Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29.02.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab Zustellung dieses Beschlusses vorläufig bis zu einer Entscheidung über ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.12.2011 und in einem etwaigen anschließenden Klageverfahren, längstens jedoch bis zum 01.09.2012 Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II unter Berücksichtigung des an den Antragsteller zu 3) gezahlten Kindergeldes in Höhe von 184,00 monatlich sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 166,66 je Antragsteller zu gewähren. Den Antragstellern wird mit Wirkung vom 04.01.2012 Prozesskostenhilfe für beide Instanzen bewilligt und Rechtsanwalt T, H, beigeordnet. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren im Eilverfahren die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) einschließlich Kosten der Unterkunft.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige, reisten 2008 von Belgien kommend in das Bundesgebiet ein und halten sich seither ununterbrochen in Deutschland auf. Der am 00.00.1978 geborene Antragsteller zu 1) ist mit der am 00.00.1978 geborenen Antragstellerin zu 2) verheiratet. Der Antragsteller zu 3) ist ihr Sohn. Er ist am 00.00.1997 geboren und noch schulpflichtig. Die Stadt H erteilte den Antragstellern zu 1) und 2) am 17.06.2011 Freizügigkeitsbescheinigungen nach § 5 FreizügG/EU. Ferner erteilte ihnen die Bundesagentur für Arbeit am 28.10.2011 unbefristete Arbeitsgenehmigungen – EU.
In der Zeit von Oktober 2009 bis Oktober 2010 erhielten die Antragsteller vom Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II, zuletzt unter Berücksichtigung des für den Antragsteller zu 3) gezahlten Kindergeldes (184,00 Euro) in Höhe von monatlich 1180,83 EUR, hiervon 500,00 Euro für Kosten der Unterkunft und Heizung. Durch Bescheid vom 09.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 lehnte der Antragsgegner ihren Antrag vom 03.11.2010 auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II ab. Zur Begründung führte er aus, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen seien deshalb nicht gegeben, weil sie sich ohne gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhielten. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei erfüllt, da sich der Aufenthalt allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Dagegen haben die Antragsteller beim Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben (S 31 AS 27/11), über die noch nicht entschieden ist.
Der erste Antrag der Antragsteller vom 24.12.2010, ihnen im Weg der einstweiligen Anordnung Leistungen nach dem SGB II vorläufig zu gewähren, blieb ohne Erfolg (SG Gelsenkirchen Beschl v 28.02.2011 – S 31 AS 2794/10 ER; LSG NRW Beschl v 30.05.2011 – L 19 AS 388/11 B ER). Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, es bestünden ernsthafte Zweifel am Vorliegen eines gewöhnlichen Aufenthaltes der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland. Den Antragstellern stünde weder nach nationalem Recht noch europarechtlich ein Aufenthaltsrecht zu. Als Angehörige des Vertragsstaats Rumänien bedürften sie zudem zur legalen Ausübung einer Tätigkeit der vorherigen Genehmigung. Der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs stehe der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II durchgängig entgegen.
Die Antragsteller beantragten erneut am 07.11.2011 Leistungen nach dem SGB II. Der Antragsgegner lehnte dies mit Bescheid vom 29.12.2011 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des Leistungsanspruchs seien nicht erfüllt, da die Antragsteller zu 1) und 2) sich lediglich zum Zwecke der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten dürften. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.
Die Antragsteller haben am 05.01.2012 beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die europarechtliche Zulässigkeit des Ausschlusses von Unionsbürgen, die sich zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalten, von der Leistung des Arbeitslosengeldes II sei umstritten. Diese ungeklärte Rechtslage müsse im Rahmen einer Interessenabwägung berücksichtigt werden. Da sie existenzsichernde Leistungen begehrten, sei dem Antrag stattzugeben.
Die Antragstellerin zu 2) hat mitgeteilt, sie habe zum 01.02.2012 eine geringfügige Beschäftigung als Reinigungskraft bei einem Hausverwaltungs-Unternehmen aufgenommen. Der Leistungsausschluss greife für sie als Arbeitnehmerin nicht (mehr).
Der Antragsgegner ist dem entgegen getreten. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II seien Leistungen weiterhin ausgeschlossen. Bei der geringfügigen Beschäftigung der Antragstellerin handele es sich um eine Tätigkeit, die als untergeordnet und unwesentlich anzusehen sei.
