Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.09.2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner wendet sich gegen seine einstweilige Verpflichtung zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an den Antragsteller. Er hält die Beigeladene für leistungspflichtig.
Der am 00.00.1996 geborene Antragsteller zog aufgrund von Konflikten mit seinen Eltern am 18.05.2014 aus dem elterlichen Haushalt aus und wohnt im Elternhaus eines Freundes. Er besucht ein Berufskolleg und erhält mit Ausnahme des an ihn weitergeleiteten Kindergeldes keine finanziellen Zuwendungen.
Am 20.05.2014 sprach der Antragsteller beim Tagesdienst des Jugendamts der Beigeladenen vor. Er berichtete von "Stress zuhause und in der Schule" und äußerte den Wunsch, "eine Therapie" machen zu wollen. Dem Antragsteller wurden Kontaktdaten mitgeteilt, hinsichtlich des Wunsches nach schulischer Begleitung und Hilfe zum selbständigen Wohnen wurde der Vorgang an das zuständige Sozialraumteam weitergeleitet.
Am 23.05.2014 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Am 26.06.2014 beantragte der Antragsteller bei der Beigeladenen "Hilfe nach dem SGB VIII". Mit Bescheid vom 09.07.2014 bewilligte der Beigeladene dem Antragsteller gem. §§ 41, 35 SGB VIII für die Zeit vom 07.07.2014 bis auf Weiteres Leistungen der Jugendhilfe "in Form von Hilfe für junge Volljährige in Verbindung mit intensiver sozialpädagogischer Einzelfallhilfe".
Der Antragsgegner teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 17.07.2014 mit, dass er nicht beabsichtige, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erbringen, weil der Beigeladene als Kostenträger auch für Unterhaltsleistungen angesehen werde. Daraufhin informierte die sozialpädagogische Einrichtung, die die Betreuung im Auftrag der Beigeladenen durchführt (Fa. M gGmbH), dass es sich bei der Hilfe weder um eine stationäre Betreuung handelt, noch eine 24-Stunden Erreichbarkeit eines Betreuers sichergestellt sei. Mit Schreiben vom 24.07.2014 informierte die Beigeladene den Antragsteller, dass die Kosten des Lebensunterhalts von ihr nicht sichergestellt werden.
Mit (zwei) Bescheiden vom 21.07.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Abdeckung des Regelbedarfs für die Zeit vom 18.05.2014 bis zum 06.07.2014. Für die anschließende Zeit lehnte der Antragsgegner die Leistungsbewilligung ab, da der Antragsteller im Hinblick auf vorrangige Leistungen nach dem SGB VIII nicht hilfebedürftig sei.
Am 24.07.2014 hat der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu zahlen. Er erhalte nur das Kindergeld von seinen Eltern und sei im Übrigen mittellos.
Der Antragsgegner hat gemeint, der Antragsteller sei nicht mittellos, weil er einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen gegen die Beigeladene habe. Gem. § 39 SGB VIII sei bei der Erbringung von intensiver sozialpädagogischer Einzelbetreuung auch der notwendige Unterhalt im Wege der Jugendhilfe sicherzustellen. Dieser Anspruch verdränge Ansprüche nach dem SGB II.
Die Beigeladene hat gemeint, aus der Gesamtschau der in § 39 SGB VIII genannten Hilfen ergebe sich, dass der notwendige Unterhalt im Rahmen der Jugendhilfe nur sicherzustellen sei, wenn die Hilfe in voll- oder teilstationärer Form erbracht werde.
Mit Beschluss vom 03.09.2014 hat das Sozialgericht Köln den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, dem Antragsteller den Regelbedarf nach § 20 Abs. 3 SGB II unter Anrechnung des Kindergeldes ab dem 24.07.2014 bis zum Eintritt der Rechtskraft in der Hauptsache, jedoch längstens bis zum 31.01.2015 zu zahlen. Es hat sich auf das Urteil des VG Düsseldorf vom 21.09.2009 – 19 K 3853/08 gestützt. Die vom Beigeladenen gewährte reduzierte Form der sozialpädagogischen Einzelbetreuung löse die Annexleistung des § 39 SGB VIII nicht aus. Ein Anspruch auf Unterhaltsleistungen entstehe nur, wenn die Jugendhilfe zusammen mit einer Unterbringung des Hilfeempfängers vollstationär oder teilstationär erbracht werde. Dies sei bei einer lediglich stundenweisen Unterstützung nicht der Fall.
