Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 30.10.1996 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25.03.1992 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.04.1994 verurteilt, dem Kläger nach dem am 04.11.1990 verstorbenen R … K … Halbwaisenrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge des Klägers trägt die Beklagte. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Waisenrente aus der Versicherung seines am 04. November 1990 verstorbenen Stiefvaters R … K … – Versicherter – zusteht.
Der am … 1980 geborene Kläger lebte zusammen mit seiner Mutter B … K … und seinem leiblichen Vater K … O … bis 1984 in einem Haushalt. Nachdem seine Mutter den Versicherten kennengelernt hatte, beendete sie ihre Beziehung zu K … O … und heiratete den Versicherten am 30. Mai 1985. Aus dieser Ehe ist das weitere Kind, M … K …, geboren am … 1989, hervorgegangen.
Der Kläger hielt den Kontakt zu seinem leiblichen Vater durch Besuche aufrecht. Ab 22. Juni 1987 befand sich der Kläger auf Kosten des Jugendamtes in Heimpflege, er sah seitdem seine Eltern nur noch an den schulfreien Tagen.
Am 15. Juli 1986 wurde Anzeige wegen des Verdachts eines sexuellen Mißbrauchs des Klägers erstattet (Ermittlungsverfahren 163 Js 1283/86 bei der Staatsanwaltschaft Köln). Anlaß waren das auffällige Verhalten des Klägers bzw. seine Äußerungen mit sexuellen Inhalten während der Zeit von Dezember 1985 bis Januar 1986, in der er in einem Sonderkindergarten betreut wurde. Die Eltern des Klägers wie auch der Versicherte wiesen alle gegen sie geäußerten Vorwürfe zurück. Die Mutter des Klägers sorgte dafür, daß die Besuche bei seinem leiblichen Vater eingestellt wurden. Daraufhin wurde das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Köln nicht weitergeführt. Am 10. Juli 1989 wurde erneut Strafanzeige wegen des Verdachts sexuellen Mißbrauchs bezüglich des Klägers erstattet (Ermittlungsverfahren 171 Js 1559/89 der Staatsanwaltschaft Köln). Zur Begründung ihrer Anzeige gab die Mutter des Klägers an, der Kindesvater habe das Kind mißbraucht. Vor der Polizei gab der Kläger am 10. Juli 1989 an, etwa 1986 sei es zu sexuellen Handlungen u.a. Afterverkehr zwischen ihm und seinem leiblichen Vater gekommen.
Der von der Staatsanwaltschaft mit der Kontaktaufnahme mit der betroffenen Familie, insbesondere mit dem geschädigten Kind, beauftragte "Verein Zartbitter" schaltete die Dipl.-Psych. G … R … ein. Diese schlug unter dem 18. Mai 1990 vor, die Strafverfolgung derzeit nicht weiter fortzusetzen, hielt jedoch zivilrechtliche Maßnahmen zum Schutze des Kindes für dringend geboten. Sie regte an, der Mutter des Klägers das Sorgerecht zu entziehen, bzw. einschränken zu lassen um sicherzugehen, daß der Kläger der Gefährdung in seiner Familie nicht mehr ausgesetzt sei.
Das Amtsgericht Köln entzog daraufhin mit Beschluss vom 21. Juni 1990 (Az.: 51 VIII M 119/80) der Kindesmutter im Wege der einstweiligen Anordnung die Personensorge und übertrug sie auf das Jugendamt der Stadt Köln als Pfleger. In der Begründung führte das Amtsgericht Köln aus, der Kläger zeige erhebliche Verhaltensstörungen vornehmlich im sexuellen Bereich, was möglicherweise auf sexuellem Mißbrauch des Kindes beruhe. Um diese Störungen untersuchen zu können, die auch auf einem zumindest unverschuldeten Versagen der Kindesmutter beruhten, sei die Entscheidung zu treffen gewesen. Die von der Kindesmutter erhobene Beschwerde wies das Landgericht Köln mit Beschluss vom 01. Oktober 1990 mit der Maßgabe zurück, daß die einstweilige Anordnung auf die Dauer von 6 Monaten, beginnend mit der Entscheidung der Kammer, befristet werde (Az.: 1 T 301/90).
