Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 31.10.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob das für den erwachsenen Sohn B gezahlte Kindergeld auf das Einkommen des Kindergeldberechtigten anzurechnen ist. B lebt mit den Antragstellern im gemeinsamen Haushalt. Er bezieht Grundsicherungsleistungen nach § 41ff SGB XII.
Mit Bescheid vom 26.06.2006 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) unter Anrechnung von Kindergeld in Höhe von 308,00 EUR für die beiden Söhne der Antragsteller zu 1) und 2). Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit ihrem Widerspruch vom 26.07.2006, weil sie mit einer Reduzierung ihrer Regelleistung aufgrund des für B gewährten Kindergeldes nicht einverstanden waren. Ihr Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 27.11.2006 zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass das für den Sohn B gezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 EUR auf das Einkommen der Antragsteller zu 1) und 2) anzurechnen sei.
Die Antragsteller haben am 05.09.2006 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und zur Begründung vorgetragen, dass die Anrechnung des an die Eltern gezahlten Kindergeldes wegen der Behinderung des Sohnes B auf die der Bedarfsgemeinschaft zustehenden Leistungen rechtswidrig sei. Sie haben sich insoweit auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15.10.1999 bezogen, wonach Eltern behinderter Kinder das Kindergeld nach §§ 62, 63, 32 Einkommensteuergesetz (EStG) dann zustehe, wenn der Unterhalt des behinderten Kindes nicht ohne die eigene Leistungsfähigkeit des Kindes gesichert sei. Sie haben darauf hingewiesen, dass durch die Behinderung des Sohnes B unzweifelhaft ein Mehrbedarf vorhanden sei und dass das für diesen Sohn gezahlte Kindergeld schon wegen der Zweckrichtung nicht auf das Einkommen der Antragsteller zu 1) und 2) anzurechnen sei.
Die Antragsteller haben beantragt,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragstellern die ihr zustehenden Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens aus dem wegen der Behinderung ihres volljährigen Sohnes B gezahlten Kindergeldes zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie vertritt die Auffassung, dass es keinen Grund gebe, das den Antragstellern für B gewährte Kindergeld nicht als Einkommen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 31.10.2006 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen und im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt, dass der Bescheid vom 26.06.2006 bestandskräftig geworden sei, da die Antragsteller dagegen kein Rechtsmittel eingelegt hätten. Ein Antrag auf Überprüfung des bestandskräftig gewordenen Bescheides nach § 44 des Sozialgesetzbuches Zehnter Teil (SGB X ) sei offensichtlich noch nicht gestellt worden. Ein Anordnungsanspruch sei somit nicht gegeben. Darüber hinaus bestehe auch kein Anordnungsgrund, weil eine Eilbedürftigkeit, wie es der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraussetze, nicht gegeben sei. Die von den Antragstellern geforderte Leistung, nämlich Nichtanrechnung des Kindergeldes in Höhe von 154,00 EUR als Einkommen auf den Bedarf der Antragsteller, liege unter 20 Prozent des Regelsatzes der Antragsteller. Der Gesetzgeber gehe in § 31 Abs. 3 SGB II davon aus, dass eine Reduzierung des Regelsatzes auf 70 Prozent dem Betroffenen noch das zum Leben Unerlässliche belasse.
Gegen den am 08.11.2006 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 22.11.2006 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht mit Beschluss vom 22.11.2006 nicht abgeholfen hat. Zur Begründung vertiefen sie ihre Auffassung, dass aus der gesetzlich intendierten Zweckverwendung des "Schwerbehinderten-Kindergeldes" dieses anders als nach § 77 BSHG gemäß § 11 Abs. 3 SGB II nicht auf das Einkommen der Antragsteller zu 1) und 2) angerechnet werden dürfe. Im Übrigen verweisen die Antragsteller auf die neuere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anrechnung von Kindergeld bei erwachsenen Kindern und betonen, dass ein sachlicher Unterschied zu dem höchstrichterlich entschiedenen Fall bestehe. Vorliegend sei in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Sohn B um einen behinderten Menschen handele. Außerdem wenden sich die Antragsteller gegen die Auffassung des Sozialgerichts, dass ein Anordnungsgrund nicht bestehe, wenn den Antragstellern 70 bis 80 Prozent der Regelleistung verblieben.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin unter Aufhebung des Beschlusses vom 31.10.2006 zu verpflichten, den Antragstellern die ihr zustehenden Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens aus dem wegen der Behinderung ihres volljährigen Sohnes B gezahlten Kindergeldes zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass das auch für den volljährigen Sohn B gezahlte Kindergeld Einkommen des Antragstellers zu 1) sei.
