Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.04.2012 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei unverändert bleibender, die in der Urkunde des Notars X vom 11.08.2010 festgeschriebenen Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers gegenüber seiner Tochter M S bis zum 31.08.2012 i. H. v. 225,00 Euro monatlich und ab 01.09.2012 i. H. v. 272,00 Euro monatlich vorläufig als Absetzbetrag von dem zu berücksichtigenden Einkommen des Antragstellers im Rahmen der ihm nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen bewilligten SGB II Leistungen in Abzug zu bringen. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Dem Antragsteller wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I, E, bewilligt.
Gründe:
I.
Im zugrundeliegenden Verfahren streiten die Beteiligten darüber, ob bei der Berechnung der dem Antragsteller bewilligten Leistungen nach dem SGB II monatliche Unterhaltszahlungen als Absetzbetrag vom Einkommen des Antragstellers in Abzug zu bringen sind.
Der Antragsteller steht seit Februar 2010 in Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Bei deren Berechnung wurde die in der Urkunde des Notars Dr. X zunächst bis 31.08.2012 festgeschriebene Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers i. H. v. 225,00 Euro – ab 01.09.2012 272,00 Euro – berücksichtigt. Dies erfolgte auf einen Widerspruch des Antragstellers mit Abhilfebescheid vom 10.03.2011.
Auf den Fortzahlungsantrag vom 12.01.2012 hin erließ der Antragsgegner den Bescheid von 31.01.2012, mit dem dem Antragsteller von Januar 2012 an Leistungen ohne Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung bewilligt wurden. Dem widersprach der Antragsteller und machte geltend, sein anzurechnendes Einkommen sei in Höhe des Kindesunterhalts von 225,00 Euro zu berücksichtigen.
Am 21.03.2012 beantrage er beim Sozialgericht Düsseldorf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, zu deren Begründung hat er die Berechnung der beantragten Leistungen beanstandet.
Mit Beschluss vom 17.04.2012 hat das Sozialgericht Düsseldorf den Antrag abgelehnt. Zwar habe der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, da ihm nach den Berechnungen des Antraggegners mehr als 10 Prozent der monatlichen Regelleistung fehlten, an der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs mangele es hingegen. Der Antragsteller könne im Rahmen der Selbsthilfe ohne weiteres erwirken, dass er keinen oder nur noch einen geringeren Unterhalt zahlen müsse. Zu dieser Selbsthilfe sei er vom Antragsgegner mehrfach aufgefordert worden, sie könne dergestalt aussehen, dass der Antragsteller vor Gericht eine Änderung des notariellen Unterhaltstitels erwirke. Der vorgelegte Titel sei nicht geeignet, die geleisteten Unterhaltszahlungen als Absetzungsbetrag geltend zu machen. Zwar sehe § 11 b Abs. 1 Nr. 7 SGB II vor, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen sein, jedoch könne diese Vorschrift für eine notariell beurkundete Unterhaltsverpflichtung nur dann und nur in der Höhe gelten, wenn diese Unterhaltsverpflichtung mindestens annähernd der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung und den entsprechenden Beträgen zum Selbstbehalt entspreche. Weiche die in der notariellen Unterhaltsvereinbarung getätigte Unterhaltsverpflichtung deutlich und erkennbar vom gesetzlich geschuldeten Unterhalt ab, so könne vom Antragsteller verlangt werden, dass er eine Abänderung der Unterhaltsvereinbarung entweder in notarieller Form oder vor Gericht erwirke. Insoweit weiche das Gericht von der Entscheidung des Bundessozialgerichts – BSG – vom 09.11.2010 – B 4 AS 78/10 R – ausdrücklich ab. Das Bundessozialgericht habe der Problematik deutlich rechtswidriger Unterhaltsvereinbarung zu Lasten der Grundsicherungsträger keinen ausreichenden Raum gewährt. Der Gesetzgeber habe im Übrigen bei der Abfassung der Vorschrift des § 11 b Abs. 1 Nr. 7 SGB II unbeachtet gelassen, dass Unterhaltsvereinbarungen notariell beurkundet werden könnten, ohne dass der Notar die Rechtmäßigkeit dieser Vereinbarung prüfe.
