Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 16.12.2014 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 23.10.2014 bis zum 31.12.2014 den Regelbedarf nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II, für Januar 2015 eine Regelleistung von 299,00 EUR und für die Zeit vom 01.02.2015 bis zum 30.04.2015 erneut den Regelbedarf nach § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Instanzen hat der Antragsgegner zu erstatten. Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren sowie für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin T aus L beigeordnet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt von dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II.
Der 1977 geborene Antragsteller ist britischer Staatsangehöriger. Er lebt nach eigenen Angaben seit Januar 2014 in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist – nicht sorgeberechtigter – Vater von zwei Kindern, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und bei der Kindesmutter in M leben.
Vom 09.01.2014 bis zum 28.02.2014 war der Antragsteller als Call Center Agent bei der B N GmbH zu einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.461,- EUR bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden tätig. Das bis zum 08.01.2015 befristete Beschäftigungsverhältnis wurde durch den Arbeitgeber innerhalb der Probezeit zum 28.02.2014 wieder gekündigt.
Mit Bescheid vom 02.05.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 22.04.2014 bis zum 30.04.2014 in Höhe von 117,30 EUR und für die Zeit vom 01.05.2014 bis zum 31.08.2014 in Höhe von 701,- EUR monatlich.
Den Antrag des Antragstellers auf Weiterbewilligung von Leistungen nach dem SGB II lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2014 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II mit der Begründung ab, ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bestünde nicht, weil der Antragsteller keinen Arbeitnehmerstatus besitze. Der Antragsteller sei unter einem Jahr erwerbstätig gewesen. Ihm seien nach § 2 FreizügG/EU für die Dauer von sechs Monaten Leistungen nach dem SGB II gewährt worden. Ein darüber hinaus gehender Leistungsanspruch bestünde nicht. Hiergegen erhob der Antragsteller Klage, S 36 AS 4068/14.
Am 23.10.2014 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Köln einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
Er hat vorgetragen, bereits einen Bezug zum deutschen Arbeitsmarkt hergestellt zu haben. Seit seiner Kündigung sei er arbeitsuchend. In einer solchen Fallkonstellation sei der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht nicht zu vereinbaren. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-333/13 – Dano. Der Europäische Gerichtshof habe nur über die Fallkonstellation eines wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgers, der bisher nicht gearbeitet habe, entschieden. Hiervon sei seine Situation zu unterscheiden, denn er habe bereits durch eine vorangegangene Beschäftigung eine hinreichende Verbindung zum deutschen Mitgliedstaat hergestellt. Er habe ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitsuchender und verfüge daher über einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus mit der Konsequenz, dass er sich auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Leistungen im Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 883/2004 berufen könne. Da zudem nach nationalem Recht bis zur Entscheidung des Ausländeramtes über den Verlust des Freizügigkeitsrechts die Freizügigkeitsvermutung gemäß § 7 Abs. 1 FreizügG/EU gelte, sei bis dahin von einem rechtmäßigen Aufenthalt und einem Anspruch auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Leistungen nach dem SGB II über Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 auszugehen.
Mit Beschluss vom 16.12.2014 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Auf die Gründe wird Bezug genommen.
Gegen den ihm am 16.12.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 07.01.2015 Beschwerde eingelegt.
Er trägt vor, er halte sich nicht allein zum Zweck der Arbeitsuche im Bundesgebiet auf. Hauptgrund seiner Einreise sei die Aufrechterhaltung des Umgangsrechts mit seinen Kindern gewesen. Überdies habe er zum 15.12.2014 eine selbständige Tätigkeit als Dolmetscher und Englischlehrer aufgenommen.
Auf Aufforderung des Senats hat der Antragsteller weitere Kontoauszüge und eine eidesstattliche Versicherung betreffend seiner Bedürftigkeit sowie darüber hinaus die Gewerbe-Anmeldung seiner zum 15.12.2014 aufgenommen selbständigen Tätigkeit und Quittungen über die im Rahmen dieser Tätigkeit erzielten Einnahmen vorgelegt.
