Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 07.01.2010 geändert. Die der Beschwerdegegnerin aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden auf 408,17 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der erstattungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren im Rahmen der durch das Sozialgericht (SG) Duisburg für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bewilligten Prozesskostenhilfe.
Mit Beschluss vom 29.12.2008 hat das SG den Antragstellern des Ausgangsverfahrens Prozesskostenhilfe für das einstweilige Anordnungsverfahren bewilligt und Rechtsanwältin H (Beschwerdegegnerin) aus F beigeordnet. Nach Beendigung des Verfahrens machte die Beschwerdegegnerin mit Kostenrechnung vom 30.01.2009 folgende Gebühren gegen die Staatskasse geltend:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG 250,00 Euro
Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG, 3 x 30 % 225,00 Euro
Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Zwischensumme 695,00 Euro
19% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 132,05 Euro
Summe 827,05 Euro
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.02.2009 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG die Gebühren und Auslagen wie folgt fest:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro
Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG, 3 x 30 % 153,00 Euro
Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Zwischensumme 543,00 Euro
19% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 103,17 Euro
Summe 646,17 Euro
Zur Begründung führte er aus, dass die geltend gemachte Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG nicht erstattungsfähig sei, weil die Prozessbevollmächtigte die Antragsteller bereits in dem vorausgegangenen Widerspruchsverfahren vertreten habe. Demnach sei lediglich die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr (170,00 Euro) in Betracht gekommen. Die Gebühr Nr. 1008 VV RVG sei anzupassen gewesen.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer am 24.09.2009 Erinnerung ein und trug zur Begründung vor, dass eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG nicht entstanden sei. Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass die Erinnerung verspätet eingelegt worden sei, weil sie innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe hätte eingelegt werden müssen. Jedenfalls sei das Recht des Bezirksrevisors (Beschwerdeführer) auf Einlegung der Erinnerung verwirkt. Die Festsetzung der Gebühren sei unter dem 05.02.2009, die Anweisung der festgesetzten Gebühren unter dem 11.02.2009 erfolgt. Nach mehr als sieben Monaten hätten die Antragsteller bzw. sie darauf vertrauen können, dass die Angelegenheit kostenmäßig abgeschlossen sei.
Nachdem der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle der Erinnerung des Beschwerdeführers nicht abgeholfen hatte, hat das SG mit Beschluss vom 07.01.2010 die Erinnerung der Staatskasse gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 05.02.2009 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die zulässige Erinnerung der Staatskasse nicht begründet sei. Das Verfahren sei durch ein angenommenes Anerkenntnis beendet worden. Eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG sei vorliegend zu erstatten, auch wenn für das einstweilige Verfahren die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht vorgeschrieben sei.
Gegen den unter dem 12.01.2010 an den Beschwerdeführer weitergeleiteten Beschluss vom 07.01.2010 hat dieser am 22.01.2010 Beschwerde mit der Begründung eingelegt, dass eine fiktive Terminsgebühr nach VV 3106 Nr. 3 im einstweiligen Verfahren nicht entstanden sei. Er ist der Auffassung, dass die Erinnerung nach § 56 RVG nicht fristgebunden sei und eine Verwirkung ebenfalls nicht vorläge.
Die Beschwerdegegnerin wiederholt ihr Vorbringen aus dem Erinnerungsverfahren. Sie hält die Ausführungen der ersten Instanz zur fiktiven Terminsgebühr für zutreffend.
II.
Das Landessozialgericht entscheidet über die Beschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung durch den Senat gemäß den §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG).
Das Rubrum war von Amts wegen zu korrigieren. Beschwerdeführer bzw. Beschwerdegegner sind in Verfahren, die die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter Prozesskostenhilfe betreffen, der Rechtsanwalt selbst sowie die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe begünstigte Partei ist nicht beteiligt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 41. Auflage 2011; § 56 RVG, Rn. 4; LSG NRW, Beschluss vom 24.11.2010, L 9 AS 878/10 B; LSG NRW, Beschluss vom 13.02.2009, L 12 B 159/08 AS; LSG NRW, Beschluss vom 15.07.2009, L 20 B 27/09 AS).
