Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.03.1997 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin streitet um Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz -OEG-).
Die 1943 geborene Klägerin war jugoslawische Staatsangehörige und erhielt durch Heirat die italienische Staatsangehörigkeit. 1973 verließ sie ihr Ehemann; die Ehe wurde 1984 geschieden. Seit 1985 ist die Klägerin, die nach ihren eigenen Angaben als Mannequin, Fotomodell und Dolmetscherin tätig war, arbeitslos.
Am 22.07.1989 beantragte sie die Gewährung von Versorgung nach dem OEG mit der Begründung, sie sei am 21.08.1980 nachts in ihrer Wohnung überfallen worden, sie leide seitdem unter Angst, Unsicherheit und Nervosität. Sie habe bei der Kriminalpolizei E Strafanzeige erstattet; der Täter habe jedoch nicht ermittelt werden können. Am Tattag habe sie die Ärzte Dr. X und Dr. L aufgesucht.
Die Kriminalpolizei E (Az.: 000) konnte lediglich noch das Schreiben an das Landeskriminalamt E vom 04.09.1980 übersenden, in dem von einer angezeigten versuchten Vergewaltigung berichtet worden ist. Weitere Vorgänge – auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten – sind nicht mehr vorhanden. Das Verfahren gegen einen Tatverdächtigen war im Oktober 1980 eingestellt worden, weil Ermittlungen keinen Hinweis auf den Täter ergeben hatten.
Die Beklagte holte von der Kaufmännischen Krankenkasse I, E, Auskunft über durchgemachte Erkrankungen und Behandlungen in dem Zeitraum 1973 bis 1984 und von den behandelnden Ärzten, dem Orthopäden Dr. X, dem Gynäkologen Dr. L, dem Internisten Dr. W und dem Neurologen und Psychiater Dr. E, Befundberichte ein. Ferner lagen dem Beklagten Unterlagen der Klägerin über einen Arbeitsgerichtsprozess vor, den diese wegen Honorarforderung im September 1980 geführt hatte. In dem damaligen Verfahren hatte sie vorgetragen, sie habe die Tätigkeit als Hostess während der Düsseldorfer HiFi-Messe vom 22. bis 28.08. 1980 nicht verrichten können, weil sie überfallen, vergewaltigt und beraubt und deswegen auch auf der Polizeiwache festgehalten worden sei.
Nach Auswertung der ärztlichen Unterlagen durch den Versorgungsarzt Dr. T, der die bei der Klägerin ärztlich festgestellte neurotische Persönlichkeitsstörung eindeutig als persönlichkeitsbedingt ansah, lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 02.01.1991 den geltend gemachten Anspruch ab; die Klägerin sei zwar am 21.08.1980 vorsätzlich, rechtswidrig tätlich angegriffen und hierbei verletzt worden. Die bei dem Vorfall erlittenen Gesundheitsstörungen seien jedoch im Zeitpunkt der Antragstellung folgenlos abgeheilt gewesen. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen "Nervosität und Angstsymptomatik" stünden mit dem schädigenden Ereignis in keinem ursächlichen Zusammenhang; es handele sich hierbei um anlagebedingte Leiden.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe bis zu der Gewalttat ein ganz normales Leben geführt. Die Probleme hätten erst danach begonnen. Nach Einholung weiterer ärztlicher Befundberichte und Krankenunterlagen über stationäre Heilverfahren in dem Zeitraum von 1988 bis 1991 (Juli/August 1988 in der Kurklinik S, Bad T; September 1990 bis Januar 1991 im Evangelischen K-Krankenhaus C, Klinik für Psychotherapie und Psychosomatischer Medizin; April bis Juni 1991 in den Krankenanstalten "G" -Nervenklinik-, E) und von der Psychotherapeutin Dr. X1, der Ärztin für Hals-Nasen-Ohren-Krankheiten und Psychiatrie Dr. I, dem Dermatologen Dr. I1 und erneut von dem Internisten Dr. W erstattete auf Veranlassung des Beklagten Privatdozent Dr. L1, Psychiatrische Klinik der Universität E, unter Berücksichtigung des testpsychologischen Zusatzgutachtens der Dipl.-Psychologin G sein Gutachten vom 01.02.1993. Der Gutachter Dr. L1 stellte die Diagnose "vitalisierte neurotische Depression bei narzisstischer Persönlichkeit". Die Beschwerden seien Ausdruck einer anlagebedingten neurotischen Persönlichkeitsstörung, die keinen ursächlichen Zusammenhang oder eine Verschlimmerung durch den Vergewaltigungsversuch aufweise. Folgen der Schädigung im Sinne des OEG lägen sicher nicht vor und hätten auch nicht in anhaltender Form nach dem Vergewaltigungsversuch vorgelegen. Daraufhin wies der Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 17.05.1993 zurück.
