Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.03.2014 wird zurückgewiesen. Der Tenor wird klarstellend abgeändert und wie folgt neu gefasst: Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des Regelbedarfs nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ab dem 16.01.1014 (Tag der Antragstellung) bis zum 31.07.2014 zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im Beschwerdeverfahren. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe nach § 119 Abs. 1 S. 2 Zivilprozessordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus J bewilligt.
Gründe:
Die Beschwerde des Antragsgegners ist unbegründet.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d. h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 -1 BvR 569/05 -, BVerfGK 5,237 = NVwZ 2005, Seite 927¸ Keller in: Meyer-Ladewig u.a., Kommentar zum SGG, 10. Auflage 2012 zu § 86 b Rn. 29 a).
Die Entscheidung des Sozialgerichts (SG) vom 26.03.2014, nach der der Antragsgegner verpflichtet worden ist, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vorläufig unter Beschränkung der Leistungen auf den Regelbedarf zu gewähren, ist nicht zu beanstanden.
Das Vorbringen des Antragsgegners im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Beurteilung. Nach summarischer Prüfung sind die allgemeinen Voraussetzungen der Leistungsgewährung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II gegeben. Die Antragsteller haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und die Antragstellerin zu 1) ist auch erwerbsfähig. Die Antragsteller sind auch hilfebedürftig, da sie weder über eigenes Einkommen noch über Vermögen verfügen, was sie durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht haben. Soweit der Unterhalt möglicherweise zum Teil durch Betteln – auf das sie im Übrigen auch nicht verwiesen werden können, um keine staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen zu müssen – sichergestellt wurde, dürfte dies allein zur Überbrückung einer Notlage erfolgt sein. Gegenteilige Anhaltspunkte liegen nicht vor und sind von dem Antragsgegner auch nicht in substantiierter Form geltend gemacht worden.
Bei der Frage, ob die Antragsteller als rumänische Staatsangehöriger gemäß § 7 Absatz 1 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind , weil sie sich nach derzeitiger Aktenlage allein zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten dürften, oder ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 4 VO (EG) 883/2004 hinter diese zurücktritt, handelt es sich um umstrittene Rechtsfragen, die in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet sind (vgl. etwa gegen der Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.05.2012 – L 19 AS 794/12 B ER unter Berufung auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages; Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 08.05.2012 – S 91 AS 8804/12 ER; LSG NRW, Beschluss vom 02.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER; Schreiber in NZS 2012, Seite 647 ff.; für eine Anwendbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II: SG Berlin, Beschluss vom 11.06.2012 – S 205 AS 11266/12 ER und Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14.05.2012 – S 124 AS 7164/12 ER; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 21.06.2012 – L 20 AS 1322/12 B ER und vom 02.08.2012 – L 5 AS 1297/12 B ER; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.2012 – L 3 AS 1477/11). Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Aktenzeichen B 4 AS 9/13 R geführten Verfahren, in dem Ansprüche von schwedischen Staatsangehörigen streitig sind, entnehmen. Das BSG hat das Verfahren B 4 AS 9/13 R nach Art. 267 Abs. 1 und 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu verschiedenen Fragen einzuholen, u.a., ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004, mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004, auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R).
Aufgrund der Komplexität der Rechtsfragen kann die Rechtslage in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend beurteilt werden, so dass anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden ist (BVerfG -, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05). Diese fällt zugunsten der Antragsteller aus. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragsteller gegen das fiskalische Interesse des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurück zu erhalten, abzuwägen. Das Interesse des Antragsgegners muss im konkreten Fall hinter den Interessen der Antragsteller zurücktreten. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann den Antragstellern im Lichte des in Art. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (LSG NRW, Beschluss vom 03.04.2013 – L 7 AS 2403/12 B). Ohne die beantragten Leistungen drohten bzw. drohen den Antragstellern für den tenorierten Zeitraum existentielle Nachteile, die sie aus eigener Kraft nicht abwenden können, da der Lebensunterhalt nach dem glaubhaft gemachten Vortrag nicht mehr gesichert war. Der Vortrag des Antragsgegners, dass die Antragsteller ihren Lebensunterhalt durch Betteln bestreiten und sichern würden, führt zu keiner anderen Entscheidung. Zum einen liegt keine sichere Erkenntnis darüber vor, ob und in welchem Umfang die Antragsteller betteln und zum anderen erfolgt dies zur Überzeugung des Senats sicherlich nur aus einer Not heraus. Außerdem können die Antragsteller nicht auf die Sicherstellung ihres Lebensunterhaltes durch Betteln verwiesen werden. Der Antragsgegner hat allein finanzielle Nachteile durch die vorläufige Auszahlung der Leistungen. Insbesondere sind die Antragsteller zur Sicherstellung des Existenzminimums wegen der auch diesbezüglich bestehenden klärungsbedürftigen Rechtsfragen auch nicht auf die Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu verweisen (LSG NRW, Beschluss vom 20.12.2012 – L 7 AS 2138/12 B ER).
Bei der vorläufigen Leistungsbewilligung wurde auf den üblichen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten abgestellt (vgl. § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II) und dem Umstand, dass die Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit ihrem Begehren nicht durchdringen sollten und der Antragsgegner seinen Rückforderungsanspruch gegebenenfalls nicht wird realisieren können, Rechnung getragen worden, dass die nachteiligen Folgen auf Seiten des Antragsgegners inhaltlich und zeitlich begrenzt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 12.06.2014
Zuletzt verändert am: 12.06.2014