Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 11.06.2003 abgeändert. Der Bescheid vom 30.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2002 wird aufgehoben. Die Beklagte hat die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers beider Instanzen zu tragen. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01.03.1999 bis 20.08.2001 in Höhe 12.524,82 Euro sowie über einen entsprechenden Erstattungsanspruch.
Der am 00.00.1941 geborene Kläger arbeitete vom 01.10.1968 bis 31.12.1998 als kaufmännischer Angestellter.
Am 08.12.1998 meldete er sich zum 01.01.1999 arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosengeld. Dabei gab er an, dass auf seiner Steuerkarte die Steuerklasse III eingetragen sei.
Mit Bescheid vom 11.02.1999 bewilligte die Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld ab 01.01.1999 für eine Anspruchsdauer von 971 Tagen nach der Leistungsgruppe C/allgemeiner Leistungssatz. Am 21.08.2001 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen andauernder Arbeitsunfähigkeit des Klägers auf. Vom 21. bis 31.08.2001 bezog der Kläger Krankengeld. Am 04.09.2001 meldete er sich erneut arbeitslos und beantragte die Fortzahlung von Arbeitslosengeld. Dabei gab er an, dass auf seiner Steuerkarte die Steuerklasse V eingetragen sei.
Auf entsprechende Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger am 05.11.2001 mit, dass die Steuerklasse bereits zum 01.03.1999 geändert worden sei.
Nach entsprechender Anhörung des Klägers hob die Beklagte die Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 30.01.2002 für die Zeit vom 01.03.1999 bis 20.08.2001 teilweise in Höhe der Differenz zwischen Leistungsgruppe D/allgemeiner Leistungssatz und C/allgemeiner Leistungssatz auf und verlangte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 12.524,82 Euro. Die Beklagte stütze ihre Entscheidung auf § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) und warf dem Kläger vor, seiner Mitteilungspflicht nicht rechtzeitig nachgekommen zu sein.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus: Er habe sich aufgrund des Freitods seiner Tochter seit dem 06.04.1998 in nervenärztlicher Behandlung befunden. Aufgrund einer seelischen Erkrankung könne ihm nicht angelastet werden, dass er es unterlassen habe, die Änderungen auf der Lohnsteuerkarte mitzuteilen. Hinzu trete, dass eine ihm übersandte Veränderungsmitteilung zwar zahlreiche Tatbestände formularmäßig vorgedruckt beinhalte, die Änderung der Lohnsteuerklasse sei dort aber nicht ausdrücklich aufgeführt. Er habe aufgrund seiner Erkrankung auch nicht erkannt, dass eine entsprechende Änderung unter dem Punkt "Sonstige Änderungen" hätte angegeben werden können. Es sei für die psychische Erkrankung symptomatisch, dass der Patient – mit Mühe – die Energie aufbringe, vorgegebene Vordrucke auszufüllen, jedoch nicht in der Lage sei, Eigeninitiative zu entwickeln und die Vordrucke sinnvoll zu ergänzen. Schließlich seien die erbrachten Leistungen nicht mehr vorhanden. Dem Widerspruch war eine ärztliche Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H vom 31.07.1998 sowie eine Rechnung der Psychotherapeutin Dr. C vom 26.10.1998 über Behandlungen im Zeitraum vom 15.07.1998 bis 20.10.1998 beigefügt. Der Kläger übersandte darüber hinaus einen ärztlichen Bericht der Ärztin Frau Dr. H vom 24.04.2002.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.05.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 21.06.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben und zur Begründung zunächst sein bisheriges Vorbringen wiederholt. Ergänzend hat er die Auffassung vertreten, ihm sei eine grob fahrlässige Verletzung seiner Mitwirkungspflicht auch im Lichte des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.08.2002 – B 11 AL 87/01 R – nicht vorzuwerfen. Danach müsse ein Arbeitsloser nicht damit rechnen, der Lohnsteuerklassenwechsel habe negative Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch. Schließlich hat der Kläger bestritten, dass ihm das "Merkblatt für Arbeitslose" anlässlich seiner Arbeitslosmeldung ausgehändigt worden sei. Zu den Gründen für den Steuerklassenwechsel hat er angegeben, dass er und seine Ehefrau die monatliche Belastung für seine Frau niedrig halten wollten. Wenn er die Konsequenzen erahnt hätte, so hätten sie sich das Geld auch über den Lohnsteuerjahresausgleich wiederholen können.