Mit ihrer am 15.06.1993 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin neben psychischen Leiden auch eine Schulterluxation, eine Lendenschädigung und die Lockerung zweier Zähne geltend gemacht.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 02.01.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.1993 zu verurteilen, als Schädigungsfolge nach dem Opferentschädigungsgesetz eine
1. posttraumatische Belastungsstörung,
2. Schulterluxation,
3. Lendenschädigung,
4. Lockerung des Schneidezahnes links oben und des nächsten Zahnes daneben,
5. psychische Störungen
anzuerkennen und Rente nach einer MdE um 100 v.H. zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich auf die Ausführungen des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. X2 gestützt, der die Auffassung vertreten hat, der posttraumatische Verlauf spreche gegen eine massive posttraumatische Belastungsreaktion; die Klägerin leide vielmehr – unabhängig von dem in Rede stehenden Ereignis – an einer schweren Persönlichkeitsbeeinträchtigung, hauptsächlich depressiven paranoiden Gepräges.
Auf Anfrage des SG hat der behandelnde Internist Dr. W mitgeteilt, aus der Zeit von 1980 bis 1985, in der sein Praxisvorgänger Dr. O die Klägerin behandelt habe, seien nur unbedeutende Laborbefunde vorhanden. Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung des psychiatrischen Gutachtens von Prof. Dr. U, Klinisches Institut und Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, E, vom 12.08.1994 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 06.01.1995. Der Sachverständige hat unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung und querulatorischen Entwicklung bei paranoider Persönlichkeit gestellt. Die Gewalttat, der Einbruch in die Wohnung, die Mordandrohung, die zweimalige Vergewaltigung sowie der Raub stellten ein Ereignis dar, das außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrung liege und für fast jeden stark belastend wäre. Dieses Ereignis habe eine posttraumatische Belastungsstörung verursacht, wie sie in der psychiatrischen Literatur beschrieben werde. Bei der Klägerin bestehe auch heute noch die klassische Symptomatik einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die Tatsache, dass sie bis 1985 ihrer Arbeit habe nachgehen können, spreche nicht gegen eine solche, sondern sei eher als "Scheinanpassung" zu werten. Dafür, dass es ihr seit 1980 und nicht erst seit 1985 schlecht gegangen sei, und für Behandlungsversuche seit 1980 gebe es Hinweise. Der Schweregrad der posttraumatischen Belastungsstörung lasse sich allerdings nur durch die Primärpersönlichkeit erklären. Die Gesundheitsstörung sei somit zu 50 vom Hundert (v.H.) Folge der dargestellten Gewalttat und begründe bei Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von ca. 50 v.H. seit dem Ereignis. Aufgrund der Chronifizierung des Krankheitsbildes sei mit einer wesentlichen Besserung kaum zu rechnen.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das SG versucht, Unterlagen von dem Nervenarzt Dr. S zu erhalten, den die Klägerin nach ihren Angaben im September 1980 zum ersten Mal und insgesamt dreimal aufgesucht hat. Dr. S, der über keine Unterlagen mehr verfügt, hat lediglich bestätigen können, dass die Klägerin Patientin war. Der vom SG im Termin am 27.11.1996 als Zeuge vernommene Arzt Dr. W hat bekundet, die Klägerin, die er von 1986 bis 1993 behandelt habe, habe ihm gegenüber nie von einer Vergewaltigung gesprochen, sondern immer nur "nebulös von der Sache". Die Klägerin sei von Anfang an neurotisch depressiv gewesen.
Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung des weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. W1, Kliniken St. B, Institut für Neurologie/Psychiatrie, W. Dieser hat ausgehend davon, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat mit vollzogener Vergewaltigung geworden sei, als schädigungsbedingte Gesundheitsstörung eine gedankliche Fixierung auf die durch die Gewalttat erlittene Kränkung mit einem Entschädigungsbegehren gegenüber dem Beklagten angesehen, die jedoch die durch die schädigungsunabhängige konversionsneurotische Fehlentwicklung bedingte MdE nicht wesentlich mitbestimme. Ausgehend von dem Sachverhalt, die Klägerin sei das Opfer einer Gewalttat mit versuchter Vergewaltigung geworden, hat der Sachverständige schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen verneint.
Das SG ist im Wesentlichen dem Sachverständigen Prof. Dr. U gefolgt und hat den Beklagten mit Urteil vom 25.03.1997 verurteilt, als Schädigungsfolge eine posttraumatische Belastungsstörung anzuerkennen und Rente nach einer MdE um 40 v.H. zu zahlen. Die darüber hinausgehende Klage hat es abgewiesen. Es ist von einer vollendeten Vergewaltigung ausgegangen, auf die die posttraumatische Belastungsstörung zurückzuführen sei. Die Klägerin habe durch die Vergewaltigung ein psychisches Trauma erlitten, das geeignet gewesen sei, zu posttraumatischen Belastungsstörungen zu führen. Die vorliegende neurotische Fehlentwicklung habe sich auf dem Boden einer narzisstischen Primärpersönlichkeit unabhängig von der Gewalttat entwickelt. Die geltend gemachten Gesundheitsstörungen auf orthopädischem und zahnärztlichem Fachgebiet hätten im Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vorgelegen. Die schädigungsbedingte MdE sei unter Berücksichtigung der AHP mit 40 v.H. zu bewerten.
Gegen das ihr am 15.05.1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 25.05.1997 Berufung eingelegt und neben einer höheren Rente die Anerkennung aller bei ihr bestehenden psychischen Leiden sowie die im Antrag genannten orthopädischen und zahnärztlichen Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolge beantragt.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.03.1997 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 02.01.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.1993 zu verurteilen, als weitere Schädigungsfolgen nach dem Opferentschädigungsgesetz eine "Schulterluxation, Lendenschädigung, Lockerung des Schneidezahnes links oben und des nächsten Zahnes links daneben, psychische Störungen" anzuerkennen und ab Juni 1989 Versorgungsrente nach einer MdE um 100 v.H. zu leisten und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte, der gegen das ihm am 21.05.1997 zugestellte Urteil am 19.06.1997 ebenfalls Berufung eingelegt hat, beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 25.03.1997 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Er hat unter Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. W1 vorgetragen, die Klägerin sei zwar Opfer einer Gewalttat, jedoch nicht einer vollendeten Vergewaltigung geworden. Er halte auch eine versuchte Vergewaltigung für nicht nachgewiesen. Die durch die Gewalttat erlittenen Gesundheitsstörungen seien im Zeitpunkt der Antragstellung folgenlos ausgeheilt. Die geltend gemachten psychischen Gesundheitsstörungen stünden mit der Gewalttat in keinem ursächlichen Zusammenhang. Die Klägerin leide vielmehr unter erheblichen Störungen im Sinne einer konversionsneurotischen Entwicklung, deren Ursache vor allem in der demonstrativ akzentuierten Primärpersönlichkeit und der als narzisstische Kränkung erlebten sozialen Entwicklung der letzten 12 Jahre läge.
Die vom Senat erbetenen Schweigepflichtsentbindungserklärungen zur Einholung von Befundberichten von dem Gynäkologen Dr. L und der Ärztin Dr. E1 über Behandlungen ab September bzw. Oktober 1980 hat die Klägerin verweigert. Ebenso hat sie jegliche weitere medizinische Begutachtung abgelehnt.
