Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 16.11.2005 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ab Antragstellung bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt D T, Am S, M, zu seiner Vertretung beigeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.
Gründe:
I.
Der Antragsteller besitzt die iranische Staatsangehörigkeit. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt; ein Asylfolgeantrag wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 28.06.2005 abgelehnt. Aufgrund einer amtsärztlich bescheinigten Reiseunfähigkeit übersandte der Landrat des Kreises P dem Antragsteller mit Schreiben vom 09.08.2005 ein Antragsformular für eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Auf seinen Antrag wurde ihm ein entsprechender Aufenthaltstitel erteilt.
Der Antragsteller war mit Zuweisungsbescheid der Bezirksregierung vom 07.01.1999 am 14.01.1999 der Beigeladenen zugewiesen worden. Die Beigeladene erbrachte in der Folgezeit Leistungen an den Antragsteller. Dabei wohnte der Antragsteller zuletzt vor dem 30.09.2005 im Bereich der Beigeladenen unter der Adresse X 00. Träger und Vermieter des dortigen Mietobjekts war ein örtlicher Flüchtlingshilfeverein; ein Vereinsmitglied hatte sein Haus wegen eines längeren Auslandsaufenthaltes dem Verein zur Weitervermietung an bedürftige Flüchtlinge überlassen, welche aus familiären oder krankheitsbedingten Gründen nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden konnten. Wegen Rückkehr des Wohnungseigentümers räumte der Antragsteller zum 30.09.2005 die Wohnung X 00.
Eine dem Antragsteller von der Beigeladenen zur Verfügung gestellte Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft lehnte der Antragsteller mit Hinweis auf eine psychische Erkrankung ab. Er legte ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K vom 11.10.2005 vor, wonach er bei emotional instabiler Persönlichkeit zu teilweise depressiven Reaktionen neige mit sehr häufig paranoider Verarbeitung der Situation bei einem insgesamt zu vermutenden Borderline-Syndrom. Aufgrund dieser Erkrankung seien Schwierigkeiten zu erwarten; der Antragsteller könne nicht in einer Unterkunft mit mehreren Leuten in engerem Kontakt untergebracht werden. Solches lasse eine Eskalation befürchten, wobei der Antragsteller gefährdet werden oder selbst aggressiv reagieren könnte. Nervenärztlich empfehle sich eine Einzelunterkunft, nicht jedoch eine Heimunterkunft.
Der Antragsteller nahm ab dem 30.09.2005 im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin bei seinem Bekannten, Herrn L T1, Wohnung. Herr T1 ist alleinerziehender Vater einer zweieinhalbjährigen Tochter; die von ihm und seiner Tochter sowie nunmehr vom Antragsteller bewohnte Wohnung ist 60 Quadratmeter groß.
Die vom Antragsteller zu Leistungen aufgeforderte Antragsgegnerin lehnt Leistungen ab. Sie ist der Ansicht, sie sei dafür örtlich nicht zuständig, weil weiterhin eine örtliche Zuständigkeit der vom Senat beigeladenen Gemeinde L1 gegeben sei. Die örtliche Zuständigkeit der Beigeladenen ergebe sich aus der seinerzeitigen Zuweisung des Antragstellers an die Beigeladene. Diese Zuweisungsentscheidung sei weder zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben worden. Es sei auch kein Fall ihrer Erledigung auf andere Weise eingetreten. Eine solche Erledigung auf andere Weise trete nur ein, wenn der Leistungsberechtigte ausreise, sein tatsächlicher Aufenthalt durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen beendet werde oder bei Änderung seines Aufenthaltsstatus, und zwar im Sinne eines die Anwendbarkeit des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) ausschließenden Status, etwa im Falle der Erteilung einer von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG nicht erfassten Aufenthaltsbefugnis. Die dem Antragsteller erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG werde jedoch von § 1 Abs. 1 Nr. 3 AsylbLG ausdrücklich erwähnt. Aufgrund der nach wie vor wirksamen Zuweisungsentscheidung bestehe eine Zuständigkeit der Beigeladenen nach § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG.