Mit Beschluss vom 10. April 1991 entzog das Amtsgericht Köln der Mutter bis auf weiteres die Personensorge und übertrug sie auf das Jugendamt der Stadt Köln als Pfleger. Das Besuchsverbot wurde bis auf weiteres verlängert.
Auf Veranlassung des Amtsgerichts Köln erstattete die Dipl.-Psych. V … H … im Oktober 1991 ein Gutachten, in dem sie zu dem Ergebnis kam, sie glaube der Aussage des Klägers, von seinem leiblichen Vater, K … O …, sexuell mißbraucht worden zu sein. Die Frage, ob auch die leibliche Mutter und der verstorbene Stiefvater das Kind sexuell mißbraucht hätten, müsse deutlich verneint werden. Einer langfristigen Therapie außerhalb des Elternhauses bedürfe es nicht. Vielmehr solle der Kläger schnellstmöglich in sein Elternhaus zurückkehren, auch solle der Kontakt zwischen Mutter und Kläger unbedingt gefördert werden. Nachdem das Jugendamt der Stadt Köln Einwendungen gegen das Ergebnis des von Frau H … erstatteten Gutachtens erhoben hatte, holte das Amtsgericht ein weiteres Gutachten von dem Arzt für Psychiatrie Prof. Dr. M … ein, das unter dem 06. Dezember 1991 erstattet wurde. Er führte u.a. aus, das "Gutachten" der Dipl.-Psych. G … R … von 18. Mai 1990 sei kein Gutachten. Frau R … habe weder die Mutter noch den Vater des Klägers, auch nicht den Kläger und nicht dessen Stiefvater zu den bestehenden Vorwürfen exploriert. Sie habe vielmehr ausschließlich Vermutungen auf der Basis der polizeilichen Protokolle angestellt. Das Gutachten der Dipl.-Psych. H … beruhe demgegenüber auf genauen und umfangreichen Untersuchungen, die empirische Befunderhebung der Sachverständigen entspreche den Standards. Die Schlußfolgerungen, die sie daraus ziehe, seien überzeugend und glaubhaft. Die Kindesmutter sei durchaus in der Lage, den Kläger zu erziehen. Auf dieser Grundlage hob das Amtsgericht Köln mit Beschluss vom 11. Dezember 1991 seinen Beschluss vom 10. April 1991 auf.
Auf den Antrag der Mutter des Klägers vom 19. November 1990 bewilligte die Beklagte ihr eine Witwenrente und für das Kind M … eine Halbwaisenrente aus der Versicherung des verstorbenen R … K … Die Beklagte lehnte die Bewilligung einer Halbwaisenrente zugunsten des Klägers mit Bescheid vom 25. März 1992 mit der Begründung ab, der Kläger habe zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht in dessen Haushalt, sondern in einem Heim gelebt und sei auch nicht überwiegend von dem verstorbenen Versicherten unterhalten worden. Der Kläger sei daher zu dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt kein "in den Haushalt des Versicherten aufgenommenes Stief- oder Pflegekind".
Zur Begründung seines Widerspruches vom 10. April 1992 trug der Kläger vor, er sei steuerlich bei dem Versicherten als halbes Zählkind geführt worden. Das Jugendamt habe ihn unberechtigterweise aus dem Haushalt geholt und in einem Heim untergebracht. Diese rechtswidrige Unterbrechung seines Aufenthaltes im Haushalt des Versicherten müsse als unschädlich für die Gewährung der Waisenrente angesehen werden. Seine Mutter habe während des gesamten maßgeblichen Zeitraums ohne Unterbrechung darum gekämpft, daß er in den gemeinsamen Haushalt mit dem Versicherten zurückkehre. Die Beklagte hat die den Kläger betreffenden Akten beim Amtsgericht Köln, Az.: 51 VIII M 119/80 beigezogen und mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 1994 den Widerspruch zurückgewiesen.
