Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10.07.2001 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Über das Anerkenntnis hinaus sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten nur noch über die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit bis zum Ausscheiden des Klägers aus dem Bergbau am 31.05.2000.
Der am 00.00.1950 geborene Kläger war bis zu seiner Arbeitsunfähigkeit im November 1985 als Hauer auf Haus B (nach dem Zusammenschluss mit der Zeche I "Bergwerk Ost") und ab 1987 als Kauenwärter tätig.
Den im Oktober 1996 gestellten Antrag auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 13.11.1996, Widerspruchsbescheid vom 03.03.1997), nachdem der Kläger noch für fähig erachtet worden war, leichte körperliche Arbeiten vollschichtig zu verrichten.
Im Klageverfahren hat der Kläger an seinem Begehren festgehalten und insbesondere die Auffassung vertreten, ihm stehe Rente wegen Berufsunfähigkeit neben Arbeitseinkommen zu.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 13. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. März 1997 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ausgehend von einer am 30. September 1996 eingetretenen Berufsunfähigkeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat an ihrer Auffassung festgehalten, dass der Kläger mit dem festgestellten Leistungsvermögen auf die Tätigkeit des Verwiegers 2 und die des Lampenwärters verweisbar ist.
Das Sozialgericht hat ein internistisches Gutachten von Dr. G und ein orthopädisches Gutachten von Dr. B, beide Katholisches Krankenhaus E, eingeholt. Die Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger seit September 1996 noch leichte (auf orthopädischem Gebiet bis gelegentlich mittelschwere) Arbeiten vollschichtig verrichten könne. Wechsel- und Nachtschicht seien nicht ausgeschlossen.
Das Sozialgericht hat ferner die Zeugen L und X zu der Frage vernommen, ob der Kläger eine Chance habe (oder gehabt habe) eine Stelle als Verwieger 2 oder Lampenwärter zu erhalten.
Sowohl der Zeuge X als auch der Zeuge L haben ausgeführt, dass 1996 auf Haus B zehn bis zwölf Verwieger-2-Stellen vorhanden gewesen seien; mit dem Zusammenschluss Haus B und I im Jahre 1997 sei ein Standort geschlossen worden und dann noch ungefähr sieben Personen als Verwieger 2 beschäftigt worden. Seit 1998/99 gebe es keine Verwieger-2-Stellen mehr, wobei dies nur für Haus B gelte; auf I gebe es in der Aufbereitung wohl noch zwei oder drei Verwieger-2-Stellen. Als Lampenwärter würden noch 8 Beschäftigte geführt. Ab 1996 habe der Kläger keine Chance gehabt, eine Stelle als Verwieger 2 oder Lampenwärter zu erhalten, weil keine Stellen frei geworden seien. Seit 01.01.1996 bis zum 31.05.2000 hätten zwei Beschäftigte eine ausschließliche Arbeitsplatzwechsel- empfehlung auf eine Verwiegerstelle und 6 Beschäftigte auf eine Lampenwärterstelle gehabt, von denen keiner auf eine solche Stelle habe vermittelt werden können, weil ständig Arbeitsplätze abgebaut würden.
Der Zeuge L, Leiter der Abteilung Arbeitsschutz, Gesundheit und Umweltschutz hat im übrigen für die Ausübung der Tätigkeit als Verwieger 2 keine weitergehenden PC-Kenntnisse für erforderlich gehalten, so dass eine schnelle Einarbeitung möglich sei. Bei dieser Tätigkeit könne es vorkommen, dass sich der Lampenwärter an einigen Tagen pro Schicht 1 oder 1 1/2 Stunden lang bücken müsse.