Der Senat hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung des nach Aktenlage erstellten Gutachtens von Prof. Dr. L2, Klinik und Poliklinik für Neurologie und Psychiatrie der Universität L, vom 31.08.1998 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 10.01.1999. Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung und eine neurotische Störung festgestellt. Die chronifizierte posttraumatische Belastungsstörung sei Folge der am 21.08.1980 erlittenen Gewalttat. Der Sachverständige hat für die Auslösung des durch die seit etwa 1989 bestehende neurotische Störung bedingten Störungsbildes neben anderen Ursachen die psychischen Traumafolgen als annähernd gleichwertig gesehen. Ohne diese hätten ungleich bessere Voraussetzungen für die Bewältigung der ungünstigen äußeren Einflüsse bestanden. Die durch die chronifizierte posttraumatische Gesundheitsstörung seit 1980 bedingte MdE hat der Sachverständige mit 40 v.H., die seit 1989 durch die schädigungsbedingten Anteile der neurotischen Störung hervorgerufene MdE mit 30 v.H. und die Gesamtheit der psychischen Folgen des Traumas seit 1989 mit einer MdE um 50 v. H. bewertet. Anhaltspunkte dafür, dass einer Erwerbstätigkeit seit dem Ereignis aus psychiatrischen Gründen nicht mehr hätte nachgegangen werden können, hat er verneint.
Auf den Einwand des vom Beklagten gehörten Sozialmediziners Dr. C, nicht das vital bedrohende Ereignis im August 1980, sondern die vielen, teils lebensbedrohlichen Schicksalsschläge aus der Zeit vorher und nachher hätten überwiegend zur Entstehung der neurotischen Störung beigetragen, hat der Sachverständige Prof. Dr. L2 entgegnet, bei den von Dr. C gelisteten Ereignissen hätte es sich um Geschehnisse und Erfahrungen gehandelt, die nicht den vital bedrohlichen Charakter gehabt hätten wie das Ereignis von 21.08.1980.
Im Termin am 16.02.2000 ist der Sachverständige Prof. Dr. L2 zur Erläuterung seines Gutachtens gehört worden. Er hat dargelegt, die Art und Weise, in der die Klägerin dem Sachverständigen Prof. Dr. U das Ereignis geschildert habe, ließen keine Zweifel an einem lebensbedrohlich empfundenen Ereignis zu. Zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges der bei der Klägerin bestehenden psychischen Störungen mit dem in Rede stehenden Ereignis ist der Sachverständige bei seiner im Gutachten vertretenen Auffassung geblieben.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat der Senat von Prof. Dr. G, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, U, das nach Aktenlage erstellte Gutachten vom 29.12.2000 eingeholt. Trotz erneuter Hinweise des Senates und des Sachverständigen auf die Notwendigkeit einer Untersuchung und ihre Mitwirkungspflicht hat die Klägerin erneut eine Begutachtung abgelehnt. Der Sachverständige hat für die Beantwortung der Beweisfragen eine Begutachtung der Klägerin für unerlässlich gehalten. Nach dem bisher vorliegenden Informationen sei unklar, welches psychiatrische Störungsbild bei der Klägerin bestehe. Zwar ließe sich eine Reihe der bei der Klägerin bestehenden Symptome benennen. Unklar sei jedoch die diagnostische Wertigkeit dieser Symptome, insbesondere aber die Frage, welche davon traumabedingt seien. Klar sei nur, dass eine strukturell gestörte Persönlichkeit, vermutlich sogar eine Persönlichkeitsstörung im psychiatrischen Sinne vorliege. Die Symptome, die von Prof. Dr. U zur Bejahung eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen der psychischen Erkrankung und dem traumatisierenden Ereignis herangezogen worden seien, könnten, jedenfalls teilweise, auch durch eine andere psychische Störung erklärt werden. Dies sei jedoch von dem Sachverständigen nicht diskutiert worden. Bei einem sehr wahrscheinlich bereits prätraumatisch strukturell gestörten Menschen wie bei der Klägerin, müsse der diagnostische Prozess im Hinblick auf eine posttraumatische Belastungsstörung anders gehandhabt werden als es Prof. Dr. U getan habe. Das Konzept der posttraumatischen Belastungsstörung sei nicht geeignet, Unterscheidungskriterien für posttraumatische Symptome bei einem prätraumatisch bereits auffälligen Menschen im Hinblick darauf zu liefern, ob diese nun Traumafolge oder persönlichkeitsbedingt seien. Aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht müsse daher derzeit die Frage, welche Störungsanteile traumabedingt seien bzw. ob es welche gebe, offenbleiben.