Die Beschwerde des Beschwerdeführers, der das SG nicht abgeholfen hat, ist gemäß § 56 Abs. 2 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes (Terminsgebühr zuzüglich der Umsatzsteuer) 200,00 Euro übersteigt. Die Umsatzsteuer ist beim Beschwerdegegenstand mitzurechnen (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Kommentar zum RVG, 19. Auflage 2010, § 56 RVG, Rn. 20). Die Beschwerde wurde fristgerecht eingelegt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG).
Sie ist auch begründet. Die von dem Beschwerdeführer eingelegte Erinnerung war weder verfristet noch verwirkt. Zu Unrecht hat das SG die Voraussetzungen einer "fiktiven" Terminsgebühr bejaht.
Die Erinnerung ist nicht fristgebunden (vgl. Hartmann, a.a.O., § 56 RVG, Rn. 6; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, Kommentar zum RVG, 19. Auflage 2010, § 56 RVG, Rn. 7; Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 01.11.2010, S 127 SF 407/10 E; Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 15.07.2009, 10 Ta 386/08; Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.1995, 10 WF 11/94). Dies folgt bereits daraus, dass § 56 Abs. 2 RVG für das Erinnerungsverfahren im Gegensatz zum Beschwerdeverfahren nicht auf § 33 Abs. 3 RVG verweist. Diese Vorschriften sind insofern lex specialis zu § 197 Abs. 2 SGG, der die Kostenfestsetzung allein im Verhältnis der Beteiligten zueinander betrifft, nicht aber das Verhältnis zwischen dem Prozessbevollmächtigten bzw. der Prozessbevollmächtigten und der Staatskasse über die Höhe der im Rahmen bewilligter Prozesskostenhilfe von der Staatskasse zu gewährenden Gebühren und Auslagen.
Eine Verwirkung liegt ebenfalls nicht vor. Dabei geht der Senat davon aus, dass auch ein Erinnerungsrecht verwirkt sein kann (vgl. zur Verwirkung Hartung/Römermann/Schons, Kommentar zum RVG, 2. Auflage 2006, § 56 Rn. 12 m.w.N.), um dem berechtigten Vertrauen auf den Bestand der Vergütungsfestsetzung und den auch kostenmäßigen Abschluss der Sache Rechnung zu tragen. Umstritten ist, ab welchem Zeitpunkt die Verwirkung des Erinnerungsrechts anzunehmen ist. Es wird überwiegend angenommen, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse in entsprechender Anwendung des § 20 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) mit Ablauf des auf die Kostenfestsetzung folgenden Kalenderjahres verwirkt ist, so wie dies diese Vorschrift für die Gerichtskosten vorsieht (Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 07.09.2010, 13 Ta 263/10; Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 01.11.2010, S 127 SF 407/10 E; Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 17.01.1995, 10 WF 11/94). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Der Gesetzgeber hat in § 20 Abs. 1 GKG einen vergleichbaren Fall geregelt. Danach dürfen Kosten nur nachgefordert werden, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen vor Ablauf des nächsten Kalenderjahres nach Absendung der den Rechtszug abschließenden Kostenrechung mitgeteilt worden ist.
Auf § 56 RVG übertragen bedeutet dies, dass das Erinnerungsrecht der Staatskasse dann als verwirkt gilt, wenn die Erinnerung nach Ablauf des auf den Festsetzungsbeschluss folgenden Kalenderjahres eingelegt worden ist. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht gegeben. Der Beschwerdeführer hat noch im laufenden Jahr der Kostenfestsetzung (ca. 7 Monate) die Erinnerung eingelegt.
