Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 11.11.2009 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch im Beschwerdeverfahren.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Wirksamkeit eines Sanktionsbescheides nach § 31 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der 1966 geborene Antragsteller bezieht von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Aufgrund von Bescheiden vom 22.09.2008 und 22.10.2008 erhielt er im November 2008 um 30 %, von November 2008 bis Januar 2009 um 60 % gekürzte Leistungen. Mit Bescheid vom 21.08.2009 wurden ihm Leistungen in (voller) Höhe von monatlich 613,94 Euro (Regelsatz: 359,00 Euro, Kosten der Unterkunft und Heizung: 254,94 Euro) bewilligt.
Am 15.05.2009 unterzeichnete der Antragsteller eine Eingliederungsvereinbarung für die Zeit vom 11.05.bis 10.11.2009. Darin heißt es:
Allgemeine Leistungen und Pflichten der Vertragsparteien:
Aufgrund der Aktenlage werden die nachstehend aufgeführten Aktivitäten zur Integration in den Arbeitsmarkt für den oben angegebenen Zeitraum verbindlich vereinbart, soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird. Soweit aus organisatorischen Gründen der persönliche Ansprechpartner/ die persönliche Ansprechpartnerin die vereinbarten Leistungen und Beratungsangebote nicht persönlich vorhält, werden diese durch Dritte (z.B. Hilfeplaner/-innen des Kreises D) sichergestellt und sind einvernehmlich mit Herrn NT zu vereinbaren. Herr NT bestätigt durch seine/ihre Unterschrift, dass er/sie mit diesem Verfahren einverstanden ist. Diese weitere Vereinbarung ist dann Bestandteil der Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II.
( )
Zur Unterstützung der beruflichen Integration wird Herrn T die Teilnahme an der Maßnahme "Job-Direkt" Modell T1 – Zentrum M angeboten. Herr T verpflichtet sich regelmäßig an der Maßnahme teilzunehmen.
( )
Rechtsfolgen bei Verletzung der Eingliederungsvereinbarung
Komme ich der/den oben genannten Verpflichtung(en) ohne wichtigen Grund nicht nach, treten folgende Konsequenzen ein:
Bei jeder weiteren Pflichtverletzung wird das Arbeitslosengeld II um 100% unter Wegfall des Zuschlages gem. § 24 SGB II gemindert. ( ) Eine erneute Pflichtverletzung liegt vor, wenn
( ) ich die in dieser Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht erfülle
( ) ich die mir in dieser Vereinbarung angebotene zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit nicht aufnehme oder nicht fortführe
(X) ich die in dieser Vereinbarung angebotene Maßnahme nicht aufnehme oder nicht fortführe (hier: "Job-Direkt" Modell T1 – Zentrum M)
( ) ich den vereinbarten Plus-Job (zumutbare Arbeit nach § 16d SGB II) nicht ausführe
( ) ich eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abbreche oder Anlass für den Abbruch gebe.
Am 29.05.2009 schloss der Antragsteller mit dem Träger "Modell T1 e.V., Verein für ökonomische Initiativen in der Sozialarbeit" eine Weiterbildungsvereinbarung über eine Maßnahme im Zeitraum 02.06.2009 bis 01.10.2009 ab. Darin verpflichtete er sich u.a., die Firma bei Fernbleiben unter Angabe des Grundes unverzüglich zu benachrichtigen und im Falle einer Erkrankung bis zum dritten Tag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen.
Im Zeitraum 24.06. bis 26.06. und 20.07. bis 30.07 und ab 11.09.2009 fehlte der Antragsteller. Hierzu reichte er jeweils nachträglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume 24.-26.06., 20.-30.07., 14.-18.09. und 22.-25.09.2009 ein.
Mit Schreiben vom 15.09.2009 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zu einer beabsichtigten Sanktionierung an und senkte das Arbeitslosengeld II mit Bescheid vom 23.09.2009 unter Aufhebung des letzten Bewilligungsbescheides schließlich für die Zeit vom 01.10. bis 31.12.2009 um 100% der Regelleistung und der Kosten der Unterkunft und Heizung sowie der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge ab.
Der Antragsteller legte hiergegen mit Schreiben vom 05.10.2009 Widerspruch ein und trug zur Begründung vor, er sei erkrankt gewesen und habe dem Maßnahmeträger entsprechende Atteste vorgelegt.
Am 02.11.2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Münster (SG) den Antrag gestellt, im Wege der einstweiligen Anordnung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 05.10.2009 gegen den Bescheid vom 23.09.2009 anzuordnen. Von einem unentschuldigten Fernbleiben könne im Hinblick auf die vorgelegten Atteste nicht die Rede sein. Darüber hinaus sei er zu keinem Zeitpunkt auf die Folgen des Verstoßes hingewiesen worden. Er sei dringend auf die Leistungen nach dem SGB II angewiesen, da er über keinerlei Einkommen verfüge.
