Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.11.2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an dieses Gericht zurückverwiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Ereignisses vom 16./17.06.2003 als Arbeitsunfall nach dem Siebten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) und um die Zahlung von Verletztenrente.
Der am 00.00.1966 geborene Kläger zeigte mit Schreiben vom 25.06.2012 bei der Beklagten einen Versicherungsfall an. Ab 05.06.2003 sei er vom Sozialamt Bad N und von der Firma U GmbH F im Rahmen der Beratung "Hilfe zur Arbeit – Projekt 2000" der Werkstatt der AWO in L beigeordnet worden. Dort habe er ca. am 16./17.06.2003 bei schweren Umzügen mithelfen müssen und aufgrund dieser das Krankheitsbild eines Bandscheibenvorfalls L5/S1 mit Arbeitsunfähigkeiten bis Juni 2004 und späteren Störungen im Juni/Juli 2009 bekommen. Seiner Anzeige fügte der Kläger eine Praktikumsbescheinigung des AWO Kreisverbandes F, Nebenstelle L (Praktikum 05.06.2003 bis 30.06.2003 mit Krankschreibung vom 23.06.2003 bis 30.06.2003), Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (ab 23.06.2003), ein Attest des Dr. L vom 16.02.2004 (rezidivierendes orth. Krankheitsbild, Bandscheibenvorfall L5/S1) bzw. einen Arztbrief vom 12.07.2004 (u.a.: "Herr B. ist mir seit 7/02 bekannt, seinerzeit Lumboischialgie li, computertomographisch älterer bereits calcifizierter NPP L 5/S1 re. betont, zwischenzeitlich wurde Herr B. vom hiesigen Sozialamt bei Umzügen eingesetzt; hierdurch deutliche Befundverschlechterung") sowie eine Heilmittelverordnung (Krankengymnastik) des Orthopäden Dr. T vom 15.06.2009 bei.
Die Beklagte lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls mit Bescheid vom 11.07.2012 ab. Es handele sich bei dem angegebenen Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall nach dem SGB VII, da ein solcher im Zeitraum einer Arbeitsschicht auftreten müsse. Die Tätigkeit der Umzüge übersteige diesen Zeitraum.
Der Kläger teilte der Beklagten mit Schreiben vom 30.07.2012 mit, dass der genannte Versicherungsfall beim Verwaltungsgericht (VG) Aachen (Az.: 6 K 307/04) ermittelt werde. Dem Schreiben fügte er einen Auszug aus einer Niederschrift des VG über einen Erörterungstermin vom 07.04.2004 (Verfahren des Klägers gegen den Bürgermeister der Stadt Bad N wegen Sozialhilfe) sowie aus einem Schreiben seiner ihn dort vertretenden Anwälte vom 11.02.2004 bei, in denen u.a. die gesundheitlichen Einschränkungen im Rahmen der Tätigkeit bei der AWO streitig waren. In einem von ihm am 10.09.2012 ausgefüllten Fragebogen gab der Kläger an, dass ärztliche Stellungnahmen beim Sozialamt der Stadt Bad N vorlägen. Seine Belastung bei der angegebenen Tätigkeit schilderte er mit weiterem Schreiben vom 17.09.2012 als "Tragen schwerer Lasten in extremer Rumpfbeugehaltung".
Die Beklagte holte Befundberichte des Orthopäden Dr. D vom 10.09.2012 (erstmalige Untersuchung 2009, angegeben wurden Schmerzen der LWS seit 2003), des Orthopäden Dr. L vom 10.09.2012 (Behandlung seit Juli 2002, traumatisches Geschehen hier nicht behandelt) und des Internisten Dr. T1 vom 25.10.2012 (Behandlung am 27.05.2004, LWS-Symptomatik, spontane Entstehung nicht auszuschließen) ein und zog eine Auflistung der Mitgliedszeiten und Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers bei der AOK Rheinland/Hamburg bei.
Mit Bescheid vom 13.03.2013 lehnte die Beklagte (erneut) die Anerkennung des Ereignisses vom 16.06. – 17.06.2003 als Arbeitsunfall ab. Es handele sich nicht um ein plötzliches Ereignis im Sinne eines Arbeitsunfalls. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 09.04.2013 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2013 zurück.
