Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin und die Beklagte streiten in dem ursprünglich unter dem Aktenzeichen S 32 AS 4085/12 geführten Klageverfahren, dessen Ruhen durch Beschluss vom 19.01.2015 gem. § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. 251 ZPO angeordnet worden war, und das am 17.12.2015 auf Antrag der Kläger unter dem neuen Aktenzeichen S 32 AS 5367/15 WA fortgesetzt worden ist, um die Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (nachfolgend: SGB II) dem Grunde nach im Zeitraum vom 16.02.2012 bis zum 15.05.2012.
Streitig ist allein, ob die Klägerin in diesem Zeitraum in den Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II fiel, und ob ihr bejahendenfalls stattdessen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe – (nachfolgend: SGB XII) zustehen.
Die Klägerin (ursprünglich: Klägerin zu 1)) besitzt die polnische Staatsangehörigkeit. Der frühere Kläger zu 2) besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, lebte im streitigen Zeitraum mit der Klägerin in eheähnlicher Lebensgemeinschaft zusammen, war damals (und ist auch heute noch) dauerhaft nicht erwerbsfähig und bezog eine seinen individuellen Bedarf voll deckende bzw. übersteigende deutsche Erwerbsunfähigkeitsrente i. H. v. damals 715,52 EUR / Monat. Seit dem 07.10.2013 ist er mit der Klägerin verheiratet.
Die Klägerin reiste am 16.02.2012 nach längerem Aufenthalt in Polen (wieder) nach Deutschland ein. Hinsichtlich der Motivationslage der Klägerin bei der Einreise und verschiedener Einzelheiten ihres Aufenthalts in Deutschland wird auf die im Sitzungsprotokoll zur mündlichen Verhandlung festgehaltenen Angaben der Klägerin und des früheren Klägers im Rahmen der persönlichen Anhörung und auf die nachfolgenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen Bezug genommen.
Am 24.02.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Mit Bescheid vom 19.04.2012 (Bl. 53 der Verwaltungsvorgänge der Beklagten (VV)) wurden der Klägerin Leistungen nach dem SGB II nicht wie beantragt ab dem 16.02.2012 – dem Tag ihrer Einreise – sondern nur ab dem 16.05.2012 bewilligt, weil die Beklagte der Auffassung war, dass sie in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland vom Bezug von SGB II-Leistungen ausgeschlossen war.
Der Widerspruch der Kläger vom 24.04.2012 (Bl. 68 VV) wurde mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2012 (Bl. 127 VV) als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte führte aus, dass die Klägerin vor dem 16.05.2012 nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vom Bezug von SGB II-Leistungen ausgeschlossen gewesen sei, da sie im Zeitraum vom 16.02.2012 bis zum 15.05.2012 weder Arbeitnehmerin noch Selbständige gewesen sei.
Am 02.10.2011 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Die Kläger haben zunächst u. a. vorgetragen, dass sie der Meinung seien, dass auch in den ersten drei Monaten ein Leistungsanspruch bestehe; Polen sei EU-Mitglied und daher habe die Beklagte "EU-Gesetze" zu beachten gehabt. Nach Mandatierung ihres Bevollmächtigten haben sie u. a. vorgetragen, dass der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II zwar dem Wortlaut nach eingreife, jedoch aus europarechtlichen Gründen "nicht uneingeschränkt" auf die Klägerin anzuwenden sei. Später haben sie weiter ausgeführt, dass Leistungsausschlüsse wie der hier fragliche nicht anzuwenden seien, wenn ein Interessen- und Lebensmittelpunkt in Deutschland bestehe, was bei den Klägern der Fall sei, und sich auf die VO (EG) 883/2014 sowie auf die Entscheidung des LSG NRW vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13 – berufen. Im Zusammenhang mit den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in den Rechtssachen C-333/13 "Dano" und C-67/14 "Alimanovic" und den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 03.12.2015 haben die Kläger ergänzend vorgetragen und sich vor allem auf den Standpunkt gestellt, dass ein "genereller Leistungsausschluss (SGB I und SGB XII)" nicht möglich sei, selbst wenn der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II europarechtskonform sein sollte. Sinngemäß haben sie zum Ausdruck gebracht, dass zumindest Sozialhilfeleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren seien. Der frühere Kläger zu 2) hat im Termin zur mündlichen Verhandlung seine Klage zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 19.04.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 16.02.2012 bis zum 15.05.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dem Grunde nach zu gewähren,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum vom 16.02.2012 bis zum 15.05.2012 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII unter Berücksichtigung einer Ermessensreduzierung auf Null in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass im streitigen Zeitraum der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II eingreife. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 22.02.2016 hat die Kammer den örtlichen Träger der Leistungen nach dem SGB XII gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG beigeladen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der zu der Klägerin geführten Ausländerakte Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Sie war daher abzuweisen. Richtige Beklagte ist nicht (mehr) die Stadt I sondern die Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) "Kommunales Jobcenter I". Das Passivrubrum war insofern von Amts wegen zu berichtigen.
Dies ergibt sich daraus, dass die Stadt I der AöR mit Wirkung vom 01.07.2013 gem. § 2 Abs. 1 der "Satzung der Stadt I über die kommunale Einrichtung ‚Kommunales Jobcenter I‘ in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts" vom 18.06.2013 sämtliche ihr gemäß § 6a SGB II obliegenden Aufgaben zur Umsetzung des SGB II übertragen hat, also auch die bis dahin bei ihr verbliebenen Aufgaben im Zusammenhang mit der Erbringung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die AöR ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 der Satzung rechtsfähig. Die Satzung wurde vom Rat der Stadt am 14.05.2013 beschlossen und aufgrund Bekanntmachungsanordnung des Oberbürgermeisters vom 18.06.2013 im Westfälischen Anzeiger Nr. 144 vom 25.06.2013 veröffentlicht. Sie ist gem. § 16 Satz 1 am 01.07.2013 in Kraft getreten. Nach § 16 Satz 2 ist gleichzeitig die Satzung der Stadt I über die kommunale Einrichtung "Kommunales Job-Center I" in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts vom 26.03.2010 außer Kraft getreten, deren § 2 Abs. 1 bereits zur Übertragung einiger Aufgaben nach dem SGB II auf die AöR geführt hatte. Eine Einschränkung derart, dass die (Vervollständigung der) Aufgabenübertragung nur für die Zukunft oder nicht für laufende Verfahren erfolgen soll, enthält die Satzung nicht. Rechtsgrundlagen für die Aufgabenübertragung auf die AöR sind § 6a Abs. 5 SGB II und § 3 AG-SGB II NRW (Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004) sowie § 114a GO NRW (Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen). Die Kammer bewertet diesen Sachverhalt als Fall eines kraft Gesetzes, hier konkret kraft Satzung, eingetretenen Beteiligtenwechsels (Funktionsnachfolge), der zu einer Rubrumsberichtigung von Amts wegen führen muss und keine Klage- bzw. Antragsänderung gem. § 99 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erfordert (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 99 Rn. 6a m. w. N.; vgl. zu einem ähnlichen Fall auch BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R – juris).
Die Beklagte, die AöR, wird dabei aufgrund § 9 Abs. 1 einer mit der Stadt I getroffenen Beistandsvereinbarung vom 17.03.2008 in gerichtlichen Verfahren durch das Rechtsamt der Stadt I vertreten.
Dass die Stadt I nun Beigeladene ist und zugleich Rechtsträger der Behörde, deren Rechtsamt aufgrund dieser Beistandsvereinbarung auch für die Vertretung der Beklagten zuständig ist, hält die Kammer für unbedenklich, da sogar eine – hier angesichts der eigenen Rechtspersönlichkeit der AöR nicht vorliegende – Identität des SGB II-Trägers und des SGB XII-Trägers unbedenklich wäre (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16.12.2015 – B 14 AS 15/14 R – juris (Rn. 43-44)).
Streitgegenstand ist zunächst der Bescheid vom 19.04.2012, soweit mit ihm der Antrag der Klägerin für den Teilzeitraum vom 16.02.2012 bis zum 15.05.2012 abgelehnt wurde, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.09.2012.
Streitgegenstand ist in diesem Rahmen ferner der mögliche Leistungsanspruch der Klägerin dem Grunde nach im Zeitraum vom 16.02.2012 bis zum 15.05.2012.
Hilfsweise für den Fall, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II eingreift und die Klage gegen die Beklagten abzuweisen ist, ist ein möglicher Leistungsanspruch nach §§ 23 Abs. 1 Satz 3, 27 ff. SGB XII gegenüber der nach § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG Beigeladenen als örtlichem Sozialhilfeträger streitgegenständlich.
Die mit dem Hauptantrag auf eine teilweise Aufhebung bzw. Abänderung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten und auf ihre Verurteilung zur Erbringung von Leistungen nach den §§ 19 ff. SGB II dem Grunde nach gerichtete kombinierte Anfechtungs- und "unechte" Leistungsklage gem. §§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, 56 SGG i. V. m. § 130 Abs. 1 SGG (vgl. z. B. Hessisches LSG, Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12 – juris (Rn. 24)) ist statthaft und auch im Übrigen unproblematisch zulässig.
Das hilfsweise verfolgte Rechtsschutzbegehren richtet sich gegen eine nach § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG Beigeladene ("unechte" notwendige Beiladung). Der zwar nicht unbedingt notwendige (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – juris (Rn. 13)) aber hier in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Insoweit kommt eine Verurteilung nach § 75 Abs. 5 SGG in Betracht. Der Durchführung eines vorherigen Verwaltungs- und Vorverfahrens bei der Beigeladenen bedarf es hierfür nicht. Die Beigeladene darf einen entsprechenden Antrag nur noch nicht bestandskräftig abgelehnt haben (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 75 Rn. 18 ff.). Dies war unstreitig nicht der Fall. Zudem müssen der streitgegenständliche Anspruch gegen die Beklagte und der Anspruch gegen die Beigeladene zueinander in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen (vgl. auch hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 75 Rn. 18 ff.), was der Fall ist.
