Die Kostenentscheidung des Sozialgerichts Dortmund im Urteil vom 13.02.2003 wird aufgehoben.
Gründe:
I.
Der Kläger hat sich mit seiner Klage gegen die Ablehnung eines Leistungsantrags wegen des Eintritts einer zweiten 12-wöchigen Sperrzeit gewandt.
Mit bindendem Bescheid vom 30.07.1998 stellte die Beklagte den Eintritt einer 12-wöchigen Sperrzeit vom 20.04. bis 12.07.1998 fest. Vom 02.05.2001 bis 19.09.2001 war der Kläger als Schweißer bei der Firma J L beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristlose arbeitgeberseitige Kündigung. Am 25.09.2001 meldete sich der Kläger arbeitslos und beantragte die Zahlung von Arbeitslosenhilfe. Zu den Gründen der Lösung des Arbeitsverhältnisses trug er vor, dass der Arbeitgeber ihn aufgefordert habe, seinen Spind zu leeren und den Betrieb sofort zu verlassen. Dies sei geschehen, weil er seine Meinung geäußert habe. Darin sehe er keinen Grund zur fristlosen Kündigung.
Die Firma L teilte gegenüber der Beklagten mit, dass am 19.09.2001 die Situation vor Arbeitsbeginn eskaliert sei. Der Kläger habe am 18.09.2001 den überwiegenden Teil der von ihm bearbeiteten Teile zu Schrott verarbeitet. Am 19.09.2001 sei er deshalb vom Betriebsinhaber aufgefordert worden, die Brille aufzusetzen. Daraufhin habe der Kläger mitgeteilt, dass er die Brille nicht dabei habe. Der Betriebsinhaber habe den Kläger dann aufgefordert, nach Hause zu fahren und die Brille zu holen. Der Kläger habe daraufhin geäußert: "Ich habe die Schnauze jetzt voll. Dann bleibe ich zu Hause. Jeden Tag ein neuer Spruch." Der Inhaber der Firma habe den Kläger gebeten, dieses noch einmal zu wiederholen. Dies habe der Kläger gerne getan. Daraufhin sei der Kläger aufgefordert worden, den Betrieb zu verlassen.
Mit Bescheid vom 25.10.2001 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zahlung von Leistungen ab. Der Kläger habe seine Beschäftigung bei der Firma L verloren, weil er trotz zweier Abmahnungen seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht eingehalten habe. Es sei daher eine weitere Sperrzeit von zwölf Wochen festzustellen. Der Leistungsanspruch des Klägers sei mithin erloschen.
Den hiergegen am 07.12.2001 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Hagen (3 Ca 3291/01).
Unter dem 24.01.2002 schlossen der Kläger und die Firma L vor dem Arbeitsgericht Hagen folgenden Vergleich:
"1. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihnen durch eine ordentliche, fristgerechte Kündigung der Beklagten vom 19.09.2001 mit Ablauf des 31.10.01 aufgelöst worden ist.
2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Kläger den ihm zustehenden Urlaub während des laufenden Arbeitsverhältnisses in Natur erhalten hat und dass ihm ein weitere Urlaubsanspruch dem Beklagten gegenüber nicht zusteht.
3. Der Beklagte zahlt an den Kläger als noch offen stehende Vergütung für den Zeitraum nach dem 19.09.2001 1.000,00 EURO brutto.
4. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind alle gegenseitigen, gegenwärtigen oder künftigen finanziellen Ansprüche zwischen den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis, gleich auf welchem Rechtsgrunde sie beruhen, bekannt oder unbekannt, endgültig erledigt.
5. Damit ist dieser Rechtsstreit erledigt."
Auf Nachfrage teilte die Firma L gegenüber der Beklagten mit, dass sie auch nach Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleichs am Vorwurf des vertragswidrigen Verhaltens gegenüber dem Kläger festhalte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2002 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Dagegen hat der Kläger am 13.02.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage erhoben. Er hat vorgetragen, er habe durch sein Verhalten keinen Anlass für eine fristlose Kündigung gegeben. Aus diesem Grunde sei die fristlose Kündigung im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Vergleichs auch in eine ordentliche, fristgerechte Kündigung umgewandelt worden.
