Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.01.2007 wird zurückgewiesen. Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Der Beklagte erstattet der Klägerin auch die ihr im Berufungsverfahren entstandenen Kosten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin beansprucht Versorgungsleistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz- OEG -) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die 1960 geborene Klägerin hat acht Geschwister, je drei ältere und drei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern. Sie besuchte von 1976 bis 1978 die Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Ernährungslehre, die sie erfolgreich abschloss. Danach übernahm sie in C eine Stelle als Hauswirtschaftsgehilfin in einer Familie. Nach einem Jahr nahm sie eine Arbeit als Küchenhilfe in einem Restaurant an. Ihren eigentlichen Berufswunsch, Kinderkrankenschwester werden zu wollen, verfolgte sie nicht weiter, nachdem sie ihren späteren Ehemann kennen gelernt hatte. Im August 1981 wurde ihre Tochter O geboren. Anfang 1982 heiratete die Klägerin. Sie nahm abends stundenweise eine Tätigkeit auf. 1988 wurde das zweite Kind E geboren. In der Ehe kam es zunehmend zu Problemen. In der Folge trennte sich die Klägerin 1989 von ihrem Ehemann und ließ sich 1992 von ihm scheiden. Ein beruflicher Wiedereinstieg scheiterte nach Angaben der Klägerin an ihren gesundheitlichen Problemen. Gegenwärtig lebt sie von Sozialhilfeleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) – Sozialhilfe -.
Ihre zweitjüngste, alkoholkranke Schwester N berichtete der Klägerin nach einem Selbstmordversuch 1995 von einem sexuellen Missbrauch durch ihre Brüder. In diesem Jahr erinnerte die Klägerin sich nach ihren Angaben erstmals an sexuellen Missbrauch in ihrer eigenen Kindheit durch ihre Brüder. Sie entwickelte verschiedene Symptome einer psychischen Erkrankung, ua Selbstverletzungen, gestörtes Essverhalten, gestörter Schlaf. In der Folgezeit wurde sie mehrfach psychiatrisch/psychotherapeutisch behandelt. Sie war nicht mehr in der Lage, den noch bei ihr lebenden Sohn zu betreuen, der im August 2001 in einem SOS-Kinderdorf aufgenommen wurde.
Am 09.01.2002 erstattet die Klägerin bei der Kreispolizeibehörde H Strafanzeige gegen ihre Brüder wegen sexuellen Missbrauchs zu ihrem Nachteil. Sie gab an, sie wisse, dass die Straftaten zu ihrem Nachteil bereits verjährt seien, wolle aber dennoch alles berichten, weil sie den Verdacht habe, dass ihre Nichten von sexuellem Missbrauch betroffen sein könnten. Zum Tathergang gab die Klägerin ua an, es sei für sie sehr schwer, die ganzen Missbrauchsfälle nachzuvollziehen, zumal immer wieder räumliche Veränderungen stattgefunden hätten. Man habe sehr beengt gewohnt. Sie habe zeitweise, etwa zwischen dem siebten und dem neunten Lebensjahr, das Zimmer mit ihren Brüdern teilen müssen. Aus dieser Zeit habe sie die ersten Erinnerungen an einen Missbrauch durch ihren Bruder L, der immer öfter in ihr Bett gekommen sei. Dieser habe auch den Geschlechtsverkehr mit ihr ausgeführt, oft mehrmals in der Woche. Sie habe dies zunächst als normal empfunden, da sie vorher wohl auch von ihren Vater sexuell missbraucht worden sei. Auch ihr Bruder Q habe sie missbraucht. Es sei sowohl zum Geschlechtsverkehr als auch zum Analverkehr gekommen. Die Klägerin schilderte vor der Polizei einzelne Missbrauchsfälle, an die sich zu erinnern glaubte.
Die Kreispolizeibehörde H vernahm am 24.01.2002 die Schwester der Klägerin C S als Zeugin. Diese bekundete einen sexuellen Missbrauch zu Lasten ihrer eigenen Person und ihrer Schwester N durch die Brüder X und X1. Der Bruder I habe zugeschaut. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin nicht mehr zuhause gewohnt. Die Schwester N S war ärztlich bescheinigt aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig. Weiterhin vernahm die Kreispolizeibehörde die Schwägerin D S am 11.02.2003 als Zeugin. Diese bekundete, durch die Klägerin und deren Schwester Zweifel bekommen zu haben, ob einige Verhaltensauffälligkeiten ihrer Tochter T auf sexuellen Missbrauch durch P S zurückzuführen seien. Im Zuge dessen habe sie ihren Mann X auf einen sexuellen Missbrauch seiner Schwestern angesprochen. Er sei sehr geschockt gewesen und habe dann gesagt, er wisse nicht mehr, was er getan habe. Sie halte das für keine Ausrede, weil sie davon ausgehe, er habe das durch seine Brüder so vorgelebt bekommen, dass es normal sei. In der Familie machten alle die Augen zu, denn die Mutter sei sehr dominant, niemand wage ihr zu widersprechen.
