Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.09.2004 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Kostenerstattung für in Italien verabreichte Heilmittel gemäß der Rechnung des Arztes Dr. C vom 22.07.2003 in Höhe von insgesamt 945,00 Euro (abzüglich Zuzahlungen) geltend. Die Klägerin ist im Jahre 1941 geboren und Mitglied der Beklagten. Mit Antrag von Januar 2003 beantragte sie bei der Beklagten die Bewilligung und Kostenbeteiligung einer ambulanten Vorsorgeleistung in N U/Italien. Der behandelnde Internist Dr. X bescheinigte der Klägerin HWS-Schmerzen, Hartspann, Occipital Neuralgie und Migräne. Maßnahmen der physikalischen Therapien seien in den letzten 12 Monaten durchgeführt worden. Angestrebtes Vorsorgeziel seien Schmerzlinderung und Reduzierung der Migräneanfälle und des Medikamentenbedarf. Mit Bescheid vom 07.02.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil die medizinische Notwendigkeit zur Durchführung einer Vorsorgemaßnahme nicht vorliege. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin eine ärztliche Bescheinigung von Dr. X vor, nach der eine Heilmaßnahme dringend angeraten sei. Nach Einholung von zwei sozialmedizinischen Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkasse wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2003 als unbegründet zurück. Die Therapiemöglichkeiten vor Ort seien noch nicht ausgeschöpft worden. Während des Klageverfahrens hielt die Klägerin sich vom 08.07. bis 22.07.2003 in N U auf und unterzog sich dort je 12 x Fango mit Ozonbad, Inhalation-Aerosol, Vollmassage, Bewegungsbäder und Wassergymnastik. Daraus resuliert die Rechnung über 945,00 Euro.
Vor dem Sozialgericht hat die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.06.2003 zur Erstattung der Kosten in Höhe von 945,00 Euro zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide bezogen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 09.09.2004 der Klage stattgegeben. Das nationale deutsche Recht lasse im Falle der Klägerin eine Übernahme der durch die Krankenbehandlung der in Italien entstandenen Kosten nicht zu. Die in Art. 59 EWG-Vertrag den Bürgern garantierte Dienstleistungsfreiheit gewährleiste jedoch nach der Rechtsansprechung des Europäischen Gerichtshofs auch die Freiheit des Dienstleistungsempfängers, grenzüberschreitend medizinische Behandlungen in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen. Diese Inanspruchnahme dürfe nicht dadurch erschwert werden, dass die Leistungspflicht der Krankenkasse von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht werde. Das ergebe sich auch aus der zum 01.01.2004 in Kraft getretenen Regelung der § 13 Abs. 4-6 SGB V. Entgegen der Auffassung der Beklagten scheitere ein Kostenerstattungsanspruch auch nicht deshalb, das weil die Klägerin nicht alle Maßnahmen der aktiven und passiven physikalischen Therapie ausgeschöpft habe. Nach den Gutachten des MDK sei der Klägerin eine ambulante Heilmitteltherapie unter Berücksichtigung der Heilmittelrichtlinien und des Heilmittelkataloges sogar empfohlen worden. Nur solche Maßnahmen habe die Klägerin in Italien in Anspruch genommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie macht geltend, sie habe den Antrag der Klägerin wegen fehlender medizinischer Notwendigkeit abgelehnt, dabei spiele es keine Rolle, in welchem Land die Klägerin die Maßnahme durchführen wolle. Eine solche Maßnahme hätte seitens der Klägerin in N bewilligt werden können, sofern eine Notwendigkeit nach § 23 Abs. 2 SGB vorgelegen hätte. Das sei allerdings nicht der Fall.
Im Berufungsverfahren ist gemäß § 106 das Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Rheumatologie Dr. E vom 14.03.2005 eingeholt worden zu den Fragen, ob im Juli 2003 für die bei der Klägerin angegebenen Diagnosen und für das erwünschte Behandlungsziel die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten am Wohnort ausgeschöpft waren und ob für die Diagnosen und das Behandlungsziel die therapeutische Wirkung der im Juli 2003 in Anspruch genommenen Behandlung auch im Rahmen vertragsärztlicher Behandlung am Wohnort erzielbar gewesen sei. Wegen des Ergebnisses wird auf das den Beteiligten bekannte Gutachten Bezug genommen.