Zur Begründung seiner am 02. Mai 1994 zum Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat sich der Kläger auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichts – BSG – vom 26. Juni 1969 – 4 RJ 137/68 – BSGE 29, 294 f. und BSG SozR RVO § 1267 Nr. 43 berufen. Er hat diesen Entscheidungen entnommen, daß eine Heimunterbrechung eines Kindes keine Unterbrechung der häuslichen Familiengemeinschaft bedeute.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. März 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1994 zu verurteilen, ihm auf den Antrag vom 19. November 1990 Halbwaisenrente aus der Versicherung des Versicherten R … K … zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 30. Oktober 1996 die Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 25. November 1996 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 23. Dezember 1996. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers ist zu dem Verhandlungstermin am 29. August 1997 geladen worden. Weder er noch der Kläger sind zu dem Termin erschienen oder vertreten gewesen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der weiteren Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Streitakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die Akten des Amtsgerichts Köln – 51 VIII M 119/80 -, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Ansicht ist der Kläger durch die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten im Sinne von § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG – beschwert, denn diese sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Halbwaisenrente nach dem Versicherten.
Gemäß der Übergangsvorschrift des § 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – SGB VI – sind noch die am 01. Januar 1992 aufgehobenen Vorschriften des 4. Buches der Reichsversicherungsordnung – RVO – anzuwenden, denn der Anspruch wurde bis zum 31. März 1992 geltend gemacht und der Leistungsbeginn liegt vor dem 01. Januar 1992.
Nach § 1267 Abs. 1 RVO erhalten Waisenrente nach dem Tode des Versicherten seine Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Nach Abs. 1 a der genannten Vorschrift gelten als Kinder auch die in den Haushalt des Verstorbenen aufgenommenen Stiefkinder. Die Waisenrente soll den Unterhaltsverlust des Kindes ausgleichen. Das Gesetz setzt voraus, daß vor dem Eintritt des Todes als Versicherungsfall der Versicherte dem Kind mit der Haushaltsaufnahme verbundene Dienste wie Versorgung, Betreuung, Beaufsichtigung und Erziehung zugewendet oder das Kind überwiegend unter halten hat. Durch den Tod des Versicherten fallen diese Leistungen fort. Insofern sind die Verhältnisse vor dem Tode des Versicherten mit denjenigen nach dessen Tod zu vergleichen. Die Einbuße an den genannten Zuwendungen ist der maßgebliche Umstand dafür, daß nunmehr anstelle des nicht mehr vom Versicherten zu erlangenden Unterhalts die Waisenrente tritt (vgl. BSG Urteil vom 13.03.1975 – Az.: 12 RJ 90/74 – in SozR 2200 § 1267 Nr. 10 m.w.N.).
Die genannten Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Halbwaisenrente sind erfüllt, denn der Kläger, der durch Heirat seiner Mutter, B … K …, mit dem Versicherten am 30. Mai 1985 dessen Stiefkind geworden war, ist unstreitig in den gemeinsamen Haushalt der Kindesmutter und des Versicherten aufgenommen worden.
Aus dem Haushalt des Versicherten und der Kindesmutter ist der Kläger auch nicht im Juni 1987 ausgeschieden, als er auf Kosten des Jugendamtes wegen der bei ihm bestehenden Sehbehinderung und Verhaltensauffälligkeiten im Landesheim und in der Schule für Blinde und Sehbehinderte in N … untergebracht wurde. Das durch die Aufnahme in den Haushalt der Mutter und des Stiefvaters begründete familienhafte Band wurde dadurch nicht aufgehoben, weil das primäre Erziehungs- und Fürsorgerecht der Mutter fortbestand (vgl. BSGE Bd. 19 Seite 106 f.).
Obwohl das Amtsgericht Köln der Kindesmutter mit Beschluss vom 21. Juni 1990 die Personensorge entzog und sie dem Jugendamt der Stadt Köln als Pfleger übertrug, wurde die Aufnahme des Klägers in den Haushalt des Versicherten i.S.d. § 1267 Abs. 1 a RVO nicht beendet. Die gegenteilige, vom Sozialgericht bestätigte, Auffassung der Beklagten vermag der Senat nicht zu teilen. Sie läßt außer Acht, daß die Entziehung des Personensorgerechtes einerseits nur vorläufigen Charakter hatte und sich andererseits später als unbegründet erwies. Während des genannten Zeitraums hatten darüber hinaus sowohl die Mutter als auch der Versicherte ebenso wie der Kläger stets den deutlich erkennbaren Willen, die im Ergebnis unrechtmäßig unterbrochene häusliche Familiengemeinschaft fortzusetzen.
