Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.03.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Kostenerstattung für digitale Hörgeräte in Anspruch.
Die am 00.00.1989 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko Krankheit versichert. Sie leidet an einer beidseitigen mittel- bis hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit und wurde bereits in der Vergangenheit mit Hörgeräten versorgt. Die Klägerin besuchte weiterführende Schulen und hat zwischenzeitlich die Hochschulreife erlangt.
Am 09.01.2007 verordnete die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Ärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. C der Klägerin Hörhilfen. Auf der Verordnung war vermerkt, dass die vorhandenen Geräte reperaturbedürftig und bereits sechs Jahre alt seien. Im Rahmen der Hörgeräte-Neuanpassung bei der Firma H Hörakustik C (im Folgenden: Leistungserbringer) testete die Klägerin Anfang des Jahres 2007 verschiedene Hörgeräte. Eine FF-Vergleichsmessung im 60 dB Störgeräusch mit Einsilbern führte nach den Angaben des Leistungserbringers im Anpasskommentar vom 14.03.2007 zu folgenden Ergebnissen:
Phonak Extra 311 dSZ: Hi-Mi-Nr.: 13.20.03.1345 – 60 %
Audio Service Astral P: Hi-Mi-Nr.: 13.20.03.1297 – 40 %
Siemens Phoenix 213: Hi-Mi-Nr.: 13.20.03.0100 – 30 %
Siemens Centra CT: Hi-Mi-Nr.: 13.20.03.4527 – 65 %.
Gemäß Rechnung vom 30.03.2007 erhielt die Klägerin am 25.01.2007 die Hörgeräte "Siemens Centra CT" ausgehändigt. Deren Gesamtkosten beliefen sich auf 5.569,82 EUR. Abzüglich eines Kassenanteils von 2.760,00 EUR berechnete ihr der Leistungserbringer einen Betrag von 2.809,82 EUR. In der Rechnung war ferner vermerkt, dass die Zahlung im Lastschriftverfahren "gemäß Ratenzahlungsvereinbarung" erfolge. Im Mai 2007 nahm die Klägerin die Ratenzahlungen auf.
Mit Schreiben vom 31.03.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die vollständige Kostenübernahme für die Hörgeräte "ohne Eigenbeteiligung" in Höhe von 2.809,82 EUR. Sie legte im Wesentlichen dar, dass sie das aufwendige Gerät benötige, um dem Schulunterricht im Gymnasium folgen zu können.
Die Beklagte wandte sich daraufhin an den Leistungserbringer und bat um die Angabe aufzahlungsfreier Hörgeräte. Nach Benennung der Geräte "Audio Service Astral P" und "Siemens Phoenix 213" (Schreiben vom 24.04.2007) gelangte der von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in einer Stellungnahme vom 09.05.2007 zu der Feststellung, dass mit dem Gerät "Siemens Centra CT" im Rahmen der vergleichenden Anpassung der beste Hörerfolg erzielt werde.
Im Rahmen weiterer Erörterungen teilte der Leistungserbringer der Beklagten u.a. mit, dass die Eltern der Klägerin entsprechend aufgeklärt worden seien und sich mit einem Eigenanteil einverstanden erklärt hätten (Telefonat vom 04.06.2007). Er unterrichtete die Beklagte ferner darüber, dass mit dem aufzahlungsfreien Hörgerät "Phonak Extra 311 dSZ" der gleiche Hörgewinn erzielt worden sei wie mit dem Hörgerät "Siemens Centra CT" (Schreiben vom 24.07.2007).
Die Beklagte lehnte daraufhin eine Beteiligung an den Mehrkosten der Hörgeräteversorgung ab. Zur Begründung führte sie aus: Der Leistungserbringer habe der Klägerin drei aufzahlungsfreie Hörgeräte angeboten. Das "Phonak Extra 311 dSZ" habe dabei den gleichen Hörgewinn vermittelt wie das von der Klägerin gewählte "Siemens Centra CT" (Bescheid vom 31.07.2007).
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, dass die aufzahlungsfreien Geräte im Schulalltag mit seinen vielfältigen Störgeräuschen versagten. Diesen wesentlichen Gesichtspunkt habe die Beklagte bei ihrer ablehnenden Entscheidung nicht berücksichtigt.
Die Beklagte wies den Widerspruch zurück und vertrat die Auffassung, dass die mit den Leistungserbringern vereinbarten (über den Festbetrag liegenden) Versorgungspauschalen in der vorliegenden Konstellation ihre Leistungspflicht begrenzten, da die Klägerin einen ausreichenden Ausgleich ihrer Hörminderung mit aufzahlungsfreien Hörgeräten hätte erreichen können (Widerspruchsbescheid vom 12.03.2008).