Nicht entscheidungserheblich war, ob der Rechtsstreit durch einseitige Erledigungserklärung oder durch ein Anerkenntnis beendet worden ist. Auch bei Zugrundelegung eines Anerkenntnisses des Antragsgegners sind die Voraussetzungen für eine Terminsgebühr nicht gegeben. Diese ist nach Nr. 3106 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 zum RVG nicht angefallen. Grundsätzlich fällt eine Terminsgebühr an, wenn tatsächlich eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. In den folgenden Nummern des Nr. 3106 VV RVG sind die Ausnahmefälle geregelt, in denen auch ohne Termin eine sog. fiktive Terminsgebühr anfällt. Danach entsteht die Terminsgebühr in Verfahren vor den Sozialgerichten, in denen Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 RVG) auch, wenn 1. in einem Verfahren, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, 2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird oder 3. das Verfahren nach angenommenen Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Nr. 3 liegen nicht vor. Eine fiktive Terminsgebühr fällt in Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht an. Der Senat gibt seine abweichende Rechtsprechung (vgl. Senatsbeschluss vom 26.04.2007, L 7 B 36/07 AS) insoweit auf. Zwar lässt sich zur Überzeugung des Senats die Rechtsfolge nicht unmittelbar dem Wortlaut der Nr. 3 entnehmen. Dementsprechend wird zum Teil in Rechtsprechung und Literatur die Auffassung vertreten, dass auch ein Anerkenntnis in einem Eilverfahren eine fiktive Terminsgebühr begründet (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 14.07.2010, L 1 AS 57/10 B unter Aufgabe seiner abweichenden Rechtsprechung; Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 26.11.2008, L 6 B 130/08 SF, Rn. 25; LSG NRW, Beschluss vom 18.09.2008, L 5 B 43/08 KR; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, a.a.O., Nr. 3106 VV RVG Rn. 6). Der Wortlaut der Nr. 3 lässt jedoch durchaus auch die Auslegung zu, dass hier nur eine Regelung in Bezug auf solche Verfahren getroffen wurde, die regelmäßig aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden werden. Jedenfalls Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür, dass Verfahren, die eine mündliche Verhandlung nicht zwingend erfordern und im Regelfall durch Beschluss entschieden werden, einen Anspruch auf die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG nicht auslösen (LSG NRW, Beschluss vom 03.01.2011, L 6 AS 1399/10 B, Beschluss vom 22.12.2010, L 19 AS 1138/10 B; Beschluss vom 24.11.2010, L 9 AS 878/10 B; Beschluss vom 03.03.2010, L 12 B 141/09 AS; Beschluss vom 21.01.2010; Beschluss vom 20.10.2008, L 20 B 67/08 AS; Sächsisches LSG, Beschluss vom 7.2.2008, L 6 B 33/08 AS-KO, Rn. 48; VG Bremen, Beschluss vom 20.4.2009, S 4 E 518/09; SG Berlin, Beschluss vom 30.1.2009, S 165 SF 5/09 E; Curkovic in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Curkovic/Mathias/Uher, Kommentar zum RVG, 3. Aufl. 2009, Nr. 3106 VV RVG Rn. 7; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 5.12.2007, 4 KSt 1007/07 bezogen auf Nr. 3104 Abs. 1 VV RVG; BGH, Beschluss vom 25.9.2007, VI ZB 53/06). Nach Nr. 3 soll vermieden werden, dass der Rechtsanwalt von einer schriftlichen Annahmeerklärung absieht, damit ein Termin durchgeführt wird. Er soll bei einer schriftlichen Annahmeerklärung nicht um eine Terminsgebühr gebracht werden, die im Klageverfahren grundsätzlich anfällt. Anders als in Klageverfahren (§ 124 Abs. 1 SGG) ist in den Verfahren nach § 86b SGG eine mündliche Verhandlung jedoch nicht vorgeschrieben. Im Regelfall ergeht eine Entscheidung nach § 86b SGG durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 3 i. V. m. § 86b Abs. 4 SGG). Dies bedeutet, dass das Gericht nach Ermessen entscheidet, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt wird oder nicht (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 124 Rn. 5). Die Beteiligten können eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nicht verhindern, so dass keine Notwendigkeit besteht, eine (fiktive) Terminsgebühr zu gewähren, um prozessökonomisches Verhalten des Rechtsanwalts nicht zu benachteiligen (VG Bremen, Beschluss vom 20.4.2009, S 4 E 518/09). Diese Auslegung entspricht dem gesetzgeberischen Willen, der mit der Regelung bezweckte, Rechtsanwälte, die an sich erwarten können, im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit eine Terminsgebühr zu verdienen, nicht gebührenrechtlich schlechter zu stellen, wenn sie durch eine bestimmte Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichten (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209).
Es ergibt sich folgende Berechnung:
Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3103 VV RVG 170,00 Euro
Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG, 3 x 30 % 153,00 Euro
Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro
Zwischensumme 343,00 Euro
19% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 65,17 Euro
Summe 408,17 Euro
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).
Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG, § 177 SGG).
Erstellt am: 25.05.2011
Zuletzt verändert am: 25.05.2011