Gegen den seinen Bevollmächtigten am 23.04.2012 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 26.04.2012. Das Gericht weiche mit seiner Entscheidung von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab, in der überzeugend ausgeführt worden sei, dass der Gesetzgeber sich bewusst für eine typisierende und nicht auf die materielle Unterhaltsschuld abstellende Regelung entschieden habe, bei der es ausreiche, dass eine vollstreckbare Unterhaltsurkunde vorliege. Eine Abänderung der Unterhaltsvereinbarung sei nur im Wege einer Abänderungsklage möglich, im Übrigen habe der Antragsteller sich auch nicht mutwillig zu Lasten der Antraggegnerin zu der Unterhaltszahlung verpflichtet. Er sei vielmehr mehrfach vom Antragsgegner aufgefordert worden, die Zahlung des Unterhalts durch eine notarielle Vereinbarung nachzuweisen.
Der Antragsgegner hingegen hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Die BSG-Entscheidung, die das Sozialgericht zitiert habe, sei vorliegend nicht einschlägig. Im zu Grunde liegenden Fall beruhe der Titel lediglich auf einer notariellen Urkunde, während es im BSG-Verfahren um eine Unterhaltsurkunde eines Jugendamtes gegangen sei. Hierzu habe das Bundessozialgericht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass vor Erstellung einer solchen Urkunde eine fachkundige, familienrechtliche Beratung erfolge, an der es jedoch bei einer notariellen Urkunde mangele.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht ist das Sozialgericht davon ausgegangen, der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht und deshalb den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Entscheidung ist mit den gesetzlichen Grundlagen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar. § 11 b Abs. 1 Nr. 7 SGB II sieht vor, dass Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag vom Einkommen abzusetzen sind. Bereits der Wortlaut dieser Vorschrift ist eindeutig. Eine notarielle Unterhaltsvereinbarung hat der Antragsteller vorgelegt. Ausweislich seiner vom Senat angeforderten Erklärung vom 10.07.2012 hat der Antragsteller den Unterhalt auch tatsächlich geleistet. Die Zahlungen erfolgten auch zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltspflichten.
Die grundsätzliche Anknüpfung der Höhe des abzusetzenden Unterhaltsbetrages an den titulierten Unterhaltsanspruch folgt aus dem Wortlaut des § 11 b Abs. 1 Nr. 7 SGB II (früher § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II). Indem der Gesetzgeber des SGB II für die Höhe des vom Einkommen abzusetzenden Unterhaltsbetrages an dem in einem Unterhaltstitel festgesetzten Unterhaltsanspruch als Obergrenze für die Berücksichtigung der Unterhaltszahlung als Abzugsbetrag anknüpft, unterstellt er im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendbarkeit der SGB II Vorschriften zur Einkommensberücksichtigung typisierend, dass ein nach Maßgabe der §§ 1601 ff. BGB gegebener Unterhaltsanspruch auch in der festgelegten Höhe besteht. Es bedarf daher regelmäßig keiner eigenen Feststellungen des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder der Sozialgerichte zur Höhe des Unterhaltsanspruchs (BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 78/10 R – Juris Ausdruck RBZ 16). Die abweichende Auffassung des Sozialgerichts, nach der eine Unterhaltsverpflichtung nur dann besteht, wenn sie den entsprechenden Beträgen der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung und denen zum Selbstbehalt entspricht, ist damit widerlegt. Ungeachtet dessen hat das Sozialgericht in seiner Entscheidung überhaupt nicht dargelegt, von welchen Beträgen es überhaupt ausgeht. Dies wäre aber Voraussetzung gewesen, um überzeugend festzustellen, dass hier ein Missverhältnis der vereinbarten Unterhaltszahlung und der tatsächlich möglichen gegeben ist.
