Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.05.2004 wird zurückgewiesen. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin (Ag) und Beschwerdeführerin streitet gegen ihr im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auferlegte Unterlassungspflichten im Hinblick auf Sonderkündigungsrechte nach § 175 Abs 4 Satz 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).
Die Ag ist aus der Vereinigung der Taunus BKK und der BKK Braunschweig zum 01.04.2004 entstanden. Zuvor lag der allgemeine Beitragssatz der Taunus BKK bei 12,8 % und der BKK Braunschweig bei 14,4 %. Der allgemeine Beitragssatz für pflichtversicherte Mitglieder der Ag beträgt ab 01.04.2004 13,8 %. Anlässlich von Kündigungen wegen Beitragserhöhungen, im Rahmen von Informations- und Werbeschreiben bzw. – gesprächen sowie im Zusammenhang mit Mitgliederinformationen und "Haltearbeit" wies die Ag darauf hin, durch die Fusion sei eine neue Krankenkasse mit einem neuen Beitragssatz entstanden. Deshalb ergebe sich kein Sonderkündigungsrecht. Ein Kassenwechsel sei erst mit Ablauf der 18-monatigen Bindungsfrist möglich.
Die Antragstellerin (Ast) und Beschwerdegegnerin forderte die Ag vergeblich auf, ein Sonderkündigungsrecht bei der Kassenfusion anzuerkennen. Das gegenteilige Verhalten sei grob wettbewerbswidrig. Es halte Mitglieder der Beschwerdeführerin aufgrund von deren unzutreffender Rechtsauffassung von einem frühzeitigen Wechsel zur Beschwerdegegnerin durch Ausübung des Sonderkündigungsrechts ab (Schreiben vom 07.04.2004).
Zur Begründung ihres Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (12.05.2004) zum Sozialgericht Düsseldorf (SG) hat die Ag vorgetragen, die Festsetzung eines höheren allgemeinen Beitragssatzes wegen der Fusion ab 01.04.2004 habe ein Sonderkündigungsrecht der bereits zuvor bei der Taunus BKK pflichtversicherten Mitglieder gemäß § 175 Abs 4 Satz 5 SGB V begründet. Dies zu negieren hindere die Ast als konkurierende Krankenkasse, die für den Kassenwechsel erforderlichen neuen Mitgliedsbescheinigungen auszustellen. § 175 Abs 2 Satz 2 SGB V fordere hierfür, die Kündigungsbestätigung vorzulegen. Dieses Verhalten greife unmittelbar in den Wettbewerb der Krankenkassen um Mitglieder ein. Es sei irreführend.
Die Ag hat den Antrag für unzulässig gehalten, da er die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehme. Sie hat vorgetragen, der Ast drohe kein irreparabler Rechtsnachteil. Die Festsetzung eines Beitrags nach Fusion zweier Krankenkassen sei keine Beitragssatzerhöhung.
Das SG hat der Antragsgegnerin bei Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 50.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
1. Versicherte nach Kündigungen, die sich auf eine Beitragssatzerhöhung oder ein Sonderkündigungsrecht beziehen, auf die 18-monatige Bindungsfrist des § 175 Abs 4 Satz 1 SGB V hinzuweisen und ein Kündigungsdatum anzugeben, das unter Zugrundelegung der genannten Bindungsfrist sowie unter Abweichung von § 175 Abs 4 Satz 2 SGB V errechnet wurde,
2. Versicherten mitzuteilen, dass aufgrund der Beitragsfestsetzung für pflichtversicherte Beschäftigte im Rahmen der Fusion der Taunus BKK und der BKK Braunschweig zum 01.04.2004 kein Sonderkündigungsrecht gemäß § 175 Abs 4 Satz 5 SGB V besteht (Beschluss vom 24.05.2004).
Zur Begründung ihrer Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 09.06.2004), ist die Ag der Auffassung, es fehle an einem Anordnungsanspruch. Der Sonderfall der Beitragsfestsetzung nach Fusion werde von der Regelung des § 175 Abs 4 Satz 5 SGB V nicht erfasst. Insoweit komme nur ein Kündigungsrecht nach § 175 Abs 4 Satz 2 SGB V in Betracht. Auch fehle es an einem Anordnungsgrund. Der angefochtene Beschluss nehme die Hauptsache vorweg. Das SG habe die Interessenlage der Beteiligten falsch gewichtet. Schadensersatzansprüche der Krankenkassen gegeneinander kämen nicht in Betracht. Erhalte die Ast vorläufigen Rechtsschutz, unterliege sie aber im Hauptsacheverfahren, drohe der Ag, unwiederbringlich alle kündigungswilligen Versicherten als Mitglieder zu verlieren.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 24.05.2004 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin vom 12.05.2004 zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
unter Einschränkung ihres Begehrens dahingehend, dass nur die Androhung von Ordnungsgeld, nicht aber mehr die Androhung von Ordnungshaft gefordert wird, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie behauptet, die Auskünfte der Beschwerdeführerin über die Ausübung des Wahlrechts nach § 175 SGB V nach der Fusion zum 01.04.2004 führten dazu, dass wechselwillige Versicherte entweder überhaupt nicht kündigten, ggfs. keinen Widerspruch einlegten oder keine Klage erhoben.