Das Sozialgericht hat den Erlass der beantragten einstweilige Anordnung durch Beschluss vom 29.02.2012 abgelehnt, sich zur Begründung auf den Beschluss des LSG NRW vom 30.05.2011 – L 19 AS 388/11 B ER gestützt und ergänzend ausgeführt, den Antragstellern sei unabhängig von der Frage, ob die übrigen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung vorlägen, die Leistungen nach dem SGB II zu verwehren. Denn für die Antragsteller zu 1) und 2) bestehe ein besonderer Leistungsausschluss für Ausländer gem. § 7 Abs. 1 S. 2. Nr. 1 und 2 SGB II. Ausdrücklicher gesetzgeberischer Zweck des Ausschlusses sei es vor allem, nach Maßgabe der europarechtlichen Befugnis aus Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG vom 29.4.2004 (ABI. Nr. L 158 S. 77) – UnionsRL – i.V.m. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b UnionsRL Unionsbürger von Grundsicherungsleistungen unter weiteren Voraussetzungen auszuschließen, die von ihrem sekundärrechtlich in der UnionsRL statuierten Freizügigkeitsrecht Gebrauch machten. Die Antragsteller hätten auch kein sonstiges Freizügigkeitsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU aufgrund der allein in Betracht kommenden Rechte als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Dienstleistungserbringer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1-3 FreizügG/EU). Zudem sei die geringfügige Beschäftigung der Antragstellerin zu 2) nach summarischer Prüfung wegen des geringen Umfangs und des ihr verbleibenden Betrags von 80,00 EUR monatlich als untergeordnet und unwesentlich anzusehen. Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II hat das Sozialgericht unter Hinweis auf obergerichtliche Rechtsprechung (LSG Baden-Württemberg Beschl v 15.04.2010; L 13 AS 1124/10 ER-B; Hessisches Landessozialgericht, Beschl v 14.10.2009, L 7 AS 166/09 B ER; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v 25.11.2008, L 5 B 1425/08 AS ER) verneint. Die Antragsteller als rumänische Staatsangehörige könnten sich nicht auf das Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) berufen. Zudem sei kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Artikel 18 AEUV (Artikel 12 EGV) zu erkennen. Eine Ungleichbehandlung von Unionsbürgern sei gerechtfertigt, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit unabhängigen Erwägungen beruhe und im angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck stehe (Hinweis auf EuGH, 23.03.2004 – C-138/02 – Collins). Schließlich stehe dem Antragsteller zu 3) ohne originäres Leistungsrecht der Antragsteller zu 1) und 2) nicht der daraus abgeleitete Anspruch auf Sozialgeld zu (§ 7 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II).
Die am Tag der Zustellung (02.03.2012) eingelegte Beschwerde haben die Antragsteller damit begründet, für sie habe sich im Vergleich zu den Verhältnissen im Zeitpunkt des Beschlusses des LSG NRW vom 30.05.2011 – L 19 AS 388/11 B ER – der Sachverhalt dahingehend verändert, dass die Antragsteller zu 1) und 2) seit dem 28.10.2011 über eine unbeschränkte und unbefristete Arbeitsgenehmigung EU verfügten. Darüber hinaus bestehe hier nach wie vor eine ungeklärte Rechtslage. Im Rahmen der Interessenabwägung sei aufgrund des existenzerhaltenden Charakters der begehrten Leistung zugunsten der Antragsteller zu entscheiden. Denn während des Hauptsacheverfahrens sei ohne zuerkannte Leistungen das Existenzminimum der Antragsteller nicht gedeckt. Die möglicherweise noch länger andauernde erhebliche Beeinträchtigung könne nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden. Auch aus diesem Grunde sei der angegriffene Beschluss abzuändern. Sie müssten so lange als freizügigkeitsberechtigt behandelt werden, bis die Ausländerbehörde das Erlöschen des Freizügigkeitsrechts bestandskräftig festgestellt habe. Das Sozialgericht verkenne, dass der Europäische Gerichtshof eine wöchentliche Arbeitszeit von 5,5 Stunden als Reinigungskraft und eine monatliche Vergütung unter 200,00 Euro als vollkommen ausreichend erachtet habe, um die Arbeitnehmereigenschaft zu bejahen.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 29.02.2012 zu ändern und den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen ab Entscheidung des LSG für die darauf folgenden 6 Monate vorläufige Regelbedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II unter Berücksichtigung des an den Antragsteller zu 3) gezahlten Kindergeldes in Höhe von 184,00 monatlich sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 166,66 je Antragsteller zu gewähren sowie die Beiträge für eine von den Antragstellern in der geselzlichen Kranken- und Pflegeversicherung abzuschließende Versicherung zu übernehmen sowie ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus H ohne Ratenzahlung zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurück zu weisen.