Gegen diese am 04.09.2014 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 19.09.2014 erhobene Beschwerde des Antragsgegners, dessen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der Senat bereits abgelehnt hat (Beschluss vom 29.09.2014).
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht und in zutreffendem Umfang hat das Sozialgericht den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zur Deckung des Regelbedarfs zu zahlen.
Der Antragsteller erfüllt die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II greift nicht, da es sich bei dem Schulbesuch nicht um eine nach dem Vorschriften des BAföG abstrakt förderbare Ausbildung handelt (§ 2 Abs. 1a BAföG; eine Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 1a S. 2 BAföG ist bislang nicht ergangen; vgl. hierzu auch Bayerischer VGH Beschluss vom 18.02.2013 – 12 C 12.2665; OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 19.03.2012 – 12 A 2601/11).
Im Gegensatz zur Meinung des Antragsgegners ist der Antragsteller auch hilfebedürftig i.S.d. § 9 SGB II.
Den Leistungsträgern nach dem SGB II ist es verwehrt, Leistungen im Hinblick auf anderweitige Sozialleistungen, die aber nicht zufließen, zu verweigern. Ist ein SGB II-Leistungsträger der Meinung, dass ein Antragsteller einen anderweitigen Anspruch auf Sozialleistungen hat, hat er diesen aufzufordern, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Stellen Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen erforderlichen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht, können die Leistungsträger nach dem SGB II den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen (§ 5 Abs. 3 S. 1 SGB II). Nach Zubilligung der anderen Leistung kann der Leistungsträger nach dem SGB II einen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff SGB X geltend machen. Eine Verneinung der Hilfebedürftigkeit (und damit letztlich das Austragen eines Zuständigkeitsstreits auf dem Rücken des Hilfebedürftigen) sieht das Gesetz nicht vor.
Abgesehen davon ist der Antragsgegner im vorliegenden Fall zuständiger Leistungsträger. Der Antragsteller hat keinen i.S.d. § 10 Abs. 3 S. 1 SGB VIII vorrangigen Anspruch gegen die Beigeladene.
Gem. § 41 Abs.1, Abs. 2 SGB 8 erhalten junge Volljährige Hilfe, für deren Ausgestaltung u.a. §§ 33 – 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend gelten mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt. In Anwendung dieser Vorschrift wird dem Antragsteller intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 SGB VIII bewilligt. Wird Hilfe nach § 35 SGB VIII erbracht, so ist gem. § 39 Abs. 1 SGB VIII auch der notwendige Unterhalt des jungen Volljährigen außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Der Unterhalt umfasst die Kosten für den Sachaufwand sowie für die Pflege und Erziehung des jungen Erwachsenen.
Dem Antragsteller steht hiernach kein Anspruch auf Unterhaltszahlung gegen den Beigeladenen zu.
Der Beigeladene erbringt an den Antragsteller lediglich ambulante Hilfen. Der Antragsteller ist nicht in Anwendung jugendhilferechtlicher Vorschriften außerhalb des Elternhauses untergebracht, sondern wohnt aus eigener Initiative in einer Gastfamilie. Außerhalb einer Unterbringung ist eine Jugendhilfeleistung allenfalls dann einer stationären oder teilstationären Leistung gleichzusetzen, wenn die Betreuung mit der Betreuung in einer stationären Einrichtung vergleichbar ist. Dies ist indes nicht der Fall. Mit einer Leistungsgewährung von sechs Stunden wöchentlich kommt die dem Antragsteller bewilligte Hilfe einer stationären Hilfe nicht annähernd gleich. Es handelt sich um ambulante Hilfe.