Soweit der Antragsgegner die Ansicht vertritt, die Entscheidung des BSG vom 09.11.2010 (a. a. O.) sei vorliegend nicht einschlägig, weil es bei notariellen Urkunden an einer fachkundigen familienrechtlichen Beratung und Beachtung der unterhaltsrechtlichen Grundsätze im Vorfeld fehle, beruht dies auf einem falschen Verständnis der Entscheidung des Bundessozialgerichts. Das BSG hat grundsätzlich an den Gesetzeswortlaut angeknüpft, der vom Vorliegen eines Unterhaltstitels oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung ausgeht. Soweit es darüber hinaus im Zusammenhang mit Urkunden des Jugendamtes ausführt, die Anknüpfung an einen titulierten Anspruch gelte auch für durch Jugendamtsurkunden titulierte Unterhaltsansprüche, weil beim Jugendamt die Befugnis zur Anfertigung solcher Urkunden nur Beamten oder Angestellten übertragen sein können, die wegen ihrer Kenntnisse des deutschen und ausländischen Familienrechts dafür geeignet seien, so ist dies einzig als Erklärung dafür anzusehen, dass überhaupt die Urkunde eines Jugendamtes als Unterhaltstitel angesehen wird. Üblicherweise sind Titel nur gerichtliche Entscheidungen und die der Notare, die als Amtspersonen zu deren Anfertigung befugt sind. Nur hierauf bezieht sich die Erläuterung des BSG, bei der Anerkennung von Jugendamtsurkunden sei zu berücksichtigen, dass sie nur von besonders versierten Beamten oder Angestellten, die Kenntnisse im Familienrecht besitzen, ausgestellt worden seien. Ein allgemeiner Grundsatz, dass diese Voraussetzungen auch an notariell beurkundete Unterhaltsvereinbarungen zu stellen sind, lässt sich dem nicht entnehmen.
Der Senat folgt darüber hinaus auch den Ausführungen des BSG, es könne dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit der Pflicht zu Eigenaktivitäten nach § 2 SGB II bzw. dem Subsidaritätsgrundsatz des § 3 Abs. 3 SGB II unabhängige Sanktions- bzw. Kürzungsmöglichkeiten entnommen werden könnten, weil § 11 b Abs. 1 Nr. 7 SGB II die vom Kläger gewählte Gestaltungsform ausdrücklich zulässt. (BSG a. a. O., Jurisausdruck Rdz. 23).
Abschließend, ohne dass das jedoch für das Ergebnis entscheidend ist, weist der Senat darauf hin, dass der Antragsgegner die in der Unterhaltsvereinbarung festgelegte monatliche Zahlung auch bis zum streitigen Zeitraum berücksichtigt hat und dann ohne nähere Begründung von dieser Praxis abgewichen ist. Soweit der Antragsgegner sich darauf beruft, die Unterhaltsvereinbarung könne schon deshalb nicht greifen, weil sie im August 2010 rückwirkend ab März 2010 geschlossen worden sei, ist dieser Einwand irrelevant, da der streitige Zeitraum vorliegend im Februar 2012 beginnt und damit von der Unterhaltsvereinbarung, die ab 01.09.2012 monatliche Zahlungen i. H. v. 272,00 Euro vorsieht, erfasst wird.
Hinsichtlich des Anordnungsgrundes folgt der Senat den Ausführungen des Sozialgerichts.
Der Leistungsbeginn war festzusetzen mit dem Eingang des Antrags bei Gericht. Die Unterhaltzahlungen sind solange zu berücksichtigen, wie der Antragsteller die monatlichen Zahlungen tatsächlich erbringt und die Unterhaltsvereinbarung nicht wirksam abgeändert aufgehoben wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Dem Antragsteller war für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da er aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten des Verfahrens aufzubringen und das Verfahren hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 73 a SGG, 114 ff. ZPO).
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 23.08.2012
Zuletzt verändert am: 23.08.2012