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 30.01.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2002 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 11.06.2003 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Mit dem Lohnsteuerklassenwechsel zum 01.03.1999 sei nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 11.02.1999 eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten, welche zur Minderung des bewilligten Leistungsanspruchs führte. Auch die Voraussetzungen der Aufhebung bzw. der Rücknahme der Leistungsbewilligung gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X lägen vor. Das Gericht gehe von einer grob fahrlässigen Verletzung der Pflicht zur Mitteilung des Steuerklassenwechsels durch den Kläger aus. Anlässlich seiner Arbeitslosmeldung und AntragsteIlung habe der Kläger mit seiner Unterschrift ausdrücklich bestätigt, das Merkblatt für Arbeitslose erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Das Gericht gehe aufgrund der Erklärung und Unterschrift des Klägers vom 09.12.1998 davon aus, dass der Kläger das einschlägige Merkblatt tatsächlich erhalten habe. In dem Abschnitt "Mitwirkungspflichten" habe die Beklagte im Rahmen des Merkblatts für Arbeitslose (Stand Januar 1998) unter Ziffer 11 unmissverständlich dargelegt, dass das Arbeitsamt zu benachrichtigen sei, wenn sich – aus welchem Grund auch immer – die Steuerklasse ändere. Damit sei aber in leicht verständlicher Weise darauf hingewiesen worden, dass ein Steuerklassenwechsel jedenfalls dem Arbeitsamt mitzuteilen sei. Habe die Behörde aber im Merkblatt deutlich und verständlich auf die Pflicht zur sofortigen Anzeige aller Veränderungen, die gegenüber den im Antrag angegebenen Verhältnissen eingetreten sind, hingewiesen, so könne dem Betroffenen im Regelfall eine grob fahrlässige Verletzung seiner Mitwirkungspflicht vorgeworfen werden. Auch die weitere Prüfung der individuellen Gegebenheiten führe zur Überzeugung des Gerichts vorliegend zu keiner anderen Beurteilung. Das Gericht gehe nach dem gesamten Akteninhalt davon aus, dass der Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht derart eingeschränkt gewesen sei, dass er seine Mitwirkungspflichten nicht hätte erkennen und ihnen nachkommen können. Eine abweichende Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts rechtfertige sich nicht aufgrund der seitens des Klägers angeführten Entscheidung des BSG vom 29.08.2002 – B 11 AL 87/01 R -. Das Gericht folge dieser Entscheidung nicht und halte die dort vertretene Rechtsauffassung zu der in § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X getroffenen Regelung für unzutreffend. Die Argumentation des BSG sei nicht nachvollziehbar. Zum einen bezögen sich die Ausführungen des BSG eher darauf, ob der Kläger die Auswirkungen des Steuerklassenwechsels für seinen Leistungsanspruch hätte erkennen müssen bzw. können. Insofern handele es sich aber um den Aufhebungstatbestand gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X (Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis von dem Wegfall des Anspruchs). Das BSG habe in seiner Entscheidung die tatbestandlichen Voraussetzungen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X in unzulässiger Weise vermischt. Zum anderen gehe das BSG in seiner Entscheidung von falschen Tatsachen aus, wenn es ausführt, die Beklagte habe den Betreffenden darauf aufmerksam machen müssen, dass er vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung bei der Beklagten suchen solle. Ein entsprechender Hinweis finde sich in dem Merkblatt für Arbeitslose (Stand Januar 1998; dort Seite 27 oben links). Schließlich sei der Hinweis in dem Merkblatt für Arbeitslose (Blatt 54, 55) derart eindeutig, dass er zur Überzeugung des Gerichts keinerlei Interpretationsmöglichkeiten zulasse und jedenfalls geeignet sei, den Vorwurf einer grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflicht zu begründen.