Schon nach dem Wortlaut von § 39 SGB VIII ist ein Unterhaltsanspruch bei ambulanten Hilfen ausgeschlossen. Nur wenn der Unterhalt des Kindes, Jugendlichen oder – wie hier – jungen Volljährigen im Rahmen der Jugendhilfe außerhalb des Elternhauses sicherzustellen ist, beinhaltet die Jugendhilfeleistung auch Unterkunft und Verpflegung. Dies ist bei ambulanten Hilfen in aller Regel nicht der Fall (VG Düsseldorf Urteil vom 21.09.2009 – 19 K 3853/08 Rn. 33). Der Ausschluss der Unterhaltsleistungen bei ambulanten Hilfen wird durch systematische Erwägungen bestätigt. § 39 SGB VIII knüpft an voll- bzw. teilstationäre Hilfen zur Erziehung an (so auch von Koppenfels-Spies jurisPK § 39 Rn. 6; Wiesner in Wiesner SGB VIII § 39 Rn 7 – 9; Fischer in Schellhorn/Fischer/Mann Kern SGB VIII § 39 Rn. 9). Es handelt sich hierbei um die Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32 SGB VIII), die Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) sowie die Heimerziehung bzw. sonstige betreute Wohnformen nach § 34 SGB VIII (von Koppenfels-Spies jurisPK § 39 SGB VIII Rn. 6). Zwar nimmt § 39 SGB VIII auch die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 in Bezug, wie ein Vergleich mit den anderen in Bezug genommenen Betreuungsformen verdeutlicht, muss es sich hierbei jedoch um eine Betreuungsintensität handeln, die einer Unterbringung außerhalb des Elternhauses in Anwendung der §§ 32 bis 34 SGB VIII gleichkommt. Auch Sinn und Zweck von § 39 SGB VIII bestätigen dieses Ergebnis. Obwohl die Sicherstellung des notwendigen Unterhalts an sich Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. der Sozialhilfe ist, normiert das SGB VIII mit § 39 einen Anspruch auf Gewährung des notwendigen Unterhalts gegen einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Damit soll verhindert werden, dass der Leistungsberechtigte nach dem SGB VIII sich wegen Unterhaltsleistungen an das Jobcenter bzw. das Sozialamt wenden muss (von Koppenfels-Spies jurisPK § 39 SGB VIII Rn. 11). Eine solche Notwendigkeit stellt sich nur, wenn die Jugendhilfe über ambulante Hilfen hinaus stationär oder teilstationär erbracht wird. Nur dann ist der Betroffene so in das Leistungssystem der Jugendhilfe eingebunden, dass ein Wechsel des Leistungsträgers untunlich erscheint.
Ungeachtet dieser Beantwortung der Zuständigkeitsfrage ist der Antragsgegner ohnehin erstangegangener Leistungsträger i.S.d. § 43 Abs. 1 SGB I und damit gem. § 43 Abs.1 S. 2 SGB I vorläufig zur Erbringung von Leistungen verpflichtet. Zwar hatte der Antragsteller bereits am 20.05.2014 Kontakt mit der Beigeladenen. Nach dem Vermerk über diese Vorsprache hatte der Antragsteller jedoch bei dieser Vorsprache noch nicht konkret um die Zahlung von Geldleistungen nachgesucht. Es handelte sich lediglich – im Anschluss an eine sozialpädagogische Intervention in der Familie im Jahre 2011 – um eine sozialpädagogische Beratung. Die maßgebliche Beantragung von konkreten Leistungen nach dem SGB VIII erfolgte erst am 26.06.2014. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Antragsteller bereits Leistungen nach dem SGB II beantragt.
Schließlich steht eine Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 21.07.2014 einer Verpflichtung des Antragsgegners nicht entgegen. Mangels eines "Ab-Vermerks" auf dem in der Verwaltungsakte befindlichen Doppel des Bescheides ist nicht feststellbar, ob und ggfs. seit wann der Bescheid aufgrund der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II als bekannt gegeben gilt. Zudem dürfte jedenfalls im vorliegenden Fall der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung des anwaltlich nicht vertretenen Antragstellers ohne Zweifel auch als Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.07.2014 auszulegen sein (vergl. bereits Beschluss des Senats vom 29.09.2014 – L 19 SF 706/14 ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 19.11.2014
Zuletzt verändert am: 19.11.2014