Der Bescheid der Beklagten vom 21.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2013 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.12.2007 nacherhebt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte. Der Streitwert des Verfahrens beträgt 17.234,28 EUR. I.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung, das in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 bei der Arbeitsentgeltberechnung für Leiharbeitnehmer die mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit (CGZP) vereinbarten Tarifverträge zu Grunde legte und auf die so ermittelten Entgelte die Sozialversicherungsbeiträge abführte.
Die Beklagte erhob mit bestandskräftigem Bescheid vom 28.05.2009 für den Prüfzeitraum vom 01.01.2005 bis 31.12.2008 eine Beitragsnachforderung von 495,64 Euro wegen eines kurzfristig Beschäftigten und der U2-Umlage.
Ab dem 19.11.2012 führte die Beklagte für den Zeitraum vom 01.12.2005 bis 31.12.2009 eine (erneute) Betriebsprüfung durch. Mit Bescheid vom 21.02.2013 in der Fassung vom 26.06.2013 stellte die Beklagte eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 17234,28 Euro fest. Die Bestätigung der Tarifunfähigkeit der CGZP mit Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10, BAGE 136, 302) habe die Unwirksamkeit der von ihr geschlossenen Tarifverträge zur Folge. Damit komme es in Anwendung des § 10 Abs. 4 AÜG dazu, dass die bei der Klägerin beschäftigten Leiharbeitnehmer den Lohn beanspruchen könnten, der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde. Dieser Arbeitsentgeltanspruch sei Grundlage der Beitragsberechnung. Es seien Beschäftigtengruppen nach Entleihern gebildet und für jede Gruppe das Lohndifferential ermittelt worden. Die Klägerin habe sich kooperativ verhalten und maßgebliche Unterstützung bei der Aufbereitung der Daten geleistet. Von daher würden keine Säumniszuschläge erhoben. Es greife die 30-jährige Verjährungsfrist, weil die Klägerin zumindest bedingt vorsätzlich trotz Kenntnis von der Unwirksamkeit der CGZP-Tarifverträge zu niedrige Sozialversicherungsansprüche abgeführt habe.
Zur Begründung der am 23.09.2013 erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, der bestandskräftige Prüfbescheid vom 28.05.2009 sperre weitere Beitragsnacherhebungen für den gleichen Prüfzeitraum. Der Bescheid könne nur unter den Vorraussetzungen des § 45 SGB X zurückgenommen werden. Darüber hinaus sei die Forderung der Beklagten verjährt und das Schätzungsverfahren zur Beitragsermittlung sei rechtsfehlerhaft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 21.02.2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2013 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid weiterhin für rechtmäßig. Ab der Entscheidung des BAG vom 14.10.2010 habe bei der Klägerin zumindest bedingter Vorsatz vorgelegen. Der Beschluss des BAG habe erhebliche Öffentlichkeitswirkung erzielt und sei ebenso wie die vorinstanzlichen Entscheidungen in der Branche der Arbeitnehmerüberlassung eingehend diskutiert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten erweist sich als rechtswidrig, soweit die Beklagte von der Klägerin Sozialversicherungsbeiträge für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.12.2007 erhebt. Diese Beiträge sind verjährt.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Die Beitragsansprüche für Dezember 2005 sind nach § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV in der bis zum 31.12.2005 geltenden Fassung im Januar 2006 fällig geworden. Damit endete die vierjährige Verjährungsfrist für Beitragsansprüche ab dem 01.12.2005 am 31.12.2010. Seit dem 01.01.2006 werden Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen sind, spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig, in dem die Beschäftigung, mit der das Arbeitsentgelt erzielt wird, ausgeübt worden ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Damit sind die von der Klägerin für die Zeit bis zum 31.12.2007 zu entrichtenden Beiträge zum 31.12.2011 verjährt. Da mit Beginn der Betriebsprüfung am 19.11.2012 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 SGB IV die Verjährung gehemmt worden ist, hat die Beklagte die vierjährige Verjährungsfrist für die ab 01.01.2008 zu entrichtenden Beiträge gewahrt.
Die Beklagte kann sich nicht auf die 30-jährige Verjährungsfrist berufen. Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV verjähren Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge in 30 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind.
Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass ein der Beklagten obliegender Nachweis für ein vorsätzliches Vorenthalten von Beiträgen durch die Klägerin nicht gelungen ist. Der Beklagten ist zwar darin zuzustimmen, dass auch ein bedingter Vorsatz die lange Verjährungsfrist begründet. Es reicht aus, dass der Beitragspflichtige seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat. Vorsatz muss nicht schon im Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge vorliegen. Wenn noch während des Laufs der vierjährigen Verjährungsfrist Vorsatz eintritt, genügt dies zur Anwendung der 30-jährigen Verjährung.
