Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 30.05.2007 abgeändert. Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt G N, I, beigeordnet.
Gründe:
I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines auf § 31 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gestützten Absenkungsbescheides.
Die 1947 geborene Klägerin erhält nach vorherigem Bezug von Sozialhilfe von der Beklagten seit dem 01.01.2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 19.09.2005 erhielt die Klägerin von der Beklagten eine Aufforderung zur persönlichen Vorsprache. Konkret heißt es in dem genannten Schreiben:
" Bitte kommen Sie am 26.09.2005 um 10:00 Uhr in die/das Arbeitsgemeinschaft für die Stadt I in I, G-str. 0, Zimmer 0.
Dies ist eine Einladung nach § 59 Zweites Sozialgesetzbuch (SGB II) in Verbindung mit § 309 Drittes Sozialgesetzbuch (SGB III). Beachten Sie bitte unbedingt auch die Rechtsfolgenbelehrung und die weiteren Hinweise auf der Rückseite".
Am 27.09.2005 sprach die Klägerin bei der Beklagten vor und erklärte, sie sei zum Termin vom 26.09.2005 nicht erschienen, weil die sich im Datum vertan habe.
Mit Bescheid vom 27.09.2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der ihr zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II werde für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis 31.12.2005 um 10 vom Hundert der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des ihr zustehenden Auszahlungsbetrages, abgesenkt, da sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu dem Meldetermin am 26.09.2005 nicht erschienen sei. Die bei der Vorsprache vom 27.09.2005 dargelegten Umstände könnten bei Abwägung der persönlichen Einzelinteressen mit denen der Allgemeinheit nicht als wichtig im Sinne des § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II anerkannt werden.
Zur Begründung ihres Widerspruchs vom 11.10.2005 trug die Klägerin vor, sie habe den Termin nur deshalb versäumt, weil sie stark weitsichtig sei und über eine passende Brille zurzeit nicht verfüge. Es sei ihr finanziell auch nicht möglich, eine neue Brille zu erwerben. Sie habe geglaubt, der Termin fände am 28. September statt, erst ihrer Tochter sei der Irrtum am 27. September aufgefallen. Das leichte Versehen rechtfertige, insbesondere da es sich um einen Erstverstoß handele, keinesfalls eine Regelsatzkürzung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2006 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, dass bloße Vergessen des Meldetermins stelle keinen wichtigen Grund dar.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage vom 07.02.2006 hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest.
Das Sozialgericht hat den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 30.05.2007 abgelehnt. Zur Begründung mangelnder Erfolgsaussicht hat das Sozialgericht ausgeführt, die Tatsache, dass die Klägerin den Termin mangels Brille nicht habe lesen können, stelle keinen objektiv wichtigen Grund dar. In diesem Falle müsse die Klägerin dafür Sorge tragen, dass sie, wenn sie den Brief nicht selbst lesen könne, von dem Inhalt des Schreibens Kenntnis erlangen.
Mit ihrer Beschwerde vom 04.07.2007 beruft sich die Klägerin auf eine Unverhältnismäßigkeit der Absenkung, die sich auch daraus ergebe, dass es sich um ein erstes Versäumnis gehandelt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitsstandes wird auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten sowie der Prozessakte verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 11.06.2007), ist begründet. Der Klage gegen den Bescheid vom 27.09.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2006 kann hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) nicht abgesprochen werden.
Der Senat teilt zwar die Auffassung des Sozialgerichts und der Beklagten, dass der Irrtum der Klägerin über das Datum der von der Beklagten verlangten Meldung keinen wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 2 SGB II darstellt, der ein Absehen von der in dieser Norm geregelten Sanktion rechtfertigt. Die obligatorische (vgl. etwa Berlit in LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 RdNr. 72) Absenkung der Regelleistung um 10% stellt sich als leistungsrechtliche Reaktion auf weniger gewichtige Obliegenheitsverletzungen dar (vgl. Berlit, a.a.O.). Dem Leistungsempfänger ist es zuzumuten, ein Aufforderungsschreiben zur Meldung mit der nötigen Sorgfalt zu lesen und ggf. ein hinreichendes Verständnis sicherzustellen. Die Vorschrift des § 31 Abs. 2 SGB II erfasst ihrem Regelungsgehalt nach gerade erstmalige Obliegenheitsverletzungen. Die Absenkung der Regelleistung um 10% stellt sich insoweit nicht als unverhältnismäßig dar. Auch die mit der Aufforderung zur Wahrnehmung des Meldetermins verbundene Belehrung (vgl. zur Zulässigkeit einer solchen Verknüpfung Berlit, a.a.O., RdNr. 75) über die Rechtsfolgen dürfte den Anforderungen aus § 31 Abs. 6 S. 4 SGB XII genügen. Insbesondere ist der Hinweis enthalten, dass während der Absenkung der Leistungen kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des 12. Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) besteht.
Das Aufforderungsschreiben zur Meldung begegnet allerdings insoweit Bedenken, als ein Meldezweck nicht benannt wird. Die Beklagte beschränkt sich darauf mitzuteilen, dass es sich um eine Einladung nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III handelt. Gemäß § 59 SGB II sind die Vorschriften über die allgemeine Meldepflicht aus § 309 SGB III für die Bezieher von Arbeitslosengeld II entsprechend anwendbar. § 309 SGB III normiert eine allgemeine Meldepflicht. Gemäß § 309 Abs. 2 SGB III kann die Aufforderung zur Meldung zum Zwecke
der Berufsberatung,
Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit,
Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen,
Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und
Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch
erfolgen. Für das SGB III entspricht es insoweit einer weit verbreiteten Auffassung, dass der konkrete Meldezweck zumindest stichwortartig zu benennen ist. Ansonsten komme eine Säumniszeit nicht in Betracht (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.09.2002, L 8 AL 855/02 m.w.N.). Auch in der einschlägigen Literatur zu § 31 SGB II wird vertreten, dass die Meldeaufforderung einen nach § 309 SGB III zulässigen Zweck bezeichnen muss (Berlit, a.a.O., RdNr. 74). Diese Rechtsfrage ist bisher zumindest für das SGB II nicht geklärt (vgl. aber Landessozialgericht Hamburg, Beschluss vom 13.02.2007, L 5 B 43/07 ER AS; Sozialgericht Münster, Beschluss vom 18.09.2006, S 3 AS 136/06 ER).
Damit wirft der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt eine Rechtsfrage auf, die bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist. Auch in einem derartigen Fall ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen (vgl. Keller/Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 73a RdNr. 7b m.w.N. insbesondere zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsrechts).
Kosten sind nicht zu erstatten, § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 09.08.2007
Zuletzt verändert am: 09.08.2007