Für die Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Das SG hat die Ag im Ergebnis zu Recht verpflichtet, es zu unterlassen, Versicherte in dem aus dem Tenor und den Gründen des Beschlusses vom 24.05.2004 ersichtlichen Umfang zu informieren.
Der Tenor des angefochtenen Beschlusses ist unter Heranziehung des sonstigen Beschlussinhalts, insbesondere der Anträge und der Gründe "II." (vgl. dazu sinngemäß BSG, SozR SGG § 136 Nr 1) dahingehend auszulegen, dass es der Ag untersagt ist, Versicherten nach Kündigungen, die sich auf die Beitragssatzerhöhung oder ein Sonderkündigungsrecht anlässlich der Fusion vom 01.04.2004 beziehen, auf die 18-monatige Bindungsfrist des § 175 Abs 4 Satz 1 SGB V hinzuweisen und ein Kündigungsdatum anzugeben, das unter Zugrundelegung der genannten Bindungsfrist sowie unter Abweichung von § 175 Abs 4 Satz 2 SGB V errechnet wurde. Das beruht auf dem Wortlaut des Antrags ("die Beitragssatzerhöhung") und dem gesamten Vorbringen der Ast, die sich nur gegen das Informationsverhalten der Ag anlässlich der Fusion zum 01.04.2004 wendet. Ebenso wie bei dem Gebot, es zu unterlassen, Versicherten mitzuteilen, dass aufgrund der Beitragsfestsetzung für pflichtversicherte Beschäftigte im Rahmen der Fusion der Taunus BKK und der BKK Braunschweig zum 01.04.2004 kein Sonderkündigungsrecht besteht, geht es dabei darum, der Ag außerhalb von Verwaltungs-, Widerspruchs- und Gerichtsverfahren das genau umschriebene Informationsverhalten zu untersagen. Das erhellt bereits aus der Wortwahl ("hinzuweisen", "anzugeben" und "mitzuteilen"), entspricht aber auch dem Vorbringen der Ast, die nicht das Recht der Ag anzweifelt, nach Durchlaufen von Verwaltungsverfahren in Gerichtsverfahren klären zu lassen, ob der von der Ag eingenommene Rechtsstandpunkt rechtmässig ist. Schließlich ist der Tenor, soweit er die Ersatzandrohung von Ordnungshaft vorsieht, durch die Klarstellung des Begehrens der Ast in der mündlichen Verhandlung obsolet geworden.
Unter Berücksichtigung dieser Auslegung ist der angefochtene Beschluss nicht rechtswidrig. Im Ergebnis zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG erfüllt sind. Danach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Nach § 86 b Abs 2 Satz 4 SGG gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend.
Wie danach erforderlich, hat die Ast einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Nicht anders als bei Maßnahmen der Mitgliederwerbung (vgl dazu BSG SozR 3-2500 § 4 SGB V Nr 1, S. 1ff., 3f mwN) ergeben sich Beschränkungen hinsichtlich der Form und des Inhalts von Maßnahmen der Versicherteninformation insbesondere aus der Pflicht der Kassen zur Aufklärung, Beratung und Information der Versicherten (§§ 13-15 Sozialgesetzbuch Erstes Buch [SGB I]) sowie dem Gebot, bei der Erfüllung dieser und anderer gesetzlicher Aufgaben mit den übrigen Sozialversicherungsträgern zusammmenzuarbeiten (§ 15 Abs 3 SGB I; § 86 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Dass speziell die Krankenkassen im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung zur Zusammenarbeit untereinander verpflichtet sind, wird in § 4 Abs 3 SGB V nochmals hervorgehoben. Wie bei jeder Handlungspflicht korrespondiert damit eine Pflicht zur Unterlassung von Tätigkeiten, die dem vorgegebenen Handlungsziel zuwiderlaufen. Wird deshalb bei der Information der Versicherten die Pflicht zu sachbezogener, zutreffender Information und zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger nicht beachtet, kann sich daraus im Umkehrschluss ein Anspruch des beeinträchtigten Trägers auf Unterlassung der unzulässigen Informationsmaßnahmen ergeben (vgl dementsprechend BSG aaO, mwN). Für das Informationsverhalten der Krankenkasse ist zudem § 2 Abs 2 SGB I zu beachten. Danach sind die nachfolgenden sozialen Rechte bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, das die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Ein unvollständiges und damit irreführendes Informationsverhalten einer Krankenkasse, dass die Ausübung von Wahlrechten ihrer Versicherten vereitelt und die Versicherten davon abhält, ihre Rechte in den dafür vorgesehenen Verfahren zu verfolgen, verstößt gegen diese Rechtsmaßstäbe und beeinträchtigt nicht nur die Versicherten, sondern auch die anderen Krankenversicherungsträger, deren Wahl durch die Versicherten in Betracht kommt. So liegt es hier.
