Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.02.2011 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit ab dem 17.05.2011 bis zur Bestandskraft des angefochtenen Bescheides vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010, längstens jedoch bis zum 17.11.2011 Regelbedarfe für die Antragsteller zu 1) und 2) in Höhe von monatlich 328,00 Euro sowie Sozialgeld für die Antragsteller zu 3) und 4) in Höhe von monatlich 275,00 Euro abzüglich des Kindergeldes in Höhe von je 184,00 Euro sowie Bedarfe für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 122,50 Euro je Antragsteller zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.
Gründe:
I.
Der 1969 geborene Antragsteller zu 1), die 1975 geborene Antragstellerin zu 2) und deren Kinder, die 1992 und 1995 geborenen Antragsteller zu 3) und 4) sind rumänische Staatsangehörige. Sie reisten am 30.09.2008 in die Bundesrepublik ein. Dem Antragsteller zu 1) wurde am 24.06.2009 eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz EU (FreizügG/EU) erteilt.
Zum 01.10.2009 mieteten die Antragsteller eine Wohnung auf der U-straße 00, H an, wo sie seither wohnen. Die Antragsteller zu 3) und 4) gehen zur Schule. Einen Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 05.10.2009 lehnte der Antragsgegner mit bindendem Bescheid vom 01.12.2009 ab. In der Folgezeit lebten die Antragsteller von Einkünften, die sie durch den Verkauf der Obdachlosenzeitung G in E erzielten, von dem für die Antragsteller zu 3) und 4) gezahlten Kindergeld sowie den Leistungen karitativer Einrichtungen (Diakonie, Tafel e.V. H) und kleineren Leihbeträgen von Verwandten und Bekannten.
Am 11.10.2010 beantragten die Antragsteller bei dem Antragsgegner (erneut) Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Den Antrag lehnte der Antragsgegner durch Bescheid vom 19.10.2010 und Widerspruchsbescheid vom 16.12.2010 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ab. Nach dieser Vorschrift seien die Antragsteller, die sich lediglich zum Zwecke der Arbeitssuche in der Bundesrepublik aufhielten, nicht leistungsberechtigt. Die Antragsteller haben Klage beim Sozialgericht Gelsenkirchen unter dem Aktenzeichen S 31 AS 47/11 erhoben.
Am 17.12.2010 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.
Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 09.02.2011 abgelehnt. Die Antragsteller hätten einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Für sie ergebe sich ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II. Ausdrücklicher gesetzgeberischer Zweck des Ausschlusses sei es vor allem, nach Maßgabe der europarechtlichen Befugnis aus Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG vom 29.04.2004 (Abl. Nr. L 158 S. 77) – UnionsRL – i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. B UnionsRL Unionsbürger von Grundsicherungsleistungen unter weiteren Voraussetzungen auszuschließen, die von ihrem sekundärrechtlich in der UnionsRL statuierten Freizügigkeitsrecht Gebrauch machen, das primärrechtlich Ausfluss der Unionsbürgerschaft aus Art. 17, 18 Abs. 1 des EG-Vertrages (EG-V) sei. Dazu bestimme er in Nr. 1 einen Ausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die insbesondere von ihrem unmittelbar geltendem voraussetzungslosen 3monatigen Aufenthaltsrecht nach Art. 6 UnionsRL Gebrauch machen, welches § 2 FreizügG/EU nur unzureichend umgesetzt habe. Für einen sich anschließenden Aufenthaltszeitraum sehe Nr. 2 hingegen nur einen Leistungsausschluss vor, wenn ausschließlich von dem Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche Gebrauch gemacht werden (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Fall FreizügG/EU). Die Antragsteller seien dem Leistungsausschluss unterworfen, weil ihnen ein sonstiges Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU nicht zustehe.
Die Antragsteller zu 1) und 2) unterfielen schon deshalb nicht diesen freizügigkeitsprivilegierten Personengruppen, weil es sich bei der mit dem Verkauf der Obdachlosenzeitung verbundenen Tätigkeit nicht um eine Erwerbstätigkeit im Sinne einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit auch zur Erbringung von Dienstleistungen handele. Diese Erwerbstätigkeit müsse auf einem wirtschaftlichen Güteraustausch beruhen, der beim Verkauf der Obdachlosenzeitung nicht gegeben sei.
Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II bestünden bei vorläufiger Prüfung nicht. Insbesondere könnten sich die Antragsteller als rumänische Staatsangehörige nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) berufen, das Rumänien nicht unterzeichnet habe. Auch ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AUEV (ex Art. 12 EGV) sei nicht zu erkennen. Eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern sei gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen beruhe und in angemessenem Verhältnis zu einem legitimen Zweck stehe. Insoweit sei der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass gerade Grundsicherungsleistungen, welche der Eingliederung in den Arbeitsmarkt dienten, von einer Vebindung des Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates abhängig sein dürfen. Eine solche Verbindung hätten die Antragsteller zu 1) und 2) bisher nicht erkennen lassen.