Der Antragsgegner hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend den Regelbedarf für die Zeit ab dem 23.10.2014 zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d.h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, d.h. der guten Möglichkeit, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. zum Begriff der Glaubhaftmachung BSG, Beschluss vom 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B -; BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B – SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).
Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn dem Antragsteller der zu sichernde Hauptsacheanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, wenn also eine Vorausbeurteilung des Widerspruchs bzw. der Klage in der Hauptsache nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) Vornahmesachen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12 – SGb 2015, 175, m.w.N. und vom 06.02.2013 – 1 BvR 2366/12 – BVerfGK 20, 196). Hierbei ist dem Gewicht der in Frage stehenden und gegebenenfalls miteinander abzuwägenden Grundrechte Rechnung zu tragen, um eine etwaige Verletzung von Grundrechten nach Möglichkeit zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2010 – 1 BvR 216/07 – BVerfGE 126, 1 (27 f.), m.w.N.; vgl. zur Prüfungsdichte von rechtlichen Fragen: BVerfG, Beschluss vom 27.05.1998 – 2 BvR 378/98 -, NVwZ-RR 1999, 217). Dabei ist eine weitergehende tatsächliche und rechtliche Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs von Verfassungs wegen dann erforderlich, wenn dem Antragsteller eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten droht, die durch eine nachträgliche Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann. Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.02.2013 – 1 BvR 2366/12, a.a.O.). Ist einem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. In diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen.
Nach diesen Maßgaben entscheidet der Senat auf Grund einer Folgenabwägung, weil nach dem derzeitigen Sachstand ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache offen ist.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Er verfügt nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Sicherung seiner Existenz. Zwar ist es dem Antragsteller in der Vergangenheit gelungen, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, ohne Grundsicherungsleistungen zu beziehen. Allerdings hat er im Wege der eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, sich hierfür Geld von einem Bekannten sowie seinem Bruder geliehen zu haben. Sein überdies ab Dezember 2014 erzieltes Erwerbseinkommen deckt nur teilweise seinen Regelbedarf.
Ob auch ein Anordnungsanspruch im Sinne eines im Hauptsacheverfahren voraussichtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II glaubhaft gemacht ist, muss offen bleiben. Zwar hat der Antragsteller das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II glaubhaft gemacht (hierzu unter 1.). Umstritten und fraglich ist jedoch, ob zu seinen Lasten der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eingreift, weil sich sein Aufenthaltsrecht – nach Auffassung des Antragsgegners – alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt (hierzu unter 2.).
1. Der Antragsteller hat das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II). Er ist ferner erwerbsfähig im Sinne von §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 SGB II. Anhaltspunkte für eine fehlende (gesundheitliche) Erwerbsfähigkeit liegen nicht vor.
