Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.10.2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
I.
Streitig ist die mit einer Rückforderung von 2.542,98 Euro verbundene teilweise Rücknahme der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.03.2004.
Die 1955 geborene Klägerin ist Spätaussiedlerin aus dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, verheiratet und Mutter einer 1985 geborenen Tochter. Bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit dem 30.06.2003 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 131,46 Euro (Leistungsgruppe D, erhöhter Leistungssatz, Bemessungsentgelt 410,- Euro wöchentlich, Anspruchsdauer 360 Tage).
Mit Bescheid vom 13.06.2003 bewilligte die Beklagte der Klägerin deren Angaben im Antrag entsprechend Arbeitslosenhilfe ab dem 01.07.2003 bis zum 30.06.2004 in Höhe von wöchentlich 105,98 Euro (Leistungsgruppe D, erhöhter Leistungssatz, Bemessungsentgelt 380,- Euro wöchentlich).
Nach einer Überprüfung, ob der Klägerin weiterhin der erhöhte Leistungssatz zustehe, änderte die Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2003 die Leistungsbewilligung ab dem 01.07.2003 ab. Sie bewilligte der Klägerin Arbeitslosenhilfe vom 01.07.2003 bis zum 30.06.2004 bei unverändertem Kindermerkmalen nach der Leistungsgruppe C in Höhe von wöchentlich 171,22 Euro, obwohl die Klägerin weiterhin die Steuerklasse V hatte. Die Klägerin erhielt einer Nachzahlung von 1.425,96 Euro für die Zeit ab dem 01.07.2003.
Nachdem die fehlerhafte Bewilligung bei der Beklagten Anfang April 2004 festgestellt worden war, hörte diese die Klägerin mit Schreiben vom 07.04.2004 zu einer entstandenen Überzahlung in der Zeit vom 01.07.2003 bis 31.03.2004 in Höhe von 2.542,98 Euro an. Hierauf teilte die Klägerin mit, dass sie sich natürlich über die Nachzahlung gewundert habe. Sie habe angenommen, dass der Beklagten ein Fehler unterlaufen sei, den sie jetzt korrigiere.
Mit Bescheid vom 11.05.2004 hob die Beklagte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.03.2004 teilweise auf, verlangte die Erstattung der Überzahlung von 2.542,98 Euro von der Klägerin und rechnete diese Forderung in Höhe von 53,72 Euro wöchentlich gegen laufende Ansprüche der Klägerin auf. Ihren Widerspruch hiergegen begründete die Klägerin damit, in ihren tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen sei eine Änderung nicht eingetreten. Sie habe auf die Richtigkeit der Bewilligung vertraut und die erhaltenen Leistungen verbraucht. Mit Änderungsbescheid vom 21.06.2004 stützte die Beklagte ihre Teilaufhebung für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.03.2004 auf § 45 SGB X, während sich der Bescheid vom 11.05.2004 noch auf § 48 SGB X gestützt hatte. Mit Widerspruchsbescheid vom 29.06.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Arbeitslosenhilfe ab dem 01.07.2003 sei der Klägerin nach der Leistungsgruppe C bewilligt worden, die bei Steuerklasse III zustehe. Die Klägerin habe jedoch die Steuerklasse V gehabt, weshalb ihr nur Leistungen in der ursprünglich bewilligten Höhe auf Grundlage der Leistungsgruppe D zugestanden hätten. Diese Fehlerhaftigkeit der Bewilligung durch Bescheid vom 17.12.2003 habe die Klägerin aufgrund der Hinweise in dem bei Antragstellung erhaltenen Merkblatt für Arbeitslose sowie aufgrund der Erläuterungen zwischen dem Zusammenhang der Lohnsteuerklasse mit der bewilligten Leistungsgruppe im Bescheid vom 17.12.2003 erkennen müssen.
Mit der Klage zum Sozialgericht hat die Klägerin vorgetragen, anfänglich Arbeitslosenhilfe in wechselnder Höhe bezogen zu haben. Bei Erhalt des Bescheides vom 17.12.2003 und der Nachzahlung habe sie angenommen, dass die Beklagte einen zuvor vorhandenen Fehler korrigiert und nunmehr Leistungen in korrekter Höhe bewilligt habe. Sie sei in der ehemaligen Sowjetunion aufgewachsen und der deutschen Sprache nicht vollständig mächtig. Auf die Richtigkeit der endgültig bewilligten Leistungshöhe habe sie sich gerade im Hinblick darauf verlassen können, dass diese Bewilligung im Anschluss an eine Überprüfung der Leistungshöhe erfolgt sei.
