Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 13.05.2015 abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern ab dem 04.05.2015 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 31.10.2015, vorläufig Regelleistungen einschließlich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter bedarfsmindernder Anrechnung von Einkommen in Höhe von 317,00 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller in beiden Instanzen zu ½.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller und Beschwerdeführer ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat eine einstweilige Anordnung bezogen auf die Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der Form des Regelbedarfs und des Mehrbedarfs zu Unrecht abgelehnt. Die Antragsteller haben ab Eingang des Eilantrags beim Sozialgericht am 04.05.2015 unter Berücksichtigung ihrer grundrechtlichen Belange nach Folgenabwägung einen Anspruch auf einstweilige Gewährung dieser Leistungen.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung -ZPO-).
Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich der begehrten einstweiligen Gewährung von Regelleistungen nach § 20 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 3 Nr. 1 SGB II vor.
Hinsichtlich der darüber hinaus von den Antragstellern begehrten vorläufigen Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung sind sie demgegenüber nicht gegeben.
Ob ein Anordnungsanspruch vorliegt, ist in der Regel durch summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu ermitteln. Können ohne die Gewährung von Eilrechtsschutz jedoch schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, ist eine abschließende Prüfung erforderlich (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, juris Rn 24 f). Liegt ein Anordnungsanspruch nicht vor, ist ein schützenswertes Recht zu verneinen und der Eilantrag abzulehnen. Hat die Hauptsache hingegen offensichtlich Aussicht auf Erfolg, ist dem Eilantrag stattzugeben, wenn die Angelegenheit eine gewisse Eilbedürftigkeit aufweist. Bei offenem Ausgang muss das Gericht anhand einer Folgenabwägung entscheiden, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend einstellt (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, juris Rn 26; vgl. auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn 29a).
In diesem Verfahren vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden, ob ein Anordnungsanspruch vorliegt. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts spricht viel aber dafür, dass der von den Antragstellern glaubhaft gemachte grundsätzliche Leistungsanspruch gem. §§ 20 f. SGB II nicht gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen ist.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass sie die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig. Die Antragsteller haben dementsprechend auch bis zum 30.04.2015 vom Antragsgegner Leistungen bezogen.
Streitig ist allein, ob die Antragsteller als rumänische Staatsangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von diesen Leistungen ausgeschlossen sind. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, weil sich die Antragstellerin zu 1) allein zum Zweck der Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhält. Weil sie aber glaubhaft gemacht hat, dass sie vor ihrer Arbeitsuche in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, bestehen in ihrem Fall erhebliche Zweifel an der Europarechtkonformität des Leistungsausschlusses.
Diese Zweifel begründen sich insbesondere auf die Schlussanträgen des Generalanwalts in den Verfahren B und H u. a. (EuGH, Schlussanträge vom 26.03.2015, C – 67/14, Celex-Nr. 62014CC0067 und Schlussanträge vom 04.06.2015, C-299/14, Celex-Nr. 62014CC0299, juris). In diesen Schlussanträgen unterscheidet der Generalanwalt zwischen den Personen, die zur Arbeitsuche einreisen und denjenigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren (sog. dritte Fallgestaltung). Bei Letzteren verstößt nach seiner Auffassung ein automatischer Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen das Unionsrecht. Bei ihnen muss individuell geprüft werden, ob (weiterhin) eine Verbindung mit dem Aufnahmemitgliedstaat besteht. Diese Verbindung kann sich – neben Umständen, die sich aus dem familiären Kontext ergeben – auch aus einer effektiven und tatsächlichen Beschäftigungssuche während eines angemessenen Zeitraums ergeben.
Die Antragstellerin zu 1) gehört aber zu dieser dritten Fallgruppe.