Durch Urteil vom 10.07.2001 hat das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger wegen einer am 30. September 1996 eingetretenen Berufsunfähigkeit Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Bis zum Zeitpunkt der Abkehr sei der Kläger vom körperlichen Leistungsvermögen her zwar noch in der Lage gewesen als Verwieger 2 oder Lampenwärter zu arbeiten; dennoch könne er auf diese Tätigkeiten nicht verwiesen werden, weil er keine Chance habe oder gehabt habe, eine solche Stelle zu erhalten. Von der Rechtsprechung sei seit langem anerkannt, dass die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten nicht abstrakt, losgelöst von der Wirklichkeit des Arbeitslebens betrachtet werden dürfe, sondern auch zu berücksichtigen sei, ob überhaupt eine – wenn auch nur schlechte – Chance bestehe, einen Arbeitsplatz in dem in Frage kommenden Verweisungsberuf zu erhalten. Habe ein Versicherter praktisch keine Chance mehr, so sei die die Berufsunfähigkeit ausschließende Verweisungsmöglichkeit nicht mehr gegeben. Schon 1995 habe es im Bereich der Ruhrkohle für Verwieger 2 nur noch 136 und für Lampenwärter noch 76 Stellen gegeben. Wegen des allgemein bekannten Schrumpfungsprozesses im Bergbau gehe die Kammer davon aus, dass es seit 1995 trotz des Zusammenschlusses der RAG mit dem Saarbergbau nicht wesentlich mehr Stellen geworden seien. Die Kammer bleibe deshalb bei ihrer Rechtsprechung, die Verweisungsmöglichkeiten auf leichte Übertagetätigkeiten im Bergbau konkret zu prüfen. Bei den Verwieger-2-Stellen handele es sich um Schonar- beitsplätze, die ausschließlich mit Betriebsangehörigen der jeweiligen Zeche oder Betriebsangehörigen einer stillgelegten Zeche besetzt würden, so dass für den Kläger nur die Verweisungs- möglichkeiten auf Haus B bzw. dem Bergwerk Ost in Betracht kämen. Aus den Zeugenvernehmungen ergebe sich, dass er keine Chance gehabt habe, eine Stelle als Verwieger 2 oder Lampenwärter zu erhalten.
Im Berufungsverfahren hat sich die Beklagte bereit erklärt, bei dem Kläger ab 31.05.2000 (Ausscheiden aus dem Bergbau) einen Zustand von Berufsunfähigkeit anzunehmen und die sich daraus ergebenden Leistungen nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu erbringen. Darüberhinaus stehe dem Kläger die begehrte Rentenleistung wegen Berufsunfähigkeit nicht zu.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 10. Juli 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Das Angebot der Beklagten hat der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat angenommen und im übrigen beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist auch begründet, denn der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit steht dem Kläger entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht zu.
Berufsunfähig ist nach § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).
Es hat sich nicht feststellen lassen, dass der Kläger in diesem Sinne berufsunfähig ist. Zwar steht ausser Frage, dass er seinen Hauptberuf als Hauer, den er aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hat, nicht mehr ausüben kann. Er ist aber auf die ihm sozial und gesundheitlich zumutbaren Tätigkeiten als Verwieger 2 und Lampenwärter zu verweisen.
Die genannten Verweisungstätigkeiten sind jedenfalls sozial zumutbar auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger als Hauer die Stellung eines bergmännischen Facharbeiters inne hatte. Unter Berücksichtigung der Grundsätze des vom Bundessozialgericht entwickelten sog. Mehrstufenschemas (vgl. u.a. BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 150 und 153; SozR 2200 § 1246 Nr. 5) darf auf solche Tätigkeiten verwiesen werden, die eine betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erfordern oder sich aus dem Kreis ungelernter Tätigkeiten innerhalb des Betriebes im Ansehen aber auch unter Berücksichtigung der tariflichen Eingruppierung im Vergleich mit anderen Tätigkeiten besonders herausheben. Zu diesen Tätigkeiten gehören die des Lampenwärters und des Verwiegers 2. Beide sind in der Lohngruppe 6 über Tage eingestuft, eine Lohngruppe, in die auch angelernte Handwerker eingruppiert werden. Sie sind auch nicht wegen besonderer Arbeitserschwernisse oder aus sozialen Gründen einer Anlerntätigkeit tariflich gleichwertig behandelt, sondern weil sie von deutlich gehobener betrieblicher Bedeutung sind.
Der Kläger ist den Anforderungen, die mit der Ausübung der Verwieger-oder Lampenwärtertätigkeit verbunden sind, gewachsen.
Wie das Sozialgericht insoweit zutreffend festgestellt hat, kann der Kläger nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme noch leichte Arbeiten vollschichtig verrichten. Einschränkungen bestehen insoweit nur bei der Einnahme von Zwangshaltungen oder unter Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft bzw. bei Arbeiten mit Staub, Schmutz o. ä. Umwelteinflüssen und bei Arbeiten, verbunden mit häufigem Bücken und Knien. Trotz der von den Sachverständigen beschriebenen Einschränkungen ist der Kläger in der Lage, die Tätigkeit eines Lampenwärters sowie die eines Verwiegers zu verrichten. Bei der Tätigkeit eines Lampenwärters handelt es sich um eine körperlich leichte Tätigkeit, die im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen verrichtet werden kann; ein Lampenwärter muss sich bei der Herausnahme der Lampen aus den Regalen zwar bücken, teilweise fallen auch Arbeiten mit leicht vorgebeugtem Oberkörper an. Bückvorgänge wie auch vorgeneigte Haltungen sind allerdings nach übereinstimmender Auffassung der Sachverständigen möglich. Soweit die Zeugen meinten, dass es an einigen Tagen vorkommen könne, dass sich ein Lampenwärter eine oder eineinhalb Stunden bücken müsse, so sind diese Feststellungen insoweit zu relativieren, als die Regalböden, aus denen die Lampen herauszunehmen bzw. hineinzustellen sind, sich nicht alle im unteren Bereich, sondern auch in einer solchen Höhe befinden, dass die Lampen mühelos – ohne Bückvorgang – herausgenommen werden können.