Die Staatsanwaltschaft N (Beschluss vom 07.02.2003, xxx) stellte das Verfahren (Beschluss vom 07.02.2003, 603 Ujs 50/02) mit dem Vermerk ein, es stehe fest, dass die Zeugin C S sowie die Klägerin als Kinder Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch ihre Brüder geworden seien; diese Straftaten seien jedoch verjährt. Was die Straftaten zum Nachteil der Mädchen der "zweiten Generation" angehe, bestünden Hinweise, dass ein Kind im Alter von zwei Jahren missbraucht worden sei; mit Rücksicht auf dieses geringe Alter bestehe aber keine Aussicht auf Aufklärung der Straftat. Von einem fortgesetzten sexuellen Missbrauch der "zweiten Generation" sei nicht auszugehen.
Am 04.09.2002 beantragte die Klägerin die Gewährung von Versorgung nach dem OEG mit der Begründung, sie sei im Kindes- und Jugendalter von ihrem Vater und ihren Brüdern sexuell missbraucht worden. Als Täter gab sie die Brüder Q und L S an. Bezüglich der Schädigungsfolgen legte sie verschiedene Arztberichte und psychologische Berichte, insbesondere den Sozialbericht des St. B – Krankenhauses in O am 25.07.2002 vor. Das Versorgungsamt E zog die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten und weitere medizinische Befunde bei. Die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. M diagnostizierte in ihrem Befundbericht vom 16.09.2002 eine schwere posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Der praktische Arzt Dr. L beschrieb unter anderem eine "depressive Psychose mit Aggressionssymptomatik seit Jahren". Die Mutter der Klägerin, N S, erklärte mit Schreiben vom 23.03.2003, ihr sei vor 2 bis 4 Jahren bekannt geworden, dass da etwas mit den Brüdern gewesen sein solle; ihr selbst seien im Kindes- und Jugendalter ihrer Tochter solche Vorfälle nicht bekannt. Das Versorgungsamt E ließ die Klägerin von Dr. W, Chefarzt des Instituts für Neurologie/Psychiatrie der Kliniken St. B, W, begutachten. Der Sachverständige kam in seinem Gutachten vom 13.04.2004 zu dem Ergebnis, bei der Klägerin liege eine emotional instabile Persönlichkeitsstruktur vom Borderline-Typ vor, verbunden mit einer erheblichen affektiven Labilität mit Neigung zu Selbstverletzungen. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich zu machen, dass reale Missbrauchserlebnisse mit fast 15 Jahre langer zeitlicher Latenz die soziale Fehlentwicklung eingeleitet hätten. Es sei damit sehr wahrscheinlich, dass die psychische Störung und die damit verbundenen sozialen Folgen Ausdruck einer vormals bestehenden Persönlichkeitsstörung seien. Die Kriterien zur Anerkennung einer PTBS aufgrund eines sexuellen Missbrauchs in der Kindheit seien bei der Klägerin nicht erfüllt.
Gestützt auf das Ergebnis dieses Gutachtens lehnte der damalige Beklagte mit Bescheid vom 08.04.2004 den Antrag der Klägerin ab, da die vorliegenden Gesundheitsstörungen sich nicht ursächlich auf eine Gewalttat im Sinne des OEG zurückführen ließen. Ihren hiergegen gerichteten Widerspruch stützte die Klägerin auf Ausführungen ihrer behandelnden Ärztin für Psychiatrie/ Psychotherapie Dr. M vom 06.07.2004, wonach die Missbrauchserlebnisse mitursächlich für die psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin seien.
Das damals beklagte Land holte eine versorgungsärztliche Stellungnahme der Sozialmedizinerin Dr. D ein. Diese lehnte in ihrer Stellungnahme vom 06.09.2004 einen Zusammenhang zwischen der Beeinträchtigung der Klägerin und einem Missbrauch ab, da zum einen unklar bleibe, inwieweit reale Missbrauchserlebnisse vorgelegen hätten, zum anderen seien wesentliche Ursache für die psychische Beeinträchtigung der Klägerin Anlagefaktoren und eine erhebliche Milieuschädigung. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.09.2004 wies das beklagte Land den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 25.10.2004 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben, zu deren Begründung sie nochmals hervorgehoben hat, etwa ab ihrem achten Lebensjahr von ihren Brüdern zum Teil schwer sexuell missbraucht worden zu sein. Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass auch ihre beiden Schwestern von entsprechenden Übergriffen der jüngeren Brüder berichtet hätten.
Sie hat beantragt,
das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheids vom 08.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.09.2004 zu verurteilen, bei ihr ein "chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom mit deutlichen Chronifizierungszeichen im Sinne einer depressiven Entwicklung, Somatisierungsstörung und Konversionsstörung" als Schädigungsfolge nach dem OEG anzuerkennen und ab dem 1. September 2004 Leistungen nach einer MdE von 50% zu erbringen.
