NZB zurückgenommen
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2002 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten höheres Arbeitslosengeld unter Berücksichtigung eines höheren Bemessungsentgelts.
Sie stand vom 19.11.1990 bis 02.08.2001 in einem Arbeitsverhältnis als Reisebürofachkraft bei der X GmbH. Ausweislich der vorliegenden Arbeitsbescheinigung verrichtete sie zuletzt Teilzeitarbeit (20 Std/Woche). Den letzen Verdienst erzielte die Klägerin im April 1998. Der durchschnittliche monatliche Verdienst betrug von April 1997 bis April 1998 2.785 DM. Hinzu kamen Einmalzahlungen in Höhe von 2.759 DM (11/97 Weihnachtgeld), 1.379,50 DM (6/97 Urlaubsgeld) und 510 DM (12/97 und 2/98 Provisionen).
Nach April 1998 bezog die Klägerin Krankengeld, Mutterschaftsgeld und schließlich bis 02.08.2000 Erziehungsgeld. Das Arbeitsverhältnis kündigte die Klägerin selbst zum 02.08.2001 mit Ablauf des 3-jährigen Erziehungsurlaubs.
Am 30.07.2001 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Sie gab an, ihre Vermittlungsfähigkeit sei durch die Kinderbetreuung eingeschränkt. Möglich sei eine Tätigkeit von 20 Stunden wöchentlich.
Mit Bescheid vom 29.11.2001 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 03.08.2001 unter Zugrundelegung eines Bemessungsentgelts in Höhe von 600,00 DM wöchentlich für 360 Leistungstage. Das Bemessungsentgelt ermittelte sie nach dem Tarifvertrag Reisebürobetriebe und Reiseveranstalter vom 26.11.99, Beschäftigungsgruppe D5, einschließlich vermögenswirksamen Leistungen (vL) und Einmalzahlungen und unter Berücksichtigung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, es sei lediglich das aktuelle Tarifentgelt im Reisebürogewerbe zugrunde gelegt worden, sie habe aber vor Antritt des Erziehungsurlaubs stets weit über Tarif verdient.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie aus: Das Arbeitslosengeld betrage im Falle der Klägerin 67% des pauschalierten Nettoentgelts, das sich aus dem Bruttoentgelt ergebe, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe – § 129 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) -. Der Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltabrechnungszeiträume, die in den letzten 52 Wochen vor der Entstehung des Anspruchs, in denen Versicherungspflicht bestanden habe, enthalten seien und beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem Versicherungspflichtverhältnis vor der Entstehung des Anspruchs abgerechnet worden seien (§ 130 Abs. SGB III). Könne ein Bemessungszeitraum von mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt innerhalb der letzten drei Jahre vor der Entstehung des Anspruchs nicht festgestellt werden, sei Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken habe (§ 133 Abs. 4 SGB III). Der Leistungsanspruch der Klägerin sei am 03.08.2001 entstanden. Arbeitsentgelt sei zuletzt bis 27.04.1998 bezogen worden. Danach habe sich die Klägerin in Mutterschaft/Erziehungsurlaub befunden. Die Bemessung des Arbeitslosengeldes habe daher fiktiv gem. § 133 Abs. 4 SGB III nach dem erzielbaren tariflichen Entgelt zu erfolgen.
Nach dem Tarif für Reisebürobetriebe betrage das tarifliche Arbeitsentgelt in Beschäftigungsgruppe D5 mtl. 4.439,00 DM bei einer wchtl. Arbeitszeit von 38,5 Std. Hinzu kämen vL in Höhe von 52,00 DM mtl. und Einmalzahlungen (jährlich) von 2.066,00 DM (Urlaubsgeld) und 100% Weihnachtsgeld. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Arbeitsbereitschaft der Klägerin wegen erforderlicher Kindesbetreuung auf 20 Std. wöchentlich eingeschränkt sei. Es errechne sich damit folgendes Bemessungsentgelt für die Berechnung des Arbeitslosengeldes: 4.439,00 DM + 52,00 DM (vL) = 4.491,00 DM x 12 = 53.892,00 DM + 2.066,00 DM (Urlaubsgeld) + 4.439,00 DM (13. Gehalt) = insges. 60.397,00 DM jährlich: 52 = wchtl. 1.161,48 DM: 38,5 Std. x 20 Std. = 603,37 DM = gerundet: 600,00 DM. Soweit die Klägerin vortrage, sie habe in der Vergangenheit übertariflich verdient, führe dies nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Die Vorschrift des § 133 Abs. 4 SGB III stelle zwingend auf das tarifliche Arbeitsentgelt ab.
