Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2005 verurteilt, die Kosten für die Teilnahme an der Jahrgangsstufenfahrt vom 18.06.2005 bis 23.06.2005 in Höhe von 280,00 EUR zu übernehmen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Beklagte trägt 9/10 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten für eine Jahrgangsstufenfahrt.
Der am … geborene Kläger lebt gemeinsam mit seiner Mutter in einer Wohnung.
Am 01.12.2004 beantragte der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), welche die Beklagte mit Bescheid vom 09.12.2004 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.04.2005 zunächst in Höhe von 191,00 EUR monatlich und mit Änderungsbescheid vom 23.12.2004 für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 402,86 EUR monatlich bewilligte.
Mit Schreiben vom 01.03.2005 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er vom 19.06. bis 24.06.2005 mit seiner Jahrgangsstufe auf eine mehrtägige Klassenfahrt gehe. Er beantragte die Kosten für diese Klassenfahrt in Höhe von 304,00 EUR. Seinem Antrag legte er eine Bescheinigung des Gymnasiums … vom 27.01.2005 bei, wonach der Kläger vom 19.-24.06.2005 an einer Jahrgangsstufenfahrt der Schule teilnehme. Die Kosten würden 274,00 EUR betragen. Die Eintrittspreise für Museen wurden mit voraussichtlich 30,00 EUR beziffert.
Mit Bescheid vom 19.04.2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Fördermöglichkeit für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen ende mit der 10. Schulklasse.
Den hiergegen am 20.05.2005 bei der Beklagten eingegangen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Klassenfahrt eine Schulveranstaltung sei. Er habe keine Wahl hinsichtlich der Teilnahme, da die Teilnahme an einer Schulfahrt "im Kursverband" laut Schulgesetz NRW verpflichtend sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.06.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Für Schüler, die der allgemeinen Schulpflicht – die mit der 10. Schulklasse endet – nicht mehr unterliegen, würden die Kosten einer Klassenfahrt grundsätzlich nicht zum notwendigen Lebensunterhalt gehören und seien daher nicht mehr förderungsfähig.
Am 12.07.2005 hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholte er sein bisheriges Vorbringen.
Auf Nachfrage des Gerichts hat er mitgeteilt, dass er zwischenzeitlich an der Klassenfahrt teilgenommen habe und sich das hierfür erforderliche Geld von einem Freund geliehen habe.
Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorgehen sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2005 zu verurteilen, die Kosten für die Teilnahme an der Jahrgangsstufenfahrt vom 18.06.-23.06.2005 in Höhe von 310,00 EUR zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, eine Verpflichtung zur Teilnahme an Schulklassenfahrten bestehe grundsätzlich nicht, da auch eine Teilnahme am Ersatzunterricht in Parallelklassen oder einer anderen Jahrgangsstufe während der Dauer der Klassenfahrt möglich sei. Selbst wenn Klassenfahrten von Oberstufen von § 23 Absatz 3 Nr. 3 SGB II abgedeckt würden, sähe sie sich nur in der Lage, einen Zuschuss zur Studienfahrt in pauschaler Höhe zu gewähren.
Der Kläger hat auf Anforderung des Gerichts eine Bescheinigung des Gymnasiums … vom 22.06.2006 vorgelegt. Wegen des Inhalts dieser Bescheinigung wird auf Blatt 20 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden waren.
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 19.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.06.2005 beschwert im Sinne des § 54 Absatz 2 SGG, denn er hat einen Anspruch auf Übernahme von Kosten in Höhe von 280,00 EUR für die vom 18.-23.06.2005 dauernde Jahrgangsstufenfahrt. Die weitergehende Klage ist unbegründet.
Gemäß § 23 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II sind Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen nicht von der Regelleistung umfasst. Diese Leistungen werden gemäß Satz 2 der genannten Vorschrift gesondert erbracht.
