Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20.12.2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren gemäß § 63 SGB X.
Die Bevollmächtigten vertraten die Klägerin in einem Widerspruchsverfahren gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des JobCenter Essen. Trotz der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen diesen Bescheid erhielt die Klägerin mit Schreiben vom 20.05.2011 eine Mahnung in Höhe von 11,80 EUR zuzüglich einer Mahngebühr von 0,80 EUR. Auf den Widerspruch durch die Bevollmächtigten gegen die Festsetzung der Mahngebühren hob die Beklagte die Festsetzung auf und entschied, dass die Hinzuziehung der Bevollmächtigten nicht erforderlich gewesen sei. Hiergegen richtete sich der (erneute) Widerspruch vom 19.10.2011, der mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.2011 zurückgewiesen wurde. Die Beklagte führte aus, dass ein rechtsunkundiger verständiger Bürger mit dem Bildungs- und Erfahrungsstand der Klägerin keinen Rechtsanwalt beauftragt hätte. Wegen der geringen Höhe der Mahngebühren hätte sich aufdrängen müssen, dass eine Anwaltsbeauftragung ein Vielfaches an Kosten zur Folge hätte. Es sei der Klägerin zuzumuten gewesen, das Verfahren selbst zu führen.
Dagegen erhob die Klägerin am 28.11.2011 Klage. Sie wies darauf hin, dass nach damaligem Sachstand unklar gewesen sei, auf welcher Rechtsgrundlage die Beklagte agiere; eine Klarstellung sei erst durch das Bundessozialgericht in der Entscheidung am 26.05.2011 erfolgt. Es müsse weiter berücksichtigt werden, dass die Klägerin bereits im Widerspruchsverfahren gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vertreten gewesen sei. Sie habe daher davon ausgehen dürfen, dass sie sich auch in weiteren Angelegenheiten in diesem Zusammenhang anwaltlicher Hilfe bedienen dürfe. Zu berücksichtigen sei auch, dass Beträge gemahnt worden seien, welche nicht fällig gewesen seien. Grund dafür sei vermutlich die gespaltene Behördenorganisation in diesen Angelegenheiten; das dürfe allerdings nicht zu Lasten der Klägerin gehen.
Die Beklagte war der Ansicht, dass für die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten erforderliches deutliches Ungleichgewicht zwischen Klägerin und Beklagten bei den erforderlichen Kenntnissen sei nicht gegeben. Es habe sich um einen einfachen Sachverhalt gehandelt. Die Klägerin hätte in ihrem Fall zunächst das Gespräch mit der Beklagten suchen können, damit hätte die Angelegenheit geklärt werden könne.
Das Sozialgericht Duisburg hat die Klage mit Urteil vom 20.12.2012 abgewiesen. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren sei nicht notwendig im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X gewesen. Notwendig sei die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn dem Beteiligten nach den persönlichen Verhältnissen (Vorbildung, Erfahrung und seinen sonstigen persönlichen Umständen) oder wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Nach der Konzeption des Gesetzes solle die Erstattung von Anwaltskosten im Widerspruchsverfahren nicht stets erfolgen, aber auch nicht einen Ausnahmefall darstellen (BSG, Urteil vom 20.11.2001 – B 1 KR 21/00 R -). Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts beurteile sich nach der konkreten Fallgestaltung, wobei Kriterien zur Beurteilung der Notwendigkeit die objektive Schwere der Sach- und Rechtslage, die Schwere des Eingriffs bzw. die Bedeutung der beantragten Leistung oder Feststellung, die Person des Widerspruchsführers, ggf. bei ihm vorliegende körperliche oder geistige Gebrechen oder seine Unbescholtenheit bei der Wahrnehmung seiner Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung seien. Es sei zu berücksichtigen, dass § 63 Abs. 2 SGB X der "Waffengleichheit" der am Verfahren Beteiligten diene. Dabei sei davon auszugehen, dass die beteiligten Fachbehörde in dem jeweiligen Rechtsgebiet gegenüber dem Bürger einen Wissensvorsprung habe (so auch BSG, Urteil vom 02.11.2012 – B 4 AS 97/11R -: "Die Notwendigkeit einer Zuziehung kann nur ausnahmsweise verneint werden, da dem Widerspruchsführer rechtskundige und prozesserfahrene Vertreter einer Behörde gegenüberstehen"). Darauf komme es hier jedoch nicht an: Die Klägerin sei bereits, worauf Sie selbst hingewiesen hätte, im Widerspruchsverfahren gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid durch ihre Bevollmächtigten vertreten gewesen. Die Klägerin habe sich allerdings nicht darauf verlassen dürfen, dass die Kosten einer Befassung in weiteren Angelegenheiten immer von der Beklagten zu übernehmen seien. Es habe den Bevollmächtigten der Klägerin spätestens bei Vorlage des Mahnbescheides vom 20.05.2011 im Rahmen des Auftragsverhältnisses über die Durchführung des Widerspruchsverfahrens gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid oblegen, diese über die Bedeutung des Suspensiveffektes eines Widerspruchs aufzuklären. Im Rahmen eines Auftragsverhältnisses sei ein Rechtsanwalt zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. Hierzu gehöre auch die Nebenpflicht, einen Mandanten