Der Bescheid vom 13. November 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 1997 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen einer am 30. September 1996 eingetretenen Berufsunfähigkeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit. Der geborene Kläger wurde 1973 im deutschen Steinkohlenbergbau angelegt. Er brachte es bis zum Hauer. Nach einer Arbeitsunfähigkeitszeit wurde er ab 1987 auf Haus Aden/Monopol bzw. Bergwerk- Ost nur noch als Kauenwärter eingesetzt. Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit bezieht er bereits ausgehend von einem Versicherungsfall November 1985. Am 29. Oktober 1996 beantragte der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte zog ein Gutachten ihres Sozialmedizinischen Dienstes aus einem früheren Rentenverfahren von Mai 1996 bei. In diesem Gutachten war der Sozialmedizinische Dienst zu dem Ergebnis gekommen, schwere Tätigkeiten könnten dem Kläger nicht mehr zugemutet werden. Er könne aber noch seine bisherige Tätigkeit als Kauenwärter verrichten. Mit Bescheid vom 13. November 1996 und Widerspruchsbescheid vom 03. März 1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab. Sie ging von dem Hauptberuf als Hauer aus und verwies den Kläger zum Ausschluß der Rente wegen Berufsunfähigkeit auf die Tätigkeit als Lagerarbeiter 1. Daraufhin hat der Kläger am 21. März 1997 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im wesentlichen vor, er könne keiner zumutbaren Verweisungstätigkeit mehr nachgehen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 13. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ausgehend von einer am 30. September 1996 eingetretenen Berufsunfähigkeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Sie verweist den Kläger zum Ausschluß der Rente wegen Berufsunfähigkeit nunmehr noch auf die Tätigkeiten als Verwieger 2 und Lampenwärter. Solange der Kläger im Bergbau beschäftigt.gewesen sei,könneer auf Bergbautätigkeiten verwiesen werden. Sie stützt sich auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (-BSG-8 RKn 19/96)• sowie Rechtsprechung des Landessozialgerichts Essen (Urteil L 2 (18) Kn 43/95). Das Gericht hat Auskünfte der Zeche des Klägers eingeholt. Danach ist der Kläger als Kauenwärter beschäftigt gewesen, hat aber den Lohn eines angelernten Handwerkers nach Lohngruppe 06 erhalten. Von November 1998 bis Ende Mai 2000 ist er in Dauerkurzarbeit gewesen. Anschließend ist er abgekehrt. Das Gericht hat Beweis erhoben und den Orthopäden Dr. sowie den Internisten Dr. beide vom Katholischen Krankenhaus mit Gutachten beauftragt. Dr. ist zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger könne seit September 1996 nur noch leicht bis gelegentlich mittelschwer arbeiten. Heben von. Lasten bis 10 Kilogramm sei noch möglich. Dr. ist zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger könne noch leichte Arbeiten verrichten. Schließlich hat die Kammer Herrn , Leiter der Abteilung Arbeitsschutz, Gesundheit und Umweltschutz auf dem Bergwerk Ost, sowie Herrn Aufsicht im Tagesbetrieb auf dem Bergwerk Ost, als Zeugen dazu vernommen, ob der Kläger eine Chance auf eine Stelle als Verwieger 2 und Lampenwärter gehabt hat. Beide Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf die Streitakte und die Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer konnte den Rechtsstreit mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG beschwert. Zu Unrecht hat die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit abgelehnt. Der Anspruch des Klägers richtet sich gemäß § 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) noch nach der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI a.F.). Denn der Kläger macht mit seinem vor dem 01. April 2001 gestellten Antrag einen vor dem 31. Dezember 2000 bestehenden Anspruch geltend. Nach § 43 SGB VI a.F. erhält ein Versicherter bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn seine Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Dabei beurteilt sich die Erwerbsfähigkeit nach dem Kreis der Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner -Ausbildung sowie seines, bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die Leistungsfähigkeit bei dem Kläger wird im wesentlichen durch folgende Gesundheitsstörungen eingeschränkt: Schwergradige chronische obstruktive Bronchitis, kompensiertes cor pulmonale, Hüftgelenks- und Kniegelenksverschleiß, chronische Lumbalgien. Aufgrund dieser Gesundheitsstörungen kann der Kläger ab 30. September 1996 nur noch leichte, gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten verrichten, mit Heben bis 10 kg. Die Kammer stützt sich insoweit auf die überzeugenden Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen, deren Beurteilung auch von der Beklagten nicht beanstandet wird. Mit diesem Leistungsvermögen kann der Kläger nach wie vor nicht seinen Hauptberuf als Hauer ausüben. Es kommen auch keine Verweisungstätiqkeiten in Betracht, die bei einem ehemaligem Hauer, also einem Versicherten mit Facharbeiterstatus, Berufsunfähigkeitsrente ausschließen könnten. Die vom Kläger tatsächlich verrichtete Tätigkeit als Kauenwärter ist einem Facharbeiter gegenüber nicht sozial zumutbar und schließt Berufsunfähigkeitsrente nicht aus (vgl. Urteil des BSG vom 29. Mai 1964 – Az. 5 RKn 50/62 -). Die Tätigkeit als Kauenwärter umfaßt im wesentlichen ungelernte Putzarbeiten. An der sozialen Unzumutbarkeit dieser Tätigkeit für einen Hauer ändert sich auch nichts dadurch, daß der Kläger den Lohn eines angelernten Handwerkers erhalten hat. Denn für die Verweisbarkeit kommt es auf die Qualität der Verweisungstätigkeit an und nicht auf eine vergönnungsweise gezahlte übertarifliche Entlohnung (vgl. Urteile.des BSG vom 29. November 198 4 – Az. 5 b RJ 4 6/84 – und vom 12. November 1980 – Az. 1 RJ 104/79 -). Die üblichen Verweisungstätigkeiten außerhalb des Bergbaus als Arzneimittelauslieferungsfahrer und Gabelstaplerfahrer scheiden schon deswegen aus, weil der Kläger keinen Führerschein Klasse III hat. Die Tätigkeit als Hauswart bringt körperliche Anforderungen mit sich, die die Leistungsfähigkeit des Klägers übersteigen. -Die Beklagte hat zu Recht diese Verweisungstätigkeit nicht benannt. Bis zum Zeitpunkt der Abkehr des Klägers kommen von seinem körperlichen Leistungsvermögen- aus dem Bergbaubereich allenfalls noch die von der Beklagten im Streitverfahren aufrecht erhaltenen Tätigkeiten als Verwieger 2 und Lampenwärter in Frage. Insoweit scheidet eine Verweisung des Klägers jedoch aus, weil er keine Chance hatte, eine solche Stelle zu erhalten. Von der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, daß die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten nicht abstrakt, d. h. losgelöst von der Wirklichkeit des Arbeitslebens, betrachtet werden kann, sondern auch zu berücksichtigen ist, ob überhaupt eine – wenn auch nur schlechte — Chance besteht, einen Arbeitsplatz in dem in Frage kommenden Verweisungsberuf zu erhalten (vgl. BSGE 30, 167; 30, 192; 41, 41). Dies gilt auch weiterhin nach dem 2 …Änderungsgesetz zum SGB VI vom 2. Mai 1996 (vgl. BSG Urteil 8 RKn 19/96).