Der Begriff "Klassenfahrt" in § 23 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung entsprechend auszulegen. § 23 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II dient dazu, es unterstützungsbedürftigen Kindern finanziell zu ermöglichen, an mehrtägigen Schulfahrten, die üblicherweise mit höheren Kosten verbunden sind, die durch die Regelleistung nicht mehr abgedeckt werden können, teilzunehmen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass auch bei diesen Kindern die jeweilige pädagogische Zielsetzung von Schulfahrten – welche wichtiger Bestandteil der Erziehung durch Schulen sind (vgl. Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift § 31 SGB XII; BT-Drucks. 15/1514, Seite 16) – verwirklicht werden kann. Das Entstehen erzieherischer Defizite soll verhindert werden (vgl. Hofmann in LPK – BSHG § 21 Rn. 42); schulische Bildung und Erziehung sollen – zumindest in diesem Punkt – keine Frage des Geldbeutels sein. Der Begriff "Klassenfahrt" ist daher im Rahmen des § 23 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II nicht im engeren Wortsinn zu verstehen (auch der Gesetzgeber spricht in der Gesetzesbegründung zur Parallelvorschrift § 31 SGB XII (a.a.O.) wiederholt von "Schulfahrten"). Er ist vielmehr weit auszulegen, eine Einschränkung erfolgt allein durch das Tatbestandsmerkmal "im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen". Der Begriff "Klassenfahrt" umfasst somit unter anderem auch von der Schule durchgeführte Studienfahrten, Kurs- und Jahrgangsstufenfahrten, wie diejenige, an der der Kläger teilgenommen hat (vgl. hierzu Sozialgericht Bayreuth, Urteil vom 29.06.2006, S 4 AS 612/05).
Vorliegend handelt es sich auch um eine Fahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen. Ausweislich der Bescheinigung des Gymnasiums … sind Studienfahrten unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung in der gymnasialen Oberstufe. Die Fahrt hielt sich im Rahmen der Richtlinien für Schulwanderungen und Schulfahrten (Wanderrichtlinien – WRL -) vom 19.03.1997. Danach legt die Schulkonferenz gemäß § 65 Absatz 2 Nr. 6 Schulgesetz NRW den Rahmen für Schulwanderungen und Schulfahrten einschließlich Höchstdauer und Kostenobergrenze fest. Dies ist ausweislich der Bescheinigung des Gymnasiums … erfolgt. Die Voraussetzungen einer Fahrt im Rahmen der schulrechtlichen Vorschriften liegen vor.
Entgegen der seitens der Beklagten vertretenen Rechtsauffassung endet die Förderungsmöglichkeit gemäß § 23 Absatz 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II auch nicht mit dem 10. Schuljahr. Zum einen ist der gesetzlichen Regelung eine entsprechende Einschränkung in keiner Weise zu entnehmen. Vielmehr soll unterstützungsbedürftigen Kindern – und hierzu gehören auch nicht mehr schulpflichtige – die Teilnahme an Klassenfahrten gerade ermöglicht werden (s.o.) und eine Ausgrenzung aus finanziellen Gründen vermieden werden. Darüber hinaus werden Schulwanderungen und Schulfahrten grundsätzlich im Klassenverband bzw. im Kursverband durchgeführt (§ 4 Ziffer 4.2 WRL). Gemäß § 43 Absatz 1 Schulgesetz sind Schülerinnen und Schüler zur Teilnahme verpflichtet. Eine Befreiung von der Pflicht zur Teilnahme ist nur aus besonders geregelten und im Regelfall religiös oder erzieherisch motivierten Gründen möglich (vgl. WRL; a.a.O.). Die seitens der Beklagten vertretene Rechtsauffassung würde zu einer – vom Gesetzgeber gerade nicht gewollten – Ausgrenzung nicht mehr schulpflichtiger Kinder allein aus finanziellen Gründen führen und ist daher abzulehnen.
Auch eine Pauschalierung der für Klassenfahrten zu erbringenden Leistungen ist – entgegen den Rahmenvorgaben der Beklagten zu § 23 Absatz 3 SGB II – nicht zulässig. Denn während § 23 Absatz 3 Satz 4 SGB II eine solche für die gemäß § 23 Absatz 3 Nr. 1 und 2 SGB II vorgesehenen Leistungen (Erstausstattungen für Wohnung bzw. Bekleidung) ausdrücklich ermöglicht, ist diese Möglichkeit für die Leistungen für Klassenfahrten gerade nicht eröffnet (vgl. insofern auch SG Bayreuth, a.a.O.; SG Ulm, Gerichtsbescheid vom 17.02.2006 – S 3 AS 3968/05 – ; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20.09.2005, L 9 AS 38/05 ER).