Das beklagte Land als damaliger Beklagter hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P vom 09.07.2005 nebst ergänzender Stellungnahmeb vom 02.01.2006. Dieser hat bei der Klägerin eine chronische PTBS als nachgewiesen angesehen. In der Familie der Klägerin habe offenbar ein hochgradig inzestuöses Klima geherrscht. Die vorliegenden massiven Gesundheitsstörungen der Klägerin sowie auch ihre Unfähigkeit zur Ausübung eines Berufes seien weit überwiegend auf die komplexe Gewaltausübung im Sinne langwieriger sexueller Traumatisierung zurückzuführen. Es bestünden schwere soziale Anpassungsschwierigkeiten bei Vorliegen einer schweren Störung. Die schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei mit 80 einzuschätzen. Nach ausführlichen und eingehenden versorgungsärztlichen Stellungnahmen, mit denen der damalige Beklagte dem Ergebnis des Gutachtens entgegengetreten ist, hat das SG ein weiteres Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N vom 14.06.2006 mit ergänzender Stellungnahme vom 15.08.2006 eingeholt. Auch dieser Sachverständige hat ein chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom mit deutlichen Chronifizierungszeichen im Sinne einer depressiven Entwicklung, Somatisierungsstörung und Konversionsstörung sowie eine Beeinträchtigung der Persönlichkeitsentwicklung mit Symptomen einer Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen, eine emotional instabile Persönlichkeit vom Borderline-Typus diagnostiziert. Die Rolle der erlittenen Gewalttaten im Sinne eines sexuellen Missbrauchs sei dabei als gleichwertige Mitursache im Hinblick auf die PTBS zu sehen. Misshandlungen durch den Vater, ein zerrüttetes familiäres Umfeld mit emotionaler Kälte durch die Mutter, Verwahrlosung, emotionaler Mangel auch durch die große Kinderzahl sowie die erheblichen Alkoholexzesse des Vaters seien als weitere gleichwertige Ursachen zu werten. Hierdurch sei die Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin von vornherein in eine pathologische Richtung gelenkt worden. Die Borderlinestörung erscheine dementsprechend stärker durch die nicht schädigungsabhängigen Faktoren bedingt. Insgesamt sei aber ein erheblicher Anteil der vorliegenden Störungen als schädigungsabhängig zu sehen und mit einer MdE von 50 zu bewerten.
Das SG hat die Beklagte mit Urteil vom17.01.2007 antragsgemäß verurteilt, ein "chronifiziertes posttraumatisches Belastungssyndrom mit deutlichen Chronifizierungszeichen im Sinne einer depressiven Entwicklung, Somatisierungsstörung und Konversionsstörung" als Schädigungsfolge nach dem OEG anzuerkennen und ab dem 1. September 2004 Leistungen nach einer MdE von 50 zu erbringen. Es ist zur Begründung im Wesentlichen den Feststellungen des Sachverständigen (SV) Dr. N gefolgt.
Der damalige Beklagte hat gegen das ihn am 15.03.2007 zugestellte Urteil am 05.04.2007 Berufung eingelegt, zu deren Begründung er insbesondere auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. T Bezug nimmt. Diese hält das Urteil und das Sachverständigengutachten des Dr. N deshalb nicht für überzeugend, weil bei der Klägerin zum einen eine langwierige Amnesie von mehr als 18 Jahren vorliege und sie in dieser Zeit nur geringgradige, unspezifische psychische Symptome ohne nach außen auffallende psychische Beeinträchtigungen beziehungsweise psychisch bedingte Einschränkungen in der Lebensbewältigung aufgewiesen habe. Zum anderen sei das weitgehende Fehlen konkreter Erinnerungen bei gleichzeitiger Ausweitung des zeitlichen Umfangs des geltend gemachten sexuellen Missbrauchs auffällig. Es sei eine aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung angezeigt. Im Übrigen sei auch nach dem Gutachten des Dr. N die Persönlichkeitsstörung nicht als schädigungsbedingt zu werten. Es sei spekulativ, die psychischen Störungen durch den sexuellen Missbrauch über die Persönlichkeitsstörung hinaus mit einem GdS von 50 zu bewerten.
Der Beklagte und Berufungsführer beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.01.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Entschädigungsleistungen bereits ab September 2002 zu zahlen sind.
Sie hält das Urteil für zutreffend. Hinsichtlich des Zeitpunkts September 2004, ab welchem das SG ihr Leistungen zugesprochen hat, handele es sich um einen von ihr und vom SG nicht bemerkten offensichtlichen Fehler. Sie habe den Fehler nach Übersendung des Urteils erkannt, aber aus taktischen Gründen bewusst keinen Antrag auf Protokoll- oder Urteilsberichtigung gestellt. Sie habe gehofft, der Beklagte würde kein Rechtsmittel einlegen. In der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2009 hat sie diesbezüglich Anschlussberufung eingelegt.
