Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 27.05.2014 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellern für den Monat Mai 2014 Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem zweiten Buch Sozialgesetzbuch jeweils in Höhe von 189,00 EUR und für die Zeit ab 01.06.2014 monatlich in Höhe von jeweils 353,00 EUR jedoch längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin K, F bewilligt. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu den Aktenzeichen S 36 AS 1402/14 ER und L 12 AS 978/14 B ER. Kosten im Beschwerdeverfahren zum Aktenzeichen L 12 AS 979/14 B sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragsteller, geboren am 00.00.1992 bzw. am 00.00.1994 sind rumänische Staatsangehörige. Sie halten sich seit mehr als drei Monaten zur Arbeitsuche in Deutschland auf. Sie verfügen über kein Einkommen und kein Vermögen.
Am 21.01.2014 beantragten sie Leistungen nach dem SGB II. Den Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 26.03.2014 ab. Zwar seien die Antragsteller als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt und dürften sich zur Arbeitsplatzsuche in der Bundesrepublik aufhalten. Leistungen nach dem SGB II seien jedoch in einem solchen Fall gesetzlich ausgeschlossen.
Gegen den Bescheid legten die Antragsteller Widerspruch ein und suchten schließlich – nach weiterem Zuwarten – am 16.05.2014 um einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz nach. Im Hinblick darauf, dass die Rechtsfrage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses bisher nicht hinreichend geklärt sei, sei im Rahmen des einstweiligen Verfahrens aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese ginge zu Gunsten der Antragsteller aus. Ohne die beantragten Leistungen drohten ihnen existenzielle Nachteile, die sie aus eigener Kraft nicht überwinden könnten.
Das Sozialgericht Gelsenkirchen hat den Antrag der Antragsteller mit Beschluss vom 27.05.2014 abgelehnt. Die Antragsteller hätten Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen genügten nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Gericht sei auch nicht im Rahmen der Amtsermittlungspflicht gehalten gewesen, weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben.
Gegen den Beschluss haben die Antragsteller noch am 27.05.2014 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf ihre bisherigen Ausführungen Beschwerde eingelegt. Der Antragsgegner ist dem entgegen getreten. Er habe den gesetzlich normierten Leistungsausschluss zu beachten.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsteller ist auch begründet. Im Rahmen der zu treffenden Folgenabwägung ist der Antragsgegner zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelsatzes ab gerichtlicher Antragstellung vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies ist dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (BVerfG, Beschluss vom 25.10.1988, 2 BvR 174/88). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) von dem jeweiligen Antragsteller glaubhaft gemacht werden, § 86b SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO. Eine Tatsache ist dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen überwiegend wahrscheinlich ist. Die bloße Möglichkeit des Bestehens einer Tatsache reicht noch nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Es genügt jedoch, dass diese Möglichkeit unter mehreren relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B). Die mit einer einstweiligen Anordnung auf die Durchführung einer Maßnahme in der Regel zugleich verbundene Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache erfordert darüber hinaus erhöhte Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und des Grundes, da der einstweilige Rechtsschutz trotz des berechtigten Interesses des Rechtsuchenden an unaufschiebbaren gerichtlichen Entscheidungen nicht zu einer Vorverlagerung der Entscheidung in das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes führen soll. Erforderlich ist mithin das Vorliegen einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine sofortige Entscheidung unumgänglich macht. Soweit es um die Sicherung einer menschenwürdigen Existenz geht, müssen die Gerichte die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen bzw. wenn dies nicht möglich ist, auf der Basis einer Folgenabwägung auf Grundlage der bei summarischer Prüfung bekannten Sachlage entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 830ff mit weiteren Nachweisen, Keller in Mayer Ladewig u.a., SGG, 10. Auflage, § 86b Rn. 29a). Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts über den einschlägigen Antrag (vgl. z.B. Keller in Meyer-Ladewig u.a., 10.Aufl., § 86b Rn 42).
