Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, welchen Grad der Behinderung (GdB) die Beklagte zugunsten der Klägerin festzustellen hat.
Die 1951 geborene Klägerin stellte am 22.06.2010 bei der Beklagten einen Erstantrag nach dem Schwerbehindertenrecht zur Feststellung einer Behinderung und machte dazu u.a. geltend, sie habe zwischen 1994 und 2010 vier Bandscheibenprolapse erlitten.
Die Beklagte holte Befundberichte von den die Klägerin behandelnden Ärzten ein. Unter Berücksichtigung dieser medizinischen Unterlagen erstellte Dr. I vom Ärztlichen Dienst der Beklagten eine gutachterliche Stellungnahme, in der es heißt, als gesundheitliche Beeinträchtigungen lägen bei der Klägerin Funktionseinbußen der Wirbelsäule (leichte bis beginnend mittelschwere Syndrome, Verschleiß) sowie Hörminderung und Ohrgeräusche (geringer Hörverlust, Tinnitus) vor, für die ein Einzel-GdB von jeweils 20 und 10 anzusetzen sei. Eine Leukoplakie bleibe unberücksichtigt, weil sie keinen GdB von mindestens 10 erreiche. Der Gesamt-GdB betrage 20.
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 20.09.2010 einen GdB von 20 fest. Im dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, nach mehreren Bandscheibenvorfällen habe sie seit Mai 2010 wieder Schmerzen im Rücken. Sie sei seit 6 Monaten arbeitsunfähig erkrankt und durchlaufe zurzeit eine Rehabilitationsmaßnahme. Ihrer Auffassung nach liege damit in ihrem langjährig ausgeübten Beruf als Krankenschwester eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit von mehr als 50 % vor. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte u.a. ein Gutachten des MDK vom 29.11.2010 bei, in dem es heißt, die Klägerin sei für eine Tätigkeit als Stationskrankenschwester auf Dauer arbeitsunfähig. Eine Beiziehung des Rehabilitationsentlassungsberichts lehnte die Klägerin mit der Begründung ab, darin würden nicht ihre tatsächlichen Beschwerden beschrieben, sondern nur Angaben im Sinne des Rentenversicherungsträgers gemacht. Der Ärztliche Dienst der Beklagten beurteilte den Gesamt-GdB sodann in einer gutachterlichen Stellungnahme ab Antragstellung mit 30, wobei die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule nun mit 30 eingestuft wurden und als weitere Erkrankung Beinabflussstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 erstmals berücksichtigt wurde.
Daraufhin stellte die Beklagte mit Bescheid vom 25.03.2011 einen Gesamt-GdB von 30 fest. Der Widerspruch wurde im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2011 (von der Bezirksregierung Münster) zurückgewiesen.
Mit der dagegen gerichteten Klage vom 28.05.2011 hat die Klägerin geltend gemacht, nach einer 42-jährigen Tätigkeit als Krankenschwester sei sie nun schon seit 14 Monaten krankgeschrieben wegen eines erneuten schweren Bandscheibenvorfalls. Ihr stehe ein GdB von 50 zu, der es ihr auch erlauben würde, mit 60 Jahren in Rente zu gehen, ohne auf "Hartz IV" angewiesen zu sein.
Das Sozialgericht hat Befundberichte eingeholt von der Orthopädin Dr. Q, vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Q1, vom Oberarzt der Klinik für Psychologie und Psychotherapie am Klinikum B Dr. Q2 sowie von der Ärztin für Anästhesiologie – Schmerztherapie Dr. W und sodann den Facharzt für innere Medizin/Rheumatologie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie L zum Sachverständigen ernannt. In seinem Gutachten vom 28.11.2011 hat er ausgeführt, die Klägerin leide im Wesentlichen an einem statisch degenerativen Wirbelsäulensyndrom mit allenfalls mittelgradigen Auswirkungen, die einen GdB von 30 soeben erreichten. Tinnitus und geringgradige Hörminderung ohne nennenswerte Beeinträchtigung führe zu einem GdB von 10. Gleiches gelte auch für ihre Erkrankung an einer venösen Abflussstörung. Zudem leide die Klägerin an einer somatoformen Schmerzstörung bei histrionischer und narzistischer Persönlichkeitsstruktur. Dabei handele es sich um eine stärker behindernde seelische Funktionsstörung mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, für die ein GdB von 30 anzusetzen sei. Der Gesamt-GdB betrage 40 seit Antragstellung. Die seelische Störung verstärke im Sinne einer somatoformen Schmerzverarbeitungsstörung die körperlichen Leiden.