Der Antragsteller hat auch seine Hilfebedürftigkeit i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 9 SGB II glaubhaft gemacht. Er hat in der Zeit seit dem 23.10.2014 nicht über Einkommen oder Vermögen verfügt, um seinen Lebensbedarf vollständig zu sichern. Das von ihm seit dem 15.12.2014 erzielte Erwerbseinkommen von 50,- EUR im Dezember 2014, 225,- EUR im Januar 2015, 65,- EUR im Februar 2015 und 30,- EUR im März 2015 deckt seinen Hilfebedarf nur teilweise ab. Allein die Tatsache, dass auch ohne Leistungen durch den Träger der Grundsicherung jedenfalls das Lebensnotwendige offenbar gesichert war, lässt eine Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Entscheidend ist, ob Einkommen in Geld oder Geldeswert im jeweils zu beurteilenden Zeitraum in einer Höhe konkret zur Verfügung steht, das den Gesamtbedarf – vorliegend zumindest den Regelbedarf für Alleinstehende von 391,- EUR bzw. ab dem 01.01.2015 von 399,- EUR – vollständig deckt (vgl. BSG Urteil vom 18.02.2010 – B 14 AS 32/08 R – SozR 4-4200 § 9 Nr. 9). Dafür, dass der Antragsteller ab Antragstellung bei Gericht über unbekanntes Einkommen oder Vermögen verfügt hat, liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte vor. Insoweit stützt sich der Senat auf die Angaben des Antragstellers in seiner – strafbewehrten, vgl. § 156 StGB – eidesstattlichen Versicherung, wonach er bis auf das aus einer selbständigen Tätigkeit erzielte Erwerbseinkommen über kein weiteres Einkommen oder Vermögen verfügt und ihm ein Bekannter sowie sein Bruder darlehensweise Geldbeträge von monatlich 500,- EUR zur Verfügung gestellt haben, um die Miete bezahlen zu können. Eine eidesstattliche Versicherung stellt ein geeignetes Beweismittel in Verfahren nach § 86b SGG dar. Der Senat hat keinen Anlass an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Der Antragsteller hat schließlich seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II i.V.m. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I. Er hält sich zukunftsoffen und ohne erkennbare Anzeichen, dies ändern zu wollen, durchgehend in L auf. Bis zu einer Entscheidung der Ausländerbehörde nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU über den Verlust des Rechts zur Einreise und auf Aufenthalt besteht für einen Unionsbürger grundsätzlich ein zukunftsoffener Aufenthalt i.S.v. § 30 SGB I, unabhängig davon, ob ein materielles Aufenthaltsrecht gegeben ist (BSG Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R; vgl. auch LSG Hessen Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/11, wonach das Nichtabstellen auf die materielle Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eines Ausländers bei der Auslegung des Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" i.S.v. §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB II, 30 SGB I kongruent mit dem in Art. 11 VO (EG) 987/2009 konkretisierten Begriff des Wohnorts ist). Ein Unionsbürger ist nach § 7 Abs. 1 S. 1 FreizügG/EU erst nach einer Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU ausreisepflichtig. Der Verlust des Rechts des Antragstellers zur Einreise und auf Aufenthalt nach den Bestimmungen des FreizügG/EU wurde von der zuständigen Ausländerbehörde bislang nicht festgestellt.
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass die in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II normierten Leistungsvoraussetzungen um die ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung des Bestehens eines (materiellen) Aufenthaltsrechts zu erweitern sei (so das LSG Hessen, Beschluss vom 11.12.2014 – L 7 AS 528/14 B ER), folgt der Senat dem nicht (vgl. Senatsbeschluss 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER).
2. Ob der Antragsteller vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen ist, kann der Senat nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht abschließend beurteilen. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer und Ausländerinnen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, vom Leistungsanspruch ausgenommen.
Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fordert eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw. der Gründe des Aufenthaltsrechts am Maßstab des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) und ggf. des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG; vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R m.w.N). Es muss positiv festgestellt werden, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik zusteht (BSG, Urteil vom 30.01.2013 – B 4 AS 54/12 R – BSGE 113, 60, m.w.N.).
Der Antragsteller hat im streitbefangenen Zeitraum keine abhängige Beschäftigung ausgeübt (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU), so dass er als "Arbeitnehmer" im Sinne dieser Vorschrift nicht (mehr) aufenthaltsberechtigt ist. Zwar blieb dem Kläger gemäß § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU seine Erwerbstätigeneigenschaft und damit sein Freizügigkeitsrecht "als Arbeitnehmer" für die Dauer von sechs Monaten nach der arbeitgeberseitigen Kündigung zum 28.02.2014 erhalten. Dieser Zeitraum war aber bereits abgelaufen, als er für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragte.