Mit ihrer hiergegen am 24.02.2011 eingelegten Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Begehren einer vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II weiter. Die Frage, ob Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, von Leistungen nach dem SGB II ausgenommen seien, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. Bedauerlicherweise habe auch das BSG in seinem Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R diese Frage ausdrücklich offen gelassen, da im dortigen Fall § 7 Abs 1 S. 2 SGB II wegen des Vorrangs des EFA ohnehin nicht anwendbar gewesen sei. Bei einer ungeklärten Rechtsfrage müsse im Rahmen einer Interessenabwägung aufgrund des existenzsichernden Charakters der begehrten Leistung zu Gunsten der Antragsteller entschieden werden. Eilbedürftig sei auch die Gewährung von Kosten der Unterkunft, weil der Vermieter wegen der aufgelaufenen Mietrückstände bereits Räumungsklage vor dem Amtsgericht H erhoben habe.
Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 09.02.2011 zu ändern und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen ab Entscheidung des Landessozialgerichts für die darauf folgenden 6 Monate vorläufige Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II unter Berücksichtigung des an die Antragsteller zu 3) und 4) gezahlten Kindergeldes in Höhe von 184,00 Euro monatlich sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 122,50 Euro je Antragsteller zu gewähren sowie die Beiträge für eine von den Antragstellern in einer gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung abzuschließenden Versicherung zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hält seine bisherige Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit vom 12.05.2011 eingeholt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen einschließlich des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der die Antragsteller betreffenden Verwaltungsakte des Antragsgegners verwiesen; dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (sog. Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (sog. Anordnungsgrund). Eilbedarf besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn 23 – Breith 2005, 803; BVerfG Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 Rn 28 – BVerfGE 93, 1). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (BVerfG Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 Rn 28 – BVerfGE 93, 1).
Der vom Antragsteller geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn 23 – Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG a.a.O. Rn 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O. Rn 29, 29a).
Vorliegend sind den Antragstellern unter Berücksichtigung ihrer grundrechtlichen Belange nach Folgenabwägung die begehrten vorläufigen Leistungen zu gewähren.
Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Eilbedürftig ist die Angelegenheit deshalb, weil die Antragsteller über kein ausreichendes eigenes Einkommen und Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verfügen. Da sie sich nicht selbst zu helfen vermögen, benötigen sie die hier begehrten Leistungen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Eilbedürftig ist die Angelegenheit auch im Hinblick auf die begehrten Bedarfe für Unterkunft und Heizung, da den Antragstellern aufgrund der vom Vermieter erhobenen Räumungsklage nach fristloser Kündigung wegen der über mehrere Monate aufgelaufenen Mietrückstände Wohnungslosigkeit droht.
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, vermag der Senat im Verfahren des Einstweiligen Rechtsschutzes hingegen nicht abschließend zu entscheiden.
Die Antragsteller gehören zu dem Personenkreis, für den Leistungen des SGB II vorgesehen sind (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II).
Sie sind auch als erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 8 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011, BGBl I, 453 (im Folgenden: SGB II n.F.) anzusehen. Anhaltspunkte für eine fehlende Erwerbsfähigkeit in gesundheitlicher Hinsicht (§ 8 Abs. 1 SGB II) liegen nicht vor. Der Annahme einer Erwerbsfähigkeit der Antragsteller im rechtlichen Sinn gemäß § 8 Abs. 2 SGB II steht auch nicht entgegen, dass sich die Antragsteller als rumänische Staatsangehörige wegen der Einschränkung im EU-Beitrittsvertrag ihres Landes vom 25.04.2005 (BGBl 2006, II, S. 1146) während einer Übergangszeit bis längstens zum 31.12.2013 noch nicht auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen können. Voraussetzung für die "rechtliche Erwerbsfähigkeit" von Ausländern ist nach § 8 Abs. 2 S. 1 SGB II n.F., dass die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Letztere Voraussetzung ist gem. § 8 Abs. 2 S. 1 SGB II n.F. bereits dann erfüllt, wenn die rechtliche Möglichkeit besteht, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Eine solche rechtliche Möglichkeit ist hier gegeben, da die Antragsteller nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit grundsätzlich zu jeder Beschäftigung zugelassen werden können, wenn ein konkretes Arbeitsplatzangebot vorliegt, kein bevorrechtigter Arbeitnehmer für die konkrete Beschäftigung zur Verfügung steht und die Arbeitsbedingungen mit denen inländischer Arbeitnehmer vergleichbar sind.
