Der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.04.2015 wird geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit vom 02.04.2015 bis zum 30.09.2015 vorläufig Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 473,34 EUR (360 Euro Regelsatz/113,34 Euro KdU) monatlich, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu zahlen Der Antragsgegner trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Rechtszügen.
Gründe:
Die Antragstellerin begehrt im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).
Die im Jahr 1993 geborene Antragstellerin, ihr 1982 geborener Partner und ihr 2012 geborener gemeinsamer Sohn sind rumänische Staatsbürger. Sie leben seit April 2013 in der Bundesrepublik Deutschland. Der Partner der Antragstellerin konnte seinen Lebensunterhalt und den der Antragstellerin sowie des gemeinsamen Kindes zunächst durch Ausübung einer selbständigen Tätigkeit sicherstellen. Die selbständige Tätigkeit wurde zum 31.12.2014 abgemeldet. Die Antragstellerin arbeitete von Oktober 2014 bis Januar 2015 als Reinigungskraft zu einem monatlichen Entgelt von 150 Euro. Laut ärztlicher Bescheinigung vom 18.03.2015 ist die Antragstellerin schwanger. Voraussichtlicher Entbindungstermin war der 04.06.2015.
Auf ihren Antrag vom 17.11.2014 wurden nach Vorlage der angeforderten Unterlagen nur dem Partner der Antragstellerin und dem gemeinsamen Kind mit Bescheid vom 27.03.2015 vorläufig Leistungen bewilligt. Für die Antragstellerin lehnte der Beklagte die Leistung ab. Der Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1910,04 Euro ging am 01.04.2015 auf dem Konto der Antragstellerin ein. Desweiteren ging am 31.3.2015 ein Betrag in Höhe von 1660,00 Euro von der Stiftung "Mutter und Kind" des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ein. Der Kontostand am 02.06.2015 belief sich auf 29,44 EUR. Der Vermieter drohte mit Schreiben vom 04.03.2015 die fristlose Kündigung wegen der rückständigen Mieten aus Februar und März 2015 an.
Am 02.04.2015 hat die Antragstellerin beim SG Köln den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Nachdem die Kontoauszüge der Antragstellerin und ihres Partners trotz Aufforderung des Gerichts vom 07.04.205 und Erinnerung vom 20.04.2014 nicht vorgelegt wurden, hat das Sozialgericht den Antrag mit Beschluss vom 27.04.2015 abgelehnt. Ein Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Es sei insbesondere nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragstellerin die Mittel fehlten, für ihren Lebensunterhalt vorläufig selbst aufzukommen. Die Antragstellerin habe seit Eingang des Antrags weder auf die Anfragen des Gerichts reagiert, noch habe sie weitere Unterlagen eingereicht.
Gegen den am 29.04.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 6.5.2015 Beschwerde erhoben und Kontoauszüge vorgelegt. Daraus ergibt sich für den 07.04.2015 ein Kontostand von 2381,76 Euro, für den 02.06.2015 von 29,44 Euro. Die Antragstellerin trägt vor, es stünden ihr keine ausreichenden Mittel zum Lebensunterhalt zur Verfügung und sie sei auch nicht krankenversichert. Die Entbindung des zweiten gemeinsamen Kindes stehe bevor.
Die Antragstellerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 27.04.2015 zu ändern und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr für die Zeit ab 02.04.2015 vorläufig Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 473,34 EUR (360 Euro Regelsatz/113,34 Euro KdU) monatlich, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, zu zahlen
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Antragstellerin sei gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Sie gehe keiner Beschäftigung nach und ihr letztes Beschäftigungsverhältnis habe am 31.01.2015 geendet. Aus dieser Beschäftigung könne schon deswegen kein Arbeitnehmerstatus hergeleitet werden, weil es sich um eine Beschäftigung von so geringem Umfang gehandelt habe, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstelle. Aus der früheren Erwerbstätigkeit könne die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht herleiten. Auch aus § 3 FreizügG/EU könne die Antragstellerin kein Aufenthaltsrecht herleiten, da dies hinsichtlich der Familienangehörigkeit voraussetze, dass der betreffende Angehörige in ab- oder aufsteigender Linie die Antragstellerin überwiegend unterhalte. Dies sei bei dem 2012 geborenen Sohn der Antragstellerin nicht gegeben. Sie sei auch keine Familienangehörige des Partners und Vaters des gemeinsamen Kindes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen; dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO -).