Die danach insgesamt zulässige Klage ist sowohl mit dem gegen die Beklagte gerichteten Rechtsschutzbegehren, also mit dem Hauptantrag, unbegründet, als auch mit dem gegen die Beigeladene gerichteten, hilfsweise geltend gemachten Rechtsschutzbegehren.
Die Klägerin wird durch den angefochtenen Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht i. S. v. § 54 Abs. 2 SGG beschwert, denn sie verfügt bereits dem Grunde nach nicht über einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II. Auch besteht kein Anspruch gegenüber der Beigeladenen. Das gilt für den gesamten streitigen Zeitraum.
Zum Hauptantrag (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den §§ 19 ff. SGB II dem Grunde nach):
Die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-4 SGB II stehen insgesamt nicht im Streit und sind – ohne dass es nach dem hier vertretenen Rechtsstandpunkt darauf entscheidend ankäme – nach der Überzeugung der Kammer erfüllt.
Die Klägerin gehörte im streitigen Zeitraum zu dem Personenkreis, für den die im SGB II aufgeführten Leistungen vorgesehen sind. Sie hatte das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II).
Auch die Erwerbsfähigkeit der Klägerin gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II i. V. m. § 8 SGB II lag im streitigen Zeitraum vor. Die gesundheitliche Erwerbsfähigkeit gem. § 8 Abs. 1 SGB II ist nicht fraglich und auch die rechtliche Erwerbsfähigkeit gem. § 8 Abs. 2 SGB II ist bei Staatsangehörigen von EU-Mitgliedstaaten – hier: Polen – unproblematisch gegeben. Für die Annahme, dass eine Beschäftigung i. S. d. § 8 Abs. 2 SGB II "erlaubt ist oder erlaubt werden könnte", reicht es aus, wenn die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne einer rechtlich-theoretischen Möglichkeit mit einer Zustimmung der Bundesagentur zur Beschäftigungsaufnahme erlaubt sein könnte, auch wenn dies im Einzelfall bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz durch die Verfügbarkeit geeigneter bevorrechtigter Bewerber (§ 39 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG)) verhindert wird. Dass auf eine abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen ist, ergibt sich ausdrücklich aus § 8 Abs. 2 Satz 2 SGB II, wonach die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – juris (Rn. 15 f.); LSG NRW, Urteil vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13 – juris (Rn. 35); Hessisches LSG, Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 726/12 – juris (Rn. 35)). Ein Unionsbürgerin aus Polen wie die Klägerin benötigte aber im streitigen Zeitraum ohnehin keine Arbeitsgenehmigung nach § 284 Abs. 1 SGB III mehr, bevor sie einer unselbständigen Beschäftigung nachgeht (vgl. § 13 FreizügG/EU in der damals geltenden Fassung vom 20.12.2011) – weder eine befristete Arbeitsgenehmigung ("Arbeitserlaubnis-EU") nach § 284 Abs. 2, 3 und 4 SGB III i. V. m. § 39 Abs. 2-4 und 6 AufenthG noch eine unbefristete Arbeitsgenehmigung ("Arbeitsberechtigung-EU") nach § 284 Abs. 5 SGB III i. V. m. § 12a der Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV). Denn sie besaß das insofern uneingeschränkte, sich aus § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bzw. den dieser Norm zugrunde liegenden europäischen Rechtsvorschriften über die Freizügigkeit ergebende Recht auf Einreise und Aufenthalt mit allen damit zusammenhängenden Rechtsvorteilen, hier konkret das aus der Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) folgende Recht, den Arbeitsplatz frei von nationalen Behinderungen zu suchen (freier Arbeitsmarktzugang).
Zudem ist unstreitig und geht die Kammer nach dem Akteninhalt und in Anbetracht der von der Beklagten mit Wirkung ab dem 16.05.2012 ausgesprochenen Bewilligungsentscheidung davon aus, dass die Klägerin nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen dem Grunde nach hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i. V. m. §§ 9 ff. SGB II war. Ihr stand im streitigen Zeitraum kein (bedarfsdeckendes) Einkommen zur Verfügung. Auch unmittelbar realisierbare Ansprüche auf vorrangige Sozialleistungen oder Unterhaltsleistungen sind nicht erkennbar. Auch daran, dass die Klägerin über kein einzusetzendes Vermögen verfügte, hat das Gericht keine Zweifel.
Mit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 16.02.2012 und ihrem anschließenden Aufenthalt in Deutschland begründete die Klägerin hier auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II i. V. m. § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) und erhielt ihn im streitigen Zeitraum aufrecht. Denn der örtliche Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse war faktisch dauerhaft – nämlich nicht auf Beendigung angelegt, sondern zukunftsoffen – im Inland (vgl. insoweit z. B. BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – juris (Rn. 18 ff.); LSG NRW, Urteil vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13 – juris (Rn. 35)). Auf rechtliche Erfordernisse zum Aufenthaltsstatus im Sinne einer "Einfärbungslehre" kommt es für die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts jedenfalls für den Bereich des SGB II nicht an (vgl. BSG a. a. O. (Rn. 19); vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 – L 31 AS 1348/13 – juris (Rn. 23 ff.)). Dass die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt bzw. den örtlichen Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse in Deutschland hatte, ergibt sich hier aus ihrem Zusammenleben mit dem früheren Kläger zu 2), einem deutschen Staatsangehörigen, ihrem jetzigen Ehemann, sowie daraus, dass kein Verfahren gem. § 2 Abs. 7 Satz 1 oder Satz 2 FreizügG/EU (Feststellung des Nichtbestehens des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU) oder gem. §§ 5 Abs. 4 oder 6 FreizügG/EU (Feststellung des Verlusts des Rechts nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU) durchgeführt und daher keine Ausreisepflicht nach § 7 FreizügG/EU entstanden und der Aufenthalt folglich zukunftsoffen war (vgl. BSG a. a. O. (Rn. 20) m. w. N.; LSG NRW, Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13 – juris (Rn. 27)).
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass die in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II normierten Leistungsvoraussetzungen um die ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines (materiellen) Aufenthaltsrechts zu erweitern sei (so Hessisches LSG, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER – juris), folgt die Kammer dem nicht. Es fehlt insoweit bereits an einer planwidrigen Regelungslücke (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER – juris (Rn. 22); LSG NRW, Urteil vom 01.06.2015 – L 19 AS 1923/14 – juris (Rn. 36) m. w. N. (insofern durch das BSG im Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – nicht beanstandet); LSG NRW, Beschluss vom 09.09.2015 – L 19 AS 1260/15 B ER – juris (Rn. 19)).
Jedoch greift in Übereinstimmung mit der Auffassung der Beklagten der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II zu Lasten der Klägerin ein.
Nach dieser Vorschrift sind vom Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen "Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts".
Der streitige Zeitraum erstreckt sich hier über diese ersten drei Monate des (erneuten) Aufenthalts der Klägerin in Deutschland beginnend mit dem 16.02.2012, dem Tag ihrer Einreise (vgl. hierzu Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 7, Rn. 91), der sich an einen ein- bis zweijährigen Aufenthalt in Polen anschloss, der wiederum auf einen etwa zweijährigen und damit schon in zeitlicher Hinsicht nicht zur Begründung eines Daueraufenthaltsrechts nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 i. V. m. § 4a FreizügG/EU geeigneten Aufenthalt in Deutschland folgte (vgl. Bl. 1 VV). Die Klägerin war während dieser drei Monate unstreitig nicht Arbeitnehmerin (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 1 FreizügG/EU) oder Selbständige (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU) oder aufgrund von § 2 Absatz 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Damit greift § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II hier ein.
Das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem nicht entgegen. Denn das EFA ist nicht nur nach seinem sachlichen sondern schon nach seinem persönlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig, weil die Klägerin polnische Staatsangehörige und Polen nicht Signatarstaat dieses Abkommens ist (vgl. BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – juris (Rn. 30) zum sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des EFA; vgl. ferner BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 43/15 R – juris (Rn. 15 ff.), auch zu dem von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt).
Auch steht vorrangiges Recht der Europäischen Union (EU) dem nicht entgegen. Ein Leistungsausschluss wie der gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II verstößt nach der für die Kammer als nationales Gericht bindenden Auslegung dieses Rechts durch den EuGH (a. A. offenbar SG Mainz, Beschluss vom 12.11.2015 – S 12 AS 946/15 ER – juris (Rn. 41 ff.)) nicht gegen EU-Recht (EuGH, Urteil vom 25.02.2016 – C-299/14 "Garcia-Nieto" – juris; vgl. hierzu z. B. auch Kador in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 70 VO (EG) 883/2004, Rn. 28.9).
Der Klägerin steht damit für den streitigen Zeitraum bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zu und die Klage war folglich, soweit sie sich gegen die Beklagte richtet, abzuweisen.
Zum Hilfsantrag (Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII dem Grunde nach):
Die Klägerin besitzt auch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) – Sozialhilfe – (SGB XII), so dass auch die auf der Grundlage von § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG "unecht" notwendig Beigeladene, der örtlich zuständige Sozialhilfeträger, nicht nach § 75 Abs. 5 SGG zu verurteilen war.
Die nachfolgenden Ausführungen der Kammer zu § 21 Satz 1 SGB XII entsprechen zu einem großen Teil – teils sinngemäß, teils wörtlich – den Ausführungen der Kammer in den Gründen zu Ziff. II ihres Beschlusses vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – juris (Rn. 75 ff.) einschließlich der dortigen umfangreichen Zitate aus anderen Entscheidungen, insbesondere aus dem für die Problematik grundlegenden Beschluss der 35. Kammer des Sozialgerichts Dortmund vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER –.
An ihrer dort zum Ausdruck gebrachten Sichtweise hält die Kammer auch nach nochmaliger Überprüfung vollumfänglich fest. Die Kammer ergänzt ihre Ausführungen nachfolgend um einige aktuelle Rechtsprechungs- und Literaturnachweise und auch um einige zusätzliche rechtliche Erwägungen:
Die Klägerin ist als – unstreitig – Erwerbsfähige gemäß § 21 Satz 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen.