Das gilt bereits unabhängig von der Frage, ob die Festsetzung eines höheren Beitrags anlässlich einer Fusion ein Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs 4 Satz 2 SGB V auslöst. Selbst wenn man mit der Ag annehmen würde, dass es sich dabei um eine offene Rechtsfrage handelt, müsste die Information der Versicherten hierzu vollständig, zutreffend und so ausgestaltet sein, dass die Versicherten ihre sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklichen können. Für den Rechtsstandpunkt, es handele sich um eine offene Rechtsfrage, kann sich die Ag in der Sache auf das Schreiben des Bundesversicherungsamts vom 19.03.2004 berufen, das sich kritisch mit der Rechtsprechung des LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 16.12.2003, Aktenzeichen [Az L 4 KR 33/00]) auseinandersetzt und erklärt, aufgrund dieser obergerichtlichen Rechtsprechung nicht mehr beanstanden zu wollen, wenn eine der Aufsicht des Bundesversicherungsamts unterstehende Krankenkasse ihren Versicherten bei einer Fusion mit erhöhtem Beitragssatz ein Sonderkündigungsrecht einräumt. Damit hat die Aufsichtsbehörde angekündigt, die zitierte obergerichtliche Entscheidung im Rahmen der eigenen Ermessensausübung zu berücksichtigen.
Informiert in einer solchen Situation – bei zugunsten der Ag unterstellt offener Rechtslage – eine Krankenkasse die Versicherten nur einseitig über ihren Rechtsstandpunkt, führt sie die Versicherten in die Irre, die ihr vertrauen, mit der Folge, dass sie schon die verfahrensrechtlichen Möglichkeiten nicht nutzen, überprüfen zu lassen, ob ihnen ein Sonderkündigungsrecht zusteht. Dieses Vorgehen vereitelt mithin, dass die Versicherten ihre Rechte wahrnehmen können, und steht damit im Gegensatz zur Zielrichtung von § 2 Abs 2 SGB I, sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. So aber ist die Ag vorgegangen, indem sie einseitig im Zusammenhang mit Mitgliederinformationen anlässlich der Fusion nur ihren Rechtsstandpunkt dargelegt hat, die Beitragssatzerhöhung anlässlich der Fusion löse kein Sonderkündigungsrecht aus. Zu solchen Informationen hat sich die Ag auch nach Kündigungen von Versicherten veranlasst gesehen, um Versicherte von der Durchführung ihrer verfahrensmäßigen Rechte abzuhalten. Dabei mag es vertretbar sein, dass die Ag den Ausspruch von Kündigungen anlässlich der Fusion als einen Anlass gesehen hat, die kündigenden Versicherten zu beraten (§ 14 SGB I). Der Anspruch auf Beratung geht allerdings dahin, über die Rechte und Pflichten nach dem SGB beraten zu werden, nicht aber dahin, durch die Darlegung allein einer einseitigen, umstrittenen Rechtsposition die Versicherten in die Irre zu führen, wie es die Ag unternommen hat. Zu einer Beratung im Sinne der § 14 SGB I gehört vielmehr gerade die Darlegung der Rechte und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, also auch die Darstellung der Wahlmöglichkeiten nach dem SGB V und – bei zugunsten der Ag unterstellt offener Rechtslage – der unterschiedlichen Rechtspositionen einschließlich des Verfahrenswegs, der den Versicherten ermöglicht, sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Das in seiner Unvollständigkeit irreführende Informationsverhalten der Ag sowohl generell gegenüber den Versicherten als auch speziell nach