Daß das Amtsgericht Köln in seinem Beschluss vom 28. Juni 1990 lediglich eine vorläufige Entscheidung treffen wollt, ergibt sich bereits aus dessen Tenor, nach dem der Kindesmutter im Wege der einstweiligen Anordnung die Personensorge entzogen wurde. Auch die Begründung des Beschlusses weist auf den vorläufigen Charakter der Entscheidung hin, denn sie wurde getroffen, um die bei dem Kind aufgetretenen Verhaltensstörungen vornehmlich im sexuellen Bereich untersuchen zu können. Der vorläufige Charakter dieser Maßnahme kommt auch in dem Beschluss des Landgerichts Köln vom 01. Oktober 1990 zum Ausdruck, in dem es die einstweilige Anordnung auf die Dauer von 6 Monaten befristete.
Das Amtsgericht Köln hat zwar mit Beschluss vom 10. April 1991 der Mutter bis auf weiteres die Personensorge entzogen. Auch diese Entscheidung war nicht endgültig, denn das Amtsgericht hat eine weitere Sachaufklärung für notwendig gehalten. Es hat die psychologischen und psychiatrischen Gutachten der Dipl.-Psych. V … H …, des Prof. Dr. M … und der Dipl.-Psych. E … eingeholt (Gutachten von Oktober 1991, 06. Dezember 1991 und 17. März 1992). Es hat damit deutlich gemacht, daß es die Frage, ob der Kläger sexuell mißbraucht worden sei, ob sich die leibliche Mutter und der Versicherte gegenüber dem Kind sexuell mißbräuchlich verhalten hätten, wie stark die eingetretenen Schädigungen des Kindes sei, es der Durchführung einer langfristigen Therapie außerhalb des Elternhauses bedürfe und ob die Mutter einbezogen werden sollte in eine eventuelle Therapie oder ob sie vorerst keinen Kontakt zu ihrem Sohn haben sollte, noch nicht endgültig für geklärt hielt.
Zudem war die vom Amtsgericht auf § 1666 BGB gestützte vormundschaftsgerichtliche Maßnahme nicht begründet. Ein sexueller Mißbrauch des Kindes durch die Eltern stellt eine fortdauernde Beeinträchtigung des Kindeswohls dar, die ein sofortiges Eingreifen erfordert. Diese vormundschaftliche Maßnahme kann auch im Wege der vorläufigen Anordnung ergehen. Dies setzt allerdings voraus, daß ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten besteht, welches ein Abwarten bis zur Beendigung der notwendigen Ermittlungen nicht gestattet, sondern auf der Basis vorläufiger Ermittlungsergebnisse eine sofortige Maßnahme zur Abwendung der dem Kind drohenden Gefahr erfordert. Der Senat verkennt dabei nicht, daß auch die Voraussetzungen für die Dringlichkeit einer vorläufigen Maßnahme nur in dem für die Glaubhaftmachung erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit (§ 294 ZPO) vorliegen müssen und daß deshalb eine erschöpfende Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich ist. Zu bedenken ist aber, daß Verdachtsgründe, die bei ihrem erstmaligen Bekanntwerden ein vormundschaftgerichtliches Eingreifen möglicherweise rechtfertigen können, im weiteren Verlauf des Verfahrens an Überzeugungskraft und Gewicht verlieren können, wenn sie durch weitere Ermittlungen nicht eine zusätzliche Bestätigung finden (vgl. Bayerisches Oberlandesgericht Beschluss vom 26. Februar 1992 – 1 ZBR 10/92 in NJW 1992, 1971).
Glaubhafte und gewichtige Anhaltspunkte, die auf einen sexuellen Mißbrauch des Klägers durch die Kindesmutter und/oder den Versicherten hindeuteten, waren jedoch im Juni 1990 nicht vorhanden. Während seines Kindergartenauf enthaltes im Dezember 1985 und Januar 1986 war der Kläger zwar durch Äußerungen und Handlungen mit sexuellen Inhalten auffällig geworden, die auf einen sexuellen Mißbrauch auch durch die Kindesmutter hindeuteten. Seine Angaben bei der Anhörung am 10.07.1989 belasteten allerdings demgegenüber nur den leiblichen Vater. Die Kindesmutter vermutete in ihrer Strafanzeige vom 10. Juli 1989 auf Grund von Äußerungen des Klägers einen sexuellen Mißbrauch, jedoch nicht durch den Versicherten, sondern wiederum nur durch den leiblichen Vater. Eine tragfähige Grundlage für die Entscheidung des Amtsgerichts boten Verhalten und Aussagen des damals 5-jährigen Klägers nicht, weil bei Aussagen von Kindern nur schwer abzugrenzen ist, wie weit sie einen realen Hintergrund haben oder der kindlichen Phantasie entspringen.