Damit wäre es zwar grundsätzlich möglich, dass die Klägerin noch im Dezember 2010 infolge der BAG-Entscheidung vom 14.12.2010 erkannt hätte, dass sie seit Dezember 2005 für die Beschäftigung ihrer Leiharbeitnehmer höhere Löhne und auch höhere Sozialversicherungsbeiträge schuldete. Anders als in Fällen der Schwarzarbeit sind vorliegend für die betroffenen Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden, streitig war lediglich die zutreffende Höhe. Aus dem Beschluss des BAG vom 14.12.2010 (a.a.O.) ließen sich konkrete sozialversicherungsrechtliche Schlussfolgerungen insbesondere für den zurückliegenden Zeitraum seit 2005 nicht mit hinreichender Sicherheit ziehen, zumal das BAG den Gegenwartsbezug seiner Entscheidung betonte und erst im Mai 2012 endgültig feststellte, dass die CGZP auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11.12.2002 und vom 05.12.2005 nicht tariffähig war (BAG, Beschluss vom 23.05.2012, Az.: 1 AZB 58/11, BAGE, 141, 382).
Die Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid keine individuellen tatsächlichen Feststellungen getroffen, die gleichwohl die Annahme eines zumindest bedingten Vorsatzes des Geschäftsführers der Klägerin rechtfertigen könnten (Zu diesem Erfordernis: LSG NRW, Beschluss vom 11.12.2012, Az.: L 8 R 640/12 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2012, Az.: L 8 R 164/12 B ER). Allein der Hinweis auf die allgemeine öffentliche Diskussion der Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 recht insoweit nicht aus (S.a. SG Detmold, Urteil vom 29.01.2014, Az.: S 6 R 1181/12). Es wurde mit dieser Entscheidung zwar deutlich, dass das bisherige Geschäftsmodell der Branche künftig nicht mehr tragfähig war. Dies begründete aber im Dezember 2010 noch keinen zumindest bedingten Vorsatz dahingehend, dass auch für die zurückliegende Zeit seit 2005 Sozialversicherungsbeiträge vorenthalten worden waren. Im Übrigen hat auch die Beklagte noch bis November 2012 gebraucht, die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung bezogen auf die Klägerin umzusetzen und eine Betriebsprüfung aufzunehmen.
Der Geschäftsführer der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung bekundet, die BAG-Entscheidung im Dezember 2010 zwar zur Kenntnis genommen zu haben, die beitragsrechtlichen Konsequenzen für die Vergangenheit aber noch nicht abgesehen zu haben. Diese Einlassung hält die Kammer insbesondere im Hinblick auf den Gegenwartsbezug der BAG-Entscheidung vom 14.12.2010 für plausibel.
Für die Zeit vom 01.01.2008 bis 31.12.2009 erfolgt die Beitragserhebung auf der Grundlage des sog. equal pay- Prinzips im Rahmen einer Betriebsprüfung gemäß § 28 p Abs. 1 SGB IV zu Recht. Die Kammer folgt insoweit der angefochtenen Entscheidung der Beklagten und sieht in Anwendung des § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Im Hinblick auf die Klagebegründung wird ergänzend darauf hingewiesen, dass die Bestandskraft des Bescheides vom 28.05.2009 betreffend den Prüfzeitraum bis zum 31.12.2008 der Nachforderung von Beiträgen für denselben Zeitraum nicht entgegen steht und dieser Bescheid auch nicht nach § 45 SGB X zurückgenommen werden braucht. Der Bescheid enthält den ausdrücklichen Hinweis auf eine stichprobenhaft durchgeführte Prüfung und beanstandet hier nicht streitgegenständliche Mängel. Auch nach Sinn und Zweck der Betriebsprüfung besteht keine Bindungswirkung des Vorbescheides. Betriebsprüfungen sichern im Interesse der Versichertengemeinschaft die ordnungsgemäße Beitragsentrichtung. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung im Sinne des Schutzes der Arbeitgeber vor weitergehenden Beitragsforderungen oder der Erteilung einer "Entlastung" kommt der Betriebsprüfung nicht zu (LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2012, Az.: L 8 R 164/12 B ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 22.03.2013, Az.: L 1 KR 14/13 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.03.2014, Az.: L 1 R 40/14 B ER; S.a. BSG, Urteil vom 30.10.2013, Az.: B 12 AL 2/11 R, SozR 4 – 2400 § 27 Nr. 5).
Schließlich ist die Beklagte in Anwendung des § 28f Abs. 2 SGB IV berechtigt, die Beitragsnachforderung auf der Basis einer Schätzung des Entgeltanspruchs nach den Grundsätzen des "equal pay" geltend zu machen, da die Klägerin keine konkreteren Aufzeichnungen zur Verfügung stellen kann. Denn es obliegt der Klägerin, ihren Aufzeichnungspflichten auch dahingehend zu genügen, den geschuldeten beitragspflichtigen equal pay – Lohn zu dokumentieren (S.a. LSG NRW, Beschluss vom 10.05.2012, Az.: L 8 R 164/12 B ER). Berechnungsfehler der Beklagten sind weder von der Klägerin substantiiert vorgetragen worden noch der Kammer ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und § 155 Abs. 2 VwGO. Der Streitwert entspricht der Beitragsforderung der Beklagten.
Erstellt am: 12.09.2014
Zuletzt verändert am: 12.09.2014