Kündigungen – Darstellung allein der eigenen Rechtsposition, ein Sonderkündigungsrecht sei ausgeschlossen – verstößt mithin sowohl gegen die Pflicht zur Aufklärung (§ 13 SGB I) als auch – im Zusammenhang mit der Information von Versicherten nach Kündigung – gegen die Pflicht, zu beraten (§ 14 SGB I). Mit der gezielten Irreführung der Versicherten unter Verstoss gegen die §§ 13 und 14 SGB I, die darauf gerichtet ist, die Ausübung von Wahlrechten der Versicherten zugunsten anderer Krankenkassen zu vereiteln, ist zugleich das Gebot verletzt, bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben mit den übrigen Sozialversicherungsträgern zusammenzuarbeiten (§ 15 Abs 3 SGB I; § 86 SGB X). Es verletzt zugleich die Verpflichtung, im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung mit den anderen Krankenkassen zusammenzuarbeiten (§ 4 Abs 3 SGB V), was die Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Ausübung von Wahlrechten beeinträchtigt und zugleich dem gesetzgeberischen Ziel entgegenarbeitet, durch die Eröffnung von Wahlmöglichkeiten im Zusammenhang mit Beitragssatzerhöhungen das Interesse der Krankenkasse an einer Ausschöpfung aller Wirtschaftlichkeitsspielräume zu stärken (vgl dazu BT-Drucks 13/5724, B zu Art 1 zu Nr 2 [§ 175 Abs 4] vgl auch Hauck in Hauck/Haines, SGB V § 173 Randnr 1). Die gezielte Irreführung der Versicherten durch die Ag verletzt nach alledem nicht nur die Pflicht zur sachbezogenen Information, sondern auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger – hier die Ast -, wie es der geltend gemachte Unterlassungsanspruch voraussetzt.
Erst recht gilt dies unter Berücksichtigung dessen, dass die summarische Überprüfung ergibt, dass alles dafür spricht, von einem Sonderkündigungsrecht anlässlich der Fusion zum 01.04.2004 auszugehen. Schon nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes greift das Sonderkündigungsrecht des § 175 Abs 4 S 5 SGB V ein, wenn eine Krankenkasse anlässlich der Fusion gegenüber Versicherten ihren Beitragssatz erhöht. § 175 Abs 4 S 5 SGB V setzt für das Kündigungsrecht allein voraus, dass "eine Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht". Da der allgemeine Beitragssatz der Ag bis zum 31.03.2004 bei 12,8 % lag und ab 01.04.2004 auf 13,8 % festgesetzt wurde, liegt darin unzweifelhaft für die Mitglieder der Taunus BKK, deren Mitgliedschaft vor dem 01.04.2004 begann, eine Beitragssatzerhöhung. Die Entstehungsgeschichte der Norm gibt keinen Anlass zu einem abweichenden Verständnis. Auch das System der Regelung verdeutlicht mit Blick auf §§ 150 Abs 2 S 1, 144 Abs 4 S 2 SGB V, dass die Vereinigung von Krankenkassen vom Gesetzgeber nicht als Anlass konzipiert ist, sich von den Rechten und Pflichten gegenüber den Versicherten zu lösen. Vielmehr tritt die neue Krankenkasse in die Rechte und Pflichten der bisherigen Krankenkassen ein. Sinn und Zweck der Regelung, das Interesse der Krankenkassen an einer Ausschöpfung aller Wirtschaftlichkeitsspielräume zu stärken (vgl oben), verdeutlicht schließlich, dass keinerlei Anlass besteht, im Wege der teleologischen Reduktion die bewusst generelle Regelung des Gesetzes in § 175 Abs 4 S 5 SGB V auf die Fälle zu reduzieren, in denen es nicht anlässlich einer Fusion zu einer Beitragserhöhung kommt.