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Sach- und Streitstandes in Einzelnen nimmt der Senat auf den Inhalt der den Beteiligten bekannten Gutachten der oben genannten Sachverständigen und der über die Klägerin geführten Beschädigtenakten sowie der vom Versorgungsamt Düsseldorf beigezogenen Schwerbehindertenakten – GZ.: 000- Bezug. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, die der Klägerin ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 02.01.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.05.1993 beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Bescheid ist entgegen der Auffassung des SG rechtmäßig.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung nach dem OEG.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Der Versorgungsanspruch setzt voraus, dass durch schädigende Einwirkungen eine gesundheitliche (Primär-)Schädigung eingetreten ist und dass Gesundheitsstörungen vorliegen, die als deren Folgen zu bewerten sind. Der vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriff bzw. die rechtmäßige Abwehr eines derartigen Angriffs, (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen müssen mit an Sicherheit grenzender, ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit erwiesen sei (BSG, Urteil vom 19.03.1986 -Az.:9a RV 2/84- in: SozR. 3850, § 51 BSeuch Nr. 9). Lediglich für den Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der (Primär-) Schädigung sowie zwischen dieser und den Schädigungsfolgen genügt es, wenn die Kausalität wahrscheinlich gemacht ist (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG; s. dazu auch BSG, Urteil vom 15.12.1999 -Az.:B 9 VS 2/98 R-). Weitere Voraussetzung für die Gewährung von Versorgungsrente ist, dass die Erwerbsfähigkeit des Beschädigten durch die Schädigungsfolgen um wenigstens 25 v.H. gemindert ist (§ 31 BVG).
Vorliegend steht zur Überzeugung des Senates mit an Sicherheit grenzender, ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit fest, dass die Klägerin am 21.08.1980 Opfer einer Gewalttat geworden ist. Das folgt aus ihren zeitnahen Angaben gegenüber der Kriminalpolizei E, in dem damals angängigen Arbeits- gerichtsprozess und gegenüber dem sie am Tag des Ereignisses behandelnden Arztes Dr. X. Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob es zu einer versuchten, vollendeten oder zweimaligen Vergewaltigung gekommen ist. Denn die Gewalttat mit dem Erleben von Bedrohung und Todesangst war, wie die gehörten Sachverständigen darlegen, geeignet, das Eingangskriterium A der ICD 10 und DSM IV (die betroffene Person war Opfer oder Zeuge eines Ereignisses, bei dem das eigene Leben oder das anderer Personen bedroht war oder eine Verletzung zur Folge hatte oder eine Bedrohung für die eigene psychische Unversehrtheit oder für die anderer Personen darstellte, und dass die Reaktion des/der Betroffenen Gefühle wie intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen beinhaltet) für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erfüllen (s. AHP 1996, Nr. 71, S. 215 f.; Punkt 1 der Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirates beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung – BMA – vom 12. bis 13.11.1997).
Entgegen der Auffassung des SG lässt sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Gewalttat und den bei der Klägerin bestehenden psychischen und körperlichen Gesundheitsstörungen nicht mit der nach dem Gesetz erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Nach der im Versorgungsrecht geltenden Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung sind nur solche Ursachen rechtserheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg und dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben; sonstige Kausalreihen sind hingegen als Ursache auszuscheiden. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg wesentlich beigetragen, so sind sie rechtlich gleichwertig und nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges annähernd gleichwertig sind. Kommt einer der Kausalreihen gegenüber der anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist sie allein Ursache im Rechtssinne (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 14.07.1995 -Az.: 8 RV 177/54- in: BSGE 1,157; Urteil vom 22.08. 1990 – 8 RKn 5/90- in: SozR 2200 § 548 RVO Nr.4; Urteil vom 30.10. 1991 -Az.: 2 RV 41/90- in: SozR. 3-2200, § 548 RVO Nr. 13 Nr. 2).