Der zum Beweisaufnahmetermin am 07.01.2008 als Zeuge geladene L S hat dem Gericht am 12.11.2007 mitgeteilt, über sexuelle Handlungen und Ähnliches sei ihm nichts bekannt. Er hat eine ärztliche Bescheinigung vorgelegt, dass eine Vernehmung aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei. Er werde im Übrigen keine weitere Aussage vor Gericht machen. Die Beteiligten haben daraufhin auf seine Vernehmung als Zeuge verzichtet. Der Senat hat zunächst am 07.01.2008 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen I S und C S. I S hat bekundet, sich an keinerlei Ereignisse oder Handlungen aus seiner und der Kindheit der Klägerin erinnern zu können, bei denen es zu so etwas wie sexuellen Handlungen zwischen den Geschwistern gekommen sei. Ihm sei auch nichts aufgefallen, was vielleicht nur aus heutiger, nicht aber aus seiner damaligen Sicht ein ungewöhnliches sexuelles Verhalten gewesen sei. Eigentlich sei das Verhältnis zwischen den Geschwistern ganz gut gewesen. Natürlich habe es Reibereien gegeben, aber das, was die Klägerin behaupte, sei nicht vorgefallen. Die Zeugin C S hat ausgesagt, an allen drei Schwestern sei es zu sexuellen Übergriffen gekommen. Konkret an Vorfälle betreffend die Klägerin könne sie sich aufgrund des Altersunterschieds jedoch nicht erinnern, sie sei damals zu klein gewesen. Sie erinnere sich an Vorfälle aus ihrer eigenen und der Kindheit ihrer anderen Schwester. Sie selbst habe sich vor etwa 10 Jahren in Therapie begeben. Ihr Bruder I sei als einziger nicht beteiligt gewesen; ihr Bruder K sei lediglich passiv beteiligt gewesen. Die Schwägerin D S und der Bruder Q S haben sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Die zur mündlichen Verhandlung am 25.11.2009 geladene Mutter der Klägerin, B S, hat durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung belegt, dass sie zu einer Vernehmung aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei und derzeit stationär behandelt werde. Die Zeugen I-K, X und X1 S haben von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Der Beklagte hat erklärt, auf die Vernehmung von B und N S zu verzichten.
Des weiteren hat der Senat die Diplom-Psychologin und Fachpsychologin für Rechtspsychologie G, Institut für forensische Psychologie in F, um eine Auskunft nach Aktenlage gebeten, ob eine aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung der Klägerin im Hinblick auf den Zeitablauf sinnvoll wäre. Die Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, mit aussagepsychologischen Mitteln sei die Frage nach der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nicht zu klären: sowohl die Annahme glaubhafter Bekundungen als auch die Annahme eines Vortrags ausschließlich auf der Grundlage von Pseudoerinnerungen als auch die Annahme einer Aussage auf der Grundlage von realem Erleben und Scheinerinnerungen seien mit den heute beziehungsweise den nach einer etwaigen Begutachtung vorliegenden Daten vereinbar; eine aussagepsychologische Begutachtung könne mithin nicht weiterhelfen und werde nicht als sinnvoll erachtet (Auskunft vom 31.07.2008)
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakten sowie der Akten der StA E mit dem Az xxx verwiesen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Anspruch der Klägerin auf Anerkennung von Schädigungsfolgen und Versorgung nach dem OEG iVm dem BVG zuerkannt.
Richtiger Klagegegner im Berufungsverfahren ist seit dem 01.01.2008 der für die Klägerin örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland (vgl. zur Kommunalisierung der Versor gungsverwaltung im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts Urteile des BSG vom 23.04.2009, B 9 VG 1/08 R, Juris Rn 24 zum OEG; Urteile vom 11.12.2008, B 9 VS 1/08 Juris Rn 21 ff zum Soldatenversorgungsgesetz und B 9 V 3/07 R, Juris Rn 22 f zum BVG).
Anspruchsgrundlage ist § 10a OEG (insoweit vom SG nicht gesehen) iVm § 1 Abs 1 S 1 OEG, denn das OEG ist erst am 16. Mai 1976 in Kraft getreten und gilt nach § 10 S 1 OEG für Ansprüche aus Taten, die nach seinem Inkrafttreten begangen worden sind. Nach § 10a Abs 1 OEG erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.05.1949 bis 15.05.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwer beschädigt sind, bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Die Klägerin ist als Sozialhilfeempfängerin bedürftig und hat ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist allein infolge einer Schädigung schwer beschädigt iSd § 10a Abs 1 S 1 Nr 1 OEG. Denn bei ihr besteht aufgrund vor allem in späterer Kindheit und früher Jugend erlittenem sexuellen Missbrauch ein Grad der Schädigung (GdS) von zumindest 50.
Auch eine Entschädigung nach der "Härteregelung" des § 10a OEG setzt eine Schädigung iSd § 1 Abs 1 S 1 OEG im maßgeblichen Zeitraum voraus (vgl Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 27.04.1989, 9 RVg 1/88, Juris Rn 9 = SozR 3800 § 1 Nr 13) Hiernach erhält derjenige, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dem Umstand, dass die Gewalttaten im Falle der Klägerin im familiären Nahraum stattgefunden haben, kommt dabei keine Bedeutung zu. Grundgedanke des OEG ist, dass die Gewährung von Versorgungsleistungen das Versagen staatlichen Schutzes vor Gewalttaten ausgleichen soll. Naturgemäß sind die Möglichkeiten staatlicher Verbrechensbekämpfung im familiären Bereich beschränkt. Aus der Entstehungsgeschichte des OEG ergibt sich aber der Wille des Gesetzgebers, wegen Gewalttaten, die sich vor dem Hintergrund häuslicher Gemeinschaft oder ähnlich vertrauter Beziehungen ereignet haben, eine Entschädigung nicht allgemein auszuschließen (BSG, Urteil vom 07.11.1999, 9 RVg 1/78, = BSGE 49, 104, 108 = SozR 3800 § 2 Nr 1 und vom 18.10.1995, 9 RVg 4/93, Juris Rn 16 = BSGE 77, 7ff = SozR 3800 § 1 Nr 6).
Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff als eine der ansprüchsbegründenden Tatsachen iSd § 1 Abs 1 OEG, die gesundheitliche Schädigung und die Gesundheitsstörung müssen grundsätzlich bewiesen sein. Beweis geführt ist über eine Tatsache, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Beweisverfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.06.2008, L 13 VG 1/05, Juris Rn 27). Dagegen genügt für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 1 Abs 3 S 1 BVG; s. auch LSG NRW, Urteil vom 20.12.2006, L 10 VG 17/02, Juris Rn 28). Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn unter Berücksichtigung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (Teil C Ziff 3 lit a der Versorgungsmedizinischen Grundsätze – VersMedG -, Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs 1 und 3, des § 30 Abs 1 und des § 35 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes, Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV – vom 10.12.2008, BGBl I, 2412ff).
Der Senat sieht es als nachgewiesen an, dass die Klägerin ungeachtet des konkreten Ausmaßes vor allem in ihrer späteren Grundschulzeit und frühen Jugend innerhalb der Familie sexuell missbraucht worden und damit Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe iSd § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist.
Dabei sind Umfang, zeitliche Ausdehnung und Ausmaß des angegebenen sexuellen Missbrauchs nach Auffassung des Senats zu relativieren, insbesondere soweit die Klägerin den zeitlichen Rahmen in ihren Aussagen immer weiter ausgedehnt. Grundsätzlich ist der sexuelle Missbrauch jedoch nicht infrage zu stellen. Der Missbrauch ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Angaben der Klägerin gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen und der Staatsanwaltschaft in der Zeugenvernehmung vom 09.01.2002, den Angaben der Schwester der Klägerin C S in der Zeugenvernehmung gegenüber der Staatsanwaltschaft vom 24.01.2002 und im Erörterungstermin vom 07.01.2008, sowie den Angaben der Schwägerin D S vor der Staatsanwaltschaft vom 11.02.2003. Die Klägerin beschreibt für den Senat nachvollziehbar, wie die Schilderung ihrer jüngeren Schwester über den Grund ihres Selbstmordversuches ihr schlagartig zu Bewusstsein gebracht habe, dass auch sie selbst Opfer sexuellen Missbrauchs war. Sie erläutert plausibel, wie in den folgenden Monaten immer mehr eigene Erinnerungen hochgekommen seien und es ihr zunehmend schlechter gegangen sei, bis hin zu Selbstverletzungen, Suizidgefährdung und schließlich einem Selbstmordversuch im Sommer 1997. Einzelne wenige Vorfälle beschreibt die Klägerin dabei durchaus detailliert und im Zusammenhang mit Randgeschehen, so zum Beispiel "wie die Mutter unten gebügelt und sie mit der Wäsche nach oben zu den Brüdern geschickt habe, sie das erst nicht wollte, dann aber dennoch hoch geschickt worden sei" oder in einem anderen Fall, "wie sie mit ihrem Kopf ein paar mal an die Wand geknallt sei". Die Zeugin C S beschreibt ebenfalls detaillierte Missbrauchsereignisse durch die jüngeren Brüder, zum Beispiel nach dem Ansehen von Pornofilmen. Sie litt ebenso wie die weitere Schwester N unter Alkohol- und Tablettenabhängigkeit. Beide haben Selbstmordversuche unternommen. Die Zeugin D S, mit dem Bruder der Klägerin X verheiratet, beschreibt, dass innerhalb der Familie jeder die Augen zumache. Der Zusammenhalt sei durch die Mutter enorm groß. Es wage innerhalb der Familie bei wichtigen Dingen niemand, der Mutter zu widersprechen. Sie habe mit ihrem Mann über das Thema gesprochen und sei mit sich und ihm im Reinen. Sie denke auch, dass ihr Mann sich selbst eingestehe, dass er damals etwas Falsches gemacht habe. Er habe ihr gegenüber geäußert, er wisse nicht mehr, was er getan habe. Sie glaube, er habe das so vorgelebt bekommen. Für ihn sei es normal gewesen, weil alle seine Brüder etwas getan hätten. Diese urkundsbeweislich verwertbaren Bekundungen der Zeugin D S, die, um möglicherweise ihren Ehemann nicht zu belasten, im Berufungsverfahren dann doch von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, sprechen dafür, dass es sich bei den Erinnerungen der Klägerin nicht um sog. Scheinerinnerungen gehandelt hat. Auch wenn die Bekundungen der ebenfalls schwer psychisch erkrankten Zeuginnen nicht unmittelbar den sexuellen Missbrauch an der Klägerin bestätigen, so sprechen sie zur Überzeugung des Senats doch dafür, dass die Klägerin in extremen familiären Verhältnissen aufgewachsen ist, in denen sexueller Missbrauch an den drei Schwestern kein "Tabu" war.