Mit Beschluss vom 11.11.2009 hat das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 23.09.2009 angeordnet, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Absenkungsbescheides bestünden. § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b SGB II ermächtige zur Absenkung der Regelleistung, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigere, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen. In der Eingliederungsvereinbarung, die der Antragsteller unterzeichnet habe, sei nicht festgelegt worden, dass eine Pflichtverletzung auch vorliege, wenn an einzelnen Tagen der Hilfebedürftige unentschuldigt fehle oder eine Arbeitsunfähigkeit nicht unverzüglich melde und die entsprechende ärztliche Bescheinigung später als am dritten Tag vorlege. Eine solche Verpflichtung des Antragstellers ergebe sich allein aus der Weiterbildungsvereinbarung mit dem Maßnahmeträger. Hierauf werde in der Eingliederungsvereinbarung jedoch kein Bezug genommen. Der Antragsteller habe daher nicht davon ausgehen müssen, dass derartige Pflichtverletzungen gegenüber dem Maßnahmeträger als Verletzung der Eingliederungsvereinbarung gewertet würden und zu entsprechenden Folgen führen könnten.
Gegen den ihr am 16.11.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 15.12.2009 Beschwerde eingelegt. Zwar treffe es zu, dass in der Eingliederungsvereinbarung und der dazugehörigen Rechtsfolgenbelehrung nicht unmittelbar festgelegt sei, dass eine zur Minderung berechtigende Pflichtverletzung auch dann vorliege, wenn der Hilfebedürftige an einzelnen Tagen unentschuldigt fehle oder die Arbeitsunfähigkeit nicht rechtzeitig mitteile bzw. hierzu eine ärztliche Bescheinigung vorlege. Diese Verpflichtungen seien dem Antragsteller aber ausdrücklich in der Weiterbildungsvereinbarung auferlegt worden. Auf diese werde wiederum ebenfalls ausdrücklich in der Eingliederungsvereinbarung Bezug genommen. Diese sehe vor, dass "die weitere Vereinbarung Bestandteil der Eingliederungsvereinbarung nach § 15 SGB II" werde. Die in der Rechtsfolgenbelehrung niedergelegten Folgen einer Pflichtverletzung würden sich mithin auch auf die dem Antragsteller in der Weiterbildungsvereinbarung auferlegten Pflichten beziehen. Dies gelte zusätzlich mit Blick darauf, dass der Antragsteller durch mehrere vorgehende Eingliederungsvereinbarungen sowie aufgrund vergleichbarer Pflichtverletzungen mit dem diesbezüglichen Prozedere bereits vertraut gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Absenkungsbescheid vom 23.09.2009 angeordnet.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch des Antragstellers hat vorliegend nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt jedoch das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, weil bei summarischer Prüfung mehr gegen als für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Absenkungsbescheides spricht.
Eine Absenkungsentscheidung kommt nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 b SGB II (hier i.V.m. § 31 Abs. 3 S. 2 SGB II) dann in Betracht, wenn der Leistungsempfänger sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen. Zu Recht hat das Sozialgericht ausgeführt, dass diese Voraussetzung hier entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht gegeben ist. Es fehlt an einer eindeutigen Rechtsfolgenbelehrung für die vom Antragsteller konkret begangenen Pflichtverletzungen des unentschuldigten Fehlens an einzelnen Tagen sowie der unverzüglichen Meldung einer Arbeitsunfähigkeit und rechtzeitigen Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Auf die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 153 Abs. 2 SGG). Dabei kann dahinstehen, ob die (zweifelhafte) Auffassung der Antragsgegnerin zutrifft, dass die in der Weiterbildungsvereinbarung genannten Pflichten durch eine "Vorab"Bezugnahme zu originären Pflichten "der Eingliederungsvereinbarung" werden. Selbst wenn man dies so annehmen würde, sind derartige Pflichtverletzungen jedoch nicht von der Rechtsfolgenbelehrung der zwischen Antragsteller und Antragsgegnerin im Mai 2009 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung erfasst. Nach der Formulierung der Eingliederungsvereinbarung liegt eine erneute Pflichtverletzung (lediglich dann) vor, wenn der Antragsteller die in dieser Vereinbarung angebotene Maßnahme nicht aufnimmt oder fortführt (hier: "Job-Direkt"-Modell T1 – Zentrum M). Weitere Tatbestände, die eine Pflichtverletzung darstellen können, sind in der Eingliederungsvereinbarung zwar aufgelistet, jedoch nicht angekreuzt. Damit ist eine etwaige Sanktionierung nach objektivem Verständnis auf die konkret genannte und angekreuzte Pflichtverletzung begrenzt und umfasst nicht darüber hinausgehende weitere Pflichtverletzungen wie hier das unentschuldigte Fernbleiben an einzelnen Tagen und die verspäteten Arbeitsunfähigkeitsmeldungen und -bescheinigungen. Auch die weitere Auffassung der Antragsgegnerin, dass dem Antragsteller die Folgen der Verletzung seiner Pflichten bereits aus vorigen Absenkungen aufgrund vergleichbarer Sachverhalte unschwer zu erkennen sein mussten, vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Aus den aktenkundigen Unterlagen ergibt sich nicht, dass die Leistungen bei dem Antragsteller in der Vergangenheit bereits wegen gleichartiger Pflichtverletzungen wie vorliegend abgesenkt worden sind. Darüber hinaus kann alleine das "Wissen" des Antragstellers aus früheren Absenkungsbescheiden eine fehlende schriftliche Benennung von sanktionsfähigen Pflichtverletzungen nicht ersetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 22.03.2010
Zuletzt verändert am: 22.03.2010