Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 26.03.2015 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu erstatten. Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. M, F, bewilligt.
Gründe:
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
Zur Begründung verweist der Senat hinsichtlich der Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung.
Ergänzend führt der Senat aus:
Im Gegensatz zur Auffassung des Antragsgegners hat der EuGH die Frage der Wirksamkeit und Reichweite des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im Urteil vom 11.11.2014 – Rechtssache "E" (C-333/13) nicht abschließend geklärt. Diese Entscheidung des EuGH beruht ausdrücklich auf der Feststellung, dass Frau E sich nicht um Arbeit bemüht habe und es sich damit um eine Unionsbürgerin handele, die mit dem Ziel eingewandert sei, in den Genuss von Sozialhilfe zu kommen (Rn. 78 der Entscheidung). Diese Fallgestaltung ist auf die Antragsteller bedingt durch die frühere Arbeitstätigkeit der Antragstellerin zu 1) in Deutschland und ihre glaubhaft erklärte Arbeitsuche nicht übertragbar. Lediglich die Frage, ob das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1, 2 VO (EG) 883/2004 gilt, hat der EuGH über die Fallgestaltung "E" hinausgehend bejahend beantwortet.
Eine Entscheidung des EuGH für Personen, bei denen – wie bei der Antragstellerin zu 1) – die Arbeitsuche zu bejahen ist, steht noch aus (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R; Az. beim EuGH C-67/14, Rechtssache Alimanovic). In seinem Schlussantrag vom 26.03.2015 zu diesem Verfahren empfiehlt der Generalanwalt X, drei Fallgruppen zu unterscheiden (Rn. 87 des Schlussantrags):
1. Den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt und sich dort weniger als drei Monate oder seit mehr als drei Monaten aufhält, ohne jedoch den Zweck der Arbeitsuche zu verfolgen (erste Fallgestaltung),
2. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich zur Arbeitsuche in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats begibt (zweite Fallgestaltung),
3. den Fall eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der sich seit mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält und dort eine Beschäftigung ausgeübt hat (dritte Fallgestaltung).
Die Antragstellerin zu 1) könnte aufgrund ihrer in Deutschland ausgeübten Beschäftigung der dritten Fallgestaltung unterfallen. Für diese Fallgestaltung empfiehlt der Generalanwalt dem EuGH (Rn. 126 des Schlussantrags), die Vorlagefrage des BSG dahingehend zu beantworten, dass Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass er der Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die eine Arbeit im Aufnahmemitgliedstaat suchen, nachdem sie in den dortigen Arbeitsmarkt eingetreten waren, von bestimmten "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 2 der Verordnung 883/2004 automatisch und ohne individuelle Prüfung ausschließt, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten.
Nach diesen Ausführungen, die zwar für den EuGH nicht bindend sind, mindestens aber die Komplexität der Rechtslage verdeutlichen, ist eine Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses gegenüber den Antragsstellern offen. Darüber hinaus hat der Generalanwalt darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates, der im Aufnahmemitgliedstaat erwerbstätig ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat auf der Grundlage allein von Art. 10 der Verordnung Nr. 492/2011 zusteht (Rn. 119 des Schlussantrags). Da der Antragsteller zu 2) nach Aktenlage seit 2012 oder 2013 in Deutschland zur Schule geht, die Antragstellerin zu 1) hier erwerbstätig gewesen ist und die Antragstellerin zu 1) die elterliche Sorge für den Antragsteller zu 2) tatsächlich wahrnimmt, spricht auch dieser Gesichtspunkt für einen Leistungsanspruch.
Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Sie sind unter Berücksichtigung der vorhandenen Einnahmen nicht in der Lage, den Regelbedarf zu decken. Somit drohen ihnen ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwerwiegende Nachteile, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Bei dieser Entscheidung hat der Senat berücksichtigt, dass zwar mangels Anschlussbeschwerde die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zugesprochen werden konnten, aber auch diesbezüglich ein Anordnungsanspruch und -grund vorlagen. Der Senat hat die vormals vertretene Auffassung aufgegeben, ein Anordnungsgrund liege erst vor, wenn Wohnungs- und Obdachlosigkeit drohen, d.h. Räumungsklage erhoben wurde (Beschluss des Senats vom 04.05.2015 – L 7 AS 139/15 B ER). Die Versagung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung führte ansonsten unmittelbar zu einer Bedarfsunterdeckung, die bei glaubhaft gemachter Hilfebedürftigkeit den Kernbereich des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums berührt (in diesem Sinne auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28.01.2015 – L 11 AS 261/14 B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.07.2014- L 10 AS 1393/14 BER, L 10 AS 1394/ B ER PKH).
Den Antragstellern stand für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu (§§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG, 119 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Erstellt am: 04.08.2015
Zuletzt verändert am: 04.08.2015