Zunächst hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II zumindest glaubhaft gemacht sind. Die volljährigen, erwerbsfähigen Antragsteller sind insbesondere hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II und haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen wird auch von dem Antragsgegner nicht nachhaltig angezweifelt. Sie sind daher glaubhaft, zumal auch die Einlassungen der Antragsteller auf die Nachfragen des Senats im Beschwerdeverfahren in sich stimmig sind. Es kommt insofern nicht darauf an, ob die Antragsteller das Vorliegen des anspruchsbegründenden Sachverhalts formalrichtig eidesstattlich versichert haben. Denn zur Glaubhaftmachung genügt es, dass die relevanten Tatsachen überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 10. Aufl., § 86b, Rn. 41). Dabei ist die Versicherung an Eides statt nach § 294 Abs. 1 ZPO lediglich eine Möglichkeit der Glaubhaftmachung. Ein formaler Mangel des Beweismittels berührt daher lediglich die in der Beweiswürdigung vorzunehmende Gewichtung des Vorbringens, nicht aber die Beachtlichkeit als solche (Keller a. a. O. Rn. 16 mwN).
Mit den Antragstellern geht der Senat zudem davon aus, dass die Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II zulasten der Antragsteller eingreift und gegen europäisches Recht verstößt, im vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht abschließend geklärt werden kann. Es ist daher im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden, ob den Antragstellern vorläufig Leistungen gewährt werden. Diese Folgenabwägung fällt zu ihren Gunsten aus:
Bei der Prüfung der Frage, ob die Antragsteller als rumänische Staatsangehörige nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind oder ob die Norm aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit des Artikel IV VO (EG) 883/2004 hinter diesen zurücktritt, handelt es sich um eine umstrittene Rechtsfrage, die in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet ist (vgl. hierzu Beschluss des LSG NRW vom 21.05.2014 – L 7 AS 652/14 B ER m. w. N. – und Beschlüsse des erkennenden Senats vom 20.12.2013 – L 12 AS 2265/13 B ER -, vom 19.03.2013 – L 12 AS 1023/13 B ER- und vom 25.06.2014 – L 12 AS 232/14 B ER -). Die Komplexität der gesetzlichen Regelungen unter Berücksichtigung der Einwirkungen der europarechtlichen Rechtsnormen auf die nationalen Gesetze lässt sich auch dem beim BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 9/13 R geführten Verfahren entnehmen. Das BSG hat das Verfahren nach Art. 267 Abs. 1 und 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgesetzt, um eine Vorabentscheidung des EuGH zu verschiedenen Fragen einzuholen, u.a. ob das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 mit Ausnahme des Exportausschlusses des Art. 70 Abs. 4 VO (EG) 883/2004 auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne von Art. 70 Abs. 1 , 2 VO (EG) 883/2004 gilt (BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013- B 4 AS 9/13 R-). Das Votum des Generalanwalts Wathelet zu seinen Schlussanträgen vom 20.05.2014 bei dem EuGH in der Rechtssache zu dem Az. C-333/13 zeigt wiederum in seiner Umfänglichkeit und Komplexität auf, dass die Beurteilung der entscheidenden Rechtsfrage des Leistungsausschlusses offen ist und in dem vorliegenden einstweiligen Verfahren nicht zuverlässig beantwortet werden kann. Die Entscheidungsfindung reduziert sich daher auf die nach dem BVerfG vorzunehmende und dargestellte Folgenabwägung (BVerfG aaO).
Diese Folgenabwägung fällt zu Gunsten der Antragsteller aus. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung der beantragten Leistungen für die Antragsteller gegen die fiskalischen Interessen des Antragsgegners, die vorläufig erbrachten Leistungen im Fall des Obsiegens in der Hauptsache möglicherweise nicht zurückzuerhalten, abzuwägen. Das Interesse des Antragsgegners muss im konkreten Fall hinter den Interessen der Antragsteller zurücktreten. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen, kann den Antragstellern im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 des GG verankerten Gebots des effektiven Rechtschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (LSG NRW, Beschluss vom 03.04.2013 – L 7 AS 2403/12 B -).
Da entgegen der Einschätzung des Ausgangsgerichts die Angelegenheit ausreichende Aussicht auf Erfolg hat, liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO vor. Auch insofern war der angefochtene Beschluss zu ändern.
Die Kostenentscheidung beruht zum einen auf entsprechender Anwendung von § 193 SGG und folgt zum anderen aus § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Eine Beschwerde gegen diesen Beschluss findet nicht statt (§ 177 SGG).
Erstellt am: 30.07.2014
Zuletzt verändert am: 30.07.2014