Der Antragsteller hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihm aufgrund seiner zum 15.12.2014 angemeldeten selbständigen Tätigkeit als Dolmetscher und Englischlehrer ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU zusteht. Diese selbständige Tätigkeit begründet kein Aufenthaltsrecht des Antragstellers als niedergelassener selbständiger Erwerbstätiger nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB II, da eine solche Tätigkeit eine feste Einrichtung bezogen auf die selbständige Tätigkeit, d.h. eine organisatorisch verfestigte Existenz, erfordert (vgl. EuGH, Urteil vom 25.07.1991 – C-221/89; BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – BSGE 107, 66). Erforderlich ist eine organisatorisch verfestigte Existenz, z.B. durch Anmietung eines Raumes oder anderweitiger organisatorischer Strukturen, mittels derer dauerhaft entgeltliche Leistungen erbracht werden können (vgl. Beschluss des Senats vom 02.07.2012 – L 19 AS 1071/12 B ER; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.04.2000 – 11 S 1387/99). Zu einer solchen Einrichtung hat der Antragsteller nichts vorgetragen. Dahinstehen kann, ob die selbständige Tätigkeit des Antragstellers geeignet sein kann, ein Aufenthaltsrecht als Dienstleister nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU zu begründen (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 02.07.2012 – L 19 AS 1071/12 B ER). Auch ein solches Aufenthaltsrecht erfordert, dass ein Dienstleister eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" von wirtschaftlicher Bedeutung ausübt. Eine nur untergeordnete oder unwesentliche wirtschaftliche Betätigung genügt nicht (vgl. zum Aufenthaltsrecht als niedergelassener Selbständiger: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.01.2015 – L 29 AS 3339/14 B ER; LSG Hamburg Beschluss vom 01.12.2014 – L 4 AS 444/14 B ER, m.w.N.), wobei nicht erforderlich ist, dass der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit das notwendige Existenzminimum deckt (vgl. zum Aufenthaltsrecht als niedergelassener Selbständiger: BSG, Urteil vom 19.10.2010, a.a.O.; OVG Bremen, Beschluss vom 21.06.2010 – 1 B 137/10). Im Hinblick auf das bislang belegte Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit spricht mehr dafür, dass es sich eher um eine untergeordnete oder unwesentliche wirtschaftliche Betätigung handelt.
Auch § 2 Abs. 3 FreizügG/EU greift nicht zu seinen Gunsten ein. Gleichfalls sind die Tatbestände der §§ 3, 4, 4a FreizügG/EU nicht gegeben. Insoweit steht dem Antragsteller unbeschadet dessen, ob sein 2008 geborener Sohn eine Schule besucht, mangels Sorgerechts gegenüber seinen beiden in M wohnenden Kindern auch kein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 4 FreizügG/EU zu (vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 16.03.2015 – L 19 AS 275/15 B ER). Ebenfalls kann der Antragsteller sich nicht auf ein Aufenthaltsrecht nach § 11 Abs. 1 S. 11 FreizügG/EU i.V.m. den Vorschriften des AufenthG berufen. Zwar ist einem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen nach § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG zur Ausübung der Personensorge eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Auch diesem Aufenthaltsrecht steht indes entgegen, dass der Antragsteller hinsichtlich seiner beiden in Deutschland lebenden Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, kein Sorgerecht hat. Bei § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG, der ein Aufenthaltsrecht eines nicht personenberechtigten Elternteils eines minderjährigen ledigen Deutschen bei gelebter familiärer Gemeinschaft vorsieht, handelt es sich um eine Ermessensvorschrift, deren Anwendung den Ausländerbehörden obliegt. Insoweit ist offen, ob aus einer Ermessensvorschrift des AufenthG das Bestehen eines Aufenthaltsrechts i.S.v. § 7 Abs. 1S. 2 Nr. 2 SGB II abgeleitet werden kann.
Zweifelhaft ist schließlich, ob der Antragsteller noch ein materielles Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche innehat. Der Senat folgt insoweit nicht der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung, dass der in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II verwandte Begriff "deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt" nicht auf das Bestehen eines materiellen Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche abstellt, sondern dahingehend auszulegen ist, dass der Zweck der Arbeitsuche die einzige Möglichkeit ist, aus der sich ein Aufenthaltsrecht ergeben kann und das Bestehen dieses Aufenthaltsrechts vor Einleitung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vermutet wird (vgl. Senatsbeschluss vom 20.03.2015 – L 19 AS 196/15 B ER; a.A. LSG NRW, Urteil vom 28.11.2013 – L 6 AS 130/13; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 202/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2014 – L 20 AS 2697/14 B ER; Greiser in jurisPK-SGB XII , Anhang zu § 23 SGB XII Rn. 15.5).