Der Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht.
Der Senat kann offen lassen, ob die bis 31.01.2015 ausgeübte geringfügige Tätigkeit nach Umfang und vertraglicher Gestaltung entgegen der Auffassung des Antragsgegners doch die Arbeitnehmereigenschaft sowohl nach nationalem als auch nach Gemeinschaftsrecht zu begründen vermag (vgl zur Höhe des Entgelts auch LSG NRW Beschluss vom 22.05.2012 – L 6 AS 413/12 B -). Ebenso kann offen bleiben, ob § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II europarechtskonform ist oder ob die Vorschrift nach der vom Senat vertretenen Auffassung deshalb nicht greift, weil der Ausschluss in dieser umfassenden Form wegen Verstoßes gegen EU-Recht nicht anwendbar ist (s. LSG NRW Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13 – juris).
Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nicht gegeben sind, gründet sich der Anordnungsanspruch auf §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 – 4; 8, 9 SGB II; die Leistungsvoraussetzungen zum Alter, zur Erwerbsfähigkeit, zum gewöhnlichen Aufenthalt und zur Hilfebedürftigkeit erachtet das Gericht für die Antragstellerin als glaubhaft gemacht. Der zum 07.04.2015 nachgewiesene Kontostand ergab sich dabei ausschließlich aufgrund der erfolgten Nachzahlung von SGB II Leistungen für den Partner der Antragstellerin und den gemeinsamen Sohn (Januar bis März 2015) und der Hilfeleistung aus der Stiftung "Mutter und Kind". Dass der Antraggegner die Leistungen für die ersten drei Monate des Jahres 2015 erst im April ausgezahlt hat, kann zur Überzeugung des Senats nicht dazu führen, dass die Hilfebedürftigkeit für die Antragstellerin entfallen ist. Die allein aufgrund der Notlage der hochschwangeren Antragstellerin geleistete Zahlung der Stiftung "Mutter und Kind" darf nicht als Einkommen berücksichtigt werden (§ 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Mutter und Kind vom 07.07.2009). Am 02.06.2015 belief sich der Kontostand jedenfalls auf 29,44 EUR.
Wenn die einfachgesetzlichen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II hingegen erfüllt sind, stehen der Antragstellerin die beantragten vorläufigen Leistungen jedenfalls auch nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) zu (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.05. 2014 – L 34 AS 1150/14 B ER – juris, mwN).
Nach der über § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II anwendbaren Vorschrift des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III kann über die Erbringung von Geldleistungen vorläufig entschieden werden, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist.
Die Ablehnung von Leistungen für die Zeit ab dem 01.01.2015 durch Bescheid vom 27.03.2015 steht der Bewilligung vorläufiger Leistungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III nicht entgegen.
Die ablehnende Entscheidung als solche lässt den Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III nicht bereits aus rechtssystematischen Gründen entfallen. Einer entsprechenden in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.03.2014 – L 29 AS 514/14 B ER – juris; vom 17.03.2014 – L 20 AS 502/14 B ER – juris; Aubel in jurisPK-SGB II, § 40 Rz. 61.1) schließt sich das Gericht nicht an.