Der Kläger hat am 24.06.2013 Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Ein Arbeitsunfall sei nicht lediglich bei einem plötzlichen Ereignis anzunehmen. Vielmehr genüge ein Zeitraum bis zu einer Arbeitsschicht. Würde sich die schädigende Einwirkung auf mehrere Schichten erstrecken, sei Plötzlichkeit zu bejahen, wenn sich die Einwirkung in nur einer Schicht von den übrigen so abhebe, dass sie für die Schädigung wesentliche Bedeutung habe. Die Festlegung auf einen bestimmten Kalendertag sei nicht nötig, wenn nach den Umständen die Schädigung an irgendeinem Tag wahrscheinlich gemacht werde. Dies sei hier der Fall. Er habe beim Anheben eines schweren Schrankes plötzlich einen heftigen Schmerz im Rücken verspürt und den Arbeitsvorgang abbrechen müssen. Ob dies am 16. oder 17.06.2003 der Fall gewesen sei, könne er heute nicht mehr genau angeben. Als Zeugen für das Ereignis hat der Kläger Herrn H N, O-str. 00, M, benannt.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.11.2013 abgewiesen. In seiner anderthalbseitigen Entscheidung hat es in Tatbestand und Gründen auf die angefochtenen Bescheide der Beklagten Bezug genommen. Weitere Ausführungen zu den Umständen des Einzelfalls oder der Begründung der Entscheidung fehlen.
Gegen den ihm am 03.12.2013 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.12.2013 Berufung eingelegt. Er hat bezogen auf die begehrte Anerkennung seiner Erkrankung insbesondere auf den bei ihm festgestellten Grad der Behinderung (GdB) 40 sowie darauf hingewiesen, bereits im Jahr 1982 eine Verletzung beim Fußballspielen mit Operation der Nase sowie einen Wehrdienstunfall 1987 mit Bandscheibenprolaps im Bereich der Lendenwirbelsäule L5/S1 erlitten zu haben.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.11.2013 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2013 zu verpflichten, das Ereignis vom 16. oder 17.06.2003 als Arbeitsunfall anzuerkennen,
hilfsweise,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 29.11.2013 aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat eine Auskunft des AWO-Regionalverband F eingeholt, nach der dort nur eine Beschäftigung vom 01.07.2004 bis 13.12.2004 bekannt sei.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insbesondere des Vorbringens des Klägers im Einzelnen, wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung an das Sozialgericht begründet.
Der Senat hat nach Maßgabe des § 159 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und auf den Hilfsantrag des Klägers von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Sozialgericht zurückzuverweisen, da das Verfahren i.S.v. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 159 Rn. 3; LSG NRW Urteil vom 22.06.2011 – L 13 VG 90/10 juris Rn. 34, 35; LSG NRW Urteil vom 19.03.2008 – L 8 R 264/07 – juris Rn. 62; LSG NRW Urteil vom 20.02.2002 – L 10 V 41/01 – juris Rn. 59), d.h. ein Mangel auf dem Weg zur Entscheidung (Hintz/Lowe, SGG, 2012, § 159 Rn. 7), und auch ein wesentlicher Fehler des Urteils selbst (Zeihe, SGG, § 160 Rn. 17b mwN; Frehse, in Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 159 Rn. 18 mwN; Hintz/Lowe, a.a.O., Rn. 8; LSG NRW, Urteil vom 22.06.2011 – L 13 VG 90/10 – juris Rn. 34, 35; LSG NRW Urteil vom 19.03.2008 – L 8 R 264/07 – juris Rn. 62; LSG NRW Urteil vom 20.02.2002 – L 10 V 41/01 – juris Rn. 59). Wesentlich ist der Mangel, wenn die erstinstanzliche Entscheidung hierauf beruhen kann, d.h. wenn nicht auszuschließen ist, dass das SG ohne den Mangel anders entschieden hätte (Frehse, a.a.O., Rn. 19) und das Verfahren vor dem SG wegen dieses Mangels keine ordnungsgemäße Entscheidungsgrundlage darstellt (Wolff-Dellen, in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2014, § 159 Rn. 5; Zeihe, SGG, § 159 Rn. 2a; Frehse, a.a.O., Rn. 18).
Derartige Verfahrensmängel liegen hier in der Form von Verstößen gegen § 136 SGG einerseits bzw. § 103 SGG andererseits vor.
