Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 24.01.2005 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin für die Zeit vom 22.07.2004 bis 05.09.2004 Arbeitslosengeld in Höhe von 233,24 Euro wöchentlich zu gewähren. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Klägerin begehrt die ungeminderte Auszahlung von Arbeitslosengeld. Die Beklagte hat eine Minderung des Anspruchs verfügt, welche sie mit einer verspäteten Arbeitsuchendmeldung begründet.
Die 1976 geborene Klägerin meldete sich am 08.06.2004 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Sie war in der Zeit vom 15.09.2003 bis 21.07.2004 als Vertretungslehrkraft beschäftigt gewesen. Das Beschäftigungsverhältnis war bis zum 21.07.2004 befristet. Zuvor bezog sie vom 31.07.2003 bis 14.09.2003 Arbeitslosengeld. Grundlage dieses Anspruchs für insgesamt 240 Tage war eine Beschäftigung – ebenfalls als Vertretungslehrkraft – vom 01.02.2002 bis 30.07.2003. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung vom 24.07.2003 erzielte die Klägerin im Abrechnungszeitraum vom 01.08.2002 bis 31.07.2003 einen Bruttoverdienst von 35127,19 Euro. Am 15.09.2003 bestand noch ein Restanspruch für 194 Tage.
Mit Schreiben vom 14.07.2004 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie sich spätestens am 22.04.2004 bei der Agentur für Arbeit hätte arbeitsuchend melden müssen. Sie habe sich jedoch erst am 08.06.2004 gemeldet. Die Meldung sei somit um 47 Tage zu spät erfolgt. Nach § 140 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) mindere sich ihr Anspruch auf Leistungen um 35,- EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung, längstens jedoch für 30 Tage. In ihrem Falle errechne sich somit ein Minderungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.050,- EUR. Die Minderung erfolge indem der Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde. Die Anrechnung beginne am 22.07.2004 und sei voraussichtlich mit Ablauf des 23.09.2004 beendet.
Mit Bescheid vom 16.07.2004 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab dem 22.07.2004 nach einem Bemessungsentgelt in Höhe von 675,00 Euro wöchentlich in der Leistungsgruppe A, allgemeiner Leistungssatz in Höhe von 233,24 Euro wöchentlich für die Restanspruchsdauer von 194 Tagen. Gleichzeitig setzte sie den Zahlbetrag unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 14.07.2004 auf 116,62 Euro wöchentlich fest. Mit dem 05.09.2004 endetet der Leistungsbezug der Klägerin.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie führte zur Begründung aus, dass sie durch ihren Arbeitsvertrag vom 30.07.2003 nicht auf eine einzuhaltende Frist hingewiesen worden sei. Darüber hinaus habe sie nach den Sommerferien eine Festanstellung erhalten. Durch die Festanstellung sei ihr Vertrag als Aushilfsangestellte zur Vertretung nicht verlängert worden. Wenn sie die Festanstellung nicht bekommen hätte, wäre ihr Vertrag zur Aushilfsangestellten zur Vertretung verlängert worden und dann hätte sie während der Sommerferien weiterhin Bezüge erhalten. Somit habe sie am 22.04.2004 noch nicht wissen können, dass sie während der Sommerferien arbeitslos sein würde.
Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 03.08.2004 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, dass die Pflicht zur Meldung auch bestehe, wenn die Klägerin auf die Verlängerung des Vertrages vertraut habe. Bis zur schriftlichen tatsächlichen Verlängerung des Vertrages müsse sie von der vertraglich vereinbarten Befristung ausgehen.
Dagegen hat die Klägerin am 01.09.2004 vor dem Sozialgericht (SG) Münster Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, sich sofort arbeitslos gemeldet zu haben, nachdem sie erfahren habe, dass sie nicht weiter beschäftigt werde. Die Verpflichtung zur Meldung habe sie nicht gekannt. Auch sei der Zweck der Meldevorschriften und der Sanktionen zu beachten. Der Beklagten sollten rechtzeitige Vermittlungsbemühungen ermöglicht werden. Dieses Ziel sei bei der Lehrerarbeitslosigkeit in den Sommerferien von vornherein nicht zu erreichen.