Der von der Beklagten sodann angebotene Vergleich (Feststellung eines GdB von 40 seit Antragstellung) wurde von der Klägerin, die das Gutachten für unzutreffend hält, abgelehnt. Sie hat eine Bescheinigung von Dr. Q vom 20.12.2011 vorgelegt, die sich zu ihrem beruflichen Leistungsvermögen verhält.
Mit Urteil vom 21.03.2012 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide zur Feststellung eines Gesamt-GdB von 40 seit 22.06.2010 verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Es ist der Beurteilung durch den Sachverständigen L gefolgt und hat im Wesentlichen ausgeführt, bei der Klägerin liege nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen ein Gesamt-GdB von 40 vor. Auszugehen sei dabei vom Einzel-GdB von 30 für den Bereich des Funktionssystems "Gehirn einschließlich Psyche" als höchstem Einzel-GdB. Der Einzel-GdB für die Beeinträchtigung im Bereich des Funktionssystems "Rumpf" von 30 erhöhe den Gesamt-GdB um 10 auf 40. Eine weitere Erhöhung komme nicht in Betracht, da es sich bei den beiden Einzel-GdB von 30 um schwache bis mittlere Dreißiger handele. Auch das Hinzutreten der weiteren Beeinträchtigungen in den Funktionssystemen "Ohren" und "Herz-Kreislauf" mit einem Einzel-GdB von jeweils 10 führe zu keiner weiteren Erhöhung des Gesamt-GdB.
Die Beklagte hat das Urteil mit Bescheid vom 02.04.2012 ausgeführt.
Gegen das ihr am 30.03.2012 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 20.04.2012 eingelegten Berufung. Zu deren Begründung trägt sie vor, allein aufgrund ihrer Rückenerkrankungen stünde ihr nach Einschätzung ihres behandelnden Orthopäden ein GdB von 40 zu. Sie beantrage die Untersuchung durch einen unabhängigen Gutachter, denn sie habe bisher im Verfahren feststellen müssen, dass die Gutachter im Interesse ihrer Auftraggeber und nicht im Interesse des Patienten urteilten.
Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 21.03.2012 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 20.09.2010 und 25.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.05.2011 und des weiteren Bescheides vom 02.04.2012 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von mindestens 50 ab dem 22.06.2010 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden. Es hat den Sachverhalt tatsächlich und rechtlich zutreffend beurteilt, so dass das Berufungsgericht gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden erstinstanzlichen Urteilsgründe Bezug nimmt.
Die gegen das Urteil des Sozialgerichts vorgebrachten Einwendungen der Klägerin überzeugen nicht. Entgegen ihrer Auffassung ist das im Verfahren eingeholte Gutachten vom Arzt L von einem vom Gericht beauftragten und damit unabhängigen Sachverständigen erstellt worden. Im Übrigen ist die Klägerin darauf hinzuweisen, dass auch die Ärzte des MDK bei ihren Begutachtungen nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen sind, was in § 275 Abs. 5 Sozialgesetzbuch 5. Buch ausdrücklich geregelt ist. Eine Voreingenommenheit der hier gehörten Gutachter ist auch nicht erkennbar.
Die Klägerin verkennt weiterhin, dass es für das hier geführte Verfahren nicht darauf ankommt, ob sie ihre letzte Tätigkeit als Krankenschwester noch ausüben kann. Defizite in diesem Bereich wären gegebenenfalls durch Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente, nicht aber im Schwerbehindertenrecht, in dem (siehe § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 9. Buch – SGB IX -) auf eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abgestellt wird, auszugleichen. Ihre berufliche Leistungsfähigkeit lässt dementsprechend allenfalls mittelbare Rückschlüsse auf den bei ihr vorliegenden GdB zu. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass Krankenschwestern gerichtsbekannt oftmals schwere Lasten – die Kranken – in Zwangshaltungen anheben müssen und deshalb den Beruf einer Stationskrankenschwester mit Rückenbeschwerden nicht mehr ausüben können. Die Auswirkungen dieser spezifischen beruflichen Belastungen können aber nicht uneingeschränkt auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft übertragen werden, das gewöhnlich auch ohne Tragen größerer Gewichte gemeistert werden kann.