Gegen die Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Klägerin spricht entgegen der Annahme des Gutachters im Verwaltungsverfahren Dr. W nicht, dass sie sich wenig bildhaft erinnert. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. N spricht dies eher für die Glaubhaftigkeit ihrer Schilderungen, weil die Klägerin gerade nicht versucht, Bilder zu produzieren, sondern zwischen den wenigen bildhaften Erinnerungen und den vielen Gefühls- und Körpersensationen zu unterscheiden versucht. Dort, wo konkrete Erinnerungen genannt werden, bestehen nach Ansicht des SV Dr. N keine begründeten Zweifel an den Angaben der Klägerin. Dieser Überzeugung schließt sich der Senat an, weil der SV diesen Punkt sehr differenziert und überzeugend herausgearbeitet hat. Der SV spricht ausdrücklich an, dass dort, wo aus Körpersymptomen oder Gefühlen versucht werde, indirekt auf Missbrauchserlebnisse zurück zu schließen, durchaus Zweifel angebracht seien. Dies gelte auch bezüglich der plötzlichen Erinnerungen aus dem dritten Lebensjahr an einen sexuellen Missbrauch durch den Vater, obwohl aus dieser Zeit im Übrigen keinerlei Erinnerungen mehr bestehen. Zu Recht relativiert der SV daher das geschilderte Ausmaß des Missbrauchs, ohne ihn grundsätzlich in Frage zu stellen. Auch der SV Dr. P weist zutreffend darauf hin, dass die Klägerin bei ihrer polizeilichen Vernehmung sehr wohl bildliche Erinnerungen angegeben hat. Im Übrigen sei es gerade für sexuell Traumatisierte typisch, nur bruchstückhafte Angaben in Form von Erinnerungsinseln machen zu können. So erklärt sich auch, dass die Klägerin sich lange Jahre überhaupt nicht an die Missbrauchsfälle erinnert und ohne größere dokumentierte psychische Auffälligkeiten gelebt hat. Wie Dr. N in seinem Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.08.2006 überzeugend beschreibt, bezog sich die Amnesie der Klägerin nicht nur auf den Missbrauch durch ihre Brüder, sondern bestand in dem kompletten Ausblenden ihrer Kindheit und Jugend als Block. Auch vor dem Hintergrund der ebenfalls ausführlich beschriebenen und mit bewerteten familiären Schwierigkeiten, der Angst vor den Alkoholexzessen des Vaters, der emotionalen Vernachlässigung durch die Mutter, der räumlichen Enge und wirtschaftlich schwierigen Verhältnisse ist dies ein nachvollziehbarer Prozess. Denn aus den Schilderungen der Klägerin wird für den Sachverständigen ihr hohes Bedürfnis deutlich, ein nach außen hin normales, gesundes, fast schon klischeehaftes Umfeld aufzubauen, das die Klägerin in ihrer Kindheit nie hatte. Indem die Klägerin ihr verletztes "Ich" und alles, was sie damit verband, unbewusst abspaltete, erstrebte sie nach außen hin eine Kompensation über ein scheinbar gut funktionierendes, aber fassadenhaftes Leben. So ist es der Klägerin gelungen, eine Ehe mit einem im letzten Jahr der Ehe alkoholkranken und übergriffigen Mann zu führen und zwei Kinder zu bekommen, ohne dass die Missbrauchserlebnisse wieder aufbrachen. Dieser Verdrängungsprozess erklärt auch die fehlenden spezifischen "Brückensymptome", wobei unspezifische Symptome – wie Ekelgefühle gegenüber Männern und Alkohol, Panikattacken, Essanfälle – durchaus erkennbar, aber unter dem Druck, ihre Fassade aufrecht zu erhalten, ausreichend kompensierbar waren. Mit der Mitteilung ihrer Schwester über die Hintergründe deren Selbstmordversuches konnte die Klägerin diese Fassade nicht mehr aufrechterhalten.
Dem Senat ist bewusst, dass bei Erinnerungen an Kindheitserlebnisse, die im Erwachsenenalter wiedergegeben werden, eine Vermischung von realen Erlebnissen und Scheinerinnerungen hoher Detailliertheit vorkommen kann. Ebenso können Erinnerungen möglicherweise auch durch andere Personen (hier die jüngere Schwester N) und therapeutische Situationen autosuggestiv beeinflusst und gefördert sein. Darauf hat die Sachverständige Frau G in ihrer gutachterlichen Stellungnahme hingewiesen. Sie ist allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass mit aussagepsychologischen Mitteln die Frage der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nicht zu klären sei. Es sei sowohl die Annahme glaubhafter Bekundungen, die Annahme des Vortrags ausschließlich auf der Grundlage von Pseudoerinnerungen als auch aufgrund von realem Erleben und Scheinerinnerungen mit den vorliegenden Daten vereinbar. Für die Klägerin spricht zur Überzeugung des Senats, dass sie sich nicht mit psychischen Problemen in Therapie begeben und dann im Rahmen der Therapie über sexuellen Missbrauch gesprochen hat, sondern dass sie durch die – nach ihrer Schilderung zudem recht knappe – Mitteilung ihrer Schwester aus einem Stadium relativer psychischer Gesundheit Gewissheit verspürte, dass ihr Gleiches in ihrer Kindheit und Jugend passiert war. Erst dann begannen die massiven psychischen Probleme und über ein Jahr später die ersten therapeutischen Interventionen. Hierauf weist auch der SV Dr. P in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.01.2006 zutreffend hin.