Die Festlegung einer Obergrenze / Höchstgrenze ist ebenfalls ausgeschlossen (vgl. Hessisches Landessozialgericht, a.a.O.; a.A. SG Aachen, Urteil vom 18.11.2005, S 8 AS 39/05 und SG Lüneburg, Beschluss vom 26.01.2005, S 24 AS 4/05 ER). Eine entsprechende "Obergrenze" würde eine Pauschale darstellen oder zumindest wie eine Pauschale wirken. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass bei einer Pauschale keine Prüfung der tatsächlichen Höhe der Kosten stattfindet. Demgegenüber wird eine Leistung bei einer festgelegten Obergrenze stets in tatsächlicher Höhe bis zur Obergrenze erbracht. Ist eine Obergrenze so ausgestaltet, dass mit dem Betrag eine mehrtägige Klassenfahrt regelmäßig nicht bestritten werden kann, wirkt die Obergrenze wie eine Pauschale. Eine solche ist aber bei Leistungen für mehrtägige Klassenfahrten nicht zulässig (vgl. Hessisches LSG, a.a.O.; s.o.). Darüber hinaus ist die Festlegung einer – gesetzlich nicht vorgesehenen – Obergrenze auch nicht erforderlich. Denn Leistungen sind nur für Klassenfahrten "im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen" zu erbringen. Gemäß § 2 Ziffer 2.2 WRL ist die Kostenobergrenze für Schulwanderungen und Schulfahrten möglichst niedrig zu halten, um die Erziehungsberechtigten nicht unzumutbar zu belasten. Der finanzielle Aufwand darf kein Grund dafür sein, dass eine Schülerin oder ein Schüler nicht teilnehmen kann. Durch diese Grenzziehung ist gewährleistet, dass sich die Aufwendungen für Klassenfahrten in einem angemessenen Rahmen halten. Schließlich ist auch noch zu berücksichtigen, dass die pädagogische Gestaltung des Unterrichts und die Umsetzung des Lehrplans allein den Schulen und nicht dem Sozialleistungsträger oder den Gerichten obliegt (vgl. § 3 Absatz 1 Schulgesetz), sodass sich die Festsetzung einer Höchstgrenze insoweit als unzulässiger Eingriff darstellen würde (vgl. SG Ulm, a.a.O.).
Zu den zu berücksichtigen Kosten für Klassenfahrten gehören zur Überzeugung des Gerichts auch Nebenkosten, wie Eintrittsgelder für das kulturelle Programm, nicht jedoch Taschengeld (anderer Ansicht SG Berlin, Beschluss vom 23.02.2006, S 61 AS 1046/06 ER). Denn gerade das kulturelle Programm prägt in der Regel die pädagogische Zielsetzung und den Zweck von Schulfahrten. Die Ermöglichung der Teilnahme an dem kulturellen Programm ist mithin Voraussetzung für die Realisierung der mit der Schulfahrt verbundenen pädagogischen Zielsetzung. Auch insofern ist der Ausgrenzung eines Hilfebedürftigen Schülers für den Fall seiner Nichtteilnahme daher wirksam zu begegnen (vgl. SG Ulm, a.a.O., m.w.N.).
Ersparte Aufwendungen für den häuslichen Lebensunterhalt (insbesondere für Verpflegung) sind hiervon nicht in Abzug zu bringen, da der Schüler regelmäßig mindestens in dieser Höhe angemessenes Taschengeld für die Klassenfahrt benötigt (vgl. SG Ulm, a.a.O., m.w.N.).
Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze waren dem Kläger 280,00 EUR zuzusprechen (274,00 EUR unmittelbare Fahrtkosten; 6,00 EUR Eintrittsgelder für kulturelles Programm). Demgegenüber kommt die Übernahme der insgesamt angefallenen Kosten in Höhe von 310,00 EUR nicht in Betracht, da sich die den zugesprochenen Betrag übersteigenden Kosten in Höhe von 30,00 EUR nicht mehr im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen bewegen. Ausweislich der Auskunft des Gymnasiums … ist die Höchstgrenze für die Kosten einer Studienfahrt von der dortigen Schulkonferenz auf 280,00 EUR festgelegt worden (vgl. auch § 2 Ziffer 2.2 WRL ). Die diesen Betrag übersteigenden Kosten sind von dem Beschluss der Schulkonferenz nicht mehr abgedeckt, liegen damit außerhalb der schulrechtlichen Bestimmungen und sind somit gemäß § 23 Absatz 3 Nr. 3 SGB II nicht übernahmefähig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Das Gericht hat die Berufung zugelassen, weil es dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 144 Absatz 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz).
Erstellt am: 12.12.2006
Zuletzt verändert am: 12.12.2006