Dies folgt aus dem Wortlaut und dem systematischen Aufbau des § 21 SGB XII, der Gesetzesbegründung sowie dem vom BSG in weiteren Urteilen aufgezeigten systematischen Wechselspiel von SGB II und SGB XII und der in diesem Zusammenhang angenommenen abgrenzenden Funktion des § 21 SGB XII und der in § 7 SGB II vertretenen Leistungsausschlüsse.
Die Kammer folgt insoweit weiterhin nicht der Rechtsauffassung des 4. und des 14. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), wie sie sich den Urteilen vom 03.12.2015 (Az.: B 4 AS 59/13 R, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R), vom 16.12.2015 (Az.: B 14 AS 15/14 R, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R), vom 20.01.2016 (Az.: B 14 AS 15/15 R und B 14 AS 35/15 R), vom 17.02.2016 (Az.: B 4 AS 24/14 R) und vom 17.03.2015 (Az.: B 4 AS 32/15 R) entnehmen lässt, und nach der hier zumindest ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, ggf. aber auch, aufgrund des Fehlens eines § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II entsprechenden ausdrücklichen Leistungsausschlusses für die ersten drei Monate (dazu später näher), ein auf § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII beruhender, gebundener Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII gegen die Beigeladene als insoweit örtlich und sachlich zuständigen Leistungsträger bestehen könnte.
Die Kammer vertritt vielmehr die Auffassung, dass § 21 Satz 1 SGB XII (und in dem hier allerdings nicht vorliegenden Fall des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII) der Gewährung von Leistungen nach §§ 23 Abs. 1, 27 ff. XII an erwerbsfähige Hilfebedürftige, die EU-Staatsangehörige sind, entgegensteht und die Gewährung von existenzsichernden Leistungen an EU-Ausländer auch nicht verfassungsrechtlich geboten ist (vgl. zu letzterem Aspekt bereits den nicht veröffentlichten (n. v.) Beschluss der erkennenden Kammer vom 30.10.2015 – S 32 AS 3492/15 ER – zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II; vgl. ferner SG Dortmund, Beschluss vom 23.11.2015 – S 30 AS 3827/15 ER – juris m. w. N.; vgl. zu der hier und in der Entscheidung der Kammer vom 18.04.2016 in dem Verfahren S 32 AS 380/16 ER vertretenen, von der BSG-Rechtsprechung abweichenden Auffassung zu §§ 21 Satz 1, 23 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 3 SGB XII sodann in chronologischer Reihenfolge: SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13 – juris; SG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – S 26 AS 12515/13 – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 – L 29 AS 20/16 B ER, L 29 AS 21/16 B ER PKH (unter Bestätigung der Vorinstanz: SG Berlin, Beschluss vom 06.01.2016 – S 59 AS 26012/15 ER – n. v.); SG Halle (Saale), Beschluss vom 22.01.2016 – S 5 AS 4299/15 ER – juris; SG Dortmund, Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – juris; SG Berlin, Beschluss vom 22.02.2016 – S 95 SO 3345/15 ER – juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – juris; SG Berlin, Beschluss vom 02.03.2016 – S 205 AS 1365/16 ER – juris; LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris; SG Dortmund, Beschluss vom 18.03.2016 – S 35 AS 521/16 ER – n. v.; SG Dortmund, Beschluss vom 18.03.2016 – S 19 AS 91/16 ER – n. v.; SG Reutlingen, Urteil vom 23.03.2016 – S 4 AS 114/14 – juris; SG Speyer, Urteil vom 29.03.2016 – S 5 AS 493/14 – juris; SG Berlin, Beschluss vom 07.04.2016 – S 92 AS 359/16 ER – juris; SG Dortmund, Beschluss vom 13.04.2016 – S 62 SO 164/16 ER – n. v.; SG Freiburg (Breisgau), Beschluss vom 14.04.2016 – S 7 SO 773/16 ER – juris; SG Berlin, Urteil vom 18.04.2016 – S 135 AS 22330/13 – juris; SG Berlin, Urteil vom 23.05.2016 – S 135 AS 3655/13 – juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.06.2016 – L 31 AS 1158/16 B ER – juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 07.07.2016 – L 9 SO 12/16 B ER, L 9 SO 13/16 B PKH – juris; Beschluss der erkennenden Kammer vom 20.07.2016 – S 32 AS 3037/16 ER – juris; SG Halle (Saale), Beschluss vom 08.08.2016 – S 16 AS 2316/16 ER – juris; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.08.2016 – L 3 AS 376/16 B ER – juris; vgl. zudem die vom 20. Senat des LSG NRW im Beschluss vom 23.05.2016 – L 20 SO 139/16 B ER – juris (Rn. 44 ff.) geäußerten, nur für das Eilverfahren zurückgestellten, erheblichen Zweifel; sehr kritisch auch die Aufsätze von Thym, "Sozialhilfe für erwerbsfähige Unionsbürger – Das Bundessozialgericht auf Umwegen", NZS 2016, 441 ff. und von Bernsdorff, "Sozialhilfe für nichterwerbstätige Unionsbürger – Kassel locuta, causa finita?", NVwZ 2016, 633 ff.; vgl. außerdem das nach der mündlichen Verhandlung veröffentlichte Urteil des SG Aachen vom 30.08.2016 – S 14 AS 267/16 – juris; vgl. ferner die nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung ergangenen Beschlüsse des Hessischen LSG vom 29.09.2016 – L 9 AS 427/16 B ER – juris und vom 26.09.2016 – L 9 AS 643/16 B ER – bislang nur veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de; vgl. auch den ebenfalls nach der mündlichen Verhandlung ergangenen Beschluss der 62. Kammer des SG Dortmund vom 20.09.2016 – S 62 SO 403/16 ER – juris; vgl. schließlich – zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II – auch die weiteren, bislang n. v. Urteile der erkennenden Kammer vom 12.09.2016 (Az. S 32 AS 3198/13, S 32 AS 190/16 WA und S 32 AS 4289/15 WA)).
Die 35. Kammer des Sozialgerichts Dortmund hat in ihrer bereits erwähnten, grundlegenden Entscheidung (Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – juris (Rn. 23 ff.); ebenso LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris) zu § 21 Satz 1 SGB XII ausgeführt:
"Bereits der Wortlaut des § 21 Satz 1 SGB XII spricht gegen die vom BSG angenommene Möglichkeit, einem Hilfebedürftigen, dessen mangelnde Anspruchsberechtigung auf Leistungen nach dem SGB II nicht aus dem Merkmal der (ggf. auch "fingierten") Erwerbsunfähigkeit resultiert, Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Gemäß § 21 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber auf eine Leistungsberechtigung "als Erwerbsfähiger" "dem Grunde nach" abstellt, zeigt für die Kammer aber, dass bereits die positive Feststellung der Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz1 Nr. 2 ("erwerbsfähig sind") dazu führen soll, dass ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII ausscheidet. Sowohl das Tatbestandsmerkmal "als Erwerbsfähige" wie auch das Tatbestandsmerkmal "dem Grunde nach" wären nämlich überflüssig, wenn es nicht um das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit als zentrales Ausschlusskriterium, sondern um die tatsächliche Leistungsberechtigung bzw. den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ginge. Dann hätte vielmehr der bloße Verweis eben auf diese Leistungsberechtigung oder diesen Anspruch nahegelegen.
Auch das Vorliegen eines Leistungsausschlusses (so auch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II) lässt die Leistungsberechtigung "als Erwerbsfähiger" "dem Grunde nach" nach der Systematik der Norm im Übrigen nicht entfallen, denn während § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II die (positiv formulierten) Tatbestandsvoraussetzungen ("dem Grunde nach") für einen Bezug von Leistungen nach dem SGB II benennt, schließen die Regelungen des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ("ausgenommen sind" ") nach § 7 Abs.1 Satz 1 SGB II leistungsberechtigte Personengruppen wieder vom Leistungsbezug nach dem SGB II aus. Die Voraussetzung eines weiteren Aufenthaltsrechts als "positive Tatbestandsvoraussetzung" hat der Gesetzgeber gerade nicht vorgenommen.
Für die Auslegung der Kammer spricht auch die weitere Systematik des § 21 SGB XII:
Gemäß § 21 Satz 2 SGB XII können Personen, die nicht hilfebedürftig nach § 9 des Zweiten Buches sind, abweichend von Satz 1 Leistungen nach § 36 (SGB XII) erhalten.
Auch diese Regelung wäre aber überflüssig, wenn allein die fehlende Leistungsberechtigung nach dem SGB II (unabhängig vom Kriterium der Erwerbsfähigkeit) den Weg in einen Leistungsbezug nach dem SGB XII eröffnen könnte. Schon das Fehlen der in § 7 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGB II als positive Tatbestandsvoraussetzung benannten (und in § 9 SGB II näher definierten) Hilfebedürftigkeit ließe nämlich die Leistungsberechtigung nach dem SGB II entfallen. In § 21 Satz 2 SGB XII ließe sich dann keine Abweichung zu § 21 Satz 1 SGB XII erkennen (so aber der Gesetzeswortlaut).
Weiter beschreibt § 21 Satz 3 SGB XII das zwischen den Trägern von Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII anzuwendende Verfahren, wenn zwischen diesen unterschiedliche Auffassungen über die Zuständigkeit bestehen. Diesbezüglich ist der Träger von Leistungen nach dem SGB XII an die Feststellung einer vollen Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs.2 Satz des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB VI) und nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens an die Entscheidung der Agentur für Arbeit zur Erwerbsfähigkeit gemäß § 44 a Abs.1 SGB II gebunden. Dieses Instrumentarium vermittelt die Auffassung des Gesetzgebers, dass allein die unterschiedliche Einschätzung der Erwerbsfähigkeit als entscheidendes Abgrenzungskriterium zu Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den Trägern führen kann. Einen Mechanismus für die Bewältigung weiterer möglicher Abgrenzungsfragen (so z.B. für die nach der neuen Rechtsprechung des BSG erforderliche Klärung, ob neben dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche noch ein weiteres Aufenthaltsrecht vorliegt) sieht § 21 SGB XII nicht vor.