Hiergegen hat die Klägerin am 28.03.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf Klage erhoben, mit der sie weiterhin höheres Arbeitslosengeld begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, seitens der Beklagten werde zu Unrecht bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes lediglich das aktuelle Tarifentgelt im Reisebürogewerbe zugrunde gelegt. Dabei bleibe gänzlich außer Acht, dass sie vor Antritt des Erziehungsurlaubs stets weit über Tarif verdient habe. Vor dem Erziehungsurlaub habe sie ein durchschnittliches monatliches Entgelt von 3.197,08 DM (unter Zugrundelegung einer Arbeitszeit von 4 Std. täglich = 20 Stunden wöchentlich) erzielt. Sie sehe sich zu Unrecht benachteiligt, wenn sie nunmehr auf ein weitaus niedrigeres tarifliches Bemessungsentgelt verwiesen werde. Der Gesetzgeber habe den Erziehungsurlaub ermöglicht, ohne dass sich hieran anschließend Verdiensteinbußen anknüpfen sollten. So wäre es beispielsweise auch dem Arbeitgeber verwehrt, sie nach Rückkehr aus dem Erziehungsurlaub einseitig in ihrem Verdienst zu kürzen. Unter dem Gedanken der Rechtseinheit dürfte dies auch nicht dann geschehen, wenn sie gezwungen gewesen sei, Leistungen in Anspruch zu nehmen. Zu berücksichtigen sei vorliegend auch, dass besondere Umstände zu der Arbeitslosigkeit und Arbeitslosmeldung geführt hätten, die auch von der Beklagten offensichtlich so bewertet worden seien. Für sie sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses wegen des an ihrem Arbeitsplatz stattfindenden Mobbings nicht mehr zumutbar gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 29.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, höheres Arbeitslosengeld zu bewilligen unter Berücksichtigung des Verdienstes bei ihrem letzten Arbeitgeber.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das SG hat mit Urteil vom 14.11.2002 die Klage abgewiesen und sich zur Begründung der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der gesetzlichen Regelung hat es nicht festgestellt.
Das Urteil ist der Klägerin am 26.03.2003 zugestellt worden. Am 23.04.2003 hat sie dagegen Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie folgendes vor: Das SG habe nicht berücksichtigt, dass sie vor der Beantragung von Arbeitslosengeld einen mehrjährigen Erziehungsurlaub durchgeführt habe. Bei Berücksichtigung dieses Erziehungsurlaubes im Sinne des § 131 Abs. 2 Ziffer 1 SGB III wäre aber abzustellen auf den letzten Verdienstzeitpunkt, also den 27.04.1998. Bei Zugrundelegung dieses Zeitpunkts wäre ein höheres Bemessungsentgelt zu Grunde zu legen. Unabhängig davon wäre die Nichtberücksichtigung des Erziehungsurlaubs ein Verstoß gegen Art. 6 GG, da in einem solchen Fall die Versicherte, die eine Familie gegründet und in Gebrauchmachung der gesetzlichen Regelungen ihren Mutterschafts- und Erziehungsurlaub genommen habe, deutlich schlechter gestellt wäre als eine Versicherte, die diesen notwendigen und für die Gesellschaft erforderlichen Schritt nicht gemacht habe. Eine solche Versicherte dürfe aber dann nicht dadurch bestraft werden, dass man ihr bei dem Wunsch der Wiederaufnahme einer Arbeit, der schon schwer genug zu realisieren sei, noch bei der Geringbemessung der Lohnersatzleistung Arbeitslosengeld die Zeit der Geburt und der Ersterziehungsjahre des Kindes zum Nachteil anrechne. Dies habe offensichtlich der Gesetzgeber so auch nicht gewollt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14.11.2002 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und die die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Der Wert des Streitgegenstandes beträgt mehr als 500 Euro. Würde der letzte Verdienst zugrunde gelegt, ergäbe sich ein um mehr als 50 Euro höheres wöchentliches Bemessungsentgelt und damit ein entsprechend höherer Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Klägerin hat Arbeitslosengeld für ein Jahr bezogen.
Die Berufung ist indes unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein höheres Arbeitslosengeld. Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld zutreffend berechnet.
Weil die Klägerin ein Kind iSd § 129 Nr. 1 SGB III hat, beträgt das Arbeitslosengeld vorliegend 67% des pauschalierten Nettoentgelts, das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (§ 129 SGB III). Wie der Bemessungszeitraum zu ermitteln ist, bestimmen die §§ 130, 131 SGB III. Kann allerdings kein Bemessungszeitraum in den letzten drei Jahren vor dem Entstehen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld mit Anspruch auf Entgelt von mindestens 39 Wochen festgestellt werden, ist Bemessungsentgelt das tarifliche Arbeitsentgelt derjenigen Beschäftigung, auf die das Arbeitsamt die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen in erster Linie zu erstrecken hat (§ 133 Abs. 4 SGB III). Der Sinn des § 133 Abs. 4 SGB III liegt darin, wegen des Lohnersatzcharakters des Arbeitslosengeldes eine zeitliche Nähe zum aktuell erzielbaren Arbeitsentgelt sicherzustellen (vgl Pawlak in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 11 RdNr 20). Seine Rechtsfolgen treten deshalb unabhängig davon ein, aus welchen Gründen in den letzten drei Jahren Arbeitsentgelt im geforderten Umfang erzielt wurde.