Der Senat folgt der Rechtsprechung des BSG, wonach Leistungsbescheide über vorläufige Leistungen (vorläufige Leistungsbescheide) durch die endgültige Festsetzung (endgültige Leistungsbescheide) ersetzt werden und sich dann auf sonstige Weise im Sinne des § 39 Abs. 2 SGB X erledigen (BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 139/10 R – juris; vgl. auch LSG NRW Urteil vom 31.10.2012 – L 12 AS 691/11 – juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 20.03.2014 – L 29 AS 514/14 B ER – juris; vom 17.03.2014 – L 20 AS 502/14 B ER – juris, Aubel in jurisPK-SGB II aaO). "Auf andere Weise erledigen" kann sich ein vorläufiger Leistungsbescheid in diesem Zusammenhang aber nur dann, wenn die Voraussetzungen für seinen Erlass nicht mehr vorliegen (vgl BSG Urteil vom 10.05.2011 – B 4 AS 139/10 R – juris; LSG NRW Urteil vom 31.10.2012 – L 12 AS 691/11 – juris). Dem folgend entfällt der Anspruch auf vorläufige Leistungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III bei Erlass eines Ablehnungsbescheides erst dann, wenn kein Vorlageverfahren mehr anhängig ist. Denn § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III ermächtigt dazu, eine "Zwischenregelung" zu treffen, bis die Rechtsfragen, die zu Grund, Höhe oder Dauer des Anspruchs entscheidungserheblich sein müssen, geklärt sind (allg. Meinung, vgl etwa Düe in Brand SGB III 6. Aufl. § 328 Rdnrn 2, 12). Gerade wenn der Leistungsträger nach einfachgesetzlicher Überprüfung zu dem Ergebnis gelangt ist, ein Anspruch bestehe nicht, nicht in dieser Höhe oder nicht in diesem zeitlichen Umfang, beginnt der Anwendungsbereich des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III. Denn der Gesetzgeber hat mit dieser Vorschrift eine Handhabe bieten wollen, die Leistungen für den Berechtigten kurzfristig verfügbar zu machen und Härten zu vermeiden, die mit längeren Bearbeitungs- oder Zeiten der Unsicherheit über die Rechtslage verbunden sind (vgl. Düe aaO Rdnr 2, 5 mwN).
Für die Dauer jedenfalls des Vorlageverfahrens bleibt, solange der Ablehnungsbescheid nicht bestandskräftig geworden ist, Raum für eine Ermessensentscheidung, ob und ggfs in welcher Höhe dennoch Leistungen gewährt werden. Im Unterschied zu § 42 SGB I setzt § 328 Abs. 1 Nr. 1 (und im Übrigen auch Nr. 2) SGB III nicht voraus, dass der Anspruch (dem Grunde nach) besteht. Gerade die durch Vorlageverfahren zu klärende Unsicherheit über entscheidungserhebliche Rechtsfragen (Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht) macht den selbstständigen Anwendungsbereich der Vorschrift aus, der einer Erledigung nach § 39 Abs. 2 SGB X entgegen steht (undifferenziert zum zeitlichen Anwendungsbereich LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 10.12.2014 – L 20 AS 2697/14 B ER (vorläufige Entscheidung nur bis zur endgültigen Entscheidung der Behörde, die sich dann auch noch als rechtmäßig erweist (?)).
Der Anwendungsbereich des und Anspruch aus/über § 328 Abs. 1 Nr. 1 SGB III werden auch ergebnisorientiert nicht dadurch eingeschränkt, dass der Leistungsträger seine – nach einfachgesetzlicher Rechtslage dann auch regelmäßig zutreffende – Auffassung durch einen Ablehnungsbescheid bereits verlautbart hat. Folgt man dieser Ansicht nicht, hätte der Leistungsträger es in der Hand, bei gleichgelagerter Bedarfs- und Interessenlage die Inanspruchnahme vorläufiger Leistungen auch im Sinne einer "Zwischen"-Regelung zu steuern, d.h. zu verhindern.