Der Gerichtsbescheid des SG genügt nicht den Anforderungen des § 136 SGG an eine ordnungsgemäße Darstellung des Tatbestandes und ist damit verfahrensfehlerhaft iSv § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG (vgl. LSG NRW Urteil vom 15.04.2014 – L 15 U 630/13; LSG NRW Urteil vom 20.02.2002 – L 10 V 41/01 – juris Rn. 61).
Nach § 136 Abs. 1 Nr. 5 SGG hat das Urteil die gedrängte Darstellung des Tatbestandes zu enthalten. Wenngleich die Ausführungen somit knapp sein können, müssen diese doch erkennen lassen, welchen Sachverhalt das SG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat (vgl. Keller, a.a.O., § 136 Rn. 6). Die Darstellung des Tatbestandes kann dabei durch eine Bezugnahme auf die vorbereitenden Schriftsätze und auf die zur Sitzungsniederschrift erfolgten Feststellungen ersetzt werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand vollständig und richtig ergibt (§ 136 Abs. 2 S. 1 SGG). Als Mindestanforderung verlangt § 136 Abs. 2 S. 2 SGG, dass die erhobenen Ansprüche genügend zu kennzeichnen und die dazu vorgebrachten Angriffs- und Verteidigungsmittel ihrem Wesen nach hervorzuheben sind. Bezugnahmen dürfen keine Unklarheiten zur Folge haben; der Tatbestand muss noch in sich verständlich sein (Keller, a.a.O., § 136 Rn. 6b). Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinn des § 136 Abs. 2 S. 2 SGG sind die zur Begründung des Sachvortrags oder zur Verteidigung gegen diesen vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Behauptungen, Einwendungen, Bestreiten, Einreden und Beweisanträge (Keller a.a.O. § 136 Rn. 6b).
Der Tatbestand des angefochtenen Gerichtsbescheides genügt diesen Anforderungen nicht. Er beschränkt sich auf die Angabe des Klageziels ("Feststellung eines Ereignisses in der Zeit vom 16.06.2003 bis 17.06.2003 – Umzugshilfe mit anschließenden Beschwerden der Lendenwirbelsäule – als Arbeitsunfall") und die Angabe der streitgegenständlichen Bescheide. Weitere Angaben zum Sachverhalt werden nicht gemacht. Der Tatbestand nimmt vielmehr ausschließlich Bezug auf den Bescheid vom 13.03.2013 und den Widerspruchsbescheid vom 07.06.2013, obwohl § 136 Abs. 2 S. 1 SGG wie oben ausgeführt nur eine Bezugnahme auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze und auf die zur Sitzungsniederschrift erfolgten Feststellungen erlaubt. Eine Sitzungsniederschrift mit entsprechenden Feststellungen liegt nicht vor, da das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entschieden hat. Die vorbereitenden Schriftsätze, die insbesondere der Kläger im Klageverfahren eingereicht hat, werden indes nicht erwähnt. Dies gilt insbesondere für den Vortrag des Klägers, das Ereignis habe sich nicht – wie das SG im Gerichtsbescheid unterstellt – an beiden angegebenen Tagen, sondern konkret an einem von diesen, er wisse nur nicht mehr genau, welchem, abgespielt. Auch das hierzu vom Kläger unterbreitete Beweisangebot, die Vernehmung des Zeugen N, hat das SG nicht aufgeführt.
Der Mangel wird auch nicht dadurch geheilt, dass das Sozialgericht "wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Gerichtsakte" (und nicht auch auf die Verwaltungsakte!) Bezug genommen hat. Es ist nach § 136 Abs. 2 S. 2 SGG in jedem Fall geboten, erhebliches Beteiligtenvorbringen jedenfalls in gedrängter Form im Tatbestand zu dokumentieren. Dieser Beurkundungs- und Darstellungsfunktion genügt ein Tatbestand nicht, der das Beteiligtenvorbringen überhaupt nicht wiedergibt. Die Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid bzw. Widerspruchsbescheid ist gemäß § 136 Abs. 3 SGG nur möglich zur Darstellung der Entscheidungsgründe und kann für den Tatbestand eines Urteils oder Gerichtsbescheides nicht herangezogen werden. Diese Vorgehensweise stellt einen gravierenden Verfahrensfehler dar. Insbesondere im Hinblick auf die Angabe des SG, der Anspruch des Klägers gehe auf Feststellung eines Ereignisses in der Zeit vom 16.06.2003 "bis" 17.06.2003 legt nahe, dass das SG das anderslautende Vorbringen einschließlich des Beweisantrags nicht zur Kenntnis genommen hat.