Demgemäß hat die Beklagte zu Recht eine so genannte Fiktivbemessung auf der Grundlage des § 133 Abs. 4 SGB III vorgenommen, denn das letzte Entgelt der Klägerin wurde im April 1998 abgerechnet. Ihr Anspruch auf Arbeitslosengeld ist am 03.08.2001 entstanden. In den letzten drei Jahren vor dem Entstehen des Anspruchs können somit nicht mindestens 39 Wochen mit Anspruch auf Entgelt festgestellt werden.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt § 131 Abs. 2 SGB III hier nicht zur Anwendung. Durch diese Regelung wird zwar der grundsätzlich enge Rahmen zur Ermittlung des Bemessungszeitraums nach § 130 SGB III – Entgeltabrechnungszeiträume in den letzten 52 Wochen vor dem Entstehen des Anspruchs – erweitert. Dies gilt jedoch nur, soweit es der Grundsatz des § 133 Abs. 4 SGB III zulässt (vgl Begründung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung im Rahmen der Änderungen durch das Job-AQTIV-Gesetz, BT-Drucks. 14/7347 S 73 zu Art. I Nr. 43; Pawlak in Hennig ua, SGB III, § 131 Rz. 25; Rolfs in Gagel, SGB III, § 131 Rz. 22 b).
Es bestehen auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegenüber der Regelung in § 133 Abs. 4 SGB III, selbst wenn – wie hier – letztlich die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub mit ursächlich dafür geworden ist, dass eine Fiktivbemessung zu erfolgen hat. Zwar hat nach Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz (GG) jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Art. 6 Abs. 4 GG enthält einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber (nicht etwa nur einen Programmsatz) für Schutz und Fürsorge. Die Bindungswirkung des Art. 6 Abs. 4 GG gilt für das gesamte private und öffentliche Recht und für alle staatlichen Stellen bei der Gesetzesanwendung und -auslegung. Insbesondere verbietet Art. 6 Abs. 4 GG jede Diskriminierung und verengt den im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu Gunsten der Mütter (so BSG, Urteil vom 21.10.2003 – B 7 AL 28/03 R – mwN). Aus Art. 6 Abs. 4 GG kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung (insbesondere auf dem Gebiet der Sozialversicherung) auszugleichen (BSG aaO).
Eine solche nur in seltenen Einzelfällen auftretende "Belastung", die im Übrigen nicht sehr erheblich ist, dürfte hier vorliegen. Sie liegt darin begründet, dass die Klägerin in der Zeit vor ihrer Erziehungspause übertariflich bezahlt wurde. Verfassungsrechtlich ist es nach Auffassung des Senats nicht geboten, der Klägerin diesen Vorteil für alle Zeiten zu belassen oder es dem Gesetzgeber zu verwehren, die Leistungen auf das "tarifliche" Maß zurückzufahren. Der Senat sieht es als ausreichenden Schutz für Mütter an, wenn der Gesetzgeber über § 124 Abs. 3 Nr. 2 SGB III (Fassung bis 31.12.2002) bzw. mit Wirkung vom 01.01.2003 über § 26 Abs. 2 a SGB III sicherstellt, dass eine Anwartschaftszeit trotz der Kindererziehung erhalten bleibt oder dadurch entsteht und sich Minderverdienste während der Erziehungszeit nicht leistungsmindernd auswirken (§ 131 Abs. 2 SGB III). Hinzukommt, dass arbeitsrechtlich gem. § 18 Bundeserziehungsgeldgesetz ein besonderer Kündigungsschutz besteht. Vorliegend ist deshalb auch erst durch die Eigenkündigung der Klägerin Arbeitslosigkeit eingetreten.
Ohne Bedeutung ist, dass der Arbeitgeber bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis das ursprüngliche Entgelt hätte weiterbezahlen müssen. Dazu wäre der Arbeitgeber arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen, was allerdings in keinem Zusammenhang mit dem Sozialleistungsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten steht. Letzteres ist keine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
Die Höhe des von der Beklagten zugrunde gelegten Bemessungsentgelts ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin war zuletzt als Reisebürofachkraft beschäftigt. Auf eine solche Tätigkeit erstreckten sich auch die Vermittlungsbemühungen des Beklagten. Die konkrete Bemessung erfolgte auf der Grundlage des einschlägigen Gehaltstarifvertrags für die Arbeitnehmer/innen im Reisebürogewerbe vom 26.11.99 sowie des entsprechenden Manteltarifvertrages vom 21.09.1998. Die Berufserfahrung der Klägerin und ihre Beschränkung auf Teilzeitarbeit wurde zutreffend berücksichtigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Erstellt am: 23.11.2006
Zuletzt verändert am: 23.11.2006