Auch die Gesetzesbegründung zu § 21 SGB XII (BT Drs. 15/1514, S. 57) spricht dafür, dass Erwerbsfähigen der Weg zu Leistungen nach dem SGB XII nicht eröffnet werden soll. Hier heißt es: "Die Regelung setzt nicht voraus, dass jemand tatsächlich Leistungen des anderen Sozialleistungsträgers erhält oder voll erhält, sondern knüpft an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren im Zweiten Buch näher bezeichneten Angehörigen an" (vgl. hierzu überzeugend SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015, S 149 AS 7191/13, – juris).
Dass das Tatbestandsmerkmal der Erwerbsfähigkeit entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen den Leistungssystemen von SGB II und SGB XII sein soll (so auch Coseriu in juris-PK zu § 21 SGB XII, Rn. 10, der § 21 SGB XII eine systemabgrenzende Funktion beimisst [Anmerkung der 32. Kammer: hier hätte Eicher statt Coseriu als Autor genannt werden müssen]) führt das BSG auch in seiner Entscheidung vom 03. Dezember 2015 – (Rn.41, – juris) aus. Hier heißt es: "Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird."
Diese Bedeutung der Erwerbsfähigkeit und der Arbeitsmarktnähe des Hilfebedürftigen für seine Zuweisung zu dem seiner ursprünglichen Konzeption nach erwerbszentrierten und arbeitsmarktnahen System des SGB II und dem "arbeitsmarktfernen" System des SGB XII hat das BSG auch in mehreren Entscheidungen herausgearbeitet, auf die es in seinem Urteil vom 03.12.2015 nunmehr zur Begründung seiner Prämisse verweist, dass im Falle des Ausschlusses eines erwerbsfähigen Ausländers von Leistungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nach dem SGB II ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich möglich bleibe (Zitat: "Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift" Rn. 42 (juris)) Eine differenzierte Betrachtung der Leistungsausschlüsse sei erforderlich.
Im Einzelnen nennt das BSG in diesem Zusammenhang folgende Urteile, die alle einen Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 SGB II zum Gegenstand haben:
BSG vom 16.5.2012 – B 4 AS 105/11 R – SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20 (Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 SGB II wegen Bezugs einer litauischen Altersrente)
BSG vom 2.12.2014 – B 14 AS 66/13 R – SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24 (Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 wegen Unterbringung in einer Klinik)
BSG vom 19.8.2015 – B 14 AS 1/15 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen – RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger)
In dem erstgenannten Urteil vom 16.05.2012 (B 4 AS 105/11 R, Rn.23, – juris) führt das BSG zum Hintergrund des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II und im Hinblick auf die Zuordnung der Empfängerin einer ausländischen Rente zum Leistungssystem nach dem SGB XII exemplarisch aus:
"Anspruch auf Leistungen haben allerdings grundsätzlich nur erwerbsfähige Hilfebedürftige. Nicht leistungsberechtigt ist, wer nicht erwerbsfähig iS des § 8 Abs 1 SGB II ist. Letzteres ist bei Personen in einer stationären Einrichtung (BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr 7, RdNr 13 f; SozR 4-4200 § 7 Nr 24, RdNr 20) und beim Bezug einer Altersrente (Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 71) nicht unbedingt der Fall. Bei Beziehern von Altersrenten vor Erreichen des Regelrentenalters – danach sind sie bereits aus Gründen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II nicht mehr leistungsberechtigt – wird jedoch nach der Begründung zur Regelung des § 7 Abs 4 S 1 SGB II typisierend angenommen, sie seien endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und müssten daher nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden (vgl BT-Drucks 15/1749, S 31). Sie benötigen aus diesem Grunde keine Leistungen aus dem System des SGB II mehr."
Weiter heißt es:
"( ) denn Erwerbsfähigkeit schließt Leistungen nach dem System des SGB XII gemäß § 21 S 1 SGB XII grundsätzlich aus. Nach § 21 S 1 SGB XII erhalten Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Wenn jedoch vor dem Hintergrund des systematischen "Wechselspiels" zwischen SGB II und SGB XII Altersrentner vor Vollendung des Regelrentenalters nach deutschem Recht nicht als Erwerbsfähige leistungsberechtigt iS des SGB II sind, kann unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten für Bezieher ausländischer Altersrenten nichts Anderes gelten."
Warum im Hinblick auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nichts anderes gilt als in Bezug auf die in den vorgenannten Urteilen streitgegenständlichen Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 4 SGB II (so BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 44 AS 15 R [Anmerkung der 32. Kammer: gemeint ist B 4 AS 44/15 R], Rn.43,- juris), ist nicht ohne Weiteres zu erkennen:
Sämtliche der in den früheren zitierten Urteilen des BSG behandelten Fallkonstellationen sind nämlich solche, in denen der Leistungsausschluss des BSG auf einer "fingierten Erwerbsunfähigkeit" beruht. So führt Coseriu [Anmerkung der 32. Kammer: auch hier hätte Eicher statt Coseriu als Autor genannt werden müssen] in juris-PK zu § 21 SGB XII zu den Fallkonstellationen des § 7 Abs. 4 SGB II aus: "Nach der Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei dieser Norm, soweit es die Unterbringung in Einrichtungen betrifft, um eine "verkappte" Regelung der Erwerbsunfähigkeit. Auch bei den übrigen Varianten ist von einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben auszugehen."
Dass die "fingierte Erwerbsunfähigkeit" maßgeblicher Hintergrund der Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 4 SGB II ist, ergibt sich plastisch aus der "Unterausnahme" des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II:
Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes, die einen wöchentlichen Umfang von mindestens 15 Stunden erreicht, hebt die "typisierende Annahme" der Erwerbsunfähigkeit nämlich auch für in einer stationären Einrichtung untergebrachte Hilfebedürftige wieder auf.
Liegen die in § 7 Abs. 4 SGB II geregelten Leistungsausschlüsse vor, erscheint es vor dem Hintergrund der vorab dargestellten Systemzusammenhangs von SGB und SGB XII auch der erkennenden Kammer geboten, von ihnen erfasste Hilfebedürftige im Rahmen einer teleologischen Reduktion nicht als "Erwerbsfähige" im Sinne von § 21 Satz 1 SGB XII zu behandeln. Maßgebliche Funktion dieser Leistungsausschlüsse ist es nämlich, dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehende Personen nicht dem nach seiner ursprünglichen Zielsetzung auf Aktivierung und Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgerichteten System des SGB II zuzuordnen, sondern in das hiervon unabhängige Grundsicherungssystem des SGB XII zu integrieren.
Dieser Hintergrund kann aber für den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht angenommen werden. Eine Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ist aus einem Freizügigkeitsrecht zum Zweck der Arbeitsuche gerade nicht herauszulesen.
Vielmehr sollte der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II eine leistungsrechtliche Hürde für den Zugang zu Sozialleistungen schaffen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm nämlich von der Option des Art. 24 der RL 2004/38 EG Gebrauch machen, die vorgenannten Personengruppen vom Anspruch auf Sozialhilfe – mithin Leistungen nach dem SGB XII und dem SGB XII – auszuschließen (vgl. hierzu eindringlich und überzeugend BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 44 AS 15 R, Rn.21-24 und Rn.48-50, juris). Der Leistungsausschluss sollte in beiden Systemen gleichermaßen greifen (BSG, Urteil vom 03.12.2015, B 44 AS 15 R, Rn.50,- juris). Vor dem Hintergrund dieser sozialpolitischen Zielsetzung hat der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anders als in den Fällen des § 7 Abs. 4 SGB II keine systemabgrenzende, sondern eine "systemausschließende" Funktion. Anders als in den Fällen des § 7 Abs. 4 SGB II erscheint es dann aber wenig sachgerecht, von diesem Leistungsausschluss Betroffene dem zu "bedingungslosen" Leistungen zur Grundsicherung führenden Leistungssystem des SGB XII zuzuweisen.
Dass aufgrund der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII grundsätzlich auch Erwerbsfähigen der Zugang zum SGB XII eröffnet werden sollte, kann auch nicht damit begründet werden, dass die Leistungsausschlüsse der §§ 22 Abs. 1, 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII ansonsten "leerliefen":
Im Hinblick auf § 22 Abs. 1 SGB XII, der Auszubildende, deren Ausbildung nach den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) und des Dritten Buchs Sozialgesetzbuchs (SGB III) grundsätzlich förderungsfähig ist, vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausschließt, ergibt sich dies daraus, dass die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums nicht zwangsläufig eine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II voraussetzt, so dass für diese der Norm des § 7 Abs. 5 SGB II entsprechende und aus dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übernommene Vorschrift auch bei einer Einordnung des § 21 SGB XII als "Anwendungssperre" für Erwerbsfähige ein eigenständiger Regelungsgehalt verbleibt. Dass § 22 Abs. 1 SGB XII sich auf nicht erwerbsfähige Auszubildende beziehen soll, hat das BSG in seinem Urteil vom 06.09.2007 (B 14/7b As 36/06 R,-juris) auch ausdrücklich dargestellt. Hier heißt es:
"Soweit der Kläger meint, Auszubildende würden nach dem SGB II schlechter gestellt als nach dem SGB XII, weil die Leistungen im besonderen Härtefall nach dem SGB II nur als Darlehen, nach § 22 Abs.1 Satz 2 SGB XII jedoch auch als Beihilfe gewährt werden können, führt dieses ebenfalls nicht zur Erforderlichkeit einer vom SGB XII abweichenden Anwendung des § 7 Abs.5 Satz 1 SGB II. Grund für die unterschiedlichen Leistungsarten ist die Zuordnung zu dem einen oder anderen System, differenziert nach der Erwerbsfähigkeit. Bei dem Erwerbsfähigen kann erwartet werden, dass er die Leistung nach Beendigung der Ausbildung und Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zurückzahlen kann. Diese Aussicht besteht bei dem SGB XII-Leistungsempfänger nicht ohne weiteres, so dass die Leistungsgewährung in Form der Beihilfe berechtigt erscheint."
