Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Wege des Überprüfungsantrags darüber, ob der Kläger Anspruch hat auf Arbeitslosengeld II für die Monate März bis Dezember 2019. Der 1992 geborene Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit 2016 wieder gewöhnlich in Deutschland auf. Bis Januar 2019 stand er beim Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld II.
Seit seiner Wiedereinreise ist der Kläger wie folgt erwerbstätig gewesen:
Zeitraum Arbeitgeber 27.04.2016 bis 31.12.2016 T GmbH 15.08.2017 bis 15.09.2017 H B 13.11.2017 bis 31.07.2018 H
Am 21.09.2018 stellte der Kläger beim Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag. Der Be-klagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 08.10.2018 – geändert durch Än-derungsbescheid vom 24.11.2018 – Arbeitslosengeld II für die Monate November 2018 bis Oktober 2019. Mit Bescheid vom 04.12.2018 nahm der Beklagte die Leistungsbewilligung ab Februar 2019 zurück.
Seit 24.01.2019 übte der Kläger eine Tätigkeit als Spülkraft aus im Restaurant P, Inh. L, in N. Der Kläger wurde dort freitags abends von 17:00 bis 22:00 Uhr eingesetzt und erhielt ein Arbeitsentgelt von monatlich 100,00 EUR brutto = netto, das bar ausgezahlt wurde. Eine Meldung zur Sozialversicherung ist erfolgt.
Am 05.02.2019 legte der Kläger dem Beklagten den Arbeitsvertrag mit Herrn L vor. Mit Be-scheid vom 06.02.2019 lehnte der Beklagte den Antrag "vom 21.09.2018" ab, weil der Klä-ger ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitssuche habe. Hiergegen legte der Kläger am 12.02.2019 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2019 zurückwies.
Am 11.04.2019 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 06.02.2019. Ei-ne Begründung erfolgte nicht.
Der Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 08.05.2019 ab. Bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Bescheids sei das Recht richtig angewandt worden. Auch sei man von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen.
Gegen den Bescheid vom 08.05.2019 legte der Kläger am 04.06.2019 Widerspruch ein. Auch der Widerspruch wurde nicht begründet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Der Widerspruch sei zulässig, jedoch unbegründet. Weil der Kläger nichts vorgebracht habe, das für die Unrichtigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheids sprechen könne, habe der Beklagte eine sachliche Prüfung des Bescheids ablehnen dürfen.
Der Kläger hat am 11.07.2019 Klage erhoben.
Seit 01.09.2019 wird der Kläger von Herrn L als Servicekraft eingesetzt. Nunmehr arbeitet er 25 Stunden monatlich bei einem Stundenlohn von 10,00 EUR brutto. Am 16.01.2020 hat der Kläger einen neuen Leistungsantrag beim Beklagten gestellt.
Der Kläger meint, aufgrund der Tätigkeit im Restaurant P Arbeitnehmer zu sein und einen Leistungsanspruch zu haben. Bereits eine Tätigkeit mit einem Arbeitsentgelt von 100,00 EUR sei insoweit ausreichend.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Überprüfungsbescheids vom 08.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019 zu verurteilen, den Ablehnungsbescheid vom 06.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.02.2019 zurückzu-nehmen und dem Kläger Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren für die Monate März bis Dezember 2019.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Die Beteiligten haben sich einverstanden erklärt mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Inhalte der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, der Gerichtsakte des Verfahrens S 32 AS 841/19 ER, der Gerichtsakte des Verfahrens S 32 AS 1571/19 = L 19 AS 1441/19 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erklärt haben, entscheidet die Kammer gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, insbesondere als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG statthaft. Die Klage ist jedoch unbegründet. Durch den angegriffenen Überprüfungsbescheid vom 08.05.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019 ist der Kläger nicht be-schwert i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte den Ablehnungsbescheid vom 06.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.06.2019 zurücknimmt. Ein sol-cher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 40 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch (SGB II) i. V. m. § 44 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X). Die materiellen Voraussetzungen der genannten Normen liegen nicht vor.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzu-nehmen, soweit bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sach-verhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und Sozialleistungen des-halb zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Dabei mag dahinstehen, inwieweit der Beklagte eine inhaltliche Prüfung des zur Überprü-fung gestellten Bescheids bereits deshalb ablehnen durfte, weil weder der Überprüfungsan-trag noch der Widerspruch begründet wurden (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris, Rn. 13 ff.). Der Beklagte hat weder einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt noch das Recht unrichtig angewandt.
Bei Erlass des Ablehnungsbescheids vom 06.02.2019 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheids vom 07.06.2019 ist nicht von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erweist. Zwar erzielt der Kläger seit September 2019 ein höheres Erwerbsein-kommen. Hierbei handelt es sich allerdings um eine nachträgliche Änderung der Sachlage. Nachträgliche Änderungen der Sachlage sind im Überprüfungsverfahren nicht zu berück-sichtigen (BSG, Urteil vom 15.06.2010, B 2 U 22/09 R, juris, Rn. 18).