Mit Beschluss vom 16.11.2005 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Ob die Antragsgegnerin örtlich zuständig sei, könne dahinstehen, wobei allerdings die besseren Argumente für deren örtliche Zuständigkeit sprächen, weil die Zuweisungsentscheidung aufgrund des rechtskräftigen Abschlusses des Asylverfahrens gegenstandslos geworden sei. Der Antragsteller habe jedoch nichts zu seiner Bedürftigkeit vorgetragen; dies sei jedoch notwendig, weil sich in persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen jederzeit Änderungen ergeben könnten. Zum anderen bestehe kein Anordnungsgrund. Denn auf dem Gebiet der Beigeladenen bestehe auch die Unterbringungsmöglichkeit in einem Einzelzimmer. Die Beigeladene sei auch grundsätzlich zu Leistungen nach dem AsylbLG bereit. Aus der vorgelegten Bescheinigung des Dr. K ergäben sich keine hinreichende Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit der bei der Beigeladenen möglichen Unterkunft.
Gegen den am 21.11.2005 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am gleichen Tag Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 22.11.2005 nicht abgeholfen hat.
Der Antragsteller weist darauf hin, dass er weiterhin von der Beigeladenen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalte und nach wie vor ohne Einkommen und Vermögen sei. Seine Bedürftigkeit habe auch außer Streit gestanden. Bei einer Unterkunftnahme auf dem Gebiet der Beigeladenen würde er sich – unabhängig von seinen medizinischen Argumenten – in Widerspruch zu seiner Forderung gegenüber der Antragsgegnerin setzen. Denn bei einer Aufenthaltsnahme auf dem Gebiet der Beigeladenen würde die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin enden. Ein Hauptsacheverfahren wäre dann nicht mehr möglich. Die Beigeladene erbringe nach wie vor Leistungen nur, um den Zuständigkeitsstreit nicht auf seinem Rücken auszutragen.
Die Antragsgegnerin verweist im Beschwerdeverfahren auf ihren bisherigen Vortrag. Die Beigeladene trägt vor, der Antragsteller sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG mit Freizügigkeit im Lande Nordrhein-Westfalen. Sie gewähre dem Antragsteller Leistungen wegen bestehender Bedürftigkeit, seit dem 01.10.2005 jedoch ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Nach Abschluss des Asylverfahrens und Erteilung eines entsprechenden Aufenthaltstitels sei die Zuweisungsverfügung der Bezirksregierung hinfällig. Der ursprüngliche Verwaltungsakt habe sich erledigt. Die örtliche Zuständigkeit liege nunmehr nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG bei der Antragsgegnerin. Allein weil sich diese als örtlich zuständige Kommune weigere, den dringend notwendigen Lebensunterhalt des Antragstellers sicher zu stellen, gewähre die Beigeladene als ursprüngliche Zuweisungsgemeinde einstweilen weitere Leistungen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten (Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und der Beigeladenen) Bezug genommen.
II.
Die Beschwerden des Antragstellers sind zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat es zu Unrecht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erbringen.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei müssen sowohl die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruches als auch der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung glaubhaft gemacht sein (Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund).
Dass der Antragsteller auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesen ist, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig; dementsprechend gewährt ihm derzeit die Beigeladene, allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht im Hinblick auf ihre örtliche Zuständigkeit, entsprechende Leistungen.