Die gebotene Differenzierung zwischen erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Auszubildenden, die die (früher) ungleiche Konzeption der Leistungsausschlüsse der §§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II und 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII rechtfertige, wird auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 03.09.2014, 1 BvR 1768/11 aufgegriffen.
Auch aus der der Norm des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II entsprechenden 2. Alternative des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (Leistungsausschluss für Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt) lässt sich kein Argument gegen eine solche Auslegung der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII ableiten. Zunächst ist es nach Auffassung der Kammer bereits dem Grunde nach nicht zulässig, aus der Einführung der auf dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.09.2006 beruhenden Norm des § 23 Abs.3 Satz 1 SGB XII auf den gesetzgeberischen Willen bei der Konzeption der Norm des § 21 Satz 1 SGB XII (vom 27.12.2003) zu schließen.
Überdies führt Coseriu im juris-PK zu § 23 SGB II zur Entstehungsgeschichte des § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII (Rn. 64) aus:
"Der zunächst im SGB XII noch nicht vorgesehene Ausschluss von Leistungen nach dem SGB XII ist mit Wirkung vom 07.12.2006 durch das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 02.12.2006 eingeführt worden und sollte im Hinblick auf die entsprechende Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sicherstellen, dass der von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossene Ausländer keinen Leistungsanspruch nach dem SGB XII herleiten kann. Dies hatte etwa das LSG NRW zu Recht mit der Begründung angenommen, der Ausländer habe dem Grunde nach keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II; deshalb greife der Leistungsausschluss des § 21 Abs. 1 SGB XII nicht."
Sofern die Einführung des § 23 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB XII aber als "sicherstellende" gesetzgeberische Reaktion auf eine bereits in der damaligen Rechtsprechung vertretene Auffassung, die über die Anwendung des SGB XII eine faktische Aufhebung des vom Gesetzgeber durch § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gewünschten Ausschlusses bestimmter Personengruppen vom Sozialleistungsbezug bewirkte, zu verstehen ist, lässt sie sich aber nicht argumentativ gegen die Auslegung des § 21 Satz 1 SGB XII als "Anwendungssperre" für Erwerbsfähige ins Feld führen.
In der Gesetzesbegründung des aufgrund des Gesetzes zur 2. Änderung des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuchs vom 24.03.2006 eingeführten § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (BT Drs. 16/688, S. 13) heißt es zudem: "Auch wenn bei Ausländern die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, das heißt sie zwischen 15 und unter 65 Jahre alt, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, können dennoch die Leistungen nach diesem Buch durch den neugefassten Satz 2 ausgeschlossen sein. Darüber hinaus kommen dann für diese Personengruppe auch Leistungen des SGB XII wegen § 21 Satz 1 SGB XII nicht in Betracht, da sie dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II ist." Jedenfalls auch zu diesem Zeitpunkt ist der Gesetzgeber mithin noch davon ausgegangen, dass Erwerbsfähige aufgrund der Vorschrift des § 21 Satz 1 SGB XII keine Leistungen nach dem SGB XII beziehen konnten."
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung an (vgl. insoweit aus der obigen Auflistung von der BSG-Rechtsprechung abweichender Entscheidungen vor allem auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – juris (Rn. 57-66) mit sehr ausführlicher Begründung, auch zur Methodik der Auslegung von Gesetzen (insofern v. a. Rn. 79 und 80 ff.) und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2016 – L 29 AS 20/16 B ER, L 29 AS 21/16 B ER PKH – juris (Rn. 25 ff.)).
Soweit das BSG in einer weiteren Entscheidung zu seiner Auslegung von § 21 SGB XII ausgeführt hat (BSG, Urteil vom 20.01.2016 – B 14 AS 35/15 R – juris (Rn. 35)), dass "die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist" und insoweit auf das Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – Bezug nimmt, überzeugt das nicht, da sich auch der Begründung dieses Urteils kein nachvollziehbarer Hinweis entnehmen lässt, inwieweit die Abgrenzung der Systeme "differenzierter" sein soll und welche Differenzierungskriterien zu beachten sein sollen. Die Begründung erschöpft sich in der These, dass die Abgrenzung "differenzierter" betrachtet werden müsse, in der Feststellung, dass das BSG für bestimmte Leistungsausschlüsse bereits entschieden habe, dass die ausgeschlossene Person dann dem SGB XII-Leistungssystem zugewiesen sei, und in der Behauptung "Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II gilt nichts anderes" (nebst zwei Literaturnachweisen). Und auch, dass das BSG dort ausgeführt hat (BSG a. a. O. Rn. 35): "Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 SGB XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem SGB II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S 57), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des SGB II und des SGB XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden", vermag nicht zu überzeugen. Aus den vorstehend wiedergegebenen Ausführungen der 35. Kammer ergibt sich nach Meinung der erkennenden Kammer, dass der Gesetzgeber seine Regelungsvorstellung hinreichend deutlich im Wortlaut und in der Systematik der gesetzlichen Vorschriften zum Ausdruck gebracht hat.
Die Klägerin ist danach bereits gemäß § 21 Satz 1 SGB XII vom Bezug von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen.
Die Klägerin besitzt aber unabhängig von den vorstehenden Erwägungen noch aus einem weiteren Grund keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII.
Allerdings ergibt sich dieser Grund nicht aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII, weder in direkter Anwendung noch in erweiterter Auslegung ("Erst-Recht-Schluss").
Hinsichtlich der Gründe dafür, dass Personen, die sich nur (oder nicht einmal) aus dem Grund der Arbeitssuche in Deutschland aufhalten und daher unter § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fallen, entgegen der Rechtsprechung des BSG nicht nur wegen § 21 Satz 1 SGB XII sondern auch wegen § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII keine Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII, §§ 27 ff. SGB XII beziehen können, wird zunächst auf die Gründe des bereits erwähnten Beschlusses der erkennenden Kammer vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – juris Bezug genommen (vgl. insbesondere Rn. 114 ff. m. w. N.) sowie beispielhaft auf SG Dortmund, Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – juris (Rn. 46 ff.); LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – juris; LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris; SG Berlin, Beschluss vom 22.02.2016 – S 95 SO 3345/15 ER – juris (Rn. 37)), ferner auf die Entscheidungsgründe der ebenfalls bereits erwähnten weiteren, bislang n. v. Urteile der Kammer vom 12.09.2016 (zu S 32 AS 3198/13, S 32 AS 190/16 WA und S 32 AS 4289/15 WA).
Hier liegt aber kein Fall von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sondern ein Fall von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II vor. Insofern ist die Sachlage etwas anders:
In Bezug auf den die ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland betreffenden Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II dürfte das BSG bei seiner o. g. Rechtsprechung (insbes. Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R –) unausgesprochen davon ausgegangen sein, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II zwar anwendbar und rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass aber in den ersten drei Monaten des Aufenthalts wie in den Monaten 4 bis 6 ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfeleistungen aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII (Ermessen dem Grunde, der Form und der Höhe nach) folgt.
Die Kammer geht jedoch davon aus, dass dies nicht zutrifft. Vielmehr würde eine erwerbsfähige Person, die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in den ersten drei Monaten von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, für diesen Zeitraum nach dem Ansatz des BSG – jedenfalls häufig – nicht nur einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfeleistungen besitzen sondern einen Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (vgl. hierzu und zu den nachfolgenden Erwägungen bereits den Beschluss der Kammer vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – juris (Rn. 151)).
Denn § 23 Abs. 3 SGB XII enthält keinen der Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für die ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland. Geregelt ist nur ein Ausschluss für Fälle einer Einreise, "um Sozialhilfe zu erlangen" (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII; hierzu sogleich näher). Dieser Ausschlusstatbestand greift nur ein, wenn ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe gegeben ist, und wenn bei unterschiedlichen Einreisemotiven der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung war (auch hierzu sogleich näher). Diese Voraussetzung ist nicht in jedem Fall eines Aufenthalts in den ersten drei Monaten, in dem es zu einem Sozialleistungsantrag kommt, ohne weiteres erfüllt.
Das BSG hat in seinem Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 37/12 R – juris (Rn. 22) darauf hingewiesen, dass die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II als Reaktion auf den erst im Jahr 2007 eingeführten § 2 Abs. 5 FreizügG/EU erfolgt sei, weil der Leistungsausschluss für Arbeitsuchende diese Gruppe nicht erfasste. Dann ist es aber nach Meinung der Kammer nicht möglich, diese Gruppe in den Leistungsausschluss in § 23 Abs. 3 SGB XII hineinzulesen. Und auch ein "Erst-Recht-Schluss" ist nach Meinung der Kammer nicht möglich. Das für die ersten drei Monate bestehende voraussetzungslose Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU ("Für einen Aufenthalt von Unionsbürgern von bis zu drei Monaten ist der Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ausreichend. Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, haben das gleiche Recht, wenn sie im Besitz eines anerkannten oder sonst zugelassenen Passes oder Passersatzes sind und sie den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen") ist ein anderes Aufenthaltsrecht sein als "nur" eines zur Arbeitssuche gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a FreizügG/EU bzw. § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII und ist auch nicht gleichzusetzen mit einem Aufenthalt ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, für den ein solcher "Erst-Recht-Schluss" zulässig ist.
Hält man daher entgegen der hier vertretenen Auffassung und mit der des BSG Leistungen nach dem SGB XII für erwerbsfähige EU-Bürger nicht schon wegen § 21 Satz 1 SGB XII für ausgeschlossen, besitzen Personen, die nicht unter § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII fallen (hierzu sogleich näher), in den ersten drei Monaten ihres Deutschlandaufenthalts einen gebundenen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlichem Umfang nach §§ 23 Abs. 1 Satz 1, 27 ff. SGB XII (in den Monaten 4 bis 6 hingegen nur einen Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII und erst nach Ablauf von insgesamt 6 Monaten, also ab dem 7. Monat, wegen einer Ermessensreduzierung auf Null wieder einen Anspruch nach §§ 27 ff. SGB XII; kritisch zu dieser sich aus dem Ansatz des BSG ergebenden sozialleistungsrechtlichen "Achterbahnfahrt" bereits der Beschluss der Kammer vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – juris (Rn. 151)).