Das Urteil ist dem Kläger am 04.07.2003 zugestellt worden. Am 11.07.2003 hat er dagegen Berufung eingelegt, die er wie folgt begründet: Eine grob fahrlässige Verletzung der Pflicht zur Mitteilung des Steuerklassenwechsels durch den Kläger liege nicht vor. Das BSG habe in seinem Grundsatzurteil vom 29.08.2002 – Az B 11 AL 87/01 R – in einem Parallelverfahren den vorliegenden Sachverhalt dahin entschieden, dass der Klage stattzugeben sei. Das SG setze sich im Übrigen in keiner Weise mit den verfassungsrechtlichen Bedenken des BSG auseinander, dass es unter dem Gesichtspunkt des Art. 14 GG verfassungsrechtlich unzulässig sei, eine Leistung nur deshalb zu vermindern, weil der Bürger eine – steuerrechtlich zulässige – Gestaltung (Wechsel der Lohnsteuerklasse) wähle, zumal er den gleichen wirtschaftlichen Erfolg – bei Beibehaltung der Lohnsteuerklasse – über den Lohnsteuerjahresausgleich erzielen könne. Unabhängig davon könne man ihm im konkreten Fall eine grob fahrlässige Verletzung seiner Mitteilungspflicht nicht vorwerfen. Das SG verkenne im Übrigen seine gesundheitliche Situation. Das Merkblatt habe er tatsächlich nicht erhalten; es könne aber sein, dass es auf dem Tresen des Arbeitsamtes liegen geblieben sei. Den Bescheid vom 11.02.1999 habe er sich nicht im Einzelnen angesehen. Dies habe seine Frau für ihn getan.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 18.03.2003 zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG ist der angefochtene Bescheid aufzuheben, denn er ist rechtswidrig und beschwert den Kläger in seinen Rechten.
Nach § 48 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn eine der in Satz 2 Nr. 1 bis 4 genannten weiteren Voraussetzungen erfüllt ist.
Zwar ist hier mit dem Lohnsteuerklassenwechsel zum 01.03.1999 nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 11.02.1999 eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers eingetreten, welche zur Minderung des bewilligten Leistungsanspruches führte. Gemäß § 137 Abs. 1 bis 3 SGB III richtet sich die Höhe des Arbeitslosengeldes u. a. nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist. Dabei richtet sich diese Zuordnung nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war. Haben – wie hier – Ehegatten die Steuerklassen gewechselt, so werden die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen gemäß § 137 Abs. 4 SGB III berücksichtigt, wenn
1. die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (sogenannter zweckmäßiger Wechsel) oder
2. sich aufgrund der neu eingetragenen Lohnsteuerklassen ein Arbeitslosengeld ergibt, das geringer ist als das Arbeitslosengeld, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklasse ergeben hätte.
Stellt man verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dieser Regelung (vgl dazu BSG, Urteil vom 29.08.2002, SozR 3-4300 § 137 Nr. 3; LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.11.2003, – Az L 15 AL 35/02 – mwN) zurück, war daher für die Höhe des Arbeitslosengeldes des Klägers ab dem 01.03.1999 die Leistungsgruppe D statt der Leistungsgruppe C maßgebend, denn aus der Leistungsgruppe D ergibt sich eine geringere Leistung.
Entgegen der Auffassung des SG liegen hier allerdings weder die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 noch nach Nr. 4 SGB X vor. § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SBG X erlaubt eine Aufhebung, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Seine Pflicht zur Mitteilung des Steuerklassenwechsels hat der Kläger nämlich zur Überzeugung des Senats allenfalls fahrlässig, nicht jedoch grob fahlässig verletzt, selbst wenn man unterstellt, er habe das Merkblatt erhalten und zur Kenntnis nehmen können.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 letzter Halbsatz SGB X). Der Betroffene muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d. h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigenden Ausmaß verletzt haben (BSGE 42, 184, 186 / 187 = SozR 4100 § 152 Nr. 10; BSG SozR 1300 § 48 Nr. 14). Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42,184, 187 mwN).