Die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für solche Leistungen folgt aus § 10 a Abs. 1 Satz 2 AsylbLG. Danach ist außerhalb der in § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG geregelten Fälle im Übrigen die Behörde zuständig, in deren Bereich sich der Leistungsberechtigte tatsächlich aufhält. Der Antragsteller hält sich im Bereich der Antragsgegnerin auf. Entgegen ihrer Ansicht besteht auch keine vorrangige Leistungsverpflichtung der Beigeladenen nach § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG. Danach ist für Leistungen nach dem AsylbLG örtliche zuständig die nach § 10 bestimmte Behörde, in deren Bereich der Leistungsberechtigte aufgrund der Entscheidung der vom Bundesministerium des Innern bestimmten zentrale Verteilungsstelle verteilt oder von der im Land zuständigen Behörde zugewiesen worden ist. Zwar hat ursprünglich eine Zuweisungsentscheidung im Sinne dieser Vorschrift durch die Bezirksregierung vorgelegen, welche den Antragsteller dem örtlichen Bereich der Beigeladenen zugewiesen hat. Diese Zuweisungsentscheidung hat sich jedoch mit dem rechtskräftigen Abschluss des ursprünglichen Asylverfahrens, spätestens jedoch mit dem bestandskräftigen Abschluss des Asylfolgeverfahrens des Antragstellers, nach § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW (VwVfG) "auf andere Weise erledigt". Denn dem Antragsteller ist ein Aufenthaltstitel im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erteilt worden. Nach dieser Norm kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Diese Aufenthaltserlaubnis entspricht damit im Kern einer Duldung im Sinne des § 55 Abs. 2 des früheren Ausländergesetzes. Durch eine solche Aufenthaltserlaubnis (bzw. zuvor durch eine solche Duldung) wird die asylverfahrensrechtliche Zuweisungsentscheidung gegenstandslos, so dass § 10 a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht mehr die örtliche Zuständigkeit bestimmen kann (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 10 a AsylbLG Rz. 5 m.w.N.). Denn mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis wird dem Ausländer ein Aufenthalt ermöglicht, der nicht mehr mit seinem Asylverfahren in Zusammenhang steht. Der Ausländer hält sich vielmehr nach Beendigung seines Asylverfahrens rechtmäßig weiter in der Bundesrepublik auf; es ist insoweit gerechtfertigt, die Zuweisungsentscheidung in ihren Wirkungen auf das Asylverfahren zu beschränken (a.a.O.; str., wie hier auch OVG NRW, Beschluss vom 30.03.2001 – 16 B 44/01; vgl. auch BverwG, Urteil vom 31.03.1992 – 9 C 155/90; OVG NRW, Urteil vom 01.12.1999 – 17 A 3994/98).
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts fehlt es auch nicht an einem Anordnungsgrund. Das die fehlende Bedürftigkeit des Antragstellers nicht nachgewiesen sei, ist nicht nachvollziehbar; immerhin erbringt die Beigeladene – ohne dass auch die Antragsgegnerin die Bedürftigkeit in Frage stellen würde – nach wie vor Leistungen nach dem AsylbLG zu Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts des Antragstellers. Eine der Beigeladenen ggf. mögliche Bereitstellung einer Einzelunterkunft würde den Antragsteller zu einer erneuten Wohnsitznahme auf dem Gebiet der Beigeladenen zwingen. Dies ist ihm, der sich rechtmäßig in ganz Nordrhein-Westfalen aufhalten darf, jedoch nicht zuzumuten; er hat gerade rechtmäßig das Gebiet der Beigeladenen verlassen, um auf dem Gebiet der Antragsgegnerin Wohnung zu nehmen. Dass seine vorübergehende Aufnahme durch einen Bekannten nicht bis zur rechtskräftigen Erledigung des Hauptsacheverfahrens andauern kann, liegt auf der Hand. Es gibt keine rechtliche Verpflichtung des Herrn T1, die von ihm notfallmäßig akzeptierte Aufnahme des Antragstellers in die von ihm und seiner zweieinhalbjährigen Tochter bewohnte, kleine Wohnung möglicherweise auf längere Sicht weiter hinzunehmen.
Überwiegende Interessen der Antragsgegnerin, die gegen ihre einstweiligen Verpflichtung sprechen könnten, sind darüber hinaus nicht ersichtlich. Es ist der Antragsgegnerin zuzumuten, ggf. die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten, in dem endgültig geklärt werden kann, ob sie oder die Beigeladene leistungspflichtig ist. Sollte sich im Hauptsacheverfahren endgültig eine Leistungspflicht der Beigeladenen ergeben, so wäre zwischen Beigeladener und Antragsgegnerin eine Erstattung der zunächst von der Antragsgegnerin erbrachten Leistungen möglich.
Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin auch über die Dauer des Monats der gerichtlichen Entscheidung hinaus einstweilen weiterhin Leistungen an den Antragsteller erbringen wird, solange sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage nicht ändert.
Hat der Antragsteller mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung Erfolg, so steht ihm für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund auch Prozesskostenhilfe zu. Das Sozialgericht hat zu Unrecht eine mangelnde Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verneint.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Dabei sind Kosten für das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht zu erstatten (§ 73 a SGG i.V.m § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 28.06.2006
Zuletzt verändert am: 28.06.2006