§ 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII steht mithin dem Erfolg der Klage gegenüber der Beigeladenen nicht entgegen.
Die Klägerin ist aber von Leistungen nach dem SGB XII ausgeschlossen, weil sie nach der Überzeugung der Kammer i. S. d. § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII nach Deutschland eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen.
Die Anwendung dieser Norm erfordert einen finalen Zusammenhang zwischen der Einreise und dem Sozialhilfebezug. Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Erforderlich ist insoweit ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet. Diese Zweck-Mittel-Relation ist auch dann gegeben, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – juris (Rn. 45) m. w. N.; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.06.2016 – L 2 SO 2095/16 ER-B – juris).
Die Möglichkeit, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, muss für den Einreiseentschluss des Ausländers, sei es allein, sei es neben anderen Gründen, in besonderer Weise bedeutsam und nicht nur anderen Einreisezwecken untergeordnet gewesen sei. Das Motiv, Sozialhilfe zu erlangen, muss für den Ausländer neben anderen Einreisegründen so wichtig gewesen sein, dass er ansonsten nicht eingereist wäre (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.06.2016 – L 2 SO 2095/16 ER-B – juris (Rn. 20)).
Dabei muss der finale Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe i. S. eines ziel- und zweckgerichteten Handelns in der jeweiligen Person gegeben sein; eine Verhaltenszurechnung unter Familienangehörigen scheidet aus (vgl. Coseriu in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 23 SGB XII, Rn. 57).
Diese Voraussetzungen liegen hier gerade auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin und des früheren Klägers zu 2) in der mündlichen Verhandlung vor.
Die Kläger haben dort erklärt, dass sie von Anfang an – m. a. W., als die Klägerin den Entschluss fasste, wieder nach Deutschland zu kommen – vorgehabt hätten, zusammenzuziehen und so schnell wie möglich zu heiraten. Die Eheschließung habe sich dann aber leider hingezogen, weil sowohl in Polen als auch in Deutschland noch bürokratische Hindernisse zu bewältigen gewesen wären. Sie hätten noch Papiere benötigt. Deshalb sei es erst im Oktober 2013 zu der Eheschließung gekommen. Auf die Frage, wie sich die Klägerin die Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes nach der Einreise vorgestellt habe bzw. was für Pläne sie in Deutschland gehabt habe, hat die Klägerin erklärt, dass sie in Deutschland habe arbeiten wollen. Sie sei ausgebildete Sonderpädagogin und habe in Polen in einem Sozialhaus, in dem sowohl junge als auch alte Menschen leben, als Therapeutin gearbeitet. Der frühere Kläger zu 2) hat ergänzt, dass die Klägerin sich direkt nach der Einreise arbeitssuchend gemeldet und auch bei der Meldebehörde und bei der Beklagten vorgesprochen habe. Sie habe von Anfang an die Absicht gehabt, in Deutschland zu bleiben, bei ihrem jetzigen Ehemann. Auf weitere Frage hat die Klägerin ausgeführt, dass sie geplant hatte, in Deutschland als Therapeutin oder Sonderpädagogin zu arbeiten. Leider habe sie dann aber einen Schlaganfall erlitten, und zwar am 19.06.2013 auf einer Busfahrt. Wegen des Schlaganfalls habe sie dann aber leider auch nicht mehr einen Sprachkursus der Stufe B absolvieren können, sondern sei nur bis zu Stufe A 2 gelangt. Auf weitere Frage hat die Klägerin erklärt, dass sie bislang in Deutschland nicht gearbeitet habe; sie helfe im Moment ehrenamtlich ihrem Ehemann und erhalte eine Erwerbsunfähigkeitsrente aus Polen. Auf die Frage, ob die Klägerin bereits vor der Einreise nach Deutschland eine Arbeit in Aussicht gehabt habe, hat die Klägerin erklärt, dass das nicht der Fall gewesen sei. Sie habe aber direkt nach der Einreise nach Deutschland angefangen, Arbeit zu suchen. Diese Arbeitsuche habe aber keinen Erfolg gehabt, da alle Arbeitgeber zunächst die Erwartung geäußert hätten, dass der Sprachkurs absolviert wird. Auf weitere Frage hat die Klägerin ausgeführt, dass sie davon ausgegangen sei, zu ihrem Mann zu kommen und zunächst einen Sprachkurs zu absolvieren. Sie habe damit gerechnet, dass sie wahrscheinlich mit ihrer Ausbildung ohne Sprachkurs in Deutschland keine Arbeit finden werde und zunächst einen Sprachkurs absolvieren müsse. Der frühere Kläger zu 2) hat insofern darauf hingewiesen, dass eine Arbeitsaufnahme in einer Tätigkeit, wie sie die Klägerin beabsichtigt habe (Therapeutin oder Sonderpädagogin) ohne einen Sprachkurs gar nicht zulässig gewesen sei. Die anschließende Frage, ob die Klägerin also davon ausgegangen sei, in der ersten Zeit Leistungen nach dem SGB II beziehen zu müssen, hat die Klägerin bejaht. Auf die weitere Frage, ob von dem früheren Kläger zu 2) damals beabsichtigt gewesen und er dazu in der Lage gewesen sei, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um seinerseits die Bedarfsgemeinschaft zu finanzieren, hat dieser dahingehend Stellung genommen, dass das ausgeschlossen (gewesen) sei. Er sei zu 100 % schwerbehindert und erwerbsunfähig. Er leide an Morbus Hodgkin und habe eine umfangreiche Chemotherapie absolvieren müssen. Sein Immunsystem sei kaum noch funktionsfähig gewesen. Er habe einen Herzschrittmacher mit Defibrillator. Er besitze außerdem die Merkzeichen "G" und "B". Er habe nicht gedacht und sei nicht dazu in der Lage (gewesen), einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Die Kammer ist vor dem Hintergrund dieser Schilderung der Einreisemotive und auch des Umstandes, dass die Klägerin bei der Beklagten bereits am 24.02.2012, nur acht Tage nach ihrer Einreise, den Leistungsantrag stellte, davon überzeugt, dass hier der erforderliche finale Zusammenhang zwischen der Einreise und dem Sozialhilfebezug vorlag. Der Zweck, Sozialhilfe (bzw. existenzsichernde Sozialleistungen) zu erlangen, hat den Einreiseentschluss der Klägerin geprägt. Die Klägerin handelte insoweit ziel- und zweckgerichtet, wobei die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von steuerfinanzierten Sozialleistungen den mit ihr verfolgten Zweck bildete. Der Bezug der Sozialleistungen war zwar sicherlich nicht der einzige Motivationsgesichtspunkt für die Einreise, denn die Klägerin wollte mit dem früheren Kläger zu 2), einem in Deutschland lebenden deutschen Staatsangehörigen, zusammen leben und ihn alsbald heiraten. Jedoch ist ein Leistungsbezug zumindest für die Zeit der ersten drei Monate erkennbar von prägender und nicht nur billigend in Kauf genommener Bedeutung gewesen; er war notwendiger Bestandteil der damaligen gemeinsamen Lebensplanung der Klägerin und des früheren Klägers zu 2).
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin nicht nach Deutschland gezogen wäre, wenn sie davon ausgegangen wäre, dass ihr Lebensunterhalt nicht durch Sozialleistungen sichergestellt wird. Nach der objektiven Sachlage und dem subjektiven Kenntnisstand der Klägerin und des früheren Klägers zu 2) war sowohl ausgeschlossen, dass sie vor Abschluss eines qualifizierten Sprachkurses – der nicht innerhalb der ersten drei Monate denkbar war – eine Arbeit würde finden können, als auch, dass der frühere Kläger zu 2) den Lebensunterhalt für zwei Personen durch Erwerbseinkommen oder auf andere Weise würde sicherstellen können; zudem verfügte die Klägerin selbst über keine eigenen Mittel, um ihren Lebensunterhalt bis zur Erreichung der sprachlichen Qualifikation für eine Tätigkeit als Therapeutin oder Sonderpädagogin sicherzustellen. Das Motiv, Sozialhilfe bzw. existenzsichernde Leistungen zu erlangen, war für die Klägerin damit neben dem o. g. anderen Einreisegrund so wichtig, dass sie ansonsten nicht eingereist wäre (vgl. zu diesem Kriterium nochmals LSG Baden-Württemberg a. a. O.).
Dass die Klägerin glaubhaft erklärt hat, dass sie prinzipiell auch in Deutschland als Therapeutin oder Sonderpädagogin habe arbeiten wollen und entsprechende Arbeit gesucht habe, steht dieser Bewertung nach Meinung der Kammer nicht entgegen.
Es reicht vielmehr für die Anwendung von § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII aus, wenn – wie hier – ein finaler Zusammenhang zwischen der Einreise und einem anfänglichen, möglicherweise aber nur zeitweiligen und nicht dauerhaften Sozialhilfebezug vorliegt. Das muss zumindest dann gelten, wenn – wie hier – beim Fassen des Einreiseentschlusses nicht konkret absehbar ist, dass dieser Anfangszeitraum, für den Sozialleistungen benötigt werden, zeitnah enden wird, weil eine anderweitige Einkommens- oder Finanzquelle zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Verfügung stehen wird.
Das Gleichbehandlungsgebot nach Art. 1 EFA steht der Anwendung von § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII schon deshalb nicht entgegen, weil das EFA hier – wie bereits ausgeführt worden ist (s. o.) – schon nach seinem persönlichen Anwendungsbereich nicht einschlägig ist, weil die Klägerin polnische Staatsangehörige und Polen nicht Signatarstaat dieses Abkommens ist.