Schließlich reicht das gesundheitliche Leistungsvermögen auch für die Ausübung einer Verwiegertätigkeit aus. Der Verwieger sitzt auf dem Verwiegestand, der über den Gleisen angebracht ist und gibt die Vorgaben, wie er verschiedene Massen zu mischen hat, in den Computer ein, wobei das übrige durch Knopfdruck erledigt wird. Er hat lediglich darauf zu achten, dass bei dem Wiegevorgang keine Störungen auftreten. Da der Zeuge X in diesem Zusammenhang bekundet hat, dass weitergehende PC-Kenntnisse nicht erforderlich und mithin eine rasche Einarbeitung möglich sei, sieht der Senat keine weiteren Verweisungseinschränkungen. Insbesondere folgt der Senat der – auch der Rechtsprechung des BSG entgegenstehenden – Auffassung des Sozialgerichts nicht, dass eine Verweisung aus arbeitsmarktlichen Gründen scheitert, weil etwa im Steinkohlebergbau nur noch wenige Arbeitsplätze zur Verfügung stehen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts muss sich ein Versicherter verweisen lassen, wenn für ihn noch eine reale – wenn auch schlechte – Chance auf eine entsprechende Beschäftigung besteht, also nicht nur eine theoretische Möglichkeit vorhanden ist, einen entspechenden Arbeitsplatz zu erlangen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 110). Dabei scheidet eine Verweisung nicht allein auf Grund des Umstands aus, dass alle für eine Verweisungstätigkeit in Betracht kommenden Stellen besetzt sind. Ganz grundsätzlich ist es rechtlich unerheblich, ob die Arbeitsplätze, an denen qualitativ gleichwertige Vergleichsberufe (sog. Verweisungsberufe) ausgeübt werden, frei oder besetzt sind; selbst dann bestünde immer noch eine schlechte Chance, in diesem Vergleichsberuf erwerbswirt- schaftlich tätig zu sein (vgl. BSG vom 29.04.1997 Az. 8 RKn 19/96 unter Hinweis auf BSG vom 14.05.1996 – 4 RA 60/94). Für eine Tätigkeit als Lampemwärter oder Verwieger kommen wegen des seit 1983 im Steinkohlenbergbau bestehenden Einstellungsstops zwar nur Bewerber in Betracht, die noch im Bergbau beschäftigt sind; dies ist jedoch vorliegend ebenfalls kein Hindernis, weil der Kläger bis zum 31.05.2000 noch auf dem Bergwerk Ost beschäftigt war und damit zumindest Aussicht auf einen ihm zumutbaren Arbeitsplatz bzw. eine entsprechende Beschäftigung gehabt hat. Er gehörte als Belegschaftsangehöriger dieses Bergwerks zu dem Personenkreis, dem die körperlich leichten Arbeiten im Übertagebetrieb des Steinkohlebergbaus vorbehalten waren (ständige Rechtsprechung der mit der knappschaftlichen Rentenversicherung befassten Senate des LSG NW, vgl. z.B. Urteil vom 15.06.1993 – L 18 (2) KN 29/91, vom 15.10.1992 – L 2 (15) KN 42/90 -, vom 23.03.1995 – L 2 KN 66/94). Allein in seinem Beschäftigungsbetrieb gab es nach Auskunft der Zeugen L und X auch noch Arbeitsplätze als Verwieger und Lampenwärter und es bestand bis zur Abkehr des Klägers kein Grund zu der Annahme, dass diese Arbeitsplätze ganz weggefallen wären. Damit hatte der Kläger bis zur Abkehr die Chance, einen solchen Arbeitsplatz tatsächlich zu erhalten. Daran änderte auch der Umstand nichts, wenn es sich möglicherweise um den einzigen, dem Versicherten wegen seiner Betriebszugehörigkeit denkbaren zugänglichen Arbeitsplatz gehandelt hätte. Denn selbst dann bestünde immer noch eine schlechte Chance, in diesem Vergleichsberuf erwerbswirtschaftlich tätig zu sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gründe für eine Revisionszulassung (§ 160 Abs. 2 Nrn.1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Erstellt am: 24.04.2006
Zuletzt verändert am: 24.04.2006