10.2015 wird insoweit verwiesen.
Die Klägerin verfügte durchgehend über gemäß § 12 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigendes, den Bedarf iSd § 19 Abs. 3 SGB II überschreitendes Vermögen. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Klägerin während des gesamten Aufhebungszeitraums über Vermögen iHv mindestens 20.000 EUR verfügte. Zwar hat die Klägerin nachgewiesen, dass sie einen Teil ihres Vermögens in die Kapitallebensversicherung der B Versicherung investiert hat, die sie bei Antragstellung im Jahr 2004 nicht verschwiegen hatte. Nachgewiesen durch Vorlage der entsprechenden Kontoauszüge ist außerdem, dass das Vermögen aus der Kapitallebensversicherung nach Ablehnung der Weiterbewilligung ab September 2012 bis zur Neuantragstellung im November 2013 bis auf einen Restbetrag iHv 7.900 EUR verbraucht worden ist. Daneben stand der Klägerin aber der aus dem Kontoauszug ebenfalls ersichtliche Barbetrag iHv 23.000 EUR zur Verfügung, dessen Investition in eine Kapitallebensversicherung während des Aufhebungszeitraums von der Kläger weder behauptet wird noch sonst sich aus den vorgelegten Unterlagen ergibt. Vielmehr hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats – ebenso wie nach Aktenlage in der von ihr bestrittenen Erklärung gegenüber dem Beklagten vom 06.01.2014 – zugestanden, dass es "gut sein" könne, dass es sich hierbei um Bargeld handelte, das sie in einem Schließfach bei der T Bank verwahrt hatte und sie dies "wohl zugeben" müsse. Es ist nicht anzunehmen, dass die Klägerin sich insoweit missverständlich ausgedrückt oder die entsprechende Frage des Senats nicht verstanden hat, da sie ungefragt sogar näher eine Begründung dafür abgegeben hat, weshalb sie das Geld ich einem Schließfach verwahrt hatte ("Angst vor Einbrechern"). Dass ihr der Geldbetrag erst während des Bewilligungszeitraums zugeflossen sei, behauptet die Klägerin nicht.
Das Vermögen hat durchgehend die Freibeträge nach § 12 Abs. 2 SGB II (in der Fassung vom 19.11.2004 [aF]) und auch nach den späteren Fassungen überschritten und zwar sowohl unter Berücksichtigung von zunächst 200 EUR (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.07.2006 gF) als auch später von 150 EUR je Lebensjahr (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II in der ab 01.08.2006 gF) und 750 EUR als Anschaffungsfreibetrag (§ 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II).
Das nach diesen Maßgaben zu berücksichtigende Vermögen schließt den Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld II für die von der Rücknahme erfassten Zeiträume insgesamt aus. Ein "fiktiver Verbrauch" des tatsächlich durchgängig vorhandenen Vermögens ist unmaßgeblich. Verwertbares Vermögen steht der Annahme von Hilfebedürftigkeit entgegen, solange es tatsächlich vorhanden ist (BSG Urteile vom 25.04.2018 – B 14 AS 29/17 R und B 14 AS 15/17 R; ebenso Urteil des Senats vom 29.06.2017 – L 7 AS 395/16).