Das SG ist von dem Antrag der Klägerin ausgegangen,
den Bescheid vom 16.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2004 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihr Arbeitslosengeld ab 22.07.2004 ohne täglichen Minderungsbetrag zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf Anfrage des SG hat die Bezirksregierung Düsseldorf ein Schreiben an die Klägerin vom 04.05.2004 übersandt, mit dem dieser die Absicht zur Einstellung zum 06.09.2004 mitgeteilt wurde. Dieses Angebot hat die Klägerin am 05.05.2004 angenommen.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG am 24.01.2005 durch Gerichtsbescheid entschieden und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 22.07.2004 Arbeitslosengeld ohne Kürzung gem. § 140 SGB III zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Eine Verletzung der in § 37 b SGB III normierten Obliegenheiten könne nur dann angenommen werden, wenn die verspätete Meldung schuldhaft, also zumindest fahrlässig, herbeigeführt worden sei. Dies setze voraus, dass die der Versicherten auferlegte Obliegenheit hinreichend bestimmt ist. Dies sei bei befristeten Arbeitsverhältnissen nicht der Fall. Aus dem Gesetz ergebe sich nämlich in keiner Weise, bis zu welchem Zeitpunkt die Meldung zu erfolgen habe. § 37 b Satz 2 SGB III lege für befristete Arbeitsverhältnisse lediglich fest, dass die Meldung frühestens drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe. Bis zu welchem Zeitpunkt die Meldung spätestens zu erfolgen habe, sei dem Gesetz hingegen nicht zu entnehmen. Die von der Beklagten vertretene Auffassung, die Meldung habe in diesen Fällen binnen sieben Tagen nach dem in § 37 b Abs. 2 SGB III genannten frühesten Zeitpunkt zu erfolgen, finde im Gesetz keine Grundlage. Könne aber aufgrund der unklaren Formulierung in § 37 b SGB III nicht entnommen werden, bis wann die Arbeitsuchendmeldung in Fällen befristeter Arbeitsverhältnisse spätestens zu erfolgen hat, so könne der Klägerin eine Obliegenheitsverletzung auch nicht vorgeworfen werden, wenn sie sich mehr als sechs Wochen vor Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses arbeitsuchend gemeldet habe.
Der Gerichtsbescheid ist der Beklagten am 27.01.2005 zugestellt worden. Am 10.02.2005 hat sie dagegen Berufung eingelegt, die sie wie folgt begründet: § 37b SGB III regele im Satz 1 generell die Pflicht zur frühzeitigen persönlichen Arbeitslosmeldung. Die Pflicht betreffe nicht nur Arbeitnehmer, die aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnis ausschieden, sie gelte also auch für befristet Beschäftigte. Für diesen Personenkreis modifiziere der Satz 2 des § 37b SGB III die Meldepflicht, wonach es ausreiche, wenn die Meldung "frühestens drei Monate vor … Beendigung … des befristeten Arbeitsverhältnisses" erfolge. Melde sich der Arbeitslose später als drei Monate vor Beendigung des befristeten Arbeitsverhältnisses, sei ggf. nicht mehr Unverzüglichkeit gegeben, so dass die Rechtsfolgen der Minderung nach § 140 SGB III eintreten würden.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Münster vom 24.01.2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Klarstellend erklärt sie, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von 233,24 Euro wöchentlich geltend zu machen. In der Sache hält sie das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Zwar wurde die Minderung wegen des zeitlich begrenzten Leistungsbezugs vom 22.07.2004 bis 05.09.2004 nicht vollständig umgesetzt. Jedoch liegt die Beschwer über dem Betrag von 500 Euro (16,66 Euro mal 46 Tage).
