Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 24.06.2008 aufgehoben.
Die Sache wird an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob der Klägerin (höhere) Mehrbedarfsleistungen wegen kostenaufwändiger Ernährung zustehen.
Die am 00.00.1958 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Bis Ende 2007 wurden auch Leistungen wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung in monatlicher Höhe von 35,79 EUR bewilligt.
Mit einem auf den 27.02.2007 datierten Antrag auf einem "Zusatzblatt 8/Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung" erklärte die Klägerin, sie habe bereits mit Antrag vom 09.12.2004 einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung geltend gemacht. Beigefügt war eine Bescheinigung des praktischen Arztes F, V, vom 16.03.2007. Danach besteht bei der Klägerin ein Diabetes mellitus (nicht näher spezifiziert, ob Typ I mit konventioneller Insulintherapie oder Typ IIa), eine Hyperlipidämie, eine Hypertonie und eine Hyperurikämie/Gicht. Es müsse Diabeteskost, lipidsenkende Kost, natriumdefinierte Kost und purinreduzierte Kost eingenommen werden. Die Krankenkost sei ärztlich verordnet; es handele sich um eine Dauererkrankung.
Mit Schreiben vom 03.08.2007 teilte der Ehemann der Klägerin der Beklagten mit, die Klägerin und er hätten am 20.03.2007 jeweils Anträge wegen der Kosten für einen Mehraufwand bei der Ernährung sowie ärztliche Bescheinigungen eingereicht. Er bitte nochmals, beim ärztlichen Dienst nachzufragen, wie der Stand der Dinge sei.
Der medizinische Dienst der Beklagten (Dr. T) führte in einer gutachterlichen Äußerung vom 20.04.2007 aus, durch die vom behandelnden Arzt der Klägerin bescheinigten Krankheiten entstehe kein Mehrbedarf. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 15.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007 – W 1406/07 lehnte die Beklagte einen Antrag der Klägerin ab.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein mit der Begründung, für mehrere ärztlich bescheinigte Erkrankungen könnten auch mehrere Mehrbedarfsleistungen beansprucht werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.10.2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ausweislich eines vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe entwickelten Begutachtungsleitfadens verursachten die Erkrankungen der Klägerin bei der Ernährung keinen höheren Bedarf, als er bereits durch die Regelleistungen gedeckt sei. Beim Diabetes mellitus sei eine optimale Einstellung auf der Basis einer ausgewogenen Mischkost und des Verzichts auf teilweise kostenintensive Diätprodukte ohne Mehrkosten zu erreichen. Bei der Fettstoffwechselstörung (Hyperlipidämie) sei eine lipidsenkende Kost mit deutlicher Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem tierischen Fetten wie in Wurst und Fleisch, bei einem Austausch durch pflanzliche Fette mit vergleichsweise hohem Ballaststoffanteil erforderlich. Auch durch diese Diät entstünden keine Mehrkosten. Bei einer Bluthochdruckerkrankung (Hypertonie) werde heute eine mäßig kochsalzreduzierte Kostform unter Verzicht auf Zusalzen und unter Vermeidung besonders salzreicher Speisen für richtig erachtet. Auch hierdurch entstünden keine Mehrkosten. Auch bei einer Harnstoffwechselstörung (Gicht) sei eine besonders kostenaufwändige Ernährung nicht nötig. Es sei vor allem auf das Weglassen des Verzehrs von Innereien, auf den Verzicht auf Alkoholkonsum und auf einen möglichst verminderten Fleischkonsum zu verweisen.
Hiergegen hat die Klägerin, nunmehr vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, am 26.11.2007 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben. Mit der Klageschrift hat sie mitgeteilt, Antragstellung und Begründung blieben einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Der Bevollmächtigte, dem nach Klageerhebung antragsgemäß von der Beklagten Akteneinsicht gewährt worden war, wurde in der Folgezeit unter dem 21.02.2008 und dem 25.03.2008 an die Begründung der Klage erinnert. Mit Schreiben vom 23.04.2008 teilte ihm das Sozialgericht mit, für die Begründung der Klage werde letztmalig eine Frist bis zum 20.05.2008 gesetzt; danach sei beabsichtigt, die Klage durch Gerichtsbescheid abzuweisen. Eine Reaktion der Klägerin bzw. ihres Bevollmächtigten erfolgte hierauf nicht.