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche ist in § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU ab dem 09.12.2014 (Gesetz vom 02.12.2014, BGBl I 1922 – n.F.) konkretisiert worden. Danach haben Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, bis zu sechs Monaten und darüber hinaus solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden, ein Aufenthaltsrecht. Nach Ablauf der Sechsmonatsfrist besteht ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche damit nur dann, wenn ein Unionsbürger nachweisen kann, dass er ernsthaft und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei dies objektivierbar nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden muss (vgl. EuGH, Urteile vom 23.03.2004 – C-138/02 – Collins, vom 20.02.1997 – C-344/95; und vom 26.02.1991 – C-292/89 – Antonissen; OVG Sachsen, Beschluss vom 07.08.2014 – 3 B 507/13 m.w.N.; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26.06.2014 – 4 LB 22/13; VGH Bayern, Beschluss vom 11.02.2014 – 10 C 13.2241). Im Hinblick auf die Aufenthaltsdauer des Antragstellers von mehr als einem Jahr in der Bundesrepublik und der bislang fehlgeschlagenen Arbeitsuche sowie seiner unzureichenden Kenntnisse der deutschen Sprache ist zumindest zweifelhaft, dass die Voraussetzungen dieses Aufenthaltsrechts noch vorliegen. Insoweit hat der Antragsteller auch im Anordnungsverfahren nicht substantiiert zu seinen Bemühungen zur Arbeitsuche vorgetragen. Allein die Meldung beim Grundsicherungsträger genügt nicht zum Beleg einer ernsthaften Arbeitssuche.
Es spricht vor diesem Hintergrund mehr dafür, dass es sich bei dem Antragsteller um einen Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht handelt, der sich aber wegen der fehlenden Verlustfeststellung nach §§ 2 Abs. 7, 5 Abs. 4, 6 FreizügG/EU formell rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält (siehe hierzu Dienelt in Renner/ Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 11 Rn. 13, § 7 Rn. 10). Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluss des Senats vom 20.03.2015 – L 19 AS 116/15 B ER; Urteile vom 05.05.2014 – L 19 AS 430/13 (Revision anhängig B 14 AS 33/14 R) und vom 10.10.2013 – L 19 AS 129/13 (Revision anhängig B 4 AS 64/13 R); Beschlüsse vom 22.08.2013 – L 19 AS 766/13 B ER – und vom 19.07.2013 – L 19 AS 942/13 B ER) ist auf diesen Personenkreis der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht anwendbar. Der Senat folgt nicht der Auffassung, dass diese Vorschrift im Wege teleologischer Auslegung neben Unionsbürgern mit einem Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auch Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht erfasst (so aber LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 04.02.2015 – L 2 AS 14/15 B ER; LSG NRW, Beschlüsse vom 03.12.2014 – L 2 AS 1623/14 B ER, vom 09.01.2015 – L 12 AS 2209/14 B ER und vom 04.02.2015 – L 2 AS 2224/14 B ER; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 – L 4 AS 444/14 B ER). Der Wortlaut der Vorschrift stellt nur auf das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ab und ist wegen des Ausnahmecharakters des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II einer erweiternden Auslegung im Wege des "Erst-Recht-Schlusses" nicht zugängig (so auch LSG Hessen, Beschluss vom 05.02.2015 – L 6 AS 883/14 B ER; LSG NRW, Beschluss vom.03.2015 – L 7 AS 2376/14 B ER; LSG Thüringen, Beschluss vom 25.04.2014 – L 4 AS 306/14 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.03.2014 – L 31 AS 1348/13; LSG Hessen, Urteil vom 27.11.2013 – L 6 AS 378/12 (Revision anhängig B 14 AS 15/14 R)).