Da der Vortrag des Klägers – sollte er sich bestätigen – zu einer anderen rechtlichen Beurteilung Anlass gibt, als von der Beklagten, auf die das SG Bezug nimmt, vorgenommen, ist nicht auszuschließen, dass das SG bei dessen Berücksichtigung seinerseits zu einer anderen Auffassung gelangt wäre. Der Verstoß gegen § 136 SGG ist damit ein wesentlicher Verfahrensfehler.
Das Sozialgericht hat des Weiteren gegen die ihm nach § 103 SGG obliegende Amtsermittlungspflicht verstoßen und auch hiermit verfahrensfehlerhaft iSv § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG gehandelt (vgl. LSG NRW Urteil vom 15.04.2014 – L 15 U 630/13; LSG Bayern Urteil vom 05.02.2014 – L 2 U 406/13 – juris Rn. 20 f.; LSG NRW Urteil vom 10.06.2013 – L 19 AS 239/13 – juris Rn. 44 f.; Urteil vom 22.06.2011 – L 13 VG 90/10 – juris Rn. 35; Urteil vom 30.03.2009 – L 20 AS 65/08 – juris Rn. 54 f.; Urteil vom 19.03.2008 – L 8 R 264/07 – juris Rn. 62; Urteil vom 20.02.2002 – L 10 V 41/01 – juris Rn. 63; Frehse, a.a.O., § 159 Rn. 21; Hintz/Lowe, a.a.O., § 159 Rn. 10; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 159 Rn. 12 unter Verweis auf § 144 Rn. 206).
Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen (§ 103 S. 1 SGG). Zu ermitteln sind alle Tatsachen, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich, d.h. entscheidungserheblich sind (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 103 Rn. 4a; Hintz/Lowe, a.a.O., § 103 Rn. 10; Kühl, in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl. 2013, § 103 Rn. 2). Eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht liegt dann vor, wenn sich das Gericht ausgehend von seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen (st. Rspr. z.B. BSG Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 3/12 B – juris Rn. 11 m.w.N; vgl. auch BSG Urteil vom 11.12.2008 – B 9 VS 1/08 R – juris Rn. 69 m.w.N.; Leitherer, a.a.O., § 103 Rn. 5; Hintz/Lowe, a.a.O., § 103 Rn. 14; Kolmetz, in Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 103 Rn. 5, Kühl, a.a.O., § 103 Rn. 3). Dabei ist von sämtlichen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen (BSG Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 3/12 B – juris Rn. 11 m.w.N; LSG NRW Urteil vom 22.06.2011 – L 13 VG 90/10 – juris Rn. 36; Kolmetz, a.a.O, § 103 Rn. 3, 6 m.w.N.). Einen Beweisantrag darf das Gericht nur dann ablehnen, wenn es aus seiner rechtlichen Sicht auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn diese Tatsache als wahr unterstellt werden kann, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist, wenn die behauptete Tatsache oder ihr Fehlen bereits erwiesen ist oder wenn die Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist (BSG Beschluss vom 15.08.2012 – B 6 KA 3/12 B – juris Rn. 11 m.w.N.).
