Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 23.12.2013 mit der Maßgabe geändert, dass dem Antragsteller zu 1) längstens Leistungen bis 15.03.2014 zu bewilligen sind. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren für die Zeit ab 28.02.2014 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I, I, bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, aber im Wesentlichen unbegründet.
Die Antragsteller sind bulgarische Staatsangehörige und begehren im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Leistungen nach dem SGB II, die ihnen das Sozialgericht Dortmund mit dem angefochtenen Beschluss vom 23.12.2013 vorläufig für die Zeit vom 06.11. 2013 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30.04.2014 mit Ausnahme von Bedarfen für Unterkunft und Heizung (KdU) in Höhe des jeweils gültigen Regelsatzes (345,00 Euro bzw. ab 01.01.2014 353,00 Euro) bewilligt hat. Der Antragsteller zu 1) ist am 00.00.2014 verstorben. Streitig ist im zugrunde liegenden Verfahren, ob der Antragsgegner sich zu Recht auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) II stützen kann.
Im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchzuführenden summarischen Prüfung sieht der Senat in Übereinstimmung mit den zutreffenden und ausführlichen Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht, einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund als hinreichend glaubhaft gemacht an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).
Soweit der tenorierte Leistungszeitraum zu ändern war, trägt dies dem Umstand Rechnung, dass der Antragsteller zu 1) am 00.00.2014 verstorben ist und somit für den noch bis 30.04.2014 vom Tenor erfassten Zeitraum keine Leistungen mehr zu bewilligen waren.
Das Vorbringen der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Bei der Prüfung, ob die Antragsteller als bulgarische Staatsangehörige gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind oder ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. IV VO (EG) 883/2004 hinter diese zurücktritt, handelt es sich um umstrittene Rechtsfragen, die in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet sind (vgl. hierzu Beschluss des LSG NRW vom 21.05.2014 – L 7 AS 652/14 B ER m.w.N und Beschlüsse des erkennenden Senats vom 20.12.2013 – L 12 AS 2265/13 B ER – und vom 19.03.2013 – L 12 AS 1023/13 B ER -). Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R geführten Verfahren entnehmen. Das BSG hat das Verfahren nach Art. 267 Abs. 1 und 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu verschiedenen Fragen einzuholen, u.a. ob das Gleichbehandlungsgebot Art. IV VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH, Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R – ). Aufgrund der Komplexität der bei Subsumtion des Sachverhalts zu klärenden Rechtsfragen kann die Rechtslage in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, so dass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Diese Folgenabwägung fällt zugunsten der Antragstellerin bzw. jetzt noch der Antragstellerin aus. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragsteller gegen die fiskalischen Interessen des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten, abzuwägen. Das Interesse des Antragsgegners muss im konkreten Fall hinter den Interessen der Antragstellerin zurücktreten. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann der Antragstellerin im Lichte des Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (LSG NRW, Beschluss vom 03.04.2013 – L 7 AS 2403/12 B).
Der Antragsgegner selbst führt in seiner Beschwerdebegründung aus, er sei sich bewusst, dass eine endgültige Entscheidung über die Europarechtskonformität der streitigen Norm des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im vorliegenden Eilverfahren nicht getroffen werden kann.
Soweit der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung ausführt, es sei nicht nachvollziehbar, dass das Sozialgericht es offengelassen habe, ob den Antragstellern ein nicht ausdrücklich geregeltes Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen oder wegen der Erkrankung des Antragstellers zu 1) zukommt, folgt der Senat dem nicht. Überzeugend hat das Sozialgericht hierzu ausgeführt, dass auf die Fälle eines fehlenden Aufenthaltsrechts der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach der überzeugenden Auffassung des 19. Senats des LSG NRW auch nicht im Wege eines "Erst-recht-Schlusses" anwendbar ist, weil der Aufenthaltszweck der Arbeitssuche kein Auffangtatbestand darstelle, der erst zur Anwendung gelange, wenn ein anderer Zweck nicht feststellbar sei. Dieser Auffassung folgt auch der erkennende Senat.
Auch die weiteren Ausführungen des Antragsgegners, wegen des Grundsatzes der Gewaltenteilung sei mit dem LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.08.2013 – L 29 AS 1552/13 B ER – davon auszugehen, dass Zweifel an der Vereinbarkeit der anzuwendenden einfachgesetzlichen Norm mit höherrangigem Recht nicht ausreichten, um von der Nichtanwendbarkeit auszugehen, teilt der Senat in dieser Absolutheit nicht. Wie bereits ausgeführt, liegt der hier zu treffenden Entscheidung eine Folgenabwägung zugrunde, die zwangsläufig berücksichtigen muss, dass Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht bestehen. Andernfalls liefe die Folgenabwägung ins Leere. Nicht erforderlich ist, dass der Senat einen eigenen Aussetzungsbeschluss fasst, nachdem das BSG in seiner zitierten Entscheidung vom 12.12.2013 – a.a.O. – die Bedenken gegen die Europarechtskonformität umfassend dargelegt hat. Diesen Ausführungen folgt der erkennende Senat, so dass er im Rahmen der von ihm vorzunehmenden Folgenabwägung nicht zu dem Ergebnis kommen kann, dass trotz der Zweifel an der Europarechtskonformität des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGG II der Antragstellerin keine Leistungen zuzusprechen sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Umstand, dass der Antragsteller zu 1) am 00.00.2014 verstorben ist und deshalb der vom Sozialgericht austenorierte Leistungszeitraum entsprechend zu verkürzen war, führt zu keiner abweichenden Kostenentscheidung, denn er vermag nichts an der Tatsache zu ändern, dass der Antragsgegner mit seiner Argumentation unterlegen ist. Die Änderung trägt lediglich den tatsächlichen Gegebenheiten Rechnung, dass nach dem Tod des Antragstellers zu 1) für diesen keine weiteren Bedarfe zur Sicherung des Lebensunterhalts bestehen.
Gemäß §§ 73a SGG, 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) war den Antragstellern bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da bei der unklaren Rechtslage im Verfahren nicht von Vornherein die Aussicht auf Erfolg abgesprochen werden kann.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 02.07.2014
Zuletzt verändert am: 02.07.2014