Dem Kläger wird auf seine Beschwerde für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin C M, F, bewilligt.
Gründe:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klägers nach dem zum 01.07.2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch – Neuntes Buch (SGB IX) sowie darüber, ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) vorliegen.
Mit Bescheid vom 21.10.1999 stellte der Beklagte bei dem 1950 geborenen Kläger wegen der Behinderungen
1. Alkoholkrankheit im Stadium der Heilungsbewährung (Einzel-GdB 30)
2. Wirbelsäulenfunktionsstörung (Einzel-GdB 20)
3. Schulter-Arm-Syndrom (Einzel-GdB 20)
4. Depressive Verstimmung (Einzel-GdB 10)
5. Migräne, hyperkinetisches Herzsyndrom (Einzel-GdB 10)
einen GdB von 40 fest. Im August 2004 beantragte der Kläger die Feststellung eines höheren GdB sowie die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "RF". Der Beklagte holte einen Befundbericht des Orthopäden Dr. T vom 02.09.2004 mit weiteren röntgenologischen Arztbriefen, einen Bericht der Neurologin und Psychiaterin Dr. H vom 03.09.2004, einen Bericht des HNO-Arztes L vom 01.09.2004 und einen Bericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin N vom 12.10.2004 ein. Nach Auswertung dieser Unterlagen lehnte er die Feststellung eines höheren GdB sowie des Nachteilsausgleichs "RF" ab (Bescheid vom 04.11.2004 und Widerspruchsbescheid vom 25.01.2005).
Der Kläger hat am 09.02.2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwältin N beantragt. Zur Begründung hat er angeführt, dass seine Beschwerden infolge eines im März 2004 erlittenen Hörsturzes erheblich seien. Er leide unter einer deutlichen Hörminderung und Druckgefühl auf beiden Ohren. Außerdem trete plötzlicher Schwindel mit Übelkeit und Erbrechen auf. Er sei bereits häufiger einfach umgefallen. Darüber hinaus habe sich die bekannte Wirbelsäulenfunktionsstörung seit 1999 zunehmend verschlechtert. Nunmehr liege ein chronisches Schmerzsyndrom vor, das zu erheblichen psychischen Belastungen führe. Auch leide er unter permanenten Kopfschmerzen und sei dauerhaft auf die Einnahme von Schmerzmitteln angewiesen. Das SG hat die Einholung von Befundberichten der Ärzte L und Dr. T verfügt und dem Kläger unter dem 13.06.2005 mitgeteilt, dass über den PKH-Antrag nach Vorlage der Befundberichte entschieden werde.
Hiergegen hat der Kläger am 23.06.2005 Beschwerde erhoben. Er ist der Auffassung, die Mitteilung des SG verzögere die Entscheidung über den Antrag auf PKH und komme damit einer beschwerdefähigen Ablehnung gleich. In der Sache dokumentiere das Gericht durch die Einholung der Arztberichte, dass es die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung bejahe.
Das SG hat dem Kläger mitgeteilt, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht noch nicht angenommen werden könne, wenn das Gericht zunächst sachverständige Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte einhole, um zu prüfen, ob ein Gutachten erforderlich sei. Die Regelung des § 118 Abs. 2 ZPO zeige, dass nicht jede Ermittlungstätigkeit des Gerichts die erforderliche Erfolgsaussicht begründe. Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Nichtabhilfebeschluss vom 21.07.2005).
Am 11.07.2005 ist der Befundbericht des HNO-Arztes L eingegangen. Dieser hat die Bezeichnung der vom Beklagten festgestellten Leiden auf HNO-Gebiet für vollständig und zutreffend angesehen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig auch wenn ein förmlicher Beschluss des SG über den Antrag auf PKH nicht vorliegt. Das Sozialgericht hat durch die an den Kläger gerichtete Mitteilung vom 13.06.2005 deutlich zum Ausdruck gebracht, dass derzeit eine Entscheidung über die PKH nicht beabsichtigt sei, weil zunächst Befundberichte eingeholt würden. Eine solche Mitteilung kommt in der Sache einer ablehnenden Entscheidung gleich (vgl. hierzu Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 73 a Rn 12 e; BVerfG, Beschluss vom 19.07.2001, 2 BvR 1175/01; BayVGH, Beschluss vom 06.08.1996, 7 C 96.1262). Mit der späteren Begründung dieser Aurfassung und der Nichtabhilfeentscheidung hat das SG zudem an seiner Absicht festgehalten, über den Antrag auf PKH derzeit förmlich nicht entscheiden zu wollen.