Mit Gerichtsbescheid vom 24.06.2008 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, ohne zuvor die Verwaltungsakten beigezogen zu haben. Sie sei unzulässig, weil ein Rechtsschutzinteresse nicht habe festgestellt werden können. Zwar könne davon ausgegangen werden, dass die Klägerin durch ihren Antrag behaupte, in ihrem rechtsgeschützten Interesse verletzt zu sein. Die Behauptung reiche jedoch nicht aus; es müssten Tatsachen für die Behauptung dazu vorgetragen werden. Wenn auch an die Substantiierungspflicht keine hohen Anforderungen gestellt werden dürften, so sei doch zu erwarten, dass die Forderung jedenfalls andeutungsweise begründet werde, zumal die Klägerin anwaltlich vertreten worden sei. Es fehle jedoch gänzlich an einer Begründung.
Gegen den am 05.07.2008 zugestellten Gerichtsbescheid hat die weiterhin durch denselben Bevollmächtigten vertretene Klägerin am 30.07.2008 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Beklagte habe ihren Einzelfall und die bei ihr bestehenden besonderen Gegebenheiten nicht berücksichtigt, sondern lediglich eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt, die allgemein auf bestimmte Fragen bezogen gewesen sei. Eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. F sei nicht eingeholt worden. Es hätte geprüft werden müssen, ob es sich in ihrem Falle um so schwerwiegende Erkrankungen handele, dass sie aus medizinischen Gründen Einfluss auf die Ernährungserfordernisse hätten. Wenn bei ihr von den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Deutscher Verein) bezüglich eines Mehrbedarfs für Krankenkost abgewichen worden sei, hätte dies nur geschehen dürfen, wenn durch ein Gutachten nachgewiesen worden wäre, dass Zusatzkosten nicht ausgelöst würden. Sowohl der Beklagten als auch dem Sozialgericht fehle die Fachkompetenz für ein Abweichen von den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Bei dem von der Beklagten herangezogenen Begutachtungsleitfaden, an dem möglicherweise nicht einmal weitere Fachwissenschaftler (insbesondere Ernährungswissenschaftler) mitgearbeitet hätten, handele es sich um einen Leitfaden eines Leistungsträgers und nicht um denjenigen einer unabhängigen Organisation. Demgegenüber habe die Bezugnahme des Gesetzgebers auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Krankenkostzulage diese zu einer Art antizipierten Sachverständigengutachtens mit "normähnlichen Auswirkungen‘" gemacht. Demgegenüber dürfte der von der Beklagten ohne kritische Auseinandersetzung herangezogene Begutachtungsleitfaden ein "antizipiertes Parteigutachten" sein, das nicht verwertbar sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 24.06.2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2007 zu verurteilen, der Klägerin kumulierende Leistungen wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung ab 27.02.2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, die Klägerin sei mit ihrem jetzigen Vorbringen nach § 157 i.V.m. § 106a Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) präkludiert. Eine Entschuldigung für die erstinstanzlich ausgebliebene Klagebegründung sei nicht vorgetragen worden. Dass bei fehlender Klagebegründung kein Rechtsschutzbedürfnis vorliege, ergebe sich auch aus § 102 SGG, wonach bei fehlender Klagebegründung von einer Klagerücknahme ausgegangen werden könne. Im Übrigen sei die Klage jedenfalls unbegründet. Die Klägerin habe keinerlei Nachweise dafür beigebracht, welche besondere Kostform sie einhalte und aus welchem Grund damit Mehrkosten verbunden seien. Insbesondere gebe es keinen von einem Arzt oder einer Ernährungsberatung aufgestellten Diätplan. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins seien nach jüngerer Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gerade kein antizipiertes Sachverständigengutachten. Zur Klärung im Einzelfall sei gerade die gutachterliche Stellungnahme des ärztlichen Dienstes eingeholt worden.