Die Anwendbarkeit der Vorschrift (§ 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III) ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen leistungsbegründende, nicht aber – wie hier – leistungsausschließende Normen Gegenstand des Verfahrens sind (so aber SG Karlsruhe Beschluss vom 29.12.2014 – S 15 AS 4229/14 ER). Dies lässt sich über die allgemein üblichen Regeln zur Auslegung einer Norm nicht begründen. Selbst wenn es sich bei § 328 Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht um eine eigenständige materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern (nur) um eine Verfahrensvorschrift handeln sollte, sind weder dem Wortlaut noch der Systematik auch nur ansatzweise Anhaltspunkte für eine solche weitreichende Beschränkung zu entnehmen. Die Ermächtigung zum Erlass einer "Zwischen"-Regelung hat nicht nur den Leistungsträger, sondern auch den Antragsteller im Blick. Er soll nicht (allein) die Nachteile tragen müssen, die mit längeren Bearbeitungszeiten in den von § 328 Abs. 1 Satz 1 Nrn 1 bis 3 SGB III genannten Fällen verbunden sind. Dazu gehören zweifellos auch leistungsausschließende Normen. Der Gesetzgeber der Vorgängerregelung zu § 328 SGB III (§ 147 AFG) hatte jedenfalls sämtliche Entscheidungen zu Grund und Höhe im Blick, über die dann auch vorläufig entschieden werden dürfe (Düe aaO Rn 5). Im Übrigen ist die Unterscheidung zwischen leistungsbegründenden und leistungsausschließenden Normen von vorneherein nicht sachgerecht, da dieser Unterschied sich selten in der gesetzestechnischen Ausgestaltung so klar abbildet, wie hier im Falle des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II. Wie etwa die Altersgrenzen in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II zeigen, können leistungsausschließende Merkmale ohne weiteres auch in die leistungsbegründende Norm eingearbeitet werden.
Mit dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 02.04.2015 hat die Antragstellerin auch die Gewährung vorläufiger Leistungen beantragt. Sie hat hinreichend deutlich gemacht, dass sie sich in einer wirtschaftlichen Notsituation befindet, die eine unmittelbare Leistungsbewilligung erforderlich macht. Mit dem Antrag im Eilverfahren hat sie unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie kurzfristig zumindest die Bewilligung vorläufiger Leistungen begehrt. Über diesen Antrag, der der Sache nach eine zeitnahe Entscheidung verlangt (vgl. auch §§ 42 Abs. 1 letzter Halbsatz, 43 Abs. 1 letzter Halbsatz SGB I), hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.
Wenn in der Person der Antragstellerin die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II erfüllt sind, ist es für den Anordnungsanspruch von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob die Vorschrift europarechtskonform ist. Die Vereinbarkeit dieses Leistungsausschlusses mit europäischem Gemeinschaftsrecht ist weiterhin eine vor dem EuGH zur Entscheidung anstehende Rechtsfrage, die insbesondere auch durch das Urteil des EuGH vom 11.11.2014 EuGH – C-333/13 (Rechtssache Dano, Celex-Nr. 62013CJ0333, juris) nicht geklärt ist. Die Entscheidung des EuGH vom 11.11.2014 betraf mit einer Antragstellerin, die nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts und des EuGH gerade keine Arbeit suchte, eine andere Fallgestaltung; es ging nicht um den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Das Urteil enthält Ausführungen zur Anwendbarkeit der VO 883/2004 und der URL (s auch Senatsurteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 103/13), nicht aber zur Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Fragen um die Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II stehen bekanntlich beim EuGH zur Klärung an; die Vereinbarkeit dieses Leistungsausschlusses mit europäischem Gemeinschaftsrecht ist Gegenstand der Vorlage des BSG gemäß Art. 267 AEUV (BSG Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R – ZFSH/SGB 2014, 158-164). Die Fragen, die das BSG dem EuGH zur Europarechtskonformität bzw zur Europarechtswidrigkeit dieses Ausschlusses vorgelegt hat, sind auch nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 – C 333/13 (in Sa. Dano) offensichtlich noch nicht beantwortet. Das BSG hat durch Beschluss vom 11.02.2015 – B 4 AS 9/13 R das Verfahren lediglich bezogen auf die Vorlagefrage I.1. für erledigt erklärt, da sie durch die Entscheidung vom 11.11.2014 geklärt worden sei.
Bei dem hier in Rede stehenden Arbeitslosengeld II handelt es sich um eine (Geld-) Leistung, auf die bei zutreffender Beurteilung des Ermessens nach Maßgabe des § 328 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB III ein Rechtsanspruch besteht.