Die bestehende Rechtslage, nach der die Klägerin für die streitigen ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland keine existenzsichernden Sozialleistungen, auch keine nach dem SGB XII, erhalten kann, ist nach der Überzeugung der Kammer auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die nachfolgenden Ausführungen der Kammer entsprechen wieder zu einem großen Teil den Ausführungen der Kammer in den Gründen zu Ziff. II ihres Beschlusses vom 18.04.2016 – S 32 AS 380/16 ER – juris (konkret: Rn. 134 ff.) zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des für Personen, die nur (oder nicht einmal) Arbeit suchen, geltenden vollständigen Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II im Zusammenspiel mit § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 SGB XII ab dem 4. Monat des Aufenthalts in Deutschland, einschließlich der Zitate aus anderen Entscheidungen, insbesondere aus dem auch für diese Problematik grundlegenden Beschluss der 35. Kammer des Sozialgerichts Dortmund vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER –. Diese Erwägungen lassen sich unproblematisch auf die ersten drei Monate des Aufenthalts übertragen.
Der umfassende Leistungsausschluss für die erste Aufenthaltsphase verstößt nach Überzeugung der Kammer nicht gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen das aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG hergeleitete (vgl. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (so bereits der n. v. Beschluss der erkennenden Kammer vom 30.10.2015 – S 32 AS 3492/15 ER – zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II).
In diesem Beschluss hatte die Kammer folgendes ausgeführt:
"Die Kammer ist zudem im Rahmen der im vorliegenden Eilverfahren durchgeführten summarischen Prüfung der Auffassung, dass die in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortete Frage, ob ein derartiger Leistungsausschluss gegen deutsches Verfassungsrecht – konkret insbesondere gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gem. Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG und gegen Art. 3 Abs. 1 GG – verstößt, zu verneinen ist (so auch LSG Hamburg, Beschluss vom 15.10.2015 – L 4 AS 403/15 B ER – juris (zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II); Bayerisches LSG, Beschluss vom 01.10.2015 – L 7 AS 627/15 B ER – juris (ebenfalls zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II); a. A. Kingreen, "Staatsangehörigkeit als Differenzierungskriterium im Sozialleistungsrecht – Zur Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit europäischem Unions- und deutschem Verfassungsrecht", SGb 2013, 132 (137-139); a. A. jüngst auch SG Mainz, Beschluss vom 02.09.2015 – S 3 AS 599/15 ER – bislang offenbar n. v. bei juris usw., aber abrufbar unter http://www.srif.de/ (ebenfalls zu § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II))."
Daran hält die Kammer fest.
Die 35. Kammer des Sozialgerichts Dortmund (Beschluss vom 11.02.2016 – S 35 AS 5396/15 ER – juris (Rn. 53 ff.); ebenso LSG NRW, Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris) führt außerdem hierzu aus:
"Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass der Ausschluss von Ausländern, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, gegen die Art.1 Abs.1, Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstößt (vgl. hierzu umfassend und überzeugend Sozialgericht Dortmund, Beschluss vom 23.11.2015, S 30 AS 3827/15 ER,- juris; Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05. November 2015 – L 3 AS 479/15 B ER –, juris).
Vielmehr hat der Gesetzgeber mit dem Leistungsausschluss für EU-Ausländer, die ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, den Nachrang des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber dem des Herkunftslandes normiert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05. November 2015 – L 3 AS 479/15 B ER –Rn.26 , juris).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1BvL 2/11, juris).
Gegenstand dieser Entscheidung ist die Frage, inwiefern der Gesetzgeber bei der Ermittlung der Höhe von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums (dort: Höhe der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Vergleich zu den Leistungen nach dem SGB II und SGB XII) unterschiedliche Bedarfe festsetzen und sich bei dieser Differenzierung am Aufenthaltsstatus der Hilfebedürftigen orientieren darf. Das BVerfG führt in diesem Zusammenhang in Rn.74 (juris) aus:
"Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann."
In Rn. 75 (juris) heißt es: "Ob und in welchem Umfang der Bedarf existenznotwendigen Leistungen für Menschen mit nur vorübergehendem Aufenthaltsrecht in Deutschland ( ) bestimmt werden kann, hängt allein davon ab, ob wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können"
Das Urteil enthält dagegen keine Aussage darüber, inwiefern es dem Gesetzgeber möglich ist, Personen ohne Aufenthaltsrecht Sozialleistungen zu verwehren (in Rn.74 knüpft es vielmehr an ein bestehendes Aufenthaltsrecht an) oder Personen mit einem bestimmten, näher definierten Aufenthaltsrecht (hier: dem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche) vom Bezug von Sozialleistungen auszuschließen.
Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Situation eines Asylbewerbers nicht mit der eines EU-Bürgers vergleichbar ist, der von seinem Freizügigkeitsrecht zum Zweck der Arbeitsuche Gebrauch gemacht hat und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Während ein Asylbewerber, der sich auf eine politische Verfolgung in seinem Heimatland beruft, regelmäßig nicht in sein Herkunftsland zurückkehren kann, ist dies der hier betroffenen Personengruppe grundsätzlich ohne Weiteres möglich. Diese Rückkehr in das Heimatland stellt auch ein zumutbares Mittel zur Selbsthilfe dar, dessen Einforderung das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht verletzt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in einer gegen den Leistungsausschluss des § 7 Abs.5 Satz 1 SGB II (Leistungsausschluss für Auszubildende) gerichteten Verfassungsbeschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt (Beschluss vom 08.10.2014, 1 BvR 886/11 (juris)). Es hat in diesem Zusammenhang in Rn.13 ausgeführt: "Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.1 Abs.1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs.1 GG ( ) ist nicht verletzt. Nach § 2 Abs.2 Satz 2 SGB II müssen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einsetzen; dies tut der Beschwerdeführer nicht, wenn er studiert. Daher schließt § 7 Abs.5 Satz 1 SGB a.F. im Fall des Beschwerdeführers die Gewährung dieser Grundsicherungsleistungen aus." In Rn.14 heißt es weiter: "Der faktische Zwang, ein Studium abbrechen zu müssen, weil keine Sozialleistungen zur Verfügung stehen, berührt zwar die teilhaberechtliche Dimension des Art.12 Abs.1 in Verbindung mit Art.3 Abs.1 GG und dem Sozialstaatsgebot des Art.20 Abs.1 GG ( ) Der Gesetzgeber hat mit den Vorschriften des Bundesausbildungsförderungsgesetzes jedoch ein besonderes Sozialleistungssystem zur individuellen Förderung der Hochschulausbildung durch den Staat geschaffen, das diese Teilhabe sichern soll."
Die erkennende Kammer entnimmt diesen Ausführungen, dass das Bundesverfassungsgericht keinen von dem Hilfebedürftigen möglichen Mitwirkungshandlungen losgelösten, allein aus der Hilfebedürftigkeit und dem tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet resultierenden Anspruch auf Sicherung des Existenzminimums annimmt. Der faktische Zwang, die bisherige Lebensführung zur Sicherung des Existenzminimums ändern zu müssen, führt danach nicht zur Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sondern berührt vielmehr das Grundrecht, das diese vom Hilfebedürftigen anvisierte Lebensgestaltung schützt (im Fall 1 BvR 886/11 die dort genannten Grundrechte, hier ggf. Art.2 Abs.1 GG). Nach diesen Maßgaben sieht die Kammer keine Verpflichtung des Gesetzgebers, einen Aufenthalt des Hilfebedürftigen im Bundesgebiet trotz einer ihm möglichen Rückkehr in sein Heimatland durch die Gewährung von Sozialleistungen zu ermöglichen, wenn der Hilfebedürftige über gar kein Aufenthaltsrecht oder nur über ein solches verfügt, dessen Gewährung der nationale Gesetzgeber originär – europarechtlich zulässig – mit der Versagung von Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums verknüpft hat.
Eine Prüfung, inwiefern ein Hilfebedürftiger in seinem Herkunftsland das Existenzminimum nach deutschen Maßstäben sichern kann, ist in diesem Zusammenhang nicht anzustellen. Im Ausländerrecht ist die nachteilige wirtschaftliche Situation im Herkunftsland nämlich kein Maßstab, der zur Gewährung eines Aufenthaltsrechts oder dem Schutz vor einer Abschiebung führen kann. Sofern wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Beurteilung einer Abschiebung ins Herkunftsland nicht die Annahme der Unzumutbarkeit einer Rückkehr rechtfertigen können (vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 06.09.2007, 11 A 633/05 A, Rn.28-32 (juris) zur Zumutbarkeit einer Abschiebung nach Sierra Leone trotz völlig fehlender sozialer Sicherungssysteme und einer Arbeitslosenquote von 70 %), erscheint es zur Überzeugung der Kammer unter Berücksichtigung des Gedankens der Einheit der Rechtsordnung auch nicht gangbar, solche nachteiligen Lebensumstände im Herkunftsland bei der Prüfung der sozialrechtlichen Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Feld zu führen."
Das LSG Nordrhein-Westfalen hat hierzu ergänzend ausgeführt (Beschluss vom 07.03.2016 – L 12 SO 79/16 B ER – juris):
"Die Überlegungen stehen im Einklang mit den Ausführungen des BVerfG in der oben zitierten Entscheidung vom 18.07.2012. Zwar wird dort festgehalten (bei juris Rn. 63): "Wenn Menschen, die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, ( …) ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde ( …) verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen." Das BVerfG folgert daraus: "(Mit) dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 GG korrespondiert ein individueller Leistungsanspruch, da das Grundrecht die Würde jedes einzelnen Menschen schützt und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann." Es knüpft damit einen "Anspruch" auf Sozialleistungen an das Vorliegen einer Notlage, zu deren Behebung eine entsprechende materielle Unterstützung (der Bundesrepublik Deutschland) von Nöten ist. Das ist bei EU-Ausländern aber regelmäßig nicht der Fall. Denn ihnen steht es frei, in ihr Heimatland zurückzukehren, dort ohne Sprachbarriere (wieder) eine Tätigkeit aufzunehmen oder auf die dortigen sozialen Sicherungssysteme zurückzugreifen. Auf Leistungen der Bundesrepublik Deutschland sind EU-Ausländer zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz regelhaft nicht angewiesen." (vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22.02.2016 – L 9 AS 1335/15 B ER – juris (Rn. 84 ff.); SG Berlin, Beschluss vom 22.02.2016 – S 95 SO 3345/15 ER; SG Berlin, Urteil vom 14.01.2016 – S 26 AS 12515/13; SG Berlin, Urteil vom 11.12.2015 – S 149 AS 7191/13).