Anhaltspunkte, die gegen die Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Klägerin sprechen, sieht der Senat nicht. Der angeschuldigte Bruder L S hat die Vorwürfe schriftsätzlich zwar in Abrede gestellt. Dies bewertet der Senat als Schutzbehauptung. Es hätte für den Bruder ohne Weiteres die Möglichkeit bestanden, den erheblichen Vorwürfen vor dem Senat entgegen zu treten, wenn er sich schon zur Sache äußert. Die im Berufungsverfahren als Zeugen gehörten anderen Brüder I, X und X1 S haben sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen und gleichfalls nicht die Gelegenheit genutzt, den Sachverhalt aufzuklären und die erheblichen Vorwürfe in Zweifel zu ziehen. Auch die als Zeugin geladene Mutter war aus gesundheitlichen Gründen nicht vernehmungsfähig, dies augenscheinlich auch auf Dauer. Insgesamt sieht der Senat die Annahme der Zeugin D S bestätigt, dass der Familienzusammenhalt durch die Schwiegermutter enorm groß sei und alle die Augen zumachen würden. Letztlich hat auch D später von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, augenscheinlich, um den Ehemann zu schützen. Die jüngere Schwester N hat schon vor der Kreispolizeibehörde von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und ist nach ihrem Vorbringen nicht in der Lage, auszusagen. Der Senat erwartet von ihr auch keine weitere Aufklärung, da sie als acht Jahre jüngere Schwester nicht aus eigener Anschauung zu einem Missbrauch an der Klägerin aussagen kann. Schließlich sind auch die Bekundungen des Bruders I S, der keinerlei sexuelle Handlungen der Brüder wahrgenommen haben will, nicht geeignet, Einblick in die damaligen Familienverhältnisse zu geben. I war nach den Angaben der Zeugin C S der einzige, der sich weder aktiv noch durch Zuschauen passiv an dem an ihr und ihrer Schwester N verübten sexuellen Missbrauch beteiligt hatte. Ob er, so die Klägerin gegenüber der StA, bei mindestens einem Missbrauch an ihr zugeschaut habe, lässt sich nicht mehr klären. Dies bleibt offen und ist als Randgeschehen für die Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Klägerin nicht entscheidend. Insgesamt hat der Senat den Eindruck, dass die betroffenen Familienmitglieder zusammenhalten und sie den Eindruck einer quasi "heilen Welt" aufrechterhalten wollten. Jedenfalls stellen die Zeugen die Schilderungen der Klägerin nicht in Frage. Der Senat erwartet mit den Beteiligten von einer Anhörung der jüngeren Schwester N und der Mutter keine weiteren Erkenntnisse. Die Beteiligten haben auch ausdrücklich darauf verzichtet, den Bruder L S, die jüngere Schwester N und die erkrankte Mutter zu hören.
Mit der StA N geht der Senat vom Vorliegen des sexuellen Missbrauchs jedenfalls durch die zwei von der Klägerin benannten Brüder P und L aus. Eingestellt wurden die Verfahren wegen der Verjährung der Taten, nicht wegen begründeter Zweifel. Auch das Versorgungsamt war zunächst davon ausgegangen (vgl. Verfügung vom 09.12.2003 – Bl 123 B-Akte -), dass nach dem Ergebnis der Sachaufklärung der Tatbestand des § 1 Abs 1 OEG gegeben sei. So hat der Beklagte auch in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2009 erklärt, dass die Verwaltung grundsätzlich keinen Zweifel am Vorliegen des sexuellen Missbrauchs durch die Brüder habe. Es sei jedoch unklar, in welchem Umfang die heutigen Gesundheitsstörungen hierauf zurückzuführen seien.
Die heute bestehende seelische Störung in Form der chronifizierten PTBS (Dr. P und Dr. N) ist wesentlich auf den sexuellen Missbrauch in der Kindheit zurückzuführen. Daran hat der Senat keinen Zweifel. Der hierdurch verursachte GdS beträgt – wie vom SG ausgeurteilt – zumindest 50.
Zur Feststellung der gesundheitlichen Beeinträchtigung in Folge der Gewalttat muss zwischen den Gewalttaten und den geltend gemachten Schädigungsfolgen ein Ursachenzusammenhang nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Für die wertende Entscheidung über die "Wesentlichkeit einer Ursache" ist, wenn wie hier konkurrierende rechtlich wesentliche Mitursachen zu bewerten sind, sozialrechtlich allein relevant, ob das schädigende Ereignis wesentlich war. Im Falle einer seelischen Erkrankung ist bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs zu berücksichtigen, dass sich der Einfluss verschiedener seelisch belastender Vorgänge auf die Entstehung des seelischen Dauerleidens kaum sachgerecht gewichten lässt. Regelmäßig lassen sich Veranlagung, Umwelteinflüsse, Lebensführung und andere Vorgänge im Lebensbereich des Betroffenen als mehr oder weniger wirkende Mitursachen feststellen. Insoweit haben beide gehörten Sachverständigen überzeugend dargelegt, dass der sexuelle Missbrauch in der Kindheit als belastender Vorgang grundsätzlich geeignet ist, die heute bestehende seelische Erkrankung hervorzurufen, und eine wesentliche Bedingung ihrer Entstehung bei der Klägerin war. Dr. P führt dabei die Gesundheitsschäden in vollem Umfang in erster Linie auf den sexuellen Missbrauch zurück, während die emotionale Vernachlässigung als Kind in der Familie und spätere Belastungen in der Ehe völlig zurücktreten, während Dr. N in seinem Gutachten dargelegt hat, dass die Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin in ihrem schwierigen familiären Umfeld von vornherein in eine krankhafte Richtung gebahnt wurde und dies im Hinblick auf die PTBS einen Anteil an ihren gegenwärtigen Gesundheitsstörungen hat, zu denen er neben der PTBS auch eine beeinträchtigte Persönlichkeitsentwicklung und eine emotional instabile Persönlichkeit vom Borderline-Typus zählt. Als gleichwertige Ursache sieht der SV insoweit Misshandlungen durch den Vater, ein zerrüttetes häusliches Umfeld mit emotionaler Kälte durch die Mutter, Verwahrlosung, emotionalem Mangel, erheblichen Alkoholexzessen des Vaters an, wobei es ihm erscheint, dass sich diese nicht schädigungsabhängigen Faktoren eher stärker auf die Persönlichkeitsproblematik ausgewirkt haben.