Der Senat hat die Beteiligten mit Schreiben vom 19.11.2008 auf die mittlerweile überarbeiteten "Empfehlungen zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" des Deutschen Vereins (Stand: 01.10.2008) hingewiesen.
Die Klägerin trägt im Anschluss daran weiter vor, den Empfehlungen sei zu entnehmen, dass ein Mehrbedarf für sog. Vollkost bzw. spezielle Ausformungen von Vollkost (lipidsenkende, purinreduzierte bzw. natriumdefinierte Kost oder Diabeteskost) in der Regel zu verneinen sei. Ein Mehrbedarf bestehe jedoch bei verzehrenden Erkrankungen und gestörter Nahrungsaufnahme bzw. Nährstoffverwertung; dort allerdings sei die empfohlene Kost ebenfalls sog. Vollkost. Ein krankheitsbedingter Mehrbedarf sei in der Regel nur bei schweren Verläufen anzunehmen sowie dann, wenn besondere Umstände vorlägen. Erkrankungen, die einer stark auf den Einzelfall ausgerichteten Diät bedürften, etwa bei Nahrungsmittelallergien oder -unverträglichkeiten, seien bei den Empfehlungen gar nicht berücksichtigt. Fraglich sei auch, ob die Empfehlungen Mehrfacherkrankungen, welche Vollkost in verschiedene Richtungen – wie bei ihr: Diabeteskost, natriumdefinierte Kost, lipidsenkende Kost und purinreduzierte Kost – beträfen, berücksichtigt hätten. Es müsse also dabei verbleiben, dass in ihrem Einzelfall ein Mehrbedarf zu prüfen sei. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins seien weder als Rechtsnormen noch als antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen. Sie könnten im Regelfall zur Konkretisierung des Mehrbedarfs herangezogen werden; maßgeblich blieben jedoch stets die im Einzelfall medizinisch begründeten tatsächlichen Kosten für eine besondere Ernährung (BSG, Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 64/06 R). Es sollten deshalb die behandelnden Ärzte befragt werden, ob bei ihr in Abweichung von den Empfehlungen des Deutschen Vereins ein Mehrbedarf bestehe und ggf. in welcher Höhe. Sollten die Ärzte dazu nicht in der Lage sein, sollte ein medizinisches und/oder ernährungswissenschaftliches Gutachten eingeholt werden.
Die Beklagte trägt daraufhin weiter vor, nach den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins bestehe bei den Erkrankungen der Klägerin kein ernährungsbedingter Mehrbedarf. Es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ihre Situation von dem in den Empfehlungen zugrunde gelegten Regelfall abwichen. Im Übrigen liege bereits eine die individuellen Verhältnisse der Klägerin berücksichtigende gutachterliche Stellungnahme vor, nach der ein Mehrbedarf nicht bestehe. Die Klägerin habe sich nicht die Mühe gemacht, detailliert darzulegen, in welcher Hinsicht die von ihr einzuhaltende Ernährungsform von der im Regelfall empfohlenen Vollkost abweiche und in welcher Höhe insoweit Mehrkosten entstünden. Vor diesem Hintergrund bestehe kein Anlass für weitere Begutachtungen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Der Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.
Nach § 159 Abs. 1 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn (Nr. 1) dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, (Nr. 2) das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet oder (3.) nach dem Erlass des angefochtenen Urteils neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die für die Entscheidung wesentlich sind.
1. Ob die seit Einlegung der Berufung zwischenzeitlich veröffentlichten aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Krankenkostzulage in der Sozialhilfe eine neue Tatsache i.S.v. § 159 Abs. 1 Nr. 3 SGG darstellen, die eine Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht erlauben, lässt der Senat offen.