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass sie auf das streitgegenständliche Hörgerät aus medizinischen Gründen angewiesen sei. Mit dem "Siemens Centra CT" habe sie für den akustisch anspruchsvollen Gebrauch in der Schule die besten Ergebnisse und auch im Alltagsgebrauch einen deutlichen Sprachverständnisgewinn erzielt. Der schulische Anwendungsort unterscheide sich von einem Hörstudio vor allem dadurch, dass in der Schule extrem viele störende Nebengeräusche aufträten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 31.07.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.12.2008 (richtig: 12.03.2008) zu verurteilen, 2.809,82 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 30.04.2007 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides gestützt.
In einem vom Sozialgericht (SG) eingeholten Befundbericht hat Frau Dr. C ausgeführt: Die Klägerin leide an einer beidseitigen mittel- bis hochgradigen Schallempfindungsschwerhörigkeit. Bei der letzten Überprüfung der Hörgeräte habe sie in der Freifeldaudiometrie bei 65 dB ein Verständnis für Wörter von 50 % und für Zahlwörter von 100 % erzielt. Nach der subjektiven Einschätzung der Klägerin erziele sie mit den streitgegenständlichen Hörgeräten die besten Ergebnisse.
Unter dem 28.07.2008 hat der Leistungserbringer auf Anfrage des SG mitgeteilt, dass die Klägerin mit dem Hörgerät "Siemens Centra CT" im Störgeräusch eine Diskrimination von 65 % und mit dem Hörgerät "Phonak Extra 311 dSZ" eine Diskrimination von 70 % erzielt habe. In der Freifeldmessung sei mit beiden Hörgeräten eine Diskrimination von 80 % erreicht worden. Die Hörgeräteanpassung sei unter Berücksichtigung aller wesentlichen Mess- und Anpassdaten sowie des individuellen Hörempfindens erfolgt.
Durch Urteil vom 19.03.2009 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt: Ob die Klägerin den sog. "Beschaffungsweg" gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) eingehalten habe, könne offen bleiben, da sie gegen die Beklagte keinen Sachleistungsanspruch auf Gewährung der streitigen Hörgeräte gehabt habe. Denn es sei nicht davon auszugehen, dass das "Siemens Centra CT" einen weitergehenden Behinderungsausgleich ermögliche. Die audiometrischen Daten der Hörgeräteanpassung sprächen dafür, dass mit dem "Festbetragsgerät" die vorliegende Behinderung mindestens ebenso gut ausgeglichen werde, wie mit den streitigen Hörgeräten. Die gegenteilige subjektive Einschätzung der Klägerin werde nicht durch die festgestellten Messergebnisse bestätigt.
Gegen das ihr am 17.04.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.05.2009 Berufung eingelegt.
Sie macht geltend: Es sei ihr nicht zumutbar gewesen, die ablehnende Entscheidung der Beklagten – die nach Antragstellung einen Zeitraum von vier Monaten in Anspruch genommen habe – vor einer Selbstbeschaffung abzuwarten. Ein Sachleistungsanspruch auf Gewährung des "Siemens Centra CT" habe bereits deshalb bestanden, weil das aufzahlungsfreie Hörgerät "Phonak Extra 311 dSZ" in der täglichen Anwendung nicht so funktioniert habe, wie es aufgrund der Testergebnisse zu erwarten gewesen wäre.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 19.03.2009 zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 2.809,82 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 30.04.2007.
Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass das Hörgerät "Siemens Centra CT" angesichts der Einschätzung des MDK sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in der Hörgeräteversorgung auch (nicht immer vollständig objektivierbare) subjektive Gesichtspunkte eine nicht unerhebliche Rolle spielen können (vgl. hierzu BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28, juris Rdn. 41), zum unmittelbaren Behinderungsausgleich der Klägerin i.S.d. § 33 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 SGB V erforderlich wäre, bestünde der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht. Denn die Voraussetzungen des allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V sind nicht erfüllt. Konnte danach die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alt. 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alt. 2) und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Bei der hier streitigen Hörgeräteversorgung hat es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung i.S.d. § 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB V gehandelt. Eine Leistung ist unaufschiebbar, wenn sie im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich war, dass aus medizinischer Sicht keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs mehr bestand. In Betracht kommen dringliche Bedarfslagen, wie z.B. Systemversagen oder Versorgungslücken (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22, juris Rdn. 16; Brandts in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 13 SGB V, Rdn. 75 ff.; Helbig in: jurisPK-SGB V, § 13, Rdn. 46). Indessen ist die medizinische Dringlichkeit nicht allein ausschlaggebend, um einen dringenden Versorgungsbedarf annehmen zu können. Im Hinblick auf das Merkmal "Unaufschiebbarkeit" wird für den Anspruch vorausgesetzt, dass die Krankenkasse die im Streit stehenden Leistungen nicht rechtzeitig erbringen konnte. Davon kann im Regelfall jedoch nur dann ausgegangen werden, wenn sie mit dem Leistungsbegehren konfrontiert war und sich dabei ihr Unvermögen herausgestellt hat (vgl. nur BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22, juris Rdn. 16).