über die mit dem Auftrag erkennbar zusammenhängenden Rechtsfragen zu belehren, deren Nichtbeachtung infolge Unerfahrenheit oder Unkenntnis Nachteile befürchten lassen. Insoweit sei ein Rechtsanwalt verpflichtet, den Auftraggeber über die Folgewirkungen eines Widerspruchs gegen einen Erstattungsbescheid, insbesondere die sich daraus ergebende vorläufige Nichtvollstreckbarkeit der Erstattungsforderung aufzuklären. Die Kammer gehe davon aus, dass die Bevollmächtigten der Klägerin so verfahren seien. Dann habe die Klägerin ohne weiteres erkennen können, dass die Mahnung nicht rechtmäßig sein könne. Die "Waffengleichheit" der Beklagten sei daher durch die Kenntnisse der Klägerin aus dem parallel geführten Widerspruchsverfahren gegeben gewesen. Zudem gehöre es zu den anwaltlichen Nebenpflichten, einen Auftraggeber, welcher mit einem weiteren, im Zusammenhang mit einem bestehenden Mandatsverhältnis ergangenen Schreiben vorstellig werde, darauf hinzuweisen, dass ein einfacher, einzeiliger Widerspruch, der auch handgeschrieben sein könne, genüge. Wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung habe auch vor dem Hintergrund des § 66 Abs. 2 SGG keine Verfristung gedroht.
Das Sozialgericht hat die Berufung nicht zugelassen.
Der Beschluss wurde den Bevollmächtigten am 03.01.2013 zugestellt. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin vom 01.02.2013. Die Berufung sei unter dem Gesichtspunkt der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen. Die Divergenz ergebe sich daraus, dass das Sozialgericht Duisburg von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (so BSG, Urteil vom 02.11.2012 – B 4 AS 97/11 R -) abweiche, wonach die Notwendigkeit einer Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur ausnahmsweise verneint werden könne, da dem Widerspruchsführer rechtskundige und Prozess erfahrene Vertreter einer Behörde gegenüber stünden. Die grundsätzliche Bedeutung leite sich daraus her, dass hier die Massenverwaltung der Beklagten betroffen sei. Es sei schon in erster Instanz dargelegt worden, dass die Organisation der Beklagten als für die Vollstreckung zuständige Stelle des SGB II-Leistungsträgers wohl offenkundig eingelegte Widersprüche nicht beachte.
II.
Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20.12.2012 ist gemäß § 145 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unbegründet.
Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Tatbestandsvoraussetzung liegt hier vor, denn im Streit ist wegen der geringen wirtschaftlichen Bedeutung des Verfahrens nur die Mindestgebühr, die deutlich unter 750 EUR liegt.
Die Berufung ist gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
Eine grundsätzliche Bedeutung liegt nur dann vor, wenn eine abstrakte Rechtsfrage, die für eine unbestimmte Anzahl von Sachverhalten Bedeutung hat, bisher höchstrichterlich nicht geklärt ist (vgl. Meyer-Ladewig, in: Mayer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Aufl. 2012, § 160 Rdnr. 6). Für das Vorliegen dieser Voraussetzung gibt es keine Anhaltspunkte, da eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, nicht aufgeworfen worden ist. Ein Verfahrensmangel liegt ebenfalls nicht vor und wurde von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt aber auch kein Fall von Divergenz vor. Das Sozialgericht weicht mit seiner Entscheidung nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab. Es zitiert die einschlägige Rechtsprechung und setzt sich mit ihr inhaltlich ausführlich auseinander. Insbesondere gibt das Sozialgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffend wieder, die deutlich macht, dass zwar grundsätzlich die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zu bejahen ist, jedoch dennoch Ausnahmefälle möglich sind.
Diese Tendenz wird in der jüngsten Entscheidung des Bundessozialgerichts zur einschlägigen Problematik vom 02.11.2012 – B 4 AS 97/11 R – aufrecht erhalten. Das Sozialgericht sieht die Voraussetzungen eines Ausnahmefalls vorliegend als gegeben an und weicht damit von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht ab. Ob die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall gegeben sind – aus Sicht des Senats bestehen keine Bedenken gegen die Bewertung des Sozialgerichts -, ist eine Frage der inhaltlichen Richtigkeit der getroffenen Entscheidung und kann damit nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde sein.
Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die Klägerin rein wirtschaftlich gesehen Anwaltskosten von mehreren 100,00 EUR riskierte, um zu erreichen, dass sie letztlich einen Betrag von 0,80 EUR nicht entrichten muss. Kein vernünftiger Bürger würde einen derartigen Prozess führen
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war aus den oben genannten Gründen abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 73 a SGG i. V. m. § 114 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG). Mit diesem Beschluss wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 5 SGG).
Erstellt am: 25.06.2013
Zuletzt verändert am: 25.06.2013