Die Klägerin kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen im Hinblick auf den Bestand der Bewilligungsbescheide berufen, weil der Ausschlussgrund des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X vorliegt. Danach kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat. Die aufgehobenen Leistungsbewilligungen sind nur erfolgt, weil die Klägerin das Vorhandensein von Bargeld im Antragsformular zu dem Punkt "Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens" verschwieg und in den Fortzahlungsanträgen eine Änderung in den Verhältnissen verneinte. Die Angabe war für die Leistungsbewilligung wesentlich, weil nur bei Hinzurechnung des verschwiegenen Vermögens die Vermögensfreigrenze überschritten und die Leistungsbewilligung damit rechtswidrig wurde. Das Verschweigen erfolgte zumindest grob fahrlässig. Die Frage nach "Bargeld" war unmissverständlich. Der Vortrag der Klägerin, das Arbeitsamt K habe im Jahre 2000 eine Entscheidung über die Aufhebung und Erstattung von Arbeitslosenhilfe aufgehoben und einem Widerspruch der Klägerin damit stattgegeben, weshalb sie auch gegenüber dem Beklagten von einer Anrechnungsfreiheit habe ausgehen dürfen, entlastet die Klägerin nicht. Zwar ist es durchaus denkbar, dass eine Entscheidung über die Anrechnungsfreiheit von Vermögen bei der Arbeitslosenhilfe den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit hinsichtlich einer Anrechnung von Einkommen oder Vermögen beim Arbeitslosengeld II entfallen lässt. Die gilt jedoch nur, wenn die Frage im Raum steht, ob der Betroffene die Rechtswidrigkeit einer Leistungsbewilligung kannte oder kennen musste iSd § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X. Nicht relevant ist ein solcher Geschehensablauf wenn – wie hier – eine eindeutige, unmissverständliche Frage des Leistungsträgers falsch beantwortet worden ist. Abgesehen davon trägt die Klägerin selbst vor, dem Arbeitsamt sei damals der bei der B Lebensversicherung angelegte Betrag mitgeteilt worden. Um diesen Betrag geht es – wie ausgeführt – vorliegend aber nicht. Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide sind erfüllt, insbesondere wurde die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Erst durch die schriftliche Stellungnahme der Klägerin im Dezember 2014 wurde der Beklagte in die Lage versetzt, den Sachverhalt umfassend zu würdigen. Der streitgegenständliche Rücknahme- und Erstattungsbescheid wurde am 20.02.2015 innerhalb der Jahresfrist erlassen.
Auch die Erstattungsverfügung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Pflicht zur Erstattung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm 50 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGB X. Die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge sind nach §§ 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II, 335 Abs. 1 und 5 SGB III zu erstatten.
Der Umstand, dass der zu erstattende Betrag das bei der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum vorhandene, zu verwertende Vermögen um ein Vielfaches übersteigt, begründet eine Rechtswidrigkeit der Aufhebung der Leistungsbewilligung und der Erstattungsforderung nicht. Den damit verbundenen Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit, ist nicht auf der Primär-, sondern auf der Sekundärebene bei der Geltendmachung der Forderung durch den Beklagten Rechnung zu tragen. § 44 SGB II sieht insofern die Möglichkeit eines Erlasses von Ansprüchen durch den Leistungsträger vor, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Unbilligkeit ist zu bejahen, wenn der Schuldner sich in einer Notlage befindet und zu besorgen ist, dass die Weiterverfolgung des Anspruchs zu einer Existenzgefährdung führt bzw wenn der Sachverhalt zwar den Tatbestand einer Anspruchsnorm erfüllt, die Forderungseinziehung gleichwohl den Wertungen des Gesetzes zuwider liefe (BSG Urteile vom 25.04.2018 – B 4 AS 29/17 R und B 14 AS 15/17 R; Urteil des Senats vom 29.062017 – L 7 AS 395/16; Beschluss des Senats vom 24.10.2016 – L 7 AS 882/16 B). Der Beklagte ist daher – im Anschluss an den Antrag der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung und außerhalb des Verfahrens über das Bestehen der Forderung (hierzu BSG Urteile vom 25.04.2018 – B 14 AS 15/17 R und B 14 AS 29/17 R) – verpflichtet, die gesamten Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Er hat die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin sowie Art und Höhe des Anspruchs zu berücksichtigen. Die persönlichen und wirtschaftlichen Belange der Klägerin sind sodann abzuwägen mit dem grundsätzlich gegebenen öffentlichen Interesse an der Einziehung von Forderungen der Leistungsträger. Dieses könnte im Hinblick darauf, dass der Erstattungsbetrag den Betrag des anzurechnenden Vermögens exorbitant übersteigt, reduziert sein. Von einer Unbilligkeit der Einziehung der Forderung ist zudem in der Regel auszugehen, wenn die Einziehung für den Schuldner existenzgefährdend oder existenzvernichtend wirken würde (BSG Urteile vom 25.04.2018 – B 4 AS 29/17 R und B 14 AS 15/17 R; Urteil des Senats vom 29.062017 – L 7 AS 395/16; Beschluss des Senats vom 24.10.2016 – L 7 AS 882/16 B).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Die Neufassung des Tenors des Urteils des Sozialgerichts ist klarstellender Natur und begründet einen Teilerfolg des Begehrens der Klägerin im Berufungsverfahren nicht.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Erstellt am: 15.06.2020
Zuletzt verändert am: 15.06.2020