Aufgrund ihrer glaubhaften Angaben zu Einkommen und Vermögen sind die Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II. Mit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Absicht, ihren Lebensmittelpunkt hierhin zu verlegen, haben die Antragsteller, die als Unionsbürger für Einreise und Aufenthalt keiner Erlaubnis bedürfen, an ihrem Wohnort ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I; vgl. auch BSG Urteil vom 27.01.1994 – 5 RJ 16/93 zu Verweildauer und -wille und zur sog. Zukunftsoffenheit des Aufenthalts).
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend zu klären ist die Frage, ob der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (Leistungsausschluss, wenn sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt), zu Lasten der Antragsteller eingreift. Es bestehen nach den bisherigen Überlegungen des Senats erhebliche Zweifel, ob der Leistungsausschluss in dieser Vorschrift mit dem Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union vereinbar ist (so bereits Beschluss des erkennenden Senats vom 26.02.2010 – L 6 AS 154/09 AS ER; vgl auch LSG NRW Beschluss vom 17.02.2010 – L 19 B 392/09 AS ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.01.2010 – L 25 AS 1831/09 B ER; LSG Bayern Beschluss vom 04.05.2009 – L 16 AS 130/09 B ER; in der Literatur: Valgolio in Hauck/Noftz § 7 Rn 30; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, aaO, § 7 Rn 17 m.w.N.; Löns in Löns/Herold-Tews, SGB II, 2. Aufl. 2009, § 7 Rn 13 m.w.N.; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 7 Rn 36 m.w.N.; Schreiber, info also 2008, 3 ff , info also 2009, 195 ff.; Husmann, NZW 2009, 652, 656; aA LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.12.2009 – L 34 AS 1350/09 B ER und Beschluss vom 08.06.2009 – L 34 AS 790/09 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 29.09.2009 – L 15 AS 905/09 B ER; Europarechtswidrigkeit verneinend für wirtschaftlich inaktive Unionsbürger: Hessisches LSG Beschluss vom 14.10.2009 – L 7 AS 166/09 B ER)
Soweit der Bundesgesetzgeber mit der Norm des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II eine Umsetzung des Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4b der Richtlinie 2004/38/EG in nationales Recht bezweckt hat (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 13; BT-Drs. 16/5065 S. 234), ist fraglich, ob diese Richtlinie nicht bereits deshalb als Ermächtigungsgrundlage für den Leistungsausschluss ausscheidet, weil die Vorschrift allein den Ausschluss von "Ansprüchen der Sozialhilfe" ermöglicht. Ob es sich bei der Grundsicherungsleistung nach dem SGB II um Leistungen der "Sozialhilfe" handelt, ist problematisch (bejahend LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.12.2009 – L 34 AS 1350/09 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 29.09.2009 – L 15 AS 905/09 B ER; LSG NRW Beschluss vom 17.09.2009 – L 9 AS 4/07; Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195, 201; Heinig, ZESAR 2008, 465, 472; Strick, NJW 2005, 2182; wohl auch Schreiber, info also 2009, 195, 197; verneinend SG Berlin, Urteil vom 29.02.2008 – S 37 AS 1403/08; offengelassen von LSG NRW, Beschluss vom 17.02.2010 – L 19 B 392/09 AS ER). Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage in seinem Urteil vom 04.06.2009, Vatsouras, C-22/08 offengelassen, jedoch ausgeführt, dass "finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, nicht als "Sozialhilfeleistungen" im Sinne von Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie angesehen werden können". Im Übrigen könne "eine Voraussetzung wie die in § 7 Abs. 1 SGB II enthaltene, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein müsse, ein Hinweis darauf sein, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern solle". Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen des EuGH, dass das nationale Gericht die grundlegenden Merkmale der Leistung, insbesondere ihren Zweck und die Voraussetzung ihrer Gewährung zu prüfen habe, ist festzustellen, ob hier in Frage stehende Leistungen nach dem SGB II den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne der europarechtlichen Rechtsprechung erleichtern sollen.