Das SG hat zur Aufklärung des Sachverhalts in einem Erörterungstermin am 14.11.2002 zu den Gründen für die Kündigung des Arbeitsverhältnis Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C L und L U. Nach Abschluss der Beweisaufnahme hat der Vorsitzende in diesem Erörterungstermin darauf hingewiesen, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu seiner Überzeugung fest stehe, dass der Kläger durch sein Verhalten Anlass für eine arbeitgeberseitige Kündigung gegeben habe. Der Vorsitzende hat weiter auf § 192 Abs. 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen, wonach einem Beteiligten Kosten auferlegt werden können, wenn der Rechtstreit fortgeführt wird, obwohl vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung dargelegt und auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist. Der Kläger hat zum Ergebnis der Beweisaufnahme im Klageverfahren nicht Stellung genommen.
Da SG hat mit Zustimmung der Beteiligten am 13.02.2003 ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden und die Klage abgewiesen. Außerdem hat es dem Kläger Gerichtskosten in Höhe von 150 Euro sowie die der Beklagten entstandene Pauschgebühr auferlegt. Es hat sich in seiner Begründung auf das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützt und hierzu ua ausgeführt, die Aussagen der Zeugen seien glaubhaft gewesen und diese hätten auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Die Kostenentscheidung hat das SG damit begründet, dass der Vorsitzende den Kläger im Rahmen des Erörterungstermins nach Vernehmung der Zeugen am 14.11.2002 darauf hingewiesen habe, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Vorsitzenden fest, dass der Kläger durch sein Verhalten Anlass für die arbeitgeberseitige Kündigung gegeben habe. Weiter habe er den Kläger auf die in § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG getroffene Regelung hingewiesen. Dennoch habe der Kläger an seiner Klage festgehalten und auf die Belehrung des Vorsitzenden mit einem besonders hohen Maß an Uneinsichtigkeit reagiert.
Das Urteil ist dem Kläger am 05.03.2003 zugestellt worden. Am 25.03.2003 hat er dagegen Berufung eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht am 16.06.2004 hat der Kläger seine Klage zurückgenommen und sinngemäß beantragt,
die Kostenentscheidung des Sozialgerichts Dortmund im Urteil vom 13.02.2003 aufzuheben.
II.
Der Antrag des Klägers ist zulässig. Zwar hat er die Klage zurückgenommen, so dass die Hauptsache erledigt und das Urteil vom 13.02.2003 wirkungslos ist (vgl Meyer-Ladewig, § 102 SGG Rn 6c). Die durch das SG getroffene Kostenentscheidung nach § 192 Abs. 1 SGG wird durch die Rücknahme der Klage allerdings nicht berührt (§ 192 Abs. 2 S. 1 SGG). Diese Entscheidung kann gem § 192 Abs. 2 S. 2 SGG nur durch eine zu begründende Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren aufgehoben werden.
Der Antrag des Klägers ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des SG liegen die Voraussetzungen des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht vor.
Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht im Urteil einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden in einem Termin die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt worden und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden ist.
Zwar ist mit dem SG davon auszugehen, dass der Hinweis auch in einem Erörterungstermin erfolgen kann. Dies ergibt sich aus dem Vergleich von § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG mit § 192 Abs. 1 Nr. 1 SGG: Denn im Unterschied zu Nr. 1 erwähnt Nr. 2 nur den Vorsitzenden und spricht auch nicht von einem Termin zur mündlichen Verhandlung (vgl Berendes, SGb 2002, S. 315, 318). Allerdings muss sich der Hinweis stets auf zweierlei beziehen, nämlich auf die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung und auf die Möglichkeit, deswegen Kosten auferlegen zu können (vgl Stark in Mutschler, Kostenrecht in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, § 3 Rz 145 ff). Vorliegend hat der Vorsitzende des SG den Kläger nicht ausdrücklich auf die Mssbräuchlichkeit hingewiesen. Dass er die Rechtsverfolgung für missbräuchlich gehalten hat, ergibt sich allenfalls mittelbar aus seinem Hinweis zum Ergebnis der Beweisaufnahme zusammen mit dem Hinweis zu Regelung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Ob damit bereits die formalen Voraussetzungen für die Anwendung des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht erfüllt waren, kann der Senat jedoch offen lassen, denn eine Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung liegt tatsächlich nicht vor.