2. Denn es liegen jedenfalls die Zurückverweisungsgründe des § 159 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGG vor.
a) Das Sozialgericht hat zum einen i.S.v. § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG die Klage abgewiesen, ohne in der Sache selbst zu entscheiden. Dies ergibt sich zwar nicht aus dem sozialgerichtlichen Tenor, jedoch aus den Entscheidungsgründen. Das Sozialgericht ist davon ausgegangen, ein Rechtsschutzinteresse für die Klage sei nicht festzustellen, da die Klage nicht einmal andeutungsweise begründet worden sei. Dementsprechend hat es, wie es in Entscheidungsgründen ausdrücklich ausführt, die Klage als unzulässig angesehen und damit keine Entscheidung in der Sache selbst getroffen. Zwischenzeitlich wurde im Berufungsverfahren umfangreich zur Begründung der Klage vorgetragen; dieser Vortrag kann nunmehr für eine Entscheidung in der Sache berücksichtigt werden.
b) Darüber hinaus leidet das sozialgerichtliche Verfahren nach Ansicht des Senats an einem wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG.
Zwar hat der Bevollmächtigte der Klägerin trotz mehrfacher, zuletzt unter Fristsetzung erfolgter Erinnerungen des Sozialgerichts sich nicht mehr zur Sache gemeldet und dem Sozialgericht damit keine Ausführungen zur Klagebegründung vorgelegt. Auch ein Hinweis auf ein Abwarten neuer Empfehlungen des Deutschen Vereins ist von Seiten des Klägers (anders als vom Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen und anders als im parallelen Verfahren des Ehemannes der Klägerin geschehen) nicht erfolgt. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass eine derartige (Nicht-) Bearbeitung eines eingeleiteten Klageverfahrens mit der anwaltlichen Pflicht zu sachgerechter Interessenvertretung und Prozessförderung kaum in Einklang zu bringen ist.
Dass deshalb, wovon das Sozialgericht ausgeht, ein Rechtsschutzinteresse nicht feststellbar sei, trifft jedoch zumindest angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles der Klägerin nicht zu. Denn wenn das Sozialgericht diesbezüglich zur Voraussetzung für eine Entscheidung in der Sache machen will, dass "die Forderung jedenfalls andeutungsweise begründet wird", so war im Falle der Klägerin bereits daraus, dass sie sich gegen den Bescheid vom 15.08.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2007 wendet, bei verständiger Betrachtung ohne weiteres ersichtlich, was die Klägerin mit ihrer Klage verfolgt: Sie begehrt ab Antragstellung (höhere) Leistungen wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung.
Auch ohne (ausdrückliche) schriftsätzliche Antragsformulierung und Klagebegründung hätte das Sozialgericht deshalb nach Beiziehung der Verwaltungsakte der Beklagten und Kenntnisnahme von den angefochtenen Bescheiden – ggf. nach Durchführung gerichtlicher Ermittlungen – in der Sache selbst entscheiden können. Dass es dies nicht getan hat, sondern die Klage als unzulässig abgewiesen hat, lässt den deutlichen Eindruck entstehen, dass das Sozialgericht bei offensichtlichem Klageziel die (vorwerfbar) nachlässige Bearbeitung durch den Bevollmächtigten der Klägerin als Vorwand genommen hat, einer Entscheidung in der Sache und dem dazu ggf. notwendigen umfangreicheren vorbereitenden Vorgehen aus dem Wege zu gehen und sich durch einen kurzen Prozess der Sache zu entledigen.