Der Umstand, dass der Gesetzgeber den Tatbestand "Gegenstand eines Verfahrens beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften" in § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III nicht mit der Rechtsfolge einer gebunden Entscheidung verknüpft hat, sondern der Behörde für diesen Fall eine Entscheidung nach pflichtgemäßen Ermessen eingeräumt hat, spricht nicht von vorneherein gegen eine Ermessensreduzierung auf "Null" (so aber LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 10.12.2014 – L 20 AS 2697/14 B ER "scheidet allein deshalb aus"). Dieses Argument ist in diesem Zusammenhang nicht tragfähig, da sich mit dieser Begründung jegliche Ermessensreduzierung auf "Null" als nicht gewollt darstellen ließe. Nach allgemein anerkannten Grundsätzen kann bei der zugewiesenen pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens (§ 39 SGB I) aber im Einzelfall das Ermessen soweit eingeengt sein, dass nur (die) eine Entscheidung rechtmäßig ist und über diesen Weg eine bestimmte Entscheidung zu ergehen hat, auf die der Betroffene einen Rechtsanspruch hat. Unabhängig von der Zielrichtung der Geldleistungen dürfte es schon regelmäßig pflichtwidrig sein, bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 328 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 2 SGB III jegliche vorläufige Leistung abzulehnen (so auch Düe in Brand, SGB III, 6. Auflage 2012, § 328 Rn 18 mwN). Bei der Berücksichtigung etwaiger Abschläge wurde auch vor Inkrafttreten des SGB II ein Unterschreiten der Grenzen nach dem SGB II/SGB XII als problematisch angesehen. Angesichts des existenzsichernden Charakters des Arbeitslosengeldes II sowohl in Gestalt der Regelleistung als auch der Kosten der Unterkunft und des aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris Rn. 62) wird nach Überzeugung des Senats der Ermessensspielraum weiter eingeengt und im Ergebnis auf Null reduziert, so dass ein Anspruch auf die vorläufige Bewilligung des Arbeitslosengeldes II in voller Höhe besteht (vgl. Eicher aaO; s auch LSG Thüringen Beschluss vom 25.04.2014 – L 4 AS 306/14 B ER – juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 27.05.2014 – L 34 AS 1150/14 B ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de; SG Halle/Saale Beschluss vom 30.05.2014 – S 17 AS. 2325/14 ER – juris, mwN jeweils zur Ermessensreduzierung auf Null bei existenzsichernden SGB II-Leistungen).
Für die Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung der Leistungen besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragstellerin drohen ohne eine einstweilige Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
Hinsichtlich des Regelbedarfs folgt dies für die in der Vergangenheit hingenommenen und für die in Zukunft abzuwendenden Beeinträchtigungen schon aus dem unmittelbaren Grundrechtseingriff (Art. 1 Abs. 1 GG), der durch die Verweigerung der zur Deckung des täglichen Lebensbedarfs erforderlichen Mittel entsteht.
Im Kern gilt dies auch für den Anordnungsgrund hinsichtlich der Kosten der Unterkunft. Der Auffassung, ein Anordnungsgrund sei regelmäßig erst mit der Erhebung der Räumungsklage anzunehmen, da erst dann konkret Wohnungslosigkeit drohe, die in einem bestimmten Zeitfenster des Klageverfahrens durch die vorläufige Gewährung (auch) von Kosten der Unterkunft (vgl. §§ 543 Abs. 2 S. 2; 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) abgewendet werden könne (vgl LSG NRW Beschlüsse vom 19.05.2014 – L 19 AS 805/14 B ER – ; vom 14.08.2014 – L 2 AS 1229/14 B ER – ; vom 13.05.2015 – L 12 AS 47/15 B ER – ) folgt der Senat nicht mehr. Schon zu einem früheren Zeitpunkt können wesentliche Nachteile zu gewärtigen sein, die ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar erscheinen lassen.