In der Sache ist die Berufung unbegründet. Allerdings ist die Leistung, die die Klägerin tatsächlich begehrt, zur Klarstellung im Tenor genau bezeichnet worden. Die Entscheidung allein über ein Berechnungselement der Leistung (hier die Minderung nach § 140 SGB III) wäre als so genannte Elementenfeststellungsklage unzulässig (vgl. dazu nur BSG vom 09.12.2004 – B 7 AL 24/04 R -).
Der Klägerin steht für die nur noch streitige Zeit vom 22.07.2004 bis 05.09.2004 ein Anspruch auf Arbeitslosengeld in Höhe von wöchentlich 233,24 Euro zu.
Nach § 117 Abs. 1 SGB III in der hier anwendbaren Fassung, die bis zum 31.12.2004 in Kraft war, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld ein Arbeitnehmer, der arbeitslos ist, sich arbeitslos gemeldet hat und die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Klägerin hat sich vorliegend zum 22.07.2004 arbeitslos gemeldet. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass sie im streitigen Zeitraum tatsächlich arbeitslos war, wovon auch die Beklagte ausgegangen ist, da sie Arbeitslosengeld tatsächlich bewilligt hat.
Die Anwartschaftszeit hat die Klägerin durch ihre befristete Beschäftigung vom 15.09.2003 bis 21.07.2004 zwar nicht erfüllt. Jedoch war ein Stammrecht auf Arbeitslosengeld am 31.07.2003 entstanden mit einer Anspruchsdauer von 240 Kalendertagen, weil der Kläger in der Zeit vor dem 31.07.2003 die Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Der Anspruch aus diesem Stammrecht ist hinsichtlich der Dauer durch den Arbeitslosengeldbezug vom 31.07.2003 bis 14.09.2003 nur um 46 Tage gemindert worden (§ 128 Abs. 1 Nr 1 SGB III), so dass noch ein Restsanspruch für 194 Tage bestand, den die Klägerin ab dem 22.07.2004 geltend machen konnte.
Grundlage der Berechung der Anspruchshöhe ist ein Bemessungsentgelt von 675 Euro, das aufgrund des im Abrechnungszeitraum vom 01.08.2002 bis 31.07.2003 erzielten Bruttoverdienstes zutreffend ermittelt wurde und bereits der Arbeitslosengeldbewilligung ab dem 31.07.2003 zugrunde gelegen hatte. Der Leistungssatz ergibt sich unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe A ohne Kindermerkmal aus der LeistungsentgeltVO 2004 (233,24 Euro wöchentlich).
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist keine Minderung des Zahlbetrages nach § 140 SGB III wegen verspäteter Meldung eingetreten. Nach § 140 S. 1 SGB III mindert sich das Arbeitslosengeld, das dem Arbeitslosen auf Grund des Anspruchs zusteht, der nach der Pflichtverletzung entstanden ist, wenn sich der Arbeitslose entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hat.