Zwar sind bei der Klägerin Beschwerden vorhanden, die den für eine posttraumatische Belastungsstörung und damit für einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 21.08.1980 sprechenden Kriterien der Bereiche B, C und D der ICD-10 und den DSM IV entsprechen (Wiederaufleben des traumatischen Ereignisses, andauernde Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma assoziiert sind, Abflachung der alltäglichen Reagibilität, erhöhte Erregbarkeit, Schlaf-, Konzentrationsstörungen). So hat die Klägerin über Albträume, in denen sie die Situation des Überfalles wiedererlebt, über Angst vor Messern und vor Dunkelheit, sowie über Waschzwänge geklagt. Die genannten Symptome können aber auch ihre Ursache in einem anderen psychiatrischen Krankheitsbild haben. Für dessen Vorhandensein sprechen weiteren Auffälligkeiten der Klägerin, die sich insbesondere in ihren Schriftsätzen und ihrem Verhalten während des Rechtsstreites niederschlagen (s. dazu ausführlich der Sachverständige Prof. Dr. G auf Bl. 33 seines Gutachtens). So haben auch alle gehörten Gutachter und Sachverständigen entweder eine schwere reaktive Persönlichkeitsentwicklung festgestellt bzw. vermutet und einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Ereignis vom 21.08.1980 verneint oder nur einen Teil der vorliegenden Symptome im ursächlichen Zusammenhang mit diesem gesehen.
Die Diagnose "posttraumatische Belastungsstörung" erfordert deshalb, jedes einzelne Symptom, über das die Klägerin berichtet bzw. das bei der Untersuchung ärztlicherseits festgestellt wird, daraufhin zu analysieren, ob es traumabedingt ist oder eine davon unabhängige Ursache hat. Dazu ist eine umfangreiche und sorgfältige Exploration der Lebens- und der Erlebnissituation der Klägerin vor dem, während des und nach dem Trauma durchzuführen (s. dazu auch Ärztlicher Sachverständigenbeirat beim BMA a.a.O.). Eine Exploration der geforderten Art ist lediglich von dem Sachverständigen Prof. Dr. U durchgeführt worden. Die damit notwendigerweise verbundene Analyse der von der Klägerin berichteten und bei der Begutachtung festgestellten Symptome auf ihre Ursächlichkeit haben aber auch dieser Sachverständige und ebenso der Sachverständige Prof. Dr. L2, der seiner Beurteilung die von Prof. Dr. U durchgeführte Exploration zugrundegelegt hat, nicht vorgenommen.