Hat ein Versicherter praktisch keine Chance mehr, einen Arbeitsplatz im angedachten Verweisungsberuf zu erhalten, ist eine die Berufsunfähigkeit ausschließende Verweisungsmöglichkeit nicht mehr gegeben. Bei tarifvertraglich erfaßten Vollzeittätigkeiten gilt im Regelfall die Vermutung, daß eine für die Verweisbarkeit hinreichende Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden ist, ohne daß zu prüfen ist, ob die Arbeitsplätze besetzt oder unbesetzt sind. Gibt es jedoch trotz tarifvertraglicher Erfassung nur eine unbedeutende Anzahl von Arbeitsplätzen, ist das Bestehen einer Verweisungsmöglichkeit konkret zu untersuchen (BSG SozR 2200 § 1247 RVO Nr. 33; BSG Urteil vom 15. November 1989 – 8/5a RKn 13/87 in SozR 2600 § 46 RKG Nr. 20). Zumindest, wenn es nur noch 200 Arbeitsplätze im Bundesgebiet für eine Verweisungstätigkeit gibt, ist die Zugangsmöglichkeit eines Versicherten zu einer solchen Stelle konkret zu prüfen (BSG 8/5a RI(n 13/87 a.a.O.). Schon 1995 gab es im Bereich der Ruhrkohle nur noch 136 Stellen als Verwieger 2 und 76 Stellen als Lampenwärter (vgl. Auskunft der RAG an die Beklagte vom 11. Oktober 1995). Wegen des allgemein bekannten Schrumpfungsprozesses im Bergbau geht die Kammer davon aus, daß es seit 1995 trotz Zusammenschluß der RAG mit dem Saarbergbau nicht wesentlich mehr Stellen geworden sind.
Die Kammer bleibt deswegen.bei ihrer Rechtsprechung, die Verweisungsmöglichkeiten auf leichte über-Tage-Tätigkeiten im Bergbau konkret zu prüfen. Auch das von der Beklagten angeführte Urteil des BSG mit dem Az. 8 RI(n 19/96 verschließt sich einer solchen Prüfung gerade nicht. Bei den Stellen als Verwieger 2 und Lampenwärter handelt es sich um Schonarbeitsplätze, die ausschließlich mit Betriebsangehörigen der jeweiligen Zeche oder Betriebsangehörigen einer stillgelegten Zeche besetzt werden (vgl. die der Beklagten bekannten Auskünfte der Ruhrkohle vom 14. Oktober 1994 – L 18 -KN 7/93 – und vom 14. Mai 1997 – L 2 (18) 43/95 -). Für den Kläger kamen damit nur Verweisungsmöglichkeiten auf Haus Aden/Monopol bzw. Bergwerk Ost in Betracht. Zu den*Verhältnissen auf der früheren Zeche des Klägers hat die Kammer die Zeugen und vernommen. Die Zeugen haben glaubhaft folgendes bekundet: 1996 habe es auf der Zeche Haus Aden/Monopol 10 – 12 Verwieger 2 gegeben. Ab 1998/1999 gebe es dort keine Stellen mehr für Verwieger 2. Auf Heinrich Robert gebe es heute noch 2-3 Verwieger 2. 1996 habe es auf Haus Aden/Monopol 11 und auf Heinrich Robert 4 Lampenwärter gegeben, 1998 zusammen nur noch 14. Heute gebe es nur noch 8 Lampenwärter. Seit 1996 sei es nicht gelungen, auch nur einen einzigen Beschäftigten mit einer entsprechenden Arbeitsplatzwechselempfehlung auf eine Stelle als Verwieger 2 oder Lampenwärter zu setzen, weil ständig Arbeitsplätze abgebaut worden seien. Daraus ergibt sich zur.Überzeugung der Kammer, daß der Kläger keine, auch keine schlechte, Chance hatte, eine Stelle als Lampenwärter oder Verwieger 2 zu erhalten. Denn es konnten solche Stelle nicht neu besetzt werden. Frei v/erdende Arbeitsplätze wurden abgebaut. Nach alledem war die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Erstellt am: 14.01.2020
Zuletzt verändert am: 14.01.2020