Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.07.2013 geändert. Dem Kläger wird für die Zeit ab 28.02.2013 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt M aus C bewilligt. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
In der Hauptsache begehrt der Kläger die Überprüfung versagter Leistungsgewährung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Am 15.10.2012 beantragte der Kläger die Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Mit Bescheid vom 14.11.2012 bewilligte der Beklagte Leistungen für den Zeitraum 12.10.2012 bis einschließlich 31.03.2013. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.11.2012 bestellte sich der Bevollmächtigte unter Übersendung der Vollmacht erstmalig für den Kläger. Gleichzeitig beantragte der Bevollmächtigte gemäß § 44 SGB X für die vorangegangenen Leistungszeiträume die Überprüfung, soweit dem Kläger Leistungen nicht ausgezahlt wurden. Unter dem Datum 30.11.2012 verfasste der Beklagte einen Ablehnungsbescheid. Die Anrede des Bescheids sowie dessen Inhalt war zwar gerichtet an den Bevollmächtigten, adressiert hatte der Beklagte den Bescheid jedoch an den Kläger persönlich. Mit anwaltlichen Schreiben vom 15.01.2013 mahnte der Bevollmächtigte den Erlass des Abhilfebescheides auf den Überprüfungsantrag vom 26.11.2012 an. Mit Schreiben vom 17.01.2013 teilte der Beklagte dem Bevollmächtigten mit, dass der Bescheid vom 30.11.2012 versehentlich im Original nicht an den Bevollmächtigten, sondern an den Kläger adressiert und verschickt worden sei. Gleichzeitig sandte der Beklagte den Bescheid vom 30.11.2012 nochmals dem Prozessbevollmächtigten zu. Den gegen den Bescheid vom 30.11.2012 eingelegten Widerspruch vom 22.01.2013 verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.02.2013 wegen Verletzung der Widerspruchsfrist als unzulässig. Den mit der Klage vom 28.02.2013 gleichzeitig gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) wies das Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen mit Beschluss vom 19.07.2013 mangels Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ab. Der Widerspruch vom 22.01.2013 sei verfristet, Gründe für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Der Beschluss wurde am 25.07.2013 dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 01.08.2013, mit dem der Kläger die Aufhebung des Beschlusses und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im ersten Rechtszug begehrt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1) Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht dann, wenn der Kläger – bei summarischer Prüfung – in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Hinreichende Erfolgsaussichten sind daher grundsätzlich dann zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder wenn von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind, bevor die streiterheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können, und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ermittlungen mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würden (vgl. BVerfG, Beschl. der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20.02.2001 – 1 BvR 1450/00 -, juris Rn. 12; so auch die ständige Rspr. des erkennenden Senats, Beschluss vom 12. September 2013 – L 7 AS 176/13 B; Beschluss vom 12. Juni 2013 – L 7 AS 138/13 B). Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (vgl. BVerfGE 81, 347 (356 ff); so auch der erkennende Senat, Beschluss vom 12. Juni 2013 – L 7 AS 138/13 B; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 73a Rn. 7).
2) Bei der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Klage Erfolg hätte. Jedenfalls scheitern die Erfolgsaussichten der Klage nicht an einer Verfristung des Widerspruchs. Der Widerspruch ist entgegen der Rechtsauffassung des SG fristgerecht erhoben worden.
a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X kann, wenn ein Bevollmächtigter bestellt ist, die Bekanntgabe auch gegenüber dem Bevollmächtigten erfolgen. Der Senat stimmt zwar mit dem SG grundsätzlich überein, dass mit der zuerst erfolgten Bekanntgabe die Rechtsfolgen der Bekanntgabe eintreten (vgl. Pattar in: jurisPK-SGB X, § 37 SGB X, Rn. 87); insbesondere beginnen die Rechtsmittelfristen mit der ersten Bekanntgabe (OVG Lüneburg v. 14.01.2002 – 12 LA 17/02 – juris Rn. 7; Krasney in: KassKomm-SGB, SGB X, § 37 Rn. 5; Engelmann in: von Wulffen, SGB X, § 37 Rn. 10; Rieker, RV 2011, 8, 9.); dies setzt jedoch die Wirksamkeit der ersten Bekanntgabe voraus. Der Ablehnungsbescheid vom 30.11.2012 ist jedoch nicht bereits dem Kläger gegenüber wirksam bekannt gegeben worden. Die Bekanntgabe erfolgte wirksam erst mit der Übersendung des Bescheids vom 30.11.2012 im Zuge der Übersendung des Anschreibens des Beklagten vom 17.01.2013 an den Prozessbevollmächtigten. Hinsichtlich dieser Bekanntgabe ist der am 22.01.2013 erhobene Widerspruch innerhalb der Monatsfrist nach § 84 Abs. 1 S. 1 SGG und daher fristgerecht erfolgt. Die Entscheidung, ob die Behörde den Verwaltungsakt nach § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X dem Bevollmächtigten, dem Vollmachtgeber oder beiden bekannt gibt, steht in deren Ermessen. Bei Ausübung des Ermessens ist zu berücksichtigen, ob mit einer Bekanntgabe zu rechnen war, wie sie erfolgt ist. Bei Ermessensfehlern in der Auswahl des Bekanntgabeadressaten ist die Bekanntgabe unwirksam (vgl. insgesamt Pattar in: jurisPK-SGB X, § 37 SGB X, Rn. 87 m.w.N. in Fn. 192; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, § 37 Rn. 26). Eine längere Übung der Bekanntgabe an den Beteiligten kann dabei den Ermessensspielraum einschränken (so Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, § 37 Rn. 26). Es ist daher ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde sich entgegen ihrer Selbstbindung verhält. Hier hat der Beklagte mit Schreiben vom 17.01.2013 selbst eingeräumt, dass der Bescheid im Original versehentlich nicht an den Bevollmächtigten, sondern an den Kläger direkt adressiert und verschickt wurde. Der Beklagte hat zudem auch eingeräumt, dass es sich hierbei um ein Versehen handelte. Es entspricht daher der regelmäßigen und den Beklagten bindenden Übung, dass Bescheide an bestellte Bevollmächtigte unmittelbar versandt werden. Hierfür spricht im Übrigen auch, dass der streitige Bescheid vom 30.11.2012 zwar an den Kläger adressiert war, aber die Anrede dem Bevollmächtigten galt und der Text des Bescheids ebenfalls unmittelbar an den Bevollmächtigten gerichtet war.
b) Aufgrund dieser Selbstbindung der Verwaltung kommt es im Übrigen auch nicht auf das Verhältnis von § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X zu § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X an, nach dem sich die Behörde in typischen Fällen an den Bevollmächtigten wenden muss. Es bedarf keiner Entscheidung, ob § 37 Abs. 1 S. 2 SGB X als Spezialvorschrift den allgemeinen § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X verdrängt (so wohl h.M. vgl. Pattar in: jurisPK-SGB X, § 37 SGB X, Rn. 85 m.w.N. in Fn. 184).
3) Der Kläger ist ausweislich seiner Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bedürftig. Er verfügt über kein im Rahmen des § 115 ZPO einzusetzendes Einkommen oder Vermögen, so dass ihm (ratenfrei) Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen ist.
4) Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Klägers folgt aus § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.
5) Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 08.07.2014
Zuletzt verändert am: 08.07.2014