Vorliegend hätte sich das SG nach dem ihm vorliegenden aktenkundigen Sachverhalt zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müssen. Der Kläger hat in seiner Klageschrift ausdrücklich und anwaltlich vertreten umfangreich begründet, dass die Bandscheibenschädigung nicht während zwei Tagen, sondern konkret an einem dieser Tage aufgetreten sei und er sich lediglich nicht an den genauen Tag erinnern könne. Diesen Vortrag hätte das SG zum Anlass nehmen müssen, aufzuklären, ob der Vortrag belegbar ist, weil es – der Beklagten folgend – einen etwaigen Anspruch des Klägers gerade aufgrund der angenommenen Dauer des Ereignisses von zwei Tagen als ausgeschlossen angesehen hat. Auch aus der rechtlichen Sicht des SG kam es somit erkennbar gerade auf diese Tatsache, d.h. die zeitliche Begrenzung des Ereignisses, an. Die weitere Aufklärung der Behauptung des Klägers drängte sich auch insbesondere deswegen auf, weil der Kläger hierfür Beweis durch Benennung des Zeugen N angeboten hat. Gründe, von der Vernehmung des Zeugen abzusehen, sind vom SG nicht genannt worden und auch nicht ersichtlich. Über die Zeugenvernehmung hinaus hätte das SG weiter die Akten des Verwaltungsgerichts Aachen (Az. 6 K 307/04) sowie die diesen zugrundeliegenden Verwaltungsakten (Sozialhilfegewährung) der Stadt Bad N beiziehen müssen. Aus den vom Kläger hierzu vorgelegten Auszügen des Erörterungstermins sowie des Schreibens seines damaligen Rechtsanwalts ergibt sich, dass zwischen der Stadt Bad N und dem Kläger streitig war, ob letzterer zu Recht aus gesundheitlichen Gründen die weitere Beschäftigung bei der AWO nach dem Praktikum im Juni 2003 verweigert hat. Auch hat der Kläger im Verwaltungsverfahren angegeben, dass hierzu beim Sozialamt ärztliche Stellungnahmen aus 2003 vorlägen. Entsprechend ist zu eruieren, ob die Verwaltungs- und Gerichtsakten über ein konkretes gesundheitsschädigendes Ereignis während dieses Praktikums Aufschluss geben können. Auch bei dem AWO-Regionalverband F ist zu ermitteln, ob dort noch Unterlagen vorliegen. Die dortige bisherige Auskunft, der Kläger sei erst ab 01.07.2003 beschäftigt gewesen, kann im Hinblick auf die aktenkundige Praktikumsbescheinigung nicht zutreffend sein. Weitere Erkenntnisse über ein etwaiges kurzfristiges Unfallereignis können sich ggf. auch aus einer Beiziehung der über den Kläger beim Versorgungsamt geführten Schwerbehindertenakte ergeben, da im Verfahren zur Feststellung einer Behinderung üblicherweise medizinische Berichte eingeholt werden. Schließlich sind – nach Ausfüllung eines Vordrucks über die Entbindung von der Schweigepflicht durch den Kläger – die diesen zur Zeit des streitigen Ereignisses behandelnden Ärzte anzuschreiben und um Mitteilung ihrer konkreten damaligen Befunde und Diagnosen zu bitten. Gleichermaßen kann ggf. weiterer Aufschluss über eine ärztliche Behandlung Mitte Juni 2003 durch Beiziehung eines vollständigen Vorerkrankungsverzeichnisses der Krankenkasse des Klägers gewonnen werden. Ergeben die Zeugenvernehmung und/oder die o.g. sonstigen Ermittlungen ein zeitlich begrenztes Unfallereignis, ist durch Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens zu klären, ob und inwieweit dieses Ereignis die vom Kläger angegebene vorbestehende Wirbelsäulenerkrankung wesentlich verschlimmert hat.
Aufgrund der Vielzahl der notwendigen weiteren Ermittlungsschritte stellt sich die noch vorzunehmende Beweisaufnahme als iSv § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG umfangreich und aufwändig, d.h. mit erheblichem Einsatz von personellen und sächlichen Mitteln verbunden (BT-Drs. 17/6764, S. 27, BR-Drs. 315/11, S. 41; Keller, a.a.O., § 159 Rn. 4), dar.
Vor dem Hintergrund der Deutlichkeit und Kumulation der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch das SG, das wie ausgeführt eine pflichtgemäße Prüfung der Sache – wie im Übrigen auch in einer Vielzahl anderer Verfahren mit gleichlautender stereotyper Entscheidung – umgangen hat sowie zur Erhaltung einer zweiten Tatsacheninstanz hält der Senat auch unter Berücksichtigung des Interesses der Beteiligten an einer baldigen Sachentscheidung sowie der Prozessökonomie unter Ausübung des ihm gem. § 159 Abs. 1 SGG obliegenden Ermessens im konkreten Fall eine Zurückverweisung für geboten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Erstellt am: 02.02.2015
Zuletzt verändert am: 02.02.2015