Auch diesen überzeugenden Ausführungen in den genannten Entscheidungen schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung – weiterhin – an.
Es spricht gerade in den ersten Monaten des Deutschlandaufenthalts nichts dafür, dass es verfassungsrechtlich geboten sein könnte, diesen Aufenthalt zu alimentieren.
Für Unionsbürger ist mit dem FreizügG/EU und der ihm zugrunde liegenden Unionsbürgerrichtlinie ein System einer "privatisierten" Unionsbürgerfreizügigkeit geschaffen worden, das sich durch das Fehlen einer klassischen aufenthaltsrechtlichen Zugangssteuerung auszeichnet (vgl. hierzu ausführlich Thym, NZS 2016, 441 ff.). Die schlichte Duldung dieses "privatisierten", ungesteuerten Aufenthalts von EU-Bürgern in Deutschland kann nach der Überzeugung der Kammer keinen verfassungsrechtlichen, einfachgesetzlich durch Schaffung eines entsprechenden Leistungssystems oder durch verfassungskonforme Auslegung – freilich nur im Rahmen der entsprechenden Grenzen – zu gewährleistenden Anspruch auf fortwährende Alimentation begründen. Der Aufenthalt von Unionsbürgern beruht auf einem Freizügigkeitssystem, das gerade unter der Prämisse geschaffen worden ist, dass ein Aufenthalt in den ersten drei Monaten – außer beim Vorliegen eines ggf. fortwirkenden Status als Arbeitnehmer(in) oder Selbständige(r) – und über diesen Zeitraum hinaus ein Aufenthalt nur (oder nicht einmal) zur Arbeitssuche nicht zu einer Alimentationspflicht des Aufenthaltsstaates führt (vgl. EuGH, Urteil vom 11.11.2014 – C-333/13 "Dano" – juris; EuGH, Urteil vom 15.09.2015 – C-67/14 "Alimanovic" – juris; EuGH, Urteil vom 25.02.2016 – C-299/14 "Garcia-Nieto" – juris). Diese Umstände dürfen speziell bei der Bewertung einer angeblichen "Untätigkeit" der Ausländerbehörden im Vollzug des FreizügG/EU und generell bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung von Leistungsausschlüssen für diesen Personenkreis nicht unberücksichtigt bleiben.
Es ist nicht einmal so, dass das Fehlen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung die Ausländerbehörden ohne weiteres, "automatisch" berechtigen würde, eine Verlustfeststellung vorzunehmen, eine Ausreisepflicht zu begründen und den Aufenthalt, notfalls zwangsweise, zu beenden, und sie so in die Lage wären, der "Verfestigung des Aufenthalts" konsequent entgegenzuwirken. Denn die Feststellung des Verlusts des Freizügigkeitsrechts muss unter anderem dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 16.07.2015 – 1 C 22/14 – juris (Rn. 21)).
Bzgl. des vorliegend fraglichen Aufenthalts in den ersten drei Monaten kommt noch hinzu, dass dieser Aufenthalt nach § 2 Abs. 5 FreizügG/EU von keinerlei Voraussetzungen abhängt bzw. ohne weiteres materiell rechtmäßig ist, und schon deshalb in diesem Zeitraum weder von einer Duldung durch die Ausländerbehörden noch von einem ausländerrechtlichen Vollzugsdefizit die Rede sein kann, und auch eine Aufenthaltsbeendigung in dieser Phase schon deshalb ausscheidet.
Nicht nur aber gerade für diesen Zeitraum ist es daher verfassungsrechtlich unbedenklich, bedürftige Personen auf Rückkehr- bzw. Überbrückungsleistungen zu verweisen (vgl. zur Zulässigkeit des Verweises auf solche Leistungen überzeugend LSG NRW, Beschluss vom 16.04.2007 – L 19 B 13/07 AS ER – juris; LSG NRW, Beschluss vom 07.10.2011 – L 19 AS 1560/11 B ER – juris).
Die Kammer hatte hier allerdings nicht darüber zu entscheiden, ob und ggf. auf welcher Rechtsgrundlage, von Seiten welches Leistungsträgers, in welchem Umfang und für welche Zeitspanne im Fall der Klägerin die Erbringung von solchen Leistungen zur Übernahme der Kosten der Rückreise und des bis dahin erforderlichen Aufenthalts (Überbrückungsleistungen) in Betracht zu ziehen gewesen sein könnte.
Hierzu wird einerseits vertreten, dass derartige Leistungen vom SGB XII-Träger geschuldet sein können (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.11.2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris (Rn. 66 f.)), und andererseits, dass grundsätzlich der SGB II-Träger "zuständig" sein soll, soweit noch nicht durch eine Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht (§ 7 FreizügG/EU) begründet worden und diese entweder durch Eintritt der Bestandskraft oder durch Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO (§ 84 AufenthG ist nicht anwendbar, weshalb Rechtsbehelfe gegen eine Verlustfeststellung aufschiebende Wirkung besitzen) vollziehbar geworden ist (vgl. Hessisches LSG, Beschluss vom 22.05.2015 – L 4 SO 31/15 B ER – juris (Rn. 25)).
Durch Entstehung einer vollziehbaren Ausreisepflicht würde es schließlich wohl zur Anwendung von § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II kommen (so jdf. Hessisches LSG, Beschluss vom 05.02.2015 – L 6 AS 883/14 B ER – juris (Rn. 12); a. A. wohl Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1 AsylbLG, Rn. 43).
Die Klägerin beabsichtigte im streitigen Zeitraum nicht, Deutschland zu verlassen, und begehrte weder von der Beklagten noch von der Beigeladenen – weder im Verwaltungs- noch im Klageverfahren – derartige Überbrückungsleistungen. Sie strebte vielmehr ausschließlich laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für einen dauerhaften Verbleib in Deutschland an.
Bei diesen begehrten laufenden Leistungen handelt es sich um einen qualitativ anderen Streitgegenstand als bei Überbrückungsleistungen. Das Gericht hatte daher nicht – gewissermaßen als minus zu dem Begehren der Klägerin – über solche Leistungen zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem vollständigen Unterliegen der Klägerin Rechnung.
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision zum Bundessozialgericht unter Übergehung der Berufungsinstanz (Sprungrevision) beruht auf folgenden Erwägungen:
Die Voraussetzungen von §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG für eine Zulassung der Sprungrevision wegen Divergenz lagen nach Meinung der Kammer nicht vor. Die Entscheidung der Kammer beruht auch insoweit, als der hilfsweise gegenüber der Beigeladenen verfolgte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII verneint worden ist, nicht auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des BSG zu §§ 21 Satz 1, 23 Abs. 3 Satz 1 (Alt. 2) und Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Denn die Klage ist auch aus der selbständig tragenden Erwägung heraus abgewiesen worden, dass der Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII eingreift, und insofern ist keine Rechtsprechung des BSG ersichtlich, von der die Kammer in diesem Sinne abgewichen ist. Einige Ausführungen des BSG im Urteil vom 03.12.2015 – B 4 AS 44/15 R – juris (insbes. Rn. 51 f.) scheinen sich zwar allgemein auf beide Alternativen des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zu beziehen: jedoch hatte das BSG keinen Fall nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII zu entscheiden, so dass seine entsprechenden Ausführungen insoweit keine tragenden Erwägungen sind (vgl. zu diesem Kriterium Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 160 Rn. 13).
Die Voraussetzungen von §§ 161 Abs. 2 Satz 1, 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG für eine Zulassung der Sprungrevision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage, ob und inwieweit auch bei Eingreifen des Leistungsausschlusses des § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII gewährt werden können oder müssen, mögen zwar vorgelegen haben. Auch insoweit war die Sprungrevision aber im Ergebnis nicht zuzulassen. Die Kammer hat das ihr bei der Entscheidung, ob sie die Sprungrevision von Amts wegen zulässt, zustehende Ermessen (vgl. hierzu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 161 Rn. 6) dahingehend ausgeübt, dass die Zulassung nicht erfolgt. Die Übergehung der Berufungsinstanz erscheint nicht sachgerecht. Denn das Urteil beruht, soweit ein Fall von § 23 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 SGB XII angenommen worden ist, auf dem festgestellten Sachverhalt und rechtlichen Bewertungen in Bezug auf das Vorliegen eines finalen Zusammenhangs zwischen der Einreise und dem Sozialhilfebezug. Aus Sicht der Kammer waren insoweit weitere tatsächliche Feststellungen nicht geboten. Bei anderer Sichtweise könnte sich jedoch herausstellen, dass weitere Feststellungen erforderlich sind, die dem BSG im Revisionsverfahren nicht möglich wären. Die Kammer ist daher davon ausgegangen, dass es einzig sachgerecht ist, die Berufungsinstanz als zweite Tatsacheninstanz nicht zu übergehen.
Wegen der vor diesem Hintergrund ausdrücklich entschiedenen Nichtzulassung der Sprungrevision steht den Beteiligten nach Auffassung der Kammer keine Möglichkeit mehr zu, einen Antrag auf Zulassung der Sprungrevision zu stellen. Die Überprüfung der Entscheidung des Gerichts über die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist nur im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zulässig, die es aber gegen die Nichtzulassung der Sprungrevision nicht gibt; dem unterlegenen Beteiligten bleibt die Berufung und danach – ggf. – die Revision (str.; wie hier Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, IX. Revision, Rn. 28 m. w. N.; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 161 Rn. 7 m. w. N.; Dr. Wolfgang Fichte in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 161 Rn. 11; offen gelassen in BSG, Urteil vom 16.02.1989 – 4 REg 6/88 – juris (Rn. 10) m. w. N.). Dass die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung keine Belehrung über einen möglichen Antrag auf Zulassung der Sprungrevision enthält, beruht auf dieser Auffassung der Kammer.
Erstellt am: 04.01.2017
Zuletzt verändert am: 04.01.2017