Das im Gerichtsverfahren eingeholte Gutachten ist entgegen der Auffassung der Klägerin überzeugend. Es liegen bei ihr zwar nach den Feststellungen des Arztes L durchaus erhebliche Erkrankungen der Psyche und der Wirbelsäule vor, daraus resultieren aber allenfalls mittelgradige Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft.
Das Ergebnis der Begutachtung wird durch die weiteren in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen bestätigt. Die Klägerin hat zwar nicht ihr Einverständnis zur Beiziehung des Reha-Entlassungsberichts gegeben, dessen Ergebnis wird aber im MDK-Gutachten wiedergegeben. Danach konnte die Klägerin noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten für mehr als 6 Stunden ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg sowie Zwangshaltungen und einseitige Belastungen verrichten. Dieser Leistungsbeurteilung hat sich auch der MDK-Gutachter angeschlossen. Hinweise auf eine Verschlimmerung seither liegen nicht vor, denn noch in der von der Klägerin eingereichten ärztlichen Bescheinigung ihrer Orthopäden vom 20.12.2011 wird ebenfalls ausgeführt, dass sie aus sozialmedizinischer Sicht noch leichte Tätigkeiten verbunden mit Tragen von Lasten bis zu 10 kg in wechselnder Körperhaltung oder überwiegend im Sitzen verrichten könne. Ihre psychische Belastbarkeit sei lediglich hinsichtlich monotoner Ausdauerarbeiten und Arbeiten mit erhöhter Anforderung an die Daueraufmerksamkeit oder Konzentration beeinträchtigt. Die Klägerin wird in dieser Bescheinigung zwar nur noch für untervollschichtig (3 bis 6 Stunden täglich) für belastbar gehalten, eine nachvollziehbare Begründung dafür ist aber nicht ersichtlich. Insgesamt zeigt ihr Restleistungsvermögen, dass die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft mit einem Gesamt-GdB von 40 zutreffend berücksichtigt wurde.
Die Auffassung der Klägerin, schon ihre Rückenerkrankung rechtfertige einen GdB von 40, ist ebenfalls nicht zutreffend. Ihre Beschwerden erreichen allenfalls ein mittelgradiges Ausmaß. Dies wird auch durch den Arztbrief vom 19.11.2010 vom Universitätsklinikum Aachen belegt, in dem es beispielsweise heißt, eine Rehabilitationsmaßnahme vor 3 Wochen habe eine deutliche Stabilisierung und Besserung der Situation erbracht. Der behandelnde Orthopäde – auf den sich die Klägerin insoweit zu Unrecht beruft – hatte im Befundbericht vom 12.07.2011 zwar einen GdB von 40 für das orthopädisch-schmerztherapeutische Gebiet für richtig gehalten, damit aber eben nicht nur die orthopädische, sondern auch die Schmerzerkrankung beurteilt und war damit in der Sache zum gleichen Ergebnis wie der Gerichtsgutachter gelangt. Im Übrigen ist zu beachten, dass die Funktionseinbußen bei Wirbelsäulenschäden nicht mathematisch genau zu bestimmen sind und es im Wesentlichen auf die bei der klinischen Untersuchung durch den Sachverständigen gewonnenen Erkenntnisse über die gesamte funktionelle Einschränkung der Wirbelsäule ankommt. Es ist deshalb sinnvoll und sachgerecht, dem Sachverständigen lediglich einen Bewertungsrahmen vorzugeben (siehe dazu auch Seite 295 des Kommentars zu den versorgungsmedizinischen Grundsätzen von Wendler und Schillings). Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausschöpfung dieses Bewertungsrahmens durch den Gerichtsgutachter sind nicht vorhanden.
Vom Sozialgericht ist auch zutreffend dargelegt worden, dass der Widerspruchsbescheid nicht wegen fehlender Zuständigkeit der Bezirksregierung Münster aufzuheben ist (vgl. eingehend zur Problematik auch LSG NRW L 10 SB 39/09).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Erstellt am: 10.01.2013
Zuletzt verändert am: 10.01.2013