Die Beschwerde ist auch begründet. Dem Kläger ist für das Klageverfahren PKH zu bewilligen.
Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist der Fall, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers für zumindest vertretbar hält. Sind Beweiserhebungen notwendig, so kann die Erfolgsaussicht in der Regel nicht verneint werden. Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn ein günstiges Ergebnis der eingeleiteten Beweisaufnahme unwahrscheinlich bzw. die Erfolgschance nur eine entfernte ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl. 2005, § 73 a Rn 7a; LSG NRW, Beschluss vom 27.09.2004, L 10 B 17/04 und Beschluss vom 25.06.2003, L 10 B 6/03 SB). Lässt sich die Erfolgsaussicht der Klage nicht beurteilen, so kann das Gericht gemäß § 118 Abs. 2 ZPO in engen Zulässigkeitsgrenzen (hierzu Thomas/Putzo, ZPO, 26. Auflage 2002, § 118 Rn 6 f.; Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 118 Rn 22 f.) klärende Erhebungen vornehmen.
Ausgehend hiervon ist dem Kläger PKH zu gewähren. Holt das Gericht wie vorliegend im Rahmen des § 106 SGG Befundberichte ein, so beginnt bereits damit – und nicht erst mit der späteren Einholung eines Gutachtens – die Beweisaufnahme. Zutreffenderweise bezeichnet das SG die Befundberichte dementsprechend auch als sachverständige Zeugenaussagen (vgl. auch BSG, Urteil vom 09.02.2000, B 9 SB 8/98 R; Urteil vom 09.04.1997, 9 RVs 6/96).
Ein günstiges Ergebnis dieser vom SG begonnenen Beweiserhebung ist auch durchaus möglich. Zwar liegen die gesundheitlichen Voraussetzungen des vom Kläger beanspruchten Nachteilsausgleichs "RF" offensichtlich nicht vor. Nach den aktenkundigen Befunden ist es jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die in der Klagebegründung vorgetragenen Leiden eine höhere Bewertung des GdB bedingen. Hiernach drängen sich – selbst unter Berücksichtigung des bereits vorliegenden Befundberichtes von Herrn L – weitere Beweisermittlungen auf. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen genügen nicht, um die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers ausreichend würdigen zu können. So haben die behandelnden Ärzte Dr. T und N im Jahr 2004 gehäufte Vorstellungen des Klägers wegen Wirbelsäulenbeschwerden angegeben (April, Juli, September und Oktober). Festgestellt wurden röntgenologisch degenerative Veränderungen und Bandscheibenvorwölbungen sowie klinisch Bewegungseinschränkungen. Da nähere Angaben fehlen, insbesondere auch nicht mitgeteilt wird, welche Wirbelsäulenabschnitte konkret in welchem Umfang nur eingeschränkt beweglich waren, ist hier ohne weitere Ermittlungen eine Bewertung dieser Funktionsstörungen nach Nr. 26.18 (S. 116) der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2004 (Anhaltspunkte) nicht möglich. Gleiches gilt für die Beurteilung des psychischen Zustandes des Klägers. Sowohl die behandelnde Hausärztin Frau N als auch die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H haben ein psychoreaktives Syndrom bzw. ein Überforderungssyndrom mit Somatisierung diagnostiziert. Ohne nähere Angaben zu den Auswirkungen der offensichtlich bestehenden psychischen Beeinträchtigung lässt sich der hierfür nach Nr. 26.3 (S. 48) der Anhaltspunkte zu gewährende GdB nicht bestimmen. Schließlich ist auch der Frage nachzugehen, in welcher Form und Häufigkeit der vom Kläger angegebene erhebliche Kopfschmerz auftritt. Dies gilt im Hinblick auf die Bewertung in Nr. 26.2 (S.39) der Anhaltspunkte umso mehr, wenn die Kopfschmerzen als Migräne auftreten, wie von Frau N unter Diagnosen aufgeführt.
Danach waren für die Prüfung der Erfolgsaussicht keine Vorerhebungen nach § 118 Abs. 2 ZPO notwendig, vielmehr der PKH-Antrag vor Einholung der Befund berichte entscheidungsreif.
Da der Kläger die Kosten der Prozessführung nach den von ihm angegebenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, ist ihm ratenfreie Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Der Senat hat, weil auch die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vorliegen, dem Kläger die PKH unmittelbar zugesprochen. Er hat aus Gründen der Prozessökonomie davon abgesehen, den Antrag lediglich zur Entscheidung an das SG zurückzugeben.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 09.09.2005
Zuletzt verändert am: 09.09.2005