Selbst wenn angenommen wird, dass der Antragsteller alleine ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II innehat, ist offen, ob der Leistungsausschluss mit den unionsrechtlichen Vorschriften vereinbar ist (vgl. zum Meinungsstand bejahend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2014 – L 20 AS 2697/14 B ER; verneinend: LSG Hessen, Beschluss vom 07.01.2015 – L 6 AS 815/14 B ER -; Vorlagebeschluss des BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R, Verfahren des EuGH C-67/14 – B). Die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist durch das Urteil des EuGH vom 11.11.2014 – C-333/13 – Dano – auch nicht geklärt in dem Sinne, dass er nicht zu beanstanden sei. Nach dieser Entscheidung ist es Mitgliedstaaten zwar gestattet, nicht erwerbstätige Unionsbürger, denen im Aufenthaltsmitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht, vom Bezug von Sozialhilfeleistungen i.S.v. Art. 24 der RL 2004/38/EG auszuschließen, wenn der Zugang zum nationalen Sozialhilfesystem nicht von der materiellen Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abhängt und die Unionsbürger von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedstaates zu kommen. Welche Schlussfolgerungen aus diesem Urteil hinsichtlich des Leistungsausschlusses betreffend Unionsbürger mit einem materiellen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche zu ziehen sind, ist aber auch nach diesem Urteil ungeklärt und vor dem Hintergrund kaum mehr überschaubarer Rechtsprechung und Literatur umstritten (vgl. hierzu Schreiber, info also 2015, S. 3 f., m.w.N.). Insbesondere ist die Frage offen, ob ein Unionsbürger mit einem materiellen Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche als Arbeitnehmer oder als nichterwerbstätiger Unionsbürger i.S.d. RL 2004/38 EG zu qualifizieren ist. Falls es sich um einen Arbeitnehmer im Sinne der RL 2004/38 EG handelt, sind die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs in der Entscheidung vom 11.11.2014 – C-333/13 – Dano nicht einschlägig. Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Unionsbürger zumindest als Arbeitnehmer i.S.v. Art. 45 AUEV zu qualifizieren, der zwar keine Erwerbstätigkeit ausübt, aber tatsächlich Arbeit sucht (vgl. Urteil vom 19.06.2014 – C-507/12 – Saint Prix). Auch der Schlussantrag des Generalanwalts X in der Rechtsache B – C-67/14 bringt insoweit keine Klärung. Zum einen hat diese keine präjudizielle Wirkung. Zum anderen ist auch nach Auffassung des Generalanwalts der Leistungsausschluss nicht europarechtskonform, wenn eine tatsächliche Verbindung des Unionsbürgers mit dem Aufnahmestaat, z.B. durch die Ausübung einer Beschäftigung, besteht. Auch kann sich eine solche Verbindung aus familiärem Kontext ergeben.