Ob der von Dr. N angenommene Befund einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus als eigenständiges Krankheitsbild nachweislich besteht, ob der sexuelle Missbrauch hierfür wesentlich iSd der Entstehung oder jedenfalls iSd der Verschlimmerung kausal ist und ob die Persönlichkeitsstörung, wie der Beklagte meint, überwiegend für das heutige seelische Krankheitsbild verantwortlich ist, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Denn die Feststellung der Persönlichkeitsstörung als eigenständige Schädigungsfolge wird von der Klägerin nicht beantragt. Zudem bedingt die heute bestehende seelische Störung in Form der chronifizierten PTBS den auch nur beantragten GdS von (zumindest) 50, wodurch die Klägerin schwer beschädigt ist iSd § 10a Abs 1 S 1 Nr 1 OEG iVm § 31 Abs 2 BVG.
Nach den übereinstimmenden, überzeugenden Feststellungen der im Klageverfahren gehörten SV bestehen bei der Klägerin schwergradige soziale Anpassungsschwierigkeiten, die sich in den Bereichen der Partnerschaft, Familie und auch im Bereich der weitläufigeren Kontakte auswirken. Nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung hat sie keine Kontakte mehr zu ihrer Mutter, zu ihren Schwestern und -verständlicherweise – auch nicht mehr zu ihren Brüdern. Sie kann auch keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen. Die SV beschreiben Schlafstörungen, starke Erschöpfbarkeit am Tage, fortgesetzte Alpträume, erhöhte Schreckhaftigkeit. Das heutige Zustandsbild bewerten beide SV mit einem GdB von 80 und bewegen sich dabei im unteren Bereich des Spektrums von 80 bis 100 der Ziff 3.7 Teil B VersMedG für die schwergradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten. Auf den sexuellen Missbrauch zurückzuführen ist dabei mindestens ein erheblicher Anteil der vorhandenen Störungen, entsprechend einer mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeit mit einem GdS von 50. Dies hält der Senat nach den Feststellungen der Sachverständigen für überwiegend wahrscheinlich. Der GdS von zumindest 50 besteht nach den Feststellungen beider gehörten SV, wobei Dr. P sogar die Gesamtheit der vorliegenden Gesundheitsstörungen als durch die Taten verursacht ansieht und den GdS mit 80 beurteilt. Die Frage, ob die von Dr. N vorgenommene Aufspaltung der seelischen Störungen überhaupt möglich ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12.06.2003, B 9 VG 1/02 R, Juris Rn 20) und eine Persönlichkeitsstörung als ein abgrenzbarer "Vorschaden" hinreichend präzise festgestellt werden kann, stellt sich für den Senat nicht; insoweit beansprucht die Klägerin keinen höheren GdB als 50. Der Senat sieht deshalb auch keinen Grund – wie von Dr. T angeregt -, eine weitere sorgfältige Analyse der psychischen Symptome vorzunehmen. Insoweit wirkt sich die Unsicherheit bzgl. konkurrierender Ursachen zu Lasten des Beklagten aus. Dass die Folgen der Persönlichkeitsstörung gegenüber denen des sexuellen Missbrauchs mit Frau Dr. T als überragend zu bewerten sind, hält der Senat nicht für wahrscheinlich. Das Wirkmoment des sexuellen Missbrauchs ist neben der familiären Situation nach den Feststellungen beider Sachverständigen maßgeblich verantwortlich für das heutige Krankheitsbild.
Die Anschlussberufung der Klägerin, die sie in der mündlichen Verhandlung vom 25.11.2009 hinsichtlich des Beginns der Leistungen eingelegt hat, kann keinen Erfolg haben. Die Klägerin ist durch das Urteil des SG vom 17.01.2007 insoweit nicht beschwert, weil das SG dem protokollierten Antrag in vollem Umfang entsprochen hat. Es liegt nahe, dass die Klägerin – vom Gericht insoweit nicht bemerkt – versehentlich ein falsches Datum, hier eine falsche Jahreszahl angegeben hat, denn der Antrag war im September 2002 und nicht im September 2004 gestellt worden. Insoweit hat es die Bevollmächtigte der Klägerin, der der Fehler nach Übersendung des Urteils und der Niederschrift auch aufgefallen war, aus taktischen Gründen unterlassen, die entsprechenden Berichtigungsanträge zu stellen. Der Senat kann den Fehler nicht korrigieren, auch wenn der Beklagte eingeräumt hat, eine Korrektur durch den Senat nicht zum Gegenstand einer möglicherweise einzulegenden Nichtzulassungsbeschwerde zu machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 oder 2 SGG) sind nicht gegeben.
Erstellt am: 10.02.2010
Zuletzt verändert am: 10.02.2010