Mit Urteil vom 11.10.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Urteilsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das am 20.10.2006 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 20.11.2006. Sie macht geltend, sie habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 17.12.2003 weder gekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt. Sie habe sich auf die Richtigkeit der Berechnungen der Beklagten insbesondere deshalb verlassen dürfen, weil die Beklagte die Leistungshöhe von sich aus und ohne erkennbare Veranlassung durch die Klägerin überprüft habe. Zur Feststellung des der Beklagten unterlaufenen Fehlers sei sie aus sprachlichen Gründen nicht in der Lage gewesen. Soweit das Sozialgericht die Erkennbarkeit des entstandenen Fehlers damit begründet habe, dass die Klägerin aufgrund des Änderungsbescheides vom 17.12.2003 Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 40,- Euro über dem zuvor bezogenen Arbeitslosengeld erhalten habe, gehe dies fehl. Es sei zwar richtig, dass Arbeitslosenhilfe immer niedriger sei als das Arbeitslosengeld, was sich auch aus dem Prozentsatz vom Leistungsentgelt ablesen lasse. Der Klägerin sei jedoch nach über einem halben Jahr nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld nicht präsent gewesen, in welcher Höhe sie dieses bezogen hatte. Sie wie auch ihr Ehemann hätten beide zuvor Lohnersatzleistungen bezogen, die auf dasselbe Konto überwiesen worden seien. Die Leistungen hätten sich aufgrund geänderter Leistungsverhältnisse und eines zwischenzeitlichen Kuraufenthalts des Ehemanns stets geändert.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 11.10.2006 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zu Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil die Bescheide der Beklagten vom 11.05.2004 und 21.06.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.06.2004 bestätigt.
Diese Bescheide sind rechtmäßig, denn die Beklagte hat hierdurch zu Recht unter Wahrung der gesetzlichen Vorgaben die Leistungsbewilligung aus dem Bescheid vom 17.12.2003 für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.03.2004 teilweise aufgehoben und zu viel erbrachte Leistungen in Höhe von 2.542,98 Euro von der Klägerin zurückverlangt. Zutreffend hat die Beklagte die Leistungsbewilligung durch Bescheid vom 17.12.2003 für die Zeit vom 01.07.2003 bis 31.12.2003 in Höhe von wöchentlich 65,24 Euro und vom 01.01.2004 bis zum 31.03.2004 in Höhe von 63,70 Euro wöchentlich auf der Grundlage von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X zurückgenommen. Hiernach unterliegen anfänglich rechtswidrige, begünstigende Verwaltungsakte der Rücknahme. Der Änderungsbescheid vom 17.12.2003 war anfänglich rechtswidrig, weil der Klägerin hierdurch ab dem 01.07.2003 Leistungen nach der Leistungsgruppe C bewilligt wurden. Der Leistungsgruppe C zuzuordnen waren nach § 137 Abs. 2 Nr. 3a SGB III in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung des Gesetzes Arbeitnehmer, auf deren Lohnsteuerkarte die Lohnsteuerklasse III eingetragen ist. Auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin war jedoch im Aufhebungszeitraum die Lohnsteuerklasse V eingetragen, so dass ihr nach § 137 Abs. 2 Nr. 4 SGB III a.F. (nur) Leistungen nach der Leistungsgruppe D, also in Höhe der ursprünglichen Bewilligung durch Bescheid vom 13.06.2003, zugestanden hätten.
Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat.
Die Klägerin kann jedoch zur Überzeugung des Senats keinen Vertrauensschutz beanspruchen. Nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauensschutz nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Dies ist bei der Klägerin der Fall. Sie konnte die Rechtswidrigkeit der erhöhten Bewilligung durch Bescheid vom 17.12.2003 erkennen bzw. nur bei Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße nicht erkennen.
Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100, § 152 Nr. 3; BSGE 62, 32, 35 = SozR 4100 § 71 Nr. 2; BSG, Urt. v. 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R = SozR 3-1300, § 45 Nr. 45); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit unter Zugrundelegung eines subjektiven Fahrlässigkeitsbegriffes nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (BSG im Urt. v. 08.02.2001 – B 11 AL 21/00 R – mwN).