Das BSG hat in dem Urteil vom 29.08.2002 – B 11 AL 87/01 R – (SozR 3-4300 § 137 Nr. 3) im Zusammenhang mit den Anforderungen an die grobe Fahrlässigkeit bei der hier streitigen Konstellation des Lohnsteuerklassenwechsels konkret ausgeführt:
"Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier vor, denn die Frage, ob der Kläger aufgrund von grober Fahrlässigkeit einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse nicht nachgekommen ist, lässt sich in Fällen der vorliegenden Art anhand genereller Maßstäbe beantworten. Für die Anwendung eines einheitlichen und vom Revisionsgericht insoweit vorzugebenden Maßstabes spricht entscheidend, dass hinsichtlich der Beurteilung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten nach Eintritt der Arbeitslosigkeit ein Wertungswiderspruch zwischen Einkommenssteuerrecht und Arbeitsförderungsrecht besteht, der nicht ohne Auswirkungen auf die der Beklagten obliegenden Beratungspflichten bleiben kann. Zudem legen auch die bereits dargelegten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Anwendungsbereich des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III es nahe, die Frage, ob eine Aufhebung der angefochtenen Bescheide und die damit zwingend verbundene Rückforderung wegen grob fahrlässiger Verletzung einer Mitteilungspflicht in Betracht kommt, nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen.
Im Einkommenssteuerrecht ist der Lohnsteuerklassenwechsel, der allgemein dazu dient, die aktuelle Lohnsteuerbelastung möglichst nahe an der zur erwartenden Jahreslohnsteuer zu halten, für den Fall, dass bei einem Ehegatten Arbeitslohn völlig entfällt, besonders erleichtert. Denn nach § 38 b Satz 2 Nr. 3 a bb EStG gehören in die Steuerklasse III Arbeitnehmer, die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte keinen Arbeitslohn bezieht. Während Ehegatten, die beide in einem Arbeitsverhältnis stehen, eine Änderung der Steuerklasse nur einmal im Laufe des Kalenderjahres beantragen können (§ 39 Abs. 5 Satz 3 EStG), gilt diese Einschränkung nicht, wenn ein Arbeitnehmer keinen Arbeitslohn mehr bezieht (vgl. auch die Lohnsteuer – Richtlinien 109 Abs. 5 Satz 5). Geht das Steuerrecht somit davon aus, dass dem Ehegatten bei Eintritt von Arbeitslosigkeit ein Wechsel in die zweckmäßige Steuerklassenkombination ermöglicht werden muss, so muss er nicht damit rechnen, dass er deswegen leistungsrechtlich in jedem Falle Nachteile hinzunehmen hat. Für die Gemeinde oder das Finanzamt als die zuständigen Finanzbehörden ist der Lohnsteuerklassenwechsel aus der Sicht des Einkommenssteuerrechts geboten.
Angesichts dieser steuerrechtlichen Bewertung des Lohnsteuerklassenwechsels unter Ehegatten muss ein Arbeitsloser, der wie der Kläger vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ein erheblich höheres Arbeitsentgelt als seine Frau erzielt hatte, nicht damit rechnen, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf seinen Leistungsanspruch haben würde. Nichts anderes folgt daraus, dass der Kläger nach den Feststellungen des LSG ein Merkblatt für Arbeitslose (Stand: Januar 1998) erhalten hatte. Die Beklagte verpflichtet darin den Betroffenen lediglich zur Meldung eines bereits vollzogenen Lohnsteuerklassenwechsels. Im Hinblick auf die Folgen des Lohnsteuerklassenwechsels hätte die Beklagte aber den Betreffenden darauf aufmerksam machen müssen, dass er vor einem Lohnsteuerklassenwechsel eine Beratung bei der Beklagten suchen sollte. Denn nur bei einer Beratung vor dem Lohnsteuerwechsel können die arbeitsförderungsrechtlich schädlichen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels vermieden werden. Die Meldung nach der Vornahme eines Lohnsteuerklassenwechsels kann angesichts der Regelung in § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III nur noch dazu dienen, die leistungsrechtlichen Folgerungen aus der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zu ziehen. Deshalb genügt der Hinweis im Merkblatt nicht dafür, den Schluss auf grob fahrlässige Verletzung einer Mitteilungspflicht zuzulassen."