Nachdem die Klägerin zunächst am 27.04.2005 ein Gutachten gemäß § 109 SGG beantragt hatte, ist die Stellungnahme des behandelnden Internisten Dr. X vom 06.07.2005 eingeholt worden. Mit Schreiben vom 13.10.2005 hat die Klägerin die Einholung eines Gutachtens durch Dr. X gemäß § 109 SGG beantragt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 08.12.2005 ist ihr die Einzahlung eines Kostenvorschusses von 1000,00 Euro bis zum 31.12.2005 aufgegeben worden. Nach Ladung vom 01.03.2006 zum Termin am 26.04.2006 ist der Kostenvorschuss von der Rechtschutzversicherung der Klägerin am 03.04.2006 eingegangen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.09.2004 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.04.2004 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zuteffend.
Weitere Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, ergeben sich aus den Prozessakten und den Verwaltungsakten der Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 09.09.2004 ist statthaft, zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Dabei kommt es nicht auf die zur Grundlage der Entscheidung gemachten europarechtlichen Erwägungen an. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Freiheit des Dienstleistungsempfängers, grenzüberschreitend medizinische Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen und um das Erschwernis, dass nach nationalem Recht die Leistungspflicht einer Krankenkasse von einer vorherigen Genehmigung abhängig gemacht wird. Die Klägerin hat das Verfahren gegenüber der Beklagten nicht eingeleitet mit einem Antrag auf Kostenerstattung für im europäischen Ausland erbrachte Heilmittelanwendungen, die ihr ein deutscher Vertragsarzt in Deutschland verordnet hatte. Vielmehr ist das Verfahren ausschließlich in Gang gesetzt worden als Anregung einer ambulanten Vorsorgeleistung in anerkannten Kurorten gemäß § 23 Abs. 2 SGB V. Dafür besteht nach § 23 Abs. 2 SGB V – unabhängig von der Frage, in welchen Kurorten die Leistungen erbracht werden – eine Leistungspflicht der Krankenkasse nur, wenn die Leistungen nach Abs. 1 nicht ausreichen. Nach Abs. 1 haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit unter anderem Heilmitteln, wenn diese notwendig sind u.a.,
1.
um eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen,
2.
Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden.
Diese Voraussetzungen, die die Beklagte dahingehend umschrieben hat, dass die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten am Wohnort, insbesondere sämtliche Formen der aktiven und passiven physikalischen Therapie nicht ausgeschöpft wurden, liegen nach Auffassung des Senates offenbar nicht vor. Das ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. E. Dieser hat nach Auswertung sämtlicher medizinischen Befunde und Unterlagen ausgeführt, dass sich für den Zeitraum Juli 2003 bei der Klägerin für die bescheinigten Diagnosen nur sehr dürftige Behandlungsnachweise und Befunde in den Krankenblättern der behandelnden Ärzte ergeben, wonach die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten am Ort nicht ausgeschöpft waren. Weiterhin seien für die genannten Diagnosen keine speziellen Fangopackungen mit Reifung im Thermalwasser und Durchsetzung mit Algen erforderlich. Diesem Beweisergebnis stehen sowohl die ärztliche Bescheinigung des behandelnden Internisten Dr. X vom 21.02.2003 aus dem Verwaltungsverfahren und seine Stellungnahme im gerichtlichen Verfahren vom 06.07.2005 zum Aktengutachten des Orthopäden Dr. P vom 14.03.2005 nicht entgegen. Dr. X hat keinesfalls die Durchführung und die Erfolglosigkeit von vorgängiger ärztlicher Behandlung oder verabreichten Heilmitteln dokumentiert. Vielmehr hat er die übermäßige Beanspruchung der Klägerin durch vielfältige soziale Tätigkeiten, die Krankheit ihres Ehemannes und die Pflegebedürftigkeit der Mutter beschrieben und daraus die ambulante Heilmaßnahme befürwortet, um einer psychischen Dekompensation vorzubeugen. Die ambulanten therapeutischen Möglichkeiten am Wohnort seien nicht ausgeschöpft worden und konnten nicht ausgeschöpft werden, weil deren Inanspruchnahme vor Ort aus diesen vielfältigen Belastungen nicht möglich gewesen sei. Die Klägerin habe einen nötigen Abstand zum häuslichen Bereich zur körperlichen und seelischen Regeneration einhalten müssen. Daraus ergibt sich nach Einschätzung des Senates gerade nicht, dass die beantragte ambulante Vorsorgeleistung in einem Kurort aus medizinischen Gründen notwendig gewesen wäre, sondern allein zur Entlastung der Klägerin in ihrem sozialen Umfeld. Das begründet keine Leistungspflicht gemäß § 23 Abs. 2 SGB V.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 SGG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Erstellt am: 23.05.2006
Zuletzt verändert am: 23.05.2006