Eine vorläufige Leistungsgewährung könne nicht erfolgen. Auch in gleichgelagerten Verfahren habe das LSG NRW eine Leistungsverpflichtung des Trägers nach dem SGB II nicht angenommen. Ergänzend hat er darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung zwischenzeitlich von der Möglichkeit nach Art. 16 li.b) Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) Gebrauch gemacht und bezüglich der Leistungen nach SGB II den Vorbehalt zur Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden erklärt hat, um den Leistungsausschluss im SGB II wieder herzustellen. Damit habe die Bundesregierung zum Ausdruck gebracht, dass die Ausschlussgründe nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 SGB II sogar für Staatsangehörige der EU – Gründungsmitglieder Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande sowie alle dem EFA später beitretenden Staaten Geltung haben sollen. Im Falle einer Leistungserbringung an die Antragsteller seien diese als rumänische Staatsangehörige sogar besser gestellt, als die zuletzt durch Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 – privilegierten EFA – Mitgliedsstaaten. Dieses widerspräche ganz offensichtlich dem politischen Willen, den die Bundesregierung durch den oben erläuterten Vorbehalt zum Ausdruck gebracht habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der die Antragsteller betreffenden Verwaltungsakten verwiesen, dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Gewährung von Leistungen an die Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (sog. Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (sog. Anordnungsgrund). Eilbedarf besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl BVerfG Beschl v 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn 23 – Breith 2005, 803; BVerfG Beschl v 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 Rn 28 – BVerfGE 93, 1). Der gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) von den Gerichten zu gewährende effektive Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeter Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist, nicht mehr rückgängig gemacht werden können (BVerfG Beschl v 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 Rn 28 – BVerfGE 93, 1). Der geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschl v 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 Rn 23 – Breith 2005, 803). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG a.a.O. Rn 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86 b Rn 29, 29a).
Der Senat gelangt im Rahmen einer solchen Folgenabwägung zu der Überzeugung, dass den Antragstellern – wie beantragt – für die Zeit ab Beschwerdeentscheidung (vorläufige) Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sind. Denn den Anordnungsanspruch vermag der Senat im Eilverfahren angesichts der in diesem Zusammenhang anstehenden schwierigen und komplexen Rechtsfragen nicht abschließend zu beurteilen. Sie betreffen sowohl die (gemeinschaftsrechtskonforme) Auslegung des Leistungsausschlusses bzw dessen Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht als auch die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im konkreten Fall.
Denn bei erheblichen Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Ausschlusstatbestandes mit europäischem Gemeinschaftsrecht (vgl. hierzu etwa Hessisches LSG Beschl v 14.07.2011 – L 7 AS 107/11 B ER, LSG Berlin-Brandenburg Beschl v 29.11.2010 – L 34 AS 1001/10 B ER; SG Berlin Urt v 24.05.2011 – S 149 AS 17644/09; vgl. auch Thie-Schoch in LPK-SGB II, 4. Auflage 2011, § 7 Rn. 27 ff.; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rn. 17 m.w.N. und Hailbronner, ZFSH/SGB 2009, 195 ff.; für einen europarechtskonformen Leistungsausschluss LSG NRW Beschl v 28.06.2011 – L 19 AS 317/11 B ER; v 18.11.2011 – L 7 AS 614/11 B ER, jeweils juris) können diese mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen, wenn angesichts der Erwerbstätigkeit der Antragstellerin zu 2) der Leistungsausschluss für sie als Arbeitnehmerin nicht (mehr) greift. Entgegen der Auffassung des Beklagten und des Sozialgerichts, die die geringfügige Beschäftigung als untergeordnet und unwesentlich erachtet haben, dürfte die Tätigkeit der Antragstellerin in diesem Umfang sowohl nach nationalem als auch nach Gemeinschaftsrecht für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft ausreichen (EuGH vom 04.02.2010 C -14/09 , Genc, juris, mwN: Arbeit an 6 Stunden in der Woche als Reinigungskraft bei einem monatlichen Einkommen in Höhe von 200,00 Euro). Dem Antragsteller zu 1) stände im Rahmen der hier gebotenen summarischen Überprüfung dann vermittelt durch die Antragstellerin zu 2) nach den entsprechenden Erlaubniserteilungen der Stadt H vom 17.06.2011 (Freizügigkeitsbescheinigungen nach § 5 FreizügG/EU) bzw. den ihnen von der Bundesagentur für Arbeit am 28.10.2011 erteilten unbefristeten Arbeitsgenehmigungen – EU das Aufenthaltsrecht in Deutschland zu. Abgeleitet vom Zweck dieses Aufenthaltsrechts hielte sich dann der minderjährige Antragsteller zu 3) ebenfalls zu Recht in Deutschland – im Rahmen der familiären Beziehung zu seinen Eltern – auf.