Darüber hinaus ist umstritten, ob das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II im Fall des Antragstellers ausschließt. Der Antragsteller unterfällt als britischer Staatsangehöriger dem Europäischen Fürsorgeabkommen, da das Vereinigte Königreich dieses Abkommen ratifiziert hat (vgl. zum Ratifizierungstand: http://conventions.coe.int/Treaty/Commun/ChercheSig.asp?NT=014&CM=8&DF=9/17/2006&CL=GER). Bei dem SGB II handelt es sich auch um ein Fürsorgegesetz i.S.d. EFA, so dass aufgrund der in diesem Abkommen angeordneten Gleichbehandlung von Staatsangehörigen der Vertragsstaaten mit Inländern die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Staatsangehörige der Vertragsstaaten keine Anwendung findet, solange seitens der Bundesrepublik kein wirksamer Vorbehalt nach Art. 16 lit. b) EFA erklärt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R – BSGE 107, 66). Die Bundesrepublik Deutschland hat zwar am 19.12.2011 einen Vorbehalt zum EFA notifiziert, wonach die Bundesrepublik keine Verpflichtung übernimmt, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden (Übersetzung des im Original englischsprachigen Vorbehalts in der Geschäftsanweisung SGB II Nr. 8 der Bundesagentur für Arbeit vom 23.03.2012). Die Wirksamkeit dieser Vorbehaltserklärung ist aber umstritten (verneinend: LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 24.11.2014 – L 20 AS 2761/14 B ER und vom 09.05.2012 – L 19 AS 794/12 B ER -; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29.01.2013 – L 2 AS 903/12 B ER; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 21.08.2012 – L 3 AS 250/12 B ER -; bejahend LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 – L 4 AS 444/14 B ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 11.03.2013 – L 31 AS 318/13 B ER -, vom 09.11.2012 – 29 AS 1782/12 B ER – und vom 05.08.2012 – L 5 AS 1749/12 B ER -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20.07.2012 – L 9 AS 563/12 B ER; BSG, EuGH-Vorlage vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R (allerdings ohne nähere Begründung); vgl. auch Stellungnahme des Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Ausschussdrucksache 17(11) 881 und Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins aus Juni 2012 zum Vorbehalt der Bundesregierung gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens auf die Grundsicherung für Arbeitssuchende; vgl. zum Streitstand Matthias Reuß, Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, Sachstand: Zur Zulässigkeit von Vorbehalten zum Europäischen Fürsorgeabkommen – WD2 – 3000 – 035/12).
Im Hinblick auf die vorstehend skizzierten, in der Rechtsprechung vielfältig vertretenen und kontrovers diskutierten Auffassungen über die Anwendung und Auslegung des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sowie dessen Vereinbarkeit mit unionsrechtlichen Vorschriften und der verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 GG (vgl. hierzu BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – BVerfGE 125, 175 und vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – BVerfGE 132, 134; siehe auch Kirchhof, Die Entwicklung des Sozialverfassungsrechts, NZS 2015, 1, 4) sieht der Senat den Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen an. Es besteht die gute Möglichkeit, dass der Antragsteller im Hauptsachverfahren obsiegt. Im Hinblick auf die Bedeutung der durch den Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II betroffenen grundrechtlichen Belange des Antragstellers – Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums – hält der Senat es deshalb für gerechtfertigt, im Wege einer Folgenabwägung, die die grundrechtlichen Belange des Antragstellers, die existenzsichernde, aber auch den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichternde Leistungen begehrt, und das Interesse des Antragsgegners an einer Verhinderung einer rechtswidrigen Mittelvergabe berücksichtigt, zu entscheiden.
Nach dieser Abwägung tritt das Vollzugsinteresse des Antragsgegners, d.h. bei ungeklärter Rechtslage keine finanziellen Aufwendungen an den Antragsteller zu erbringen, hinter dem Interesse des Antragsgegners zurück. Dabei hat der Senat berücksichtigt, dass es sich um eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache handelt. Jedoch dienen existenzsichernde Leistungen – wie die des SGB II – nach ihrer Konzeption dazu, eine gegenwärtige Notlage zu beseitigen. Die spätere, nachträgliche Erbringung von existenzsichernden Leistungen verfehlt insoweit ihren Zweck. In die Abwägung hat der Senat auch die Überlegung mit eingestellt, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im nationalen einstweiligen Rechtsschutz sicherzustellen ist, dass bis zur Klärung einer europarechtlichen Frage im Vorabentscheidungsverfahren die betroffenen europarechtlichen Normen vorrangig gelten, wenn "unter Umständen" innerstaatliche Vorschriften entgegenstehen (EuGH, Urteil vom 19.06.1990 – C-213/89), also der Vollzug eines nationalen Gesetzes ausgesetzt wird (vgl. zu den Anforderungen an eine Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren betreffend die Nichtanwendung eines Gesetzes: BVerfG Beschluss vom 17.02.2009 – 1 BvR 2492/08 – BVerfGE 122, 342). Das BSG hat als letztinstanzliches Gericht i.S.d. Art. 267 Abs. 3 AEUV den EuGH um eine Vorabentscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs.1 S. 2 Nr. 2 SGB II mit gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften ersucht (Vorlagebeschluss des BSG vom 12.12.2013 – B 4 AS 9/13 R, Verfahren des EuGH C-67/14 – B). Dies ist bei der Folgenabwägung mit zu berücksichtigen. Insoweit kommt dem Schlussantrag des Generalanwalts X in der Rechtsache B – C-67/14 keine präjudizielle Bedeutung zu.