Die von dem Amtsgericht Köln eingeholte Äußerung der Dipl.-Psych. G … R … vom 18. Mai 1990 war nicht geeignet, die auch gegen die Kindesmutter und den Versicherten entstandenen Verdachtsmomente zu bekräftigen und einen sexuellen Mißbrauch des Klägers durch die Familienangehörigen glaubhaft zu machen. Ihre Äußerungen beruhten nicht auf den gebotenen eingehenden Ermittlungen, denn sie hat weder die Kindesmutter noch den Kindesvater, den Kläger und auch nicht den Versicherten zu den gegen sie erhobenen Anschuldigungen auch nur befragt. Auch die Schule ist von ihr nicht in ihre Untersuchungen einbezogen worden. Sie hat lediglich auf der Basis der polizeilichen Protokolle nicht haltbare Spekulationen angestellt. Diese Äußerung entspricht nicht wissenschaftlichen Erfordernissen, ist nicht schlüssig und überzeugt deshalb nicht.
Inhaltlich kommt sie zu falschen Ergebnissen, wie sich zur Überzeugung des Senats aus den weiteren von der Dipl.-Psych. V … H … im Oktober 1991, dem Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Prof. Dr. M … unter dem 06. Dezember 1991 und der Dipl.-Psych. Dr. U … E … vom 17. März 1992 erstatteten Gutachten ergibt. Der Kläger wurde danach nicht von seiner leiblichen Mutter und dem verstorbenen Stiefvater sexuell mißbraucht. Einer langfristigen Therapie außerhalb des Elternhauses bedurfte es deshalb nicht. Vielmehr wurde gefordert, daß das Kind so schnell wie möglich in sein Elternhaus zurückkehrte und der Kontakt zwischen Mutter und Sohn unbedingt gefördert wurde. Dies ergibt sich aus dem eingehend und schlüssig begründeten Gutachten der Dipl.-Psych. V … H … Das Gutachten beruht auf einer genauen und umfangreichen Untersuchung und Ermittlung der abgelaufenen Ereignisse. Die Sachverständige stützt ihre Schlußfolgerung auf Ausdrucks- und Verhaltensbeobachtungen und der Anamnese von Mutter und Kind. Die Schlußfolgerungen, die die Sachverständige aus den Befunden zieht, sind überzeugend und glaubhaft. Dies hat auch Prof. Dr. M … in seinem unter dem 06. Dezember 1991 erstatteten psychiatrischen Fachgutachten zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter überzeugend und schlüssig dargestellt.
Der Senat hat keinen Zweifel, daß die Kindesmutter und der Versicherte während der öffentlichen Erziehungsmaßnahmen deutlich erkennbar den Willen hatten und diesen auch durch ihr Verhalten geäußert haben, die unterbrochene häusliche Familiengemeinschaft sobald wie möglich fortzusetzen. Dieser Wille manifestierte sich in dem gegen die Entscheidungen des Amtsgerichts Köln von der Kindesmutter betriebenen Beschwerdeverfahren, mit dem sie die Aufhebung des Entzuges der Personensorge angestrebt hat. Auch die nicht zu billigende "Entführung" des Klägers aus dem Kinderheim und der Einsatz der Presse zeigen unmißverständlich, mit welchem Engagement und welcher Energie die Kindesmutter den Kläger in den Familienverband zurückführen wollte.
Nach alledem war der Berufung des Klägers stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Frage, ob die häusliche Familiengemeinschaft zwischen Stiefvater und Stiefkind durch die rechtswidrige Anordnung der Heimerziehung des Kindes unterbrochen wird, ist – soweit hier ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich entschieden worden. Der Senat hat deshalb wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 11.08.2003
Zuletzt verändert am: 11.08.2003