Selbst wenn die Grundsicherungsleistungen des SGB II in den Anwendungsbereich der Unionsbürgerrichtlinie einbezogen würden, kann sich ein Anspruch der Antragsteller auf Gewährung der begehrten Leistungen dennoch möglicherweise unmittelbar aus primärem Gemeinschaftsrecht ergeben (vgl. grundsätzlich hierzu Schreiber, info also 2008, 3 ff. m.w.N.; nach Husmann, NZW 2009, 652 ff. ist die Richtlinie wegen fehlender Rechtsgrundlage nichtig; Heinig, ZESAR 2008, 465, 472 mit kritischen Anmerkungen zur Judikatur des EuGH; verneinend LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.12.2009 – L 34 AS 1350/09 B ER; Beschluss vom 08.06.2009 – L 34 AS 790/09 B ER). Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen Arbeitssuchende, auch wenn sie nicht Arbeitnehmer im Sinn von Art. 39 EG sind (seit dem 01.12.2009 durch den Vertrag von Lissabon ersetzt durch Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, im Folgenden: AEUV), dennoch in den Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EG, was den Zugang zur Beschäftigung betrifft (EuGH Urteil vom 04.06.2009, Vatsouras C-22/08; Urteil vom 23.03.2004, Collins, C-138/02; Urteil vom 07.09.2004, Trojani, C-456/02). Zusätzlich gelte für Unionsbürger der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 12 EG (entspricht Art. 18 AEUV) mit der Folge, dass Unionsbürger nicht von einer finanziellen Leistung ausgenommen werden könnten, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates erleichtern soll (EuGH Urteil vom 23.03.2004, Collins, C-138/02). Wenn auch der EuGH es als legitim angesehen hat, dass staatliche Beihilfen an bestimmte Kriterien gebunden werden (so z.B. das Erfordernis einer tatsächlichen Verbindung zum Arbeitsmarkt, EuGH, a.a.O. oder eine Anknüpfung an ein Wohnorterfordernis, EuGH Urteil vom 15.03.2005, Bidar, C-209/03), so hat er stets ausgeführt, dass diese Kriterien auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruhen und in angemessenem Verhältnis zu dem Zweck stehen müssten, der mit den nationalen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgt werde (EuGH Urteil vom 23.03.2004, Collins, C-138/02). Im Hinblick auf diese Rechtsprechung ist in höchstem Maß zweifelhaft, ob eine Regelung wie § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, die ausschließlich an die Staatsangehörigkeit knüpft, den Vorgaben des primären Gemeinschaftsrechts standhält.
Die Vielzahl der genannten schwierigen und komplexen Rechtsfragen verdeutlicht, dass die Sach- und Rechtslage für das erkennende Gericht nicht zuverlässig abschließend in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren beurteilt werden kann. Die danach für die begehrte Regelung im Eilverfahren allein entscheidende Folgenabwägung (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05) fällt zugunsten der Antragsteller aus. Ohne die beantragten Leistungen drohen ihnen existentielle Nachteile, die sie aus eigener Kraft nicht abwenden können. Demgegenüber hat der Antragsgegner "nur" finanzielle Nachteile zu gewärtigen, wenn die Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit ihrem Begehren nicht durchdringen sollten. In diesem Fall erscheint es allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner seinen Rückforderungsanspruch nicht wird realisieren können und die Zuerkennung der Leistungen deshalb im Ergebnis einen Zustand schafft, der in seinen (wirtschaftlichen) Auswirkungen der Vorwegnahme in der Hauptsache gleichkommt. Diesem Umstand trägt der Senat bei der inhaltlichen Ausgestaltung der einstweiligen Anordnung Rechnung, indem er die nachteiligen Folgen auf Seiten des Antragsgegners begrenzt und Leistungen erst ab Entscheidung des erkennenden Senats gewährt (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 Zivilprozessordnung). Leistungen für den Zeitraum zwischen Antragstellung beim Sozialgericht und Entscheidung haben die Antragsteller im Beschwerdeverfahren um vorläufige Leistungen auf Anregung des Senats zuletzt auch nicht mehr begehrt.
Vorläufig werden wie beantragt die Regelbedarfe in Höhe von je 328,00 Euro für die Antragsteller zu 1) und 2) (§ 20 Abs 4 SGB II n.F.) bzw Sozialgeld für die Antragsteller zu 3) und 4) in Höhe von 275,00 Euro (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 SGB II n.F.) abzüglich des Kindergeldes von je 184,00 Euro sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von je 122,50 Euro gewährt. Beiträge zur Krankenversicherung sind für die Antragsteller zu 1) und 2) kraft gesetzlicher Bestimmung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 2a, 252 S. 2 Fünftes Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) für die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld II bzw. für die Antragsteller zu 3) und 4) aufgrund der Familienversicherung zu entrichten. Gleiches gilt gemäß §§ 20 Abs. 1 Nr. 2a, 59 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) für die Beiträge zur Pflegeversicherung.
Die Leistungen sind in Anlehnung an die Regelung des § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II auf längstens 6 Monate befristet, damit der Leistungsfall sachgerecht unter Kontrolle gehalten werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 31.05.2011
Zuletzt verändert am: 31.05.2011