Sie hält sich seit 2013 in der Bundesrepublik Deutschland auf und hat nach der Geburt der Antragstellerin zu 2) am 12.08.2013 zum 01.02.2014 einen bis zum 31.08.2014 befristeten Arbeitsvertrag als Kellnerin abgeschlossen. Die monatliche Arbeitsvergütung für diese sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sollte 451,- Euro brutto betragen. Für die Monate März, April und Mai 2014 wurden ihr Bezüge in Höhe von 363,20 Euro netto errechnet und ausgezahlt. Die Antragstellerin zu 1) ist damit, auch wenn das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2014 gekündigt worden ist, weil sie die Arbeitszeiten wegen der notwendigen Betreuung ihrer Tochter nicht einhalten konnte, in den deutschen Arbeitsmarkt eingetreten. Die Antragstellerin zu 1) hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass sie sich seit dem Zeitpunkt, zu dem ihre Tochter einen Betreuungsplatz in einem Kindergarten erhalten hat (Oktober 2014), zunächst eigenständig und später mit Unterstützung der Sozialarbeiterin U P von der Diakonie N bei verschiedenen Arbeitgebern um eine Stelle als Reinigungskraft beworben hat. Diese Beschäftigungssuche hat sie ausweislich ihrer eidesstattlichen Versicherung und der eidesstattlichen Versicherung der Sozialarbeiterin U P auch im Mai 2015 trotz der aktuell bestehenden Arbeitsunfähigkeit fortgesetzt und sich bei zwei Arbeitgebern als Prospektausteilerin bzw. für die Arbeit in einem Pflegedienst beworben.
Bei dieser Sachlage spricht viel dafür, dass bei der Antragstellerin zu 1) trotz der aktuell bestehenden Arbeitsunfähigkeit noch eine gewisse Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt besteht. Ob diese dazu ausreicht, den Leistungsausschluss in ihrem Fall als europarechtswidrig anzusehen, kann der Senat im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilen. Er geht allerdings davon aus, dass der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts – wie auch im Fall E (vgl. EuGH, Urt. vom 11.11.2014, C-333/13, juris) – folgen wird.
Im Rahmen der Folgenabwägung war deshalb eine einstweilige Regelung zugunsten der Antragsteller zu treffen. Ohne die beantragten Leistungen drohen ihnen existentielle Nachteile, die sie aus eigener Kraft nicht abwenden können. Demgegenüber hat der Antragsgegner "nur" finanzielle Nachteile zu erwarten, wenn die Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit ihrem Begehren nicht durchdringen sollten. In diesem Fall erscheint es allerdings nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner seinen Rückforderungsanspruch nicht wird realisieren können und die Zuerkennung der Leistungen deshalb im Ergebnis einen Zustand schafft, der in seinen (wirtschaftlichen) Auswirkungen der Vorwegnahme in der Hauptsache gleichkommt. Diesem Umstand trägt der Senat bei der Ausgestaltung der einstweiligen Anordnung Rechnung, indem er die nachteiligen Folgen auf Seiten des Antragsgegners zeitlich begrenzt, und zwar auf einen Zeitraum von längstens sechs Monaten. Der Antragsgegner kann den Leistungsumfang dadurch möglichst gering halten, dass er die Antragstellerin zu 1), die versucht, eine Arbeitsstelle zu finden, sogleich beginnend in diesen Bemühungen unterstützt.
Bezogen auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Form des Regel- und Mehrbedarfs ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Antragsteller haben glaubhaft vorgetragen, dass sie über kein ausreichendes eigenes Einkommen und Vermögen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu verfügen.
Der Antrag auf einstweilige Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung war demgegenüber abzulehnen, da diesbezüglich ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist. Dieser liegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats erst bei einer aktuellen Gefährdung der Unterkunft vor. Es muss Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen (vgl. z.B. Beschluss des erkennenden Senates vom 08.07.2013 – L 2 AS 1116/13 B ER -, juris RdNr. 2 m.w.N.). Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor. Die Antragsteller sind vielmehr nach eigenen Angaben bisher lediglich die Miete für den Monat Juni 2015 schuldig geblieben. Auch der Umstand, dass das Mietverhältnis befristet ist, begründet keine konkrete Gefahr einer drohenden Obdachlosigkeit. Gerade unter Berücksichtigung der in diesem Verfahren zu treffenden Interessenabwägung sind nach Auffassung des Senates besonders strenge Anforderungen an das Vorliegen des Anordnungsgrundes zu stellen. Allein die allgemeine Gefahr, dass ein bestehendes Mietverhältnis nicht fortgeführt wird, reicht hierzu nicht aus.
Für die Antragstellerin zu 2) gelten die obigen Ausführungen mit der Maßgabe, dass sie als nichterwerbsfähige Leistungsberechtigte in Bedarfsgemeinschaft mit der Antragstellerin zu 1) die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialgeld gem. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt.
Den Antragstellern sind daher vorläufige Leistungen in Höhe des Regel- und des Mehrbedarfs abzüglich des gezahlten Kindergeldes von 184,- Euro und eines Unterhaltsvorschusses in Höhe von 133,- Euro monatlich zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 23.06.2015
Zuletzt verändert am: 23.06.2015