Neben der andauernden Beeinträchtigung wegen fehlender Kosten der Unterkunft als Teil der ein menschenwürdiges Existenzminimum sichernden Leistung (Alg II) (Art. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG) (vgl. BVerfG Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – juris Rn. 62)) kann die Wohnung schon früher als Lebensmittelpunkt konkret gefährdet und damit das Grundrecht aus Art. 13 GG so beeinträchtigt sein, dass eine Regelungsanordnung erforderlich ist. In diesem Zusammenhang den Blick auf die Erhebung der Räumungsklage zu fokussieren, hält der Senat nicht mehr für ausreichend. Wenn auch die Zahlung von Unterkunftskosten zur Abwendung der außerordentlichen Kündigung noch nach Erhebung der Räumungsklage möglich ist, gilt dies doch nicht mit vergleichbar zuverlässiger Vorhersehbarkeit für die ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird die Kündigung nicht unwirksam, da §§ 543 Abs. 2 S. 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB im Rahmen dieser Kündigung nicht anwendbar ist (BGH Urteil vom 10.10.2012 – VIII ZR 107/12). Die danach entscheidende Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter gezahlt worden sind, wurde schon bislang – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung der Zivilgerichte nicht einheitlich behandelt (vgl. hierzu etwa AG Lichtenberg Urteil vom 19.12.2013 – 17 C 33/13 – Rdnr 22; BGH Urteil vom 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 – juris; LSG NRW Beschluss vom 19.05.2014 – L 19 AS 805/14 B ER – juris mwN; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 22.07.2014 – L 10 AS 1393/14 B ER – juris), ist aber jüngst vom BGH in ähnlichem Zusammenhang dahingehend beantwortet worden, dass das Ausbleiben existenznotwendiger Sozialleistungen dem Verzug des Mieters nicht entgegensteht (Urteil vom 04.02.2015 – VIII ZR 175/14). Angesichts der regelmäßig kurzen Kündigungsfrist nach § 573c Abs. 1 BGB droht hier bereits innerhalb weniger Wochen ein Wohnungsverlust. Die Rechtsverteidigung gegenüber einer Räumungsklage ist zudem dadurch erschwert, dass die dort beklagten Antragsteller grundsätzlich keine Prozesskostenhilfe erhalten können, da der Zahlungsrückstand ja besteht. Der Leistungsträger dürfte sich aber regelmäßig nicht in der Pflicht sehen, die Kosten der Rechtsverteidigung zu übernehmen. Ist damit die Gefahr des Wohnungsverlustes nicht abgewendet, wird hier auch die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie unter dem Blickwinkel der eigenbestimmten Gestaltung von Rechtsverhältnissen gefährdet.
Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Gericht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten, den wesentlichen Nachteil als Anordnungsgrund unabhängig von einem bestimmten Zeit- und Verfahrensfenster unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggfs Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen uVm (LSG NRW Beschluss vom 29.01.2015 – L 6 AS 2085/14 B ER).
In der Gesamtwürdigung hält der Senat hier den Anordnungsgrund für gegeben. Angesichts der Hilfebedürftigkeit der Antragstellerin sowie der gegenüber dem Vermieter aufgelaufenen Schulden ist es glaubhaft, dass die Wohnung als Lebensmittelpunkt der Familie konkret gefährdet ist. Dies ist durch Vorlage des Schreibens des Vermieters, in dem dieser die fristlose Kündigung androht, auch hinreichend glaubhaft gemacht. Weitere Umstände, die neben der Ablehnung jeglicher Leistung durch den Antragsgegner Januar 2015 zum Zahlungsverzug der Antragstellerin geführt haben könnten, sind nicht ersichtlich.
Das Gericht hat der Antragstellerin Leistungen in Höhe von 473,34 EUR (360 Euro Regelsatz/113,34 Euro KdU) monatlich zuerkannt, da ihr nach überschlägiger Berechnung jedenfalls dieser Betrag zustehen dürfte. Vorläufige Leistungen ab Antragstellung beim Sozialgericht hat er zuerkannt um sicherzustellen, dass auch die Mietrückstände beglichen werden. Nur so kann vermieden werden, dass die Nachteile des Zahlungsverzugs in der Zukunft weiter wirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 18.06.2015
Zuletzt verändert am: 18.06.2015