Die Einwendungen der Ag gegen diese Auslegung greifen nicht durch. Entgegen der Ansicht der Ag geht es nicht etwa um eine Analogie, sondern um die unmittelbare Anwendung des klaren Wortlauts des Gesetzes. Soweit die Ag sich auf die Entstehungsgeschichte der Regelung beruft, verkennt sie, dass diese gerade keinerlei Anlass gibt, den Anwendungsbereich von § 175 Abs 4 S 5 SGB V teleologisch zu reduzieren. Zwar trifft es zu, dass der ursprüngliche Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Krankenkassenwahlrechte (BT- Drucks 14/5957) den Wegfall des Sonderkündigungsrechts bei Beitragssatzanhebung vorgesehen hat. Der Stellenwert dieser Äußerung für den Willen des Gesetzgebers wird aber dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber nicht diesem Entwurf, sondern der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit gefolgt ist, nach Satz 4 folgenden Satz einzufügen: "Satz 1 gilt nicht, wenn die Krankenkasse ihren Beitragssatz erhöht." (1. Buchstabe b Buchstaben cc zu Art 1 Nr 1 [§ 175 SGB V] des Gesetzentwurfs auf Drucks 14/5957; vgl BT-Drucks 14/6568 S 3). Zur Begründung heißt es, die "Änderung ermöglicht eine Kündigung der Mitgliedschaft auch vor Ablauf der Bindungsfrist von 18 Monaten, wenn die Krankenkasse ihren Beitragssatz anhebt. Hierdurch wird sichergestellt, dass im Fall einer Beitragssatzanhebung nicht nur die Mitglieder kurzfristig zu einer anderen Krankenkasse wechseln können, die schon mindestens 18 Monate Mitglied bei ihrer bisherigen Krankenkasse gewesen sind, sondern auch diejenigen, die erst kurze Zeit vor der Beitragssatzerhöhung zu dieser Krankenkasse gewechselt sind. Hierdurch werden die Anreize für die Krankenkassen, sich um eine möglichst wirtschaftliche Leistungserbringung und Verwaltung zu bemühen und Beitragssatzerhöhungen erst dann vorzunehmen, wenn keine anderen Möglichkeiten zur Deckung eines Finanzbedarfs bestehen, weiter verstärkt" (vgl ebenda, S 6). Nach den Regeln der Auslegung ist bei der Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers nicht auf Gesetzentwürfe abzustellen, die der Gesetzgeber bewusst abgelehnt hat, sondern auf diejenigen Entwürfe, die er bewusst Gesetz hat werden lassen, mithin im Rahmen der Auslegung des § 175 Abs 4 S 5 SGB V auf die Zielsetzung, Anreize für die Krankenkassen zu verstärken, sich um eine möglichst wirtschaftliche Leistungserbringung und Verwaltung zu bemühen. Das spricht dafür, nicht im Rahmen der Auslegung diese klare Zielsetzung des Gesetzgebers zu konterkarieren, wie es die Ag. mit ihrer Argumentation nahezulegen sucht. Von einem übergeordneten Interesse des Gesetzgebers an Fusionen – wie die Ag meint – kann nach alledem keine Rede sein.
Im Ergebnis zu Recht ist das SG auch davon ausgegangen, dass ein Anordnungsgrund besteht. Die Beeinträchtigung der Versicherten durch irreführende Informationen und die darin zugleich liegende Verletzung der Pflicht, auf die Belange der anderen Krankenversicherungsträger Rücksicht zu nehmen, ist ein hinreichender Anordnungsgrund, wenn allein durch weiteres Zuwarten ein Rechtsverlust für die Versicherten und die anderen Krankenkassen droht. So aber liegt es hier. Da das Gesetz die Ausübung des Sonderkündigungsrechts nicht zeitlich unbefristet vorsieht, sondern eine Kündigung bis zum Ablauf des auf das Inkrafttreten des der Beitragserhöhung folgenden Kalendermonats (§ 174 Abs 4 S 5 SGB V) vorsieht, droht durch schieren Zeitablauf ein unwiederbringlicher Rechtsverlust. Die Gefahr der Vereitelung des Rechts ist aber gerade der wesentliche Nachteil, den § 86 b Abs 2 S 2 SGG voraussetzt (vgl z. B. BVerfG NJW 2002, 3691; NJW 1995, 352, mwN; Zeihe, aaO, § 86 b SGG Nr 31 a, mwN). Soweit die Ag sich demgegenüber darauf beruft, durch die gezielte Irreführung der Versicherten sei der Rechtsverlust nunmehr unwiederbringlich eingetreten, kommt immerhin in Betracht zu erwägen, in ergänzender Auslegung des Gesetzes die Kündigungsfrist nach gezielter Irreführung von Versicherten über die Rechtslage erst mit der Klarstellung durch den Täuschenden beginnen zu lassen.
Auch die Androhung von Ordnungsgeld als Ordnungsmittel im Beschluss des SG ist rechtmäßig. Die Bestimmung des § 890 ZPO in Verbindung mit § 198 Abs 1 SGG ist anzuwenden auch für die Vollstreckung gegen bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie es die Beschwerdeführerin als geöffnete Betriebskrankenkasse ist, soweit sie die Androhung eines Ordnungsgelds betrifft (BSG SozR 2200 § 517 RVO Nr 11).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs 2 VwGO (vgl dazu Hauck in Zeihe, aaO, nach § 197 a SGG, § 154 VwGO Rdnr 6 -m).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 20.08.2006
Zuletzt verändert am: 20.08.2006