Vorliegend tritt eine Minderung bereits deshalb nicht ein, weil nicht um einen Anspruch gestritten wird, der "nach" der Pflichtverletzung entstanden ist. Denn mit Anspruch in diesem Sinne kann nach der allgemeinen Systematik und nach den Begrifflichkeiten des SGB III nur das Stammrecht gemeint sein, nicht aber der Anspruch auf Auszahlung der konkreten Leistung (ausführlich zu dieser Unterscheidung BSG, Urteil vom 21.06.2001 – B 7 AL 54/00 R -, Rz 17). Entsprechende Regelungen zum Anspruch im Sinne des Stammrechts enthalten die §§ 117, 128 und 147 SGB III. Nur bezogen auf das Stammrecht macht der Hinweis in § 140 S. 1 SGB III auf einen "nach der Pflichtverletzung" entstanden Anspruch überhaupt Sinn (so im Ergebnis auch SG Duisburg, 8. Februar 2005 – S 12 AL 40/04; SG Aachen, 5. November 2004, S 8 AL 128/04; SG Kassel, 5. November 2004, S 17 AL 2141/04; Coseriu/Jakob, PK-SGB III, § 140 Rz 15; Winkler in Gagel, § 140 SGB III Rz 5; Brand in Niesel, § 140 SGB III, Rz 3; Valgolio in Hauck/Noftz, § 140 SGB III, Rz 13; ähnlich, aber eher unklar Voelzke in Kasseler Handbuch zum Arbeitsförderungsrecht, § 12 Rz 506 und Spellbrink in Eicher/Schlegel § 140 SGB III Rz 37 f.). Wäre jeder Zahlungsanspruch gemeint, hätte es des Hinweises auf den "entstandenen Anspruch" nicht bedurft. Eine Minderung setzt einen bestehenden Zahlungsanspruch als Bezugspunkt notwendigerweise voraus.
Der Beklagten ist zwar einzuräumen, dass ein Abstellen auf den Zahlungsanspruch – mit der Folge, dass das Stammrecht sogar mehrfach gemindert werden könnte – dem Sinn und Zweck der Reglung, wie er sich den Gesetzesmaterialien entnehmen lässt (vgl. etwa BT-Drucks. 15/25, S. 27) eher entsprechen würde (dazu Sauer in Jahn, § 140 SGB III, Rz. 20). Nach Auffassung des Senats hat dieses Argument gegenüber der grammatikalischen und systematischen Auslegung jedoch zurückzutreten.
Ein Anspruch iSd. § 140 S. 1 SGB III entsteht danach mit Erfüllung der Vorraussetzungen des § 117 SGB III. Er erlischt unter den Vorraussetzungen des § 147 Abs. 1 SGB III, nämlich mit der Entstehung eines neuen Anspruchs (Nr. 1) oder wenn Sperrzeiten von insgesamt 21 Wochen nach der Entstehung eingetreten sind (Nr. 2).
Hier ist der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld bereits am 31.07.2003 entstanden. Die Beschäftigungszeit der Klägerin vom 15.09.2003 bis 21.07.2004 reichte mangels ausreichend neuer Anwartschaftszeichen nicht aus, um einen neuen Anspruch entstehen zu lassen. Dies ergibt sich aus § 123 SGB III iVm. § 124 Abs. 2 SGB III, wonach eine Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hineinreicht, in der der Arbeitslose eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte (vgl. Söhngen in Eicher/Schlegel, § 124 SGB III, Rz. 32). Konsequenterweise wurde der Klägerin daher auch nur der nicht verbrauchte Restanspruch von 194 Tagen bewilligt. Der Anspruch der Klägerin war mithin vor der fraglichen Pflichtverletzung – der nach Auffassung der Beklagten verspäteten Arbeitsuchendmeldung am 08.06.2004 – entstanden.
Der Senat teilt aber auch die Auffassung des SG, dass der Klägerin keine Pflichtverletzung nach § 37 b SGB III vorgeworfen werden kann. Die Regelung in § 37 b S. 2 SGB III für befristete Arbeitsverhältnisse, die vorsieht dass die Meldung "jedoch frühestens drei Monate vor der Beendigung zu erfolgen" hat, ist tatsächlich so unklar (aA LSG Baden-Württenberg, 3.11.2004, L 5 AL 3835/04; vgl auch Coseriu/Jakob, PK-SGB III, § 37 Rz 11 ff), dass der Verpflichtete nicht erkennen kann, was von ihm gefordert wird. Zur Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil des SG Bezug genommen und insofern gemäß § 153 Abs. 2 SGG von weiteren Ausführungen abgesehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage gem. § 160 Abs. 2 Ziffer 1 SGG zugelassen.
Erstellt am: 03.07.2006
Zuletzt verändert am: 03.07.2006