II.
Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.
Im Ergebnis hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.
Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stand nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 26.06.2006 entgegen. Denn schon durch die Entscheidung zur Sache im Widerspruchsbescheid vom 27.11.2006 ist bereits die vom Sozialgricht angenommene Bestandskraft des Ausgangsbescheides durchbrochen worden.
In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts nicht, dass ein Anordnungsgrund bereits dann zu verneinen ist, wenn einer Bedarfsgemeinschaft 70 bis 80 Prozent des Regelsatzes vorläufig zur Verfügung stehen. Im Anschluss an den Beschluss des 9. Senats vom 29.09.2005 (L 9 B 49/05 AS ER) entspricht es einer gefestigten Rechtsprechung auch des 20. Senats des LSG NRW, grundsätzlich bei Vorliegen eines glaubhaft gemachten Anordnungsanspruchs die Regelleistungen in Höhe von 100 Prozent vorläufig zu bewilligen. Die Entscheidung über das Vorliegen eines Anordnungsgrundes kann jedoch letztlich dahinstehen, weil die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht haben.
Das Kindergeld in Höhe von monatlich 154,00 EUR, das für den behinderten, volljährigen Sohn B gezahlt wird, ist auf den Bedarf der Antragsteller zu 1) und 2) anzurechnen.
Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit den näher im Gesetz umschriebenen Ausnahmen, die hier nicht einschlägig sind. Satz 3 bestimmt: Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können. Grundsätzlich hieße das, dass der 24-jährige B zur Bedarfsgemeinschaft gehören würde. Da er jedoch Leistungen nach §§ 41ff. SGB XII erhält, ist der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ausgeschlossen (§ 5 Abs. 2 SGB II). Dies hat zur Folge, dass Kindergeld Einkommen der kindergeldberechtigten Antragsteller zu 1) und 2) bleibt, weil das Kindergeld nicht dem Kind selbst gewährt wird, sondern dem in § 62 Abs. 1 Satz 1 EStG bezeichneten Anspruchsberechtigten (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 19.03.2007, L 20 SO 94/06). In diesem Urteil hat der Senat ebenfalls ausgeführt, dass aus dem Zweck der Kindergeldgewährung keine von dieser Anspruchsberechtigung unabhängige Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen des Kindes selbst zu entnehmen sei. Aus der steuerlichen Regelung des Kindergeldes (§§ 31, 62ff. EStG) hat der Senat den Schluss gezogen, dass dem Kindergeld auch keine allein am Kind selbsthaftende Zweckbestimmung zukommt, wie sich schon aus der Gesetzesüberschrift zu § 31 EStG "Familienlastenausgleich" ergebe. Wenn die Vorschrift des § 1 Nr. 8 Alg II-V nicht eingreife, sei Kindergeld für volljährige Kinder des Hilfebedürftigen als Einkommen des Kindes nicht anzurechnen. Da das SGB XII eine vergleichbare Regelung nicht kenne, hat der Senat die Auffassung vertreten, dass an volljährige, behinderte Kinder auch nach dem SGB XII Kindergeld auf deren Bedarf nicht anzurechnen sei. Folgte man der Auffassung der Antragsteller, so wäre das Kindergeld weder auf die Leistungen nach SGB II noch als Konsequenz der Auffassung des Senates auf die Leistungen des Sohnes B anzurechnen. Damit wäre das Kindergeld Einkommen, das weder nach dem einen noch nach dem anderen Leistungsgesetz bedarfsmindernd anzurechnen wäre, was mit der gesetzlichen Systematik, wonach Kindergeld auf jeden Fall Einkommen ist, nicht zu vereinbaren wäre. Insofern sind die Leistungen der Antragsteller zu Recht um das Kindergeld für den Sohn B gekürzt worden. Eine andere Sichtweise wäre nur angezeigt, wenn das Kindergeld als zweckbestimmte Leistung nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II nicht dem Einkommen zuzurechnen wäre. Durch die systematische Verortung des Kindergeldes in § 11 Abs. 1 S.3 SGB II ist allerdings klargestellt, dass Kindergeld (anrechenbares) Einkommen ist (vgl. Brühl in Münder, Sozialgesetzbuch II, 2. Aufl. § 11 Rdrn. 19 f), was auch dem bisherigen sozialhilferechtlichen Verständnis von Kindergeld entspricht (vgl. dazu zur bisherigen Rechtsprechung: Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2005, § 82 Rdnr.18).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechen Anwendung des § 193 SGG
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 22.05.2007
Zuletzt verändert am: 22.05.2007