Die Klägerin hätte der Beklagten hier – ggf. in Zusammenwirken mit dem Leistungserbringer – vor der Selbstbeschaffung die Prüfung ermöglichen müssen, ob die Gewährung aufzahlungsfreier Hörhilfen mit dem gleichen Leistungsprofil wie den Siemens Centra CT Hörgeräten in Betracht kommt. Hätte eine solche Prüfung zu einem negativen Ergebnis geführt, hätte die Beklagte in eine Prüfung dahingehend eintreten können (und müssen), ob die Gewährung der die Versorgungspauschale überschreitenden Siemens Centra CT oder auch anderer Hörhilfen, die den Anspruch der Klägerin auf optimalen Behinderungsausgleich im Rahmen des hier einschlägigen unmittelbaren Behinderungsausgleichs erfüllen, in Betracht kommt. Dabei hätte die Klägerin die Beklagte darauf hinweisen können, dass die bisher vorhandenen Hörhilfen defekt seien und deshalb eine beschleunigte Bearbeitung ihres Begehrens erforderlich sei. Dies ist jedoch nicht geschehen.
Der Klägerin sind auch nicht durch die rechtswidrige Ablehnung der Beklagten für die selbst beschafften Hörgeräte Kosten entstanden (§ 13 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB V). Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender – primärer – Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. z.B. BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28, juris Rdn. 10 m.w.N.). Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28, juris Rdn. 10 m.w.N.).
"Selbst beschafft" ist eine Leistung im Rahmen der Hilfsmittelversorgung allerdings nicht bereits mit deren Auswahl. Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren notwendig vorgeschaltet und scheidet deshalb mit Ausnahme von Fällen der Vorfestlegung als Anknüpfungspunkt für den Zeitpunkt der Hilfsmittelbeschaffung aus. Anspruchshindernd ist vielmehr ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft im Verhältnis zwischen Versichertem und Leistungserbringer (vgl. BSG SozR 4-2500 § 13 Nr. 10 Rdn. 22). Unschädlich sind danach Auswahlentscheidungen, die den Versicherten nicht endgültig binden und die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgeräteversorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Hörgeräteüberlassung. Anders liegen die Dinge erst dann, wenn der Versicherte bereits vor der Entscheidung der Krankenkasse eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingeht und der Leistungserbringer demgemäß auch im Falle der Ablehnung des Leistungsbegehrens durch die Krankenkasse die Abnahme und Bezahlung des Hilfsmittels verlangen kann (BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr. 2 = SozR 4-2500 § 33 Nr. 28, juris Rdn. 11 m.w.N.).
Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen hat sich die Klägerin zwar die streitigen Hörgeräte nicht schon mit deren Aushändigung am 25.01.2007 beschafft, weil die probeweise Überlassung von Hörhilfen notwendig in den Anpassungsvorgang einbezogen werden muss. Allerdings war die Klägerin bereits im Zeitpunkt der Antragstellung eine endgültige rechtliche Verpflichtung eingegangen, aufgrund derer der Leistungserbringer die Abnahme der Hörgeräte und die Begleichung der die Versorgungspauschale überschreitenden Mehrkosten verlangen konnte. In der an die Klägerin gerichteten Rechnung vom 30.03.2007 wird auf eine Ratenzahlungsvereinbarung Bezug genommen. Der Umstand, dass eine Rechnung erteilt worden ist, die auf eine Ratenzahlungsvereinbarung verweist, lässt nur die Schlussfolgerung zu, dass im Zeitpunkt der Antragstellung bei der Beklagten zwischen der Klägerin und dem Leistungserbringer bereits ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft über den Erwerb der streitigen Hörhilfen zustande gekommen war. Dieser Vertrag wurde auch von beiden Seiten tatsächlich vollzogen, nachdem die Klägerin die Ratenzahlung im Mai 2007 aufgenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Erstellt am: 14.09.2011
Zuletzt verändert am: 14.09.2011