Zudem hat der Senat bei der Abwägung auch berücksichtigt, dass der Antragsgegner seine finanziellen Belange durch die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach §§ 102 ff. SGB X beim örtlichen Sozialhilfeträger wahren kann. Denn bei einem Eingreifen des Leistungsausschlusses des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II kommt ein Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem dritten Kapitel des SGB XII in Betracht. § 21 S. 1 SGB XII greift bei Hilfebedürftigen, die von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind, nicht ein (Beschlüsse des Senats vom 29.06.2012 – L 19 AS 973/12 B ER m.w.N. und vom 02.10.2012 – L 19 AS 1393/12 B ER m.w.N.; LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 – L 4 AS 444/14 B ER m.w.N.; LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER mit Zusammenfassung des Meinungstandes in Rechtsprechung und Literatur; so wohl auch BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 8 SO 24/12 R – SozR 4-3500 § 67 Nr. 1; siehe ferner BSG, Urteil vom 16.05.2011 – B 4 AS 105/11 R – SozR 4-4200 § 7 Nr. 30; ablehnend LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.12.2014 – L 20 AS 2697/14 B ER; kritisch auch LSG NRW, Beschluss vom 15.05.2013 – L 9 AS 466/13 B ER). § 23 SGB XII greift zu Ungunsten des Antragstellers nicht ein, da er sich als Staatsangehöriger eines Staates, der das Europäische Fürsorgeabkommen ratifiziert hat, bei Leistungen nach dem SGB XII auf den Inländergleichbehandlungsgrundsatz berufen kann (vgl. zu Ansprüchen von erwerbsfähigen, vom SGB II ausgeschlossenen Staatsangehörigen der sog. EFA-Staaten nach dem dritten Kapitel des SGB XII Beschluss des Senats vom 29.06.2012 – L 19 AS 973/12 B ER; siehe auch LSG Hamburg, Beschluss vom 01.12.2014 – L 4 AS 444/14 B ER und LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 23.05.2014 – L 8 SO 129/14 B ER).
Hinsichtlich des Zeitraums, für den Leistungen zugesprochen worden sind, hat der Senat sich an § 41 Abs. 1 S. 4 SGB II orientiert. Danach sollen Leistungen für jeweils sechs Monate im Voraus erbracht werden. Da der Antragsgegner die Leistungen ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt hat, ist über den Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in einem evtl. Hauptsacheverfahren für die gesamte bis zur Entscheidung verstrichene Zeit zu befinden.
Soweit der Senat dem Antragsteller für Januar 2015 Regelleistungen in Höhe von 299,- EUR zugesprochen hat, war das diesem nach eigenen Angaben zugeflossene Erwerbseinkommen im Januar 2015 von 225,- EUR nach Abzug eines Betrages von 100,- EUR gemäß § 11b Abs. 2 S. 1 SGB II sowie eines Erwerbstätigenfreibetrages nach § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Abs. 3 SGB II von 25,- EUR auf den Regelbedarf anzurechnen. Insoweit ist von dem Regelbedarf des Antragstellers nach § 20 Abs. 2 SGB II von 399,- EUR ein Betrag von (225,- EUR – 125,- EUR) = 100,- EUR abzuziehen.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist auch insoweit begründet, als ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Ausgangsverfahrens aus den oben genannten Gründen besteht.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 114 ff. ZPO liegen vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 28.04.2015
Zuletzt verändert am: 28.04.2015