Eine weitere Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. G, die insoweit eine Aufklärung versprochen hätte, hat die Klägerin trotz erneuten Hinweises auf ihre gesetzliche Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des Sachverhaltes abgelehnt. So konnte auch die Frage, ob bei ihr in der Zeit von dem Ereignis im Jahre 1980 bis zum Jahre 1985, als sie dauerhaft arbeitslos wurde, eine echte "Scheinanpassung", d. h. eine nur scheinbare, durch einen psychischen Preis erkaufte Anpassung, oder eine echte, gelungene, wenn auch vorübergehende Anpassung, stattgefunden hat, nicht geklärt werden. Nur eine echte "Scheinanpassung" spräche vorliegend für die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges der psychischen Erkrankung mit der Gewalttat vom 21.08.1980 und damit für eine posttraumatische Belastungsstörung. Ein Ausbruch der Krankheit unmittelbar nach der Gewalttat, was für die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges spräche, ist jedoch nicht nachgewiesen. Das BSG hat in Anlehnung an die Regelung des Bundesentschädigungsgesetzes (§ 28 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 2 Bundesentschädigungsgesetz i. d. F. vom 29.06.1956, BGBl. I, S. 549) eine Latenzzeit von 8 Monaten angesehen (BSG, Urteil vom 18.10.1995 -AZ.: 9/9a RVg 4/92 – in: SozR. 3-3800, § 1 OEG Nr. 4). Dass vorliegend die Krankheit innerhalb von 8 Monaten ausgebrochen ist, hat das Gericht nicht feststellen können. Aktenkundige Befunde in dem Zeitraum 1980 bis 1985, die für eine psychische Erkrankung sprechen, liegen nicht vor. Der Orthopäde Dr. X hat vor und nach dem Ereignis vom 21.08. 1980 Behandlungen wegen orthopädischer Leiden durchgeführt und am Tag des Ereignisses lediglich eine geschwollene Oberlippe und einen Erregungszustand beschrieben. Der Gynäkologe Dr. L, den die Klägerin ebenfalls am 21.08.1980 aufgesucht haben will, hat nur über gynäkologische Behandlungen vor dem Ereignis berichtet. Einen psychotherapeutischen Kontakt in der Zeit bis zur Übernahme der Praxis von Dr. O durch ihn im Jahre 1986 hat der Internist Dr. W aufgrund der ihm vorliegenden Krankenunterlagen verneint. Dr. S, den die Klägerin im September 1980 erstmalig und insgesamt dreimal aufgesucht haben will, konnte lediglich bestätigen, dass sie seine Patientin und dies auch nur kurzfristig gewesen sei. Über Behandlungsunterlagen verfügt Dr. S nicht mehr. Ebenso konnte die Kaufmännische Krankenkasse I die die Klägerin im November/Dezember 1980 wegen Erschöpfungszustandes behandelnden Ärzte nicht mehr benennen. Eine psychische Erkrankung ist erstmalig 1986 (von Dr. W), eine psychiatrische Behandlung erst seit 1989 (durch den Neurologen und Psychiater Dr. E) dokumentiert. Die vom Senat beabsichtigte nochmalige Rückfrage bei dem Gynäkologen Dr. L über die behauptete Untersuchung am und unmittelbar nach dem 21.08.1980 und die Einholung eines Befundberichte von der Neurologin Dr. E1 über die behauptete Behandlung ab Oktober 1980 konnte der Senat nicht durchführen, weil die Klägerin dazu ihr Einverständnis verweigert hat.
Angesichts der Weigerung der Klägerin, ihrer gesetzlichen Verpflichtung an der Aufklärung des Sachverhaltes durch Abgabe von Schweigepflichtsentbindungserklärungen und Einwilligung in eine ärztliche Begutachtung nachzukommen (§ 103 Satz 1 SGG), hat sich der Senat außerstande gesehen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.
Nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast geht die Nichterweislichkeit eines Umstandes, aus dem ein Beteiligter – hier die Klägerin – seinen Anspruch herleitet, zu dessen Lasten.
Ebensowenig lässt sich feststellen, dass eine Schulterluxation und Lendenwirbelsäulenschädigung sowie eine Lockerung von zwei Zähnen mit Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf die Gewalttat zurückzuführen sind. Schulter- und Lendenwirbelsäulenbeschwerden lagen nach Auskunft des behandelnden Orthopäden Dr. X bereits vor der Gewalttat vor. Die am Tag vor dem Ereignis begonnene Behandlung der Schulterbeschwerden wurde danach fortgesetzt. Ärztliche Behandlungen wegen eines traumatischen Lendenwirbelsäulenleidens sind weder den in den Akten enthaltenen ärztlichen Berichten noch den Krankenkassenauskünften zu entnehmen. Dass es bei der Gewalttat zu Lockerung des Schneidezahnes links oben und des daneben liegenden Zahnes gekommen ist, ist schon nicht nachgewiesen. Der von Dr. X am Tag des Ereignisses beschriebene Befund an der Oberlippe reicht zum Nachweis einer durch die Gewalttat verursachten Zahnschädigung nicht aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 180, 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs. 2 SGG).
Erstellt am: 28.08.2006
Zuletzt verändert am: 28.08.2006