Bei Erlass des zur Überprüfung gestellten Ablehnungsbescheids ist auch das Recht nicht unrichtig angewandt worden. Das Gericht versteht den Ablehnungsbescheid dahingehend, dass er einen in der am 05.02.2019 erfolgten Übersendung des neuen Arbeitsvertrags zu erblickenden Leistungsantrag des Klägers ablehnt. Zwar bezieht sich die Ablehnung nach dem Verfügungssatz auf den Weiterbewilligungsantrag vom 21.09.2018. Jedoch ist aus-schlaggebend dafür, welchen Regelungsgehalt ein Verwaltungsakt hat, nicht allein der Wortlaut. Maßstab für die Auslegung von Verwaltungsakten ist vielmehr der objektive Emp-fängerhorizont (BSG, Urteil vom 25.10.2017, B 14 AS 9/17 R, juris, Rn. 21 ff.). Ausgehend vom objektiven Empfängerhorizont war der Ablehnungsbescheid als Reaktion auf den übersandten Arbeitsvertrag und das hierin zum Ausdruck kommende neue Leistungsbegeh-ren zu werten. Denn einer erneuten Ablehnung des vorherigen Weiterbewilligungsantrags bedurfte es nach Rücknahme der diesbezüglichen Bewilligungsbescheide nicht mehr.
Der Beklagte hat den am 05.02.2019 gestellten neuen Leistungsantrag zu Recht abgelehnt. Der Kläger hatte aufgrund des zu berücksichtigenden Sachverhalts – also der tatsächlichen Verhältnisse bis einschließlich August 2019 – keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Er war gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 lit. c SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil er Ausländer ist und ihm ein Aufenthaltsrecht nur zur Arbeitssuche zustand. Insbesondere ergab sich aus der Tätigkeit im Restaurant P keine Arbeitnehmereigenschaft i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU (FreizügG/EU). Arbeitnehmer i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU "ist jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, als dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt" (Landessozialgericht [LSG] NRW, Beschluss vom 23.12.2015, L 12 AS 2000/15 B ER, juris, Rn. 6 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris, Rn. 18). Die Kriterien zur Beurtei-lung der Frage, ob eine völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit vorliegt, werden in Ziff. 2.2.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum FreizügG/EU zutreffend wie folgt zusammengefasst:
"Das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft ist im Rahmen einer Gesamtschau aller Umstände der fraglichen Tätigkeiten als auch des fraglichen Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Der EuGH hat bereits Tätigkeiten mit einer Wochenarbeitszeit von 10 bis 12 sowie von 5,5 Wochenstunden für die Begründung des Arbeitnehmerstatus ausrei-chen lassen (EuGH, Urteil vom 3. Juni 1986, Rs. 139/85 – Kempf; EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, Rs. C-14/09 – Genc). Der EuGH hat auch keinen Mindestbetrag für eine Vergütung festgelegt, unterhalb derer ein Unionsbürger nicht oder nicht mehr als Arbeit-nehmer anzusehen ist. Er hat bereits ein Monatseinkommen von 175 Euro ausreichen lassen. Der Gerichtshof hat allerdings weitere Kriterien benannt, die zur Klärung heran-gezogen werden können, ob es sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit handelt, darunter ein Anspruch auf bezahlten Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung eines gültigen Tarifvertrags der Branche auf dieses Beschäftigungsverhält-nis oder die bereits bestehende Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, Rs. C-14/09 – Genc). Eine nach nationalem Recht geringfügige Beschäf-tigung kann eine Arbeitnehmereigenschaft begründen. Als Arbeitnehmer gilt auch, wer eine Berufsausbildung im dualen System absolviert."
Ausgehend von diesem Maßstab war der Kläger nicht als Arbeitnehmer anzusehen. Zwar sprach für ihn die erfolgte Meldung zur Sozialversicherung. Die Arbeitszeit von lediglich fünf Stunden wöchentlich und das Arbeitsentgelt von 100,00 EUR sprachen jedoch – aus-schlaggebend – gegen die Annahme einer mehr als unwesentlichen Tätigkeit. Hinzu kommt, dass der Lohn bar ausgezahlt wurde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.06.2017, L 31 AS 848/17 B ER, juris, Rn. 25).
Einen Rechtssatz dahingehend, dass ein Arbeitsentgelt von 100,00 EUR stets zur Annah-me der Arbeitnehmereigenschaft führe, gibt es nicht. Abweichendes folgt auch nicht aus der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12.09.2018, B 14 AS 18/17 R, juris, Rn. 20 f.). In der zitierten Entscheidung stellt das BSG vielmehr – wie auch das Gericht vorliegend – auf eine Gesamtschau ab. Hinzu kommt, dass der vom BSG ent-schiedene Fall sich von dem vorliegenden unterscheidet. Das Arbeitsentgelt der Klägerin in dem vom BSG entschiedenen Fall betrug nicht durchgehend nur 100,00 EUR.
Dem Kläger ist zuzugeben, dass in der Rechtsprechung teilweise Erwerbseinkommen für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft als ausreichend angesehen wird, wenn dieses den Grundfreibetrag nach § 11b Abs. 2 Satz 2 SGB II übersteigt (zum Beispiel LSG NRW, Beschluss vom 16.12.2016, L 12 AS 1420/16 B ER, juris, Rn. 25). Das Arbeitseinkommen des Klägers überstieg bis einschließlich August 2019 den Grundfreibetrag von 100,00 EUR allerdings nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Erstellt am: 11.01.2021
Zuletzt verändert am: 11.01.2021