Denn in der Sache selbst wäre, wie nach Klageerhebung und der – dem Sozialgericht durch Beiziehung der Verwaltungsakten ohne weiteres möglich gewesenen – Kenntnisnahme des angefochtenen Bescheides unmittelbar ersichtlich geworden wäre, ein umfangreicheres Verfahren notwendig gewesen: Bis zur Entscheidung des Sozialgerichts am 24.06.2008 lagen die (zum 01.10.2008) aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins zu Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe nicht vor. Die bis dahin vorliegenden älteren Empfehlungen des Deutschen Vereins sahen Mehrbedarfsleistungen bei den für die Klägerin attestierten Erkrankungen gerade vor (vgl. hierzu die Tabelle bei Lang/Knickrehm, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., 2008, § 21 Rn. 53), was zur Gewährung der Zulagen an die Klägerin bis Ende 2007 geführt haben dürfte. Gleichzeitig nehmen die Gesetzesmaterialien gerade auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins Bezug (BT-Drucks. 15/1516, S. 57). Es bestand also (jedenfalls) seinerzeit eine Diskrepanz zwischen den vom Gesetzgeber berücksichtigten und von der Beklagten in der Vergangenheit auch angewandten Empfehlungen des Deutschen Vereins und dem von der Beklagten für den angefochtenen Bescheid nunmehr herangezogenen Begutachtungsleitfaden. Eine Entscheidung des Sozialgerichts hätte sich hiermit auseinandersetzen müssen; zuvor hätte das Gericht darüber hinaus zu prüfen gehabt, ob es wegen dieser Diskrepanz vor einer Entscheidung Ermittlungen nach §§ 103, 106 SGG würde anstellen müssen. Die sich deshalb abzeichnenden Probleme bei der Entscheidungsfindung hätten es überdies mit Blick auf die Frage des gesetzlichen Richters kaum erlaubt, durch Gerichtsbescheid der Kammersitzenden ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter zu entscheiden; denn die Sache wäre nicht als i.S.v. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG unschwierig einstufbar gewesen.
Das Verfahren und die Entscheidung des Sozialgerichts rechtfertigen sich im Übrigen keineswegs etwa nach § 102 Abs. 2 SGG in der seit dem 01.04.2008 geltenden Fassung. Danach gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt (Satz 1). Der Kläger ist in der Aufforderung u.a. auf die sich aus Satz 1 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen (Satz 3). Gilt die Klage als zurückgenommen, so stellt das Gericht nach § 102 Abs. 3 SGG dies auf Antrag durch unanfechtbaren Beschluss fest und entscheidet über die Kosten, soweit diese entstanden sind. Das Sozialgericht hat von dieser verfahrensrechtlichen Möglichkeit gerade keinen Gebrauch gemacht; es hat vielmehr dem Kläger lediglich eine Begründungsfrist (von deutlich unter drei Monaten) gesetzt und sodann durch Gerichtsbescheid über die Klage (durch Prozessentscheidung) entschieden. Auch eine Verfahrensweise nach § 106a SGG (gültig seit 01.04.2008) hat das Sozialgericht nicht gewählt. Denn es hat keinesfalls Vortrag des Klägers zur Sache selbst als präkludiert zurückgewiesen, sondern hat ohne jeglichen klagebegründenden Vortrag durch bloße Prozessentscheidung über die Klage entschieden.
3. Liegen deshalb Zurückverweisungsgründe i.S.v. § 159 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG vor, so übt der Senat das ihm insoweit zustehende Ermessen im Sinne einer Zurückverweisung aus. Insofern hat der Senat zwischen den Interessen der Beteiligten an einer möglichst schnellen Sachentscheidung einerseits und dem Verlust einer Instanz andererseits abzuwägen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., 2008, § 159 Rn. 5). Die Deutlichkeit der verfahrensfehlerhaften Behandlung durch das Sozialgericht, das in der ersten Tatsacheninstanz jegliche Prüfung in der Sache umgangen hat (s.o. 2.), führt dazu, dass eine Zurückverweisung in diese Instanz den im Interesse der Rechtssuchenden bestehenden prozeduralen Anforderungen an das sozialgerichtliche Verfahren angemessener erscheint als eine Erstbearbeitung der Klage in der Sache erst durch das Landessozialgericht.
Das Sozialgericht wird deshalb unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich zur Klagebegründung erfolgten Vortrags der Klägerin, der aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins sowie der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 27.02.2008 – B 14/7b AS 32/06 R) erneut und nunmehr in der Sache selbst zu entscheiden haben. Ob es vor einer Entscheidung mit Blick auf die zum 01.10.2006 aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins noch Ermittlungen nach §§ 103, 106 SGG durchzuführen hat, wird es pflichtgemäß zu prüfen haben. Es wird darüber hinaus auch über die Kosten des bisherigen Berufungsverfahrens zu entscheiden haben.
4. Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. 160 Abs. 2 SGG bestehen nicht.
Erstellt am: 24.04.2009
Zuletzt verändert am: 24.04.2009