Ein Missbrauch ist nur dann anzunehmen, wenn die Rechtsverfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (vgl Urteil des Senats vom 16.07.2003 – L 12 AL 61/03 – ). Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Missbrauchsgebühr in § 34 Abs 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (vgl. BVerfG, NJW 1996 S. 1273, 1274). Die Rechtsprechung des BVerfG ist auch zur Auslegung des § 192 SGG heranzuziehen, denn Wortlaut und Zweck beider Vorschriften stimmen überein.
Wenn der Hinweis – wie hier – in einem Erörterungstermin erfolgt, kann für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit allerdings nur das Verhalten der Beteiligten bis zu dem Erörterungstermin zugrunde gelegt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Beteiligung ehrenamtlicher Richter zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch nicht erfolgt ist, diese aber grundsätzlich mit zu entscheiden haben (vgl § 12 Abs. 1 SGG). Deshalb muss auch ein einsichtiger Beteiligter von einer völligen Aussichtlosigkeit der Rechtsverfolgung bereits in einem Erörterungstermin allenfalls dann ausgehen, wenn mit einer Entscheidung ohne die ehrenamtlichen Richter – durch Gerichtsbescheid – zu rechnen ist. Nach §§ 105 Abs. 1, 12 Abs. 1 S. 2 SGG ist eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid aber nur dann statthaft, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Selbst das SG ist hier offenbar nicht davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen vorliegen. Es hat zwar ohne mündliche Verhandlung entschieden, allerdings nicht durch Gerichtsbescheid, sondern durch Urteil unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter. Von einer völligen Aussichtlosigkeit der Rechtsverfolgung bereits zum Zeitpunkt des Erörterungstermins kann daher vorliegend nicht die Rede sein.
Einer Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung steht im Übrigen entgegen, dass die Vorgehensweise des SG darüber hinaus verfahrensrechtlich problematisch erscheint: Das SG hat unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter durch Urteil entschieden. Dabei hat es zum einen seine Entscheidung in der Sache auf die Aussagen von Zeugen gestützt, von denen sich die ehrenamtlichen Richter kein Bild machen konnten, weil die Zeugen in einem Erörterungstermin vernommen wurden. Zum anderen hat es seine Kostenentscheidung ua damit begründet, dass auf Klägerseite ein besonders hohes Maß an Uneinsichtigkeit vorliege. Besondere Anhaltspunkte hierfür sind allerdings nicht aktenkundig. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 SGG) und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG) erfordern jedoch, dass sich alle die Entscheidung treffenden Richter einen persönlichen Eindruck von den zu beurteilenden Personen gemacht haben, wenn sie ihre Entscheidung darauf stützen. Dies gilt nur dann nicht, wenn der persönliche Eindruck, den die Richter einer früheren mündlichen Verhandlung von einem Zeugen bzw Beteiligten gewonnen haben, protokolliert oder auf sonstige Weise aktenkundig gemacht worden ist und sich die Beteiligten dazu erklären konnten (vgl BSG 15.08.2002 – B 7 AL 66/01 R -, SozR 3-1500 § 128 Nr 15; BSG 24.02.2004 – B 2 U 316/03 B – mit Anmerkung Ruppelt, jurisPR-SozR 18/2004). Gerade dies ist vorliegend nicht geschehen.
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 02.08.2004
Zuletzt verändert am: 02.08.2004