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des BSG ist der erkennende Senat der Überzeugung, dass auch der von der Beklagten und dem SG hier angesprochene – vom BSG nicht ausdrücklich erwähnte – Hinweis "ein Lohnsteuerklassenwechsel könne in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden und deshalb sei vorher Rat einzuholen" diesen Anforderungen nicht genügt. So wie dieser Hinweis formuliert ist, kann er nämlich durchaus auch dahingehend verstanden werden, dass der betreffende Arbeitslose sich vor einem Lohnsteuerklassenwechsel, da dieser in der Regel (nämlich nach dem Steuerrecht) nur einmal jährlich möglich ist, auch vor einem Wechsel an das Finanzamt wenden soll. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass der Hinweis nicht unmissverständlich auf die möglichen negativen Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels verweist, sondern nur auf den grundsätzlich (nach dem Steuerrecht) nur einmal jährlich möglichen Lohnsteuerklassenwechsel (so bereits Urteil des Senats vom 18.02.2004 – L 12 AL 199/03 -; ebenso im Ergebnis: LSG Baden-Württemberg vom 20.02.2003 – L 12 AL 3653/02 – und vom 19.03.2003 – L 5 AL 4877/02 -; LSG Rheinland-Pfalz vom 23.05.2003 – L 1 AL 154/01 -; LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.11.2003 – L 15 AL 35/02 -).
Entgegen der Auffassung des SG ist die Frage, ob ein Arbeitsloser damit rechnen muss, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf den Leistungsanspruch hat, auch im Rahmen des § 48 Abs. 2 Nr. 2 SGB X und nicht nur im Rahmen der Nr. 4 zu beachten. Der Vorwurf gegenüber dem BSG, es habe die Voraussetzungen beider Alternativern miteinander vermischt, erscheint daher nicht gerechtfertigt. Denn bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Pflicht des Betroffenen zur Mitteilung "wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse" (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X) muss der Schuldvorwurf alle Elemente des Tatbestandes umfassen, also auch die Nachteiligkeit der Änderung. Der Kläger beruft sich hier auf die fehlende Kenntnis der Nachteiligkeit eines Lohnsteuerklassenwechsels, was nicht zu widerlegen ist. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ist daher nicht gerechtfertigt, denn ein Schuldvorwurf, der nur an eine vom ihrem Inhalt losgelöste, formale Mitteilungspflicht anknüpft, ist weder dem Gesetz zu entnehmen noch lässt er sich mit dem Konzept eines mündigen Bürgers vereinbaren, der im demokratischen Staat Pflichten gegenüber der öffentlichen Verwaltung möglichst aufgrund von Einsicht, nicht aufgrund bloßer formaler Anordnung erfüllen soll (so auch LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.11.2003 – L 15 AL 35/02 -).
Dem Kläger kann ersichtlich auch nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe gewusst oder grob fahrlässig nicht gewusst, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X). Der Kläger war nicht persönlich informiert worden. Die Folgen eines Lohnsteuerklassenwechsels waren für den Kläger auch unter Berücksichtigung der im Merkblatt dargestellten Beispiele und des Inhaltes des Bewilligungsbescheides nicht ohne weiteres bzw. schon aufgrund einfachster, ganz nahe liegender Überlegungen erkennbar. Zu keiner anderen Beurteilung führt auch nach Auffassung des Senats der Lohnsteuerratgeber der Finanzbehörden. Denn dieser Hinweis der Finanzbehörden kann die Beklagte nicht von ihrer eigenen Beratungspflicht als originär zuständige Behörde entlasten. Wenn die Beklagte mit dem Merkblatt in eigener Verantwortung die Leistungsempfänger mit entsprechenden Hinweisen berät, dann muss sie dies vollständig tun, da insoweit der Leistungsempfänger auch darauf vertrauen darf, dass gerade die Beklagte als zuständige Behörde ihn auch voll umfänglich über die Folgen bestimmter Handlungsweisen in ihrem eigenen Bereich, nämlich der Gewährung von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe, informiert und man als Leistungsempfänger nicht auf die Hinweise anderer Behörden zurückgreifen muss (so bereits Urteil des Senats vom 18.02.2004 – Az L 12 AL 199/03 -; LSG Baden-Württemberg vom 19.03.2003 – L 5 AL 4877/02 -).
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil sich das BSG in seinen Urteilen vom 29.08.2002 nicht mit dem hier von der Beklagten angeführten weiteren Hinweis im Merkblatt auseinander gesetzt hat, dass "ein Lohnsteuerklassenwechsel in der Regel nur einmal jährlich vorgenommen werden könne und dass deshalb vorher Rat einzuholen" sei. Nach Auffassung des Senats ist die Frage noch zu klären, ob dieser Hinweis den vom BSG aufgestellten Anforderungen genügt.
Erstellt am: 02.04.2004
Zuletzt verändert am: 02.04.2004