L 20 B 240/06 AS
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 08.08.2006 geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab dem 27.07.2006 bis zum Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung, längstens jedoch bis zur Exmatrikulation der Antragstellerin aus ihrem jetzigen Studium der Sozialwissenschaften an der Universität F, als Darlehen zu gewähren. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für beide Rechtszüge. Der Antragstellerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen und für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, G-straße 00, F, zu ihrer Vertretung beigeordnet.
Gründe:
Zu Unrecht hat das Sozialgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II verneint. Nach dieser Vorschrift können Auszubildenden, deren Leistungsanspruch nach dem SGB II wegen Absolvierens einer Ausbildung i.S. des Satzes 1 der Vorschrift grundsätzlich ausgeschlossen ist, in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden.
Die Antragstellerin erfüllt die Voraussetzungen für solche darlehensweisen Leistungen; bei ihr handelt es sich um einen "Härtefall" i.S.d. § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Sie hat im Rahmen ihres Zweitstudiums ihre Diplomarbeit bereits eingereicht, wartet nunmehr lediglich auf deren Bewertung und die anschließende mündliche Prüfung (Kolloquium); im Anschluss an dieses Kolloquium wird sie exmatrikuliert (mit der Folge, dass dann der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II von vornherein nicht mehr greifen kann). Zwar ist dem Sozialgericht zuzustimmen, dass nicht notwendig ein Härtefall vorliegt, wenn wegen Befindens in der Examensphase in Kürze mit dem Abschluss eines Studiums zu rechnen ist. Maßgeblich für die Auslegung des Begriffs der besonderen Härte muss sein, dass Leistungen nach § 7 Abs. 5 SGB II nicht zu einer Ausbildungsförderung auf einer zweiten Ebene werden. Bei aller Typisierung (z.B. Krankheit, Behinderung, Kindeserziehung während des Studiums) ist der Einzelfall im Blick zu behalten. Die besondere Härte liegt im Fall der Antragstellerin vielmehr bereits darin, dass der Erfolg einer jahrelangen Ausbildung aus kurzfristiger wirtschaftlicher Existenznot vereitelt zu werden droht mit der Folge, dass die Ausbildung auch im späteren Arbeitsleben keine tragfähige Grundlage für die Bestreitung des Lebensunterhalts mehr sein könnte (dementsprechend und noch darüber hinausgehend sieht etwa Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2005, § 7 Rn 47 einen Härtefall – bereits immer – dann, wenn ein Student sich in der Examensphase befindet).
Die Antragstellerin ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin auch aktuell nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt anders als durch die begehrten Leistungen zumutbar sicherzustellen. Zwar hat sie während ihres bisherigen Studiums ihren Lebensunterhalt durch Nebentätigkeiten und später durch Unterstützungsleistungen ihrer in U studierenden Schwester sichern können. Unterstützungsleistungen durch die Schwester sind jedoch derzeit nicht mehr möglich, weil diese sich aktuell selbst im Fach Psychologie in der Examensphase (Anfertigen der Examensarbeit) befindet; sie kann daher nicht etwa durch eigene Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt zusätzlich für die Antragstellerin noch erwirtschaften. Einen eigenen Nebenjob hat die Antragstellerin derzeit nicht inne. Ob sie mit Blick auf das unmittelbar bevorstehende Kolloquium darauf verwiesen werden könnte, einen solchen aufzunehmen, kann offenbleiben. Denn nach den konkreten Umständen des vorliegenden Falles ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass sie kurzfristig eine solche Nebentätigkeit aufnehmen könnte. Die grundsätzliche Fähigkeit der Antragstellerin zu einer Berufstätigkeit beseitigt im Übrigen ihre Hilfebedürfigkeit nicht, sondern wird von § 7 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II für Leistungen nach dem SGB II sogar vorausgesetzt.
Die Beschränkung der Verpflichtung der Antragsgegnerin längstens bis zur Exmatrikulation der Antragstellerin nimmt Rücksicht auf den nach einer solchen Exmatrikulation wieder offen stehenden Weg für einen Antrag auf reguläre Leistungen nach dem SGB II. Dabei geht der Senat davon aus, dass die Exmatrikulation unmittelbar im Anschluss an die mündliche Prüfung von der Antragstellerin herbeigeführt wird. Der Senat geht trotz der Befristung der Verpflichtung der Antragsgegnerin auf das Ende des Monats der gerichtlichen Entscheidung ferner davon aus, dass diese bei unverändertem Sachverhalt ggf. auch danach weiterhin Leistungen darlehensweise erbringen wird. Dass die Antragstellerin gehalten ist, sich um ein zügiges Beenden ihres in der Endphase befindlichen Studiums zu bemühen, bedarf keiner weiteren Begründung.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Prozeskostenhilfeentscheidung folgt aus § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 12.12.2006
Zuletzt verändert am: 12.12.2006