Zur Überzeugung des Senats konnte die Klägerin auch unter Berücksichtigung ihrer herkunftsbedingten sprachlichen Defizite, auf die sie sich berufen hat, nach dem von ihr in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck die Rechtswidrigkeit der Bewilligung aufgrund allereinfachster Beobachtungen und Überlegungen erkennen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung bereits anhand der ihr durch das Merkblatt der Beklagten zur Verfügung gestellten Informationen zum Zusammenhang zwischen der bewilligten Leistungsgruppe und der vorhandenen Steuerklasse hatte erkennen müssen.
Denn die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 17.12.2003 musste sich der Klägerin bereits aus dem Bescheid selbst und insbesondere der Höhe der durch ihn zuerkannten Leistungen aufdrängen.
Schon nach dem Verhältnis der veränderten Bewilligung in Höhe von 171,15 Euro wöchentlich – im Verhältnis zur vorherigen Höhe der Arbeitslosenhilfe von 105,98 Euro – hätte es bei Anlegung auch einfachster Maßstäbe an Erkenntnis- und Beurteilungsvermögen des Adressaten eines solchen Bescheides nahe gelegen, nach einem Grund für die aufgetretene Änderung zu fragen und den Änderungsbescheid selbst daraufhin anzusehen.
Insbesondere jedoch lag die durch Bescheid vom 17.12.2003 bewilligte Arbeitslosenhilfe um rund 40,- Euro wöchentlich über dem zuvor bezogenen Arbeitslosengeld. Gerade vor dem Hintergrund, dass sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann seinerzeit Leistungen nach dem SGB III bezogen haben, hält es der Senat entgegen der mehrfachen Angabe der Klägerin für ausgeschlossen, dass sie sich bei Bekanntgabe und Umsetzung des Bescheides vom 17.12.2003 nicht mehr an die Höhe des bis Ende Juni 2003 bezogenen Arbeitslosengeldes erinnern konnte. Dies erscheint vielmehr angesichts des insgesamt bescheidenen Haushaltseinkommens, für das ein Jahr lang insbesondere auch die Höhe des von der Klägerin bezogenen Arbeitslosengeldes prägend gewesen war, ausgeschlossen.
Nicht zu folgen ist auch der Angabe der Klägerin, sie habe die Korrektur durch Bescheid vom 17.12.2003 so verstanden, dass die Beklagte eine zuvor fehlerhafte Leistungsbewilligung nunmehr korrigiert habe. Wenn die Klägerin dies angenommen haben sollte und es für richtig gehalten hätte, dass ihr Arbeitslosenhilfe in einer Höhe von etwa 40,- Euro über dem zuvor bezogenen Arbeitslosengeld tatsächlich zustand, hätte der Schluss nahe gelegen, dass ihr auch höheres Arbeitslosengeld zugestanden hätte. Ein Verlangen nach Überprüfung auch des Arbeitslosengeldanspruchs wäre dann konsequenterweise zu erwarten gewesen. Ein solches Verlangen ist jedoch zu keinem Zeitpunkt an die Beklagte gerichtet worden. Die Klägerin kann sich daher infolge des Vorliegens grober Fahrlässigkeit nicht auf schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Bewilligung durch Bescheid vom 17.12.2003 im Sinne von § 45 Abs. 2 SGB X berufen.
Da die Beklagte auch die Handlungsfrist nach § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X von einem Jahr seit Kenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme des Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen, gewahrt hat, liegen die Voraussetzungen der teilweisen Rücknahme in Höhe der zu viel bewilligten Leistungen vor. Eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Rücknahme selbst ist nach § 330 Abs. 2 SGB III nicht zu treffen.
Rechtsgrundlage des Erstattungsverlangens ist § 50 Abs. 2 SGB X. Hiernach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Zur Berechnung der Erstattungshöhe nimmt der Senat Bezug auf die Ausführungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden Bezug (§ 136 Abs. 3 SGG entsprechend). Die Berechtigung der Beklagten zur Aufrechnung mit laufenden Leistungsansprüchen der Klägerin ergibt sich aus §§ 51 SGB I, 333 Abs. 1 SGB III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Ein Anlass zur Zulassung der Revision durch den Senat besteht nicht, § 160 SGG.
Erstellt am: 23.01.2008
Zuletzt verändert am: 23.01.2008