Mit dieser Weichenstellung stände dem erhobenen Anspruch wohl nicht entgegen, dass die Bundesrepublik Deutschland, um den Leistungsausschluss im SGB II wieder herzustellen, am 19.12.2011 zwischenzeitlich von der Möglichkeit nach Art. 16 Buchstabe b) des Europäischen Fürsorgeabkommens Gebrauch gemacht und bezüglich der Leistungen nach SGB II den Vorbehalt zur Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden erklärt hat. Denn da nach § 30 Abs. 2 SGB I "Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts (von den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs) unberührt (bleiben)", ist schon generell nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (BVerfG Beschl v 26. März 1987 – 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85 -, BVerfGE 74, 358 [370]). Nach der Rspr. des BSG (Urt v 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R, juris) stand jedenfalls das EFA auch im Bereich der neuen Grundsicherung nach dem SGB II dem dortigen Leistungsausschluss für EU-Ausländer gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entgegen, selbst soweit sich der Ausländer ausschließlich zum Zwecke der Arbeitssuche im Bundesgebiet aufhält (vgl. dazu auch Schäfer in Lexisnexis OK SGB I § 30 Rn.2, Stand 22.05.2011 mwN). Eine abschließende Entscheidung für Anwendungsfälle außerhalb des EFA, speziell für Rumänen als EU-Ausländern aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, die in der Vergangenheit dem EFA nie beigetreten waren, sieht der Senat hierin nicht. Dass die Bundesregierung den Vorbehalt nach Maßgabe des Art. 16 Buchstabe b EFA erklärte, heißt gerade nicht zwingend, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II jeden Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II von Staatsangehörigen auch aller anderen, später beigetretenen EU-Mitgliedstaaten ausschließt (vgl. LSG Berlin Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 – L 20 AS 2347/11 B ER – juris Rn. 28, 30).
Wenn dieses Eilverfahren nicht der Ort ist, um die vorgenannten schwierigen und komplexen Rechtsfragen abschließend zu beurteilen, fällt die für die begehrte Regelung im Eilverfahren allein entscheidende Folgenabwägung (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05) zu Gunsten der Antragsteller aus. Ohne die beantragten Leistungen drohen ihnen existentielle Nachteile, denn die Antragsteller verfügen nicht über die notwendigen Mittel zur Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz (vgl auch Senats-Beschluss vom 17.05.2011 – L 6 AS 356/11 B ER, juris). Die Folgenabwägung rechtfertigt mithin nach Auffassung des Senats konkret, die Verpflichtung des Antragsgegners zur (vorläufigen) Zahlung, befristet auf maximal sechs Monate für die gesetzmäßig zustehenden Regelbedarfe ebenso wie für die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung (§§ 20, 22 SGB II). Es ist den Antragstellern auch im Lichte des in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde im Sinne der Präambel und des Art. 1 GG nicht zuzumuten, ohne jede staatliche Existenzsicherung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zuzuwarten. Demgegenüber muss hier im Einzelfall zurückstehen, dass der Antragsgegner bei (vorläufiger) Zahlung der Leistungen und späterem Obsiegen in der Hauptsache einen Rückforderungsanspruch möglicherweise nur schwer zu realisieren vermag. Denn wegen der vorgenannten Grundrechtsgarantien ist es hinzunehmen, dass die Zuerkennung der Leistungen im Ergebnis einen Zustand schaffen kann, der in seinen (wirtschaftlichen) Auswirkungen der Vorwegnahme in der Hauptsache zugunsten der Antragsteller gleichkäme.
Mit dieser Begründung ist schließlich auch der Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren begründet und der Beschwerde gegen die Ablehnung der PKH-Bewilligung beim SG im Eilverfahren stattzugeben (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.
Erstellt am: 12.06.2012
Zuletzt verändert am: 12.06.2012