Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22. Mai 1997 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob der Kläger Leistungen nach §3 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) beanspruchen kann.
Der 1940 geborene Kläger erlernte den Beruf eines Maurers und war nach der Gesellenprüfung bis 1966 als solcher tätig. Danach arbeitete er bis 1971 selbständig als Immobilienmakler, war danach bis 1978 als Maurer und Kaminbauer, im Anschluß daran bis 1987 als Kaufmann und nach Ablegung der Meisterprüfung von 1988 bis 1993 als Kaminbauer bzw. Kachelofen- und Luftheizungsbauer selbständig tätig und als solcher bei der Beklagten freiwillig versichert.
Seinen im Februar 1994 gestellten Antrag auf Anerkennung und Entschädigung seines Wirbelsäulenleidens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.12.1994 mit der Begründung ab, eine Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV liege beim Kläger nicht vor. Bandscheibenbedingte Veränderungen der Lendenwirbelsäule (LWS) seien nicht vorhanden und das Wirbelgleiten sei eine anlagebedingte und nicht entschädigungsfähige Erkrankung. Grundlage dieses Bescheides waren Stellungnahmen des Chirurgen Dr. R. vom 02.08.1994 sowie des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 17.08.1994. Nach erfolglosem Widerspruch erhob der Kläger im Vorprozeß S 36 U 189/95=L 17 U 244/96 vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund Klage. Dieses holte ein Gutachten des Orthopäden Dr.G. in D. vom 19.03.1996 ein und wies die Klage mit Urteil vom 29.08.1996 ab. Die dagegen eingelegte Berufung wurde vom erkennenden Senat am 12.03.1997 zurückgewiesen.
Auf seinen im Juli 1995 gestellten Antrag auf Gewährung von Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV holte die Beklagte eine Stellungnahme von dem Orthopäden Dr. F. in B. ein. Dieser führte darin am 13.11.1995 aus, beim Kläger bestehe anlagebedingt eine Spondylolisthese von L5 über S1 in der sog. isthmischen Form mit Läsion des Pars interarticularis gemäß der Definition nach Wiltse. Sekundär habe sich infolge dieser biomechanisch ungünstig wirkenden morphologischen Variante eine Bandscheibendegeneration im Segment L5/S1 in der beschriebenen Form ausgebildet. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV liege nicht vor. Das Schadensbild in dieser Form und Ausprägung hätte sich mit Wahrscheinlichkeit auch dann ergeben, wenn der Versicherte keinen beruflichen Belastungen i.S.d. vorgenannten BK ausgesetzt gewesen wäre. Im Hinblick darauf, daß trotz der langjährigen belastenden Tätigkeit nur das beschriebene, in Abhängigkeit von der Formvariante entstandene monosegmentale Schadensbild in dieser Ausprägung bestehe, hingegen die anderen Segmente der LWS völlig frei von degenerativen Veränderungen seien, habe auch bei Fortsetzung der Tätigkeit als selbständiger Luftheizungs- und Kaminbauer nicht die Gefahr der Entstehung einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV bestanden. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte daraufhin mit Bescheid vom 01.02.1996 die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV ab. Sie begründete dies damit, daß nach der eingeholten ärztlichen Stellungnahme nicht eine konkrete Gefahr des Entstehens einer BK beim Kläger vorgelegen habe. Den gegen diesen Bescheid am 15.02.1996 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte am 07.05.1996 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 11.06.1996 vor dem SG Dortmund Klage erhoben und geltend gemacht, ihm seien Übergangsleistungen zu gewähren. Unzweifelhaft seien in seiner Person die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV gegeben. Der Umstand, daß eine solche BK noch nicht vorliege und die Veränderungen an der LWS angeblich nur gering ausgeprägt seien, stehe einer Entschädigungspflicht nach § 3 BKV gerade nicht entgegen. Der vorbeugende Charakter dieser Bestimmung werde von der Beklagten bei ihrer Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Gutachtens von Prof. Dr. P., Klinik und Poliklinik für Allgemeine Orthopädie der Universität M., vom 27.02.1997. Auf den Inhalt des Gutachtens wird verwiesen.
Mit Urteil vom 22.05.1997 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 12.06.1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 09.07.1997 Berufung eingelegt. Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.1997 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.02.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.05.1996 zu verurteilen, Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte, die dem angefochtenen Urteil beipflichtet, beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen. Die Vorprozeßakte sowie die Verwaltungsakten der Beklagten lagen vor und waren Gegenstand der Beratung.
II.
Die Berufsrichter sind übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, daß eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich und die zulässige Berufung unbegründet ist. Der Senat hat daher gemäß § 153 Abs. 4 SGG – nachdem die Beteiligten unter dem 20.08.1997 auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden sind – die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Verwaltungsakt ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übergangsleistungen nach § 3 Abs. 2 BKV. Nach § 3 Abs.1 BKV haben die Unfallversicherungsträger, wenn für Versicherte die Gefahr besteht, daß eine BK entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, dieser Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegenzuwirken. Ist die Gefahr gleichwohl nicht zu beseitigen, haben sie darauf hinzuwirken, daß die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Versicherte, die die gefährdende Tätigkeit unterlassen, weil die Gefahr fortbesteht, haben nach Abs. 2 zum Ausgleich hierdurch verursachter Minderung des Verdienstes oder sonstiger wirtschaftlicher Nachteile gegen den Unfallversicherungsträger Anspruch auf Übergangsleistungen.
§ 3 BKV hat eine präventive Zielrichtung, nämlich die Vermeidung von Gesundheitsschäden vor Eintritt des Versicherungsfalls (vgl. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 05.08.1993 – 2 RU 46/92 – = HV-Info 1993, 2314; Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheiten-Verordnung, Kommentar, G § 3 BKV Rdn. 1). Die Gefahr der Entstehung einer BK kommt einmal dann in Betracht, wenn das tatbestandliche Krankheitsbild zwar noch nicht vollständig erfüllt ist, aber Symptome vorliegen, die nach medizinischen Erkenntnissen unter Berücksichtigung der festgestellten gefährdenden Einwirkung das Risiko des Eintritts dieser Erkrankung im Vergleich zu anderen Versicherten bei vergleichbarer Beschäftigung erhöhen; ferner bei den BKen-Tatbeständen, die den sog. Unterlassungszwang als Anerkennungsvoraussetzungen aufweisen, wie dies z.B. bei der BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV der Fall ist, und bei denen die beruflich verursachte Erkrankung bereits vorliegt, diese aber noch nicht zur Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit (Eintritt des Versicherungsfalles) geführt hat. Die Gefahr des Eintritts der BK bei Fortsetzung der bisher ausgeübten Tätigkeit wird dann häufig zu bejahen sein (vgl. Mehrtens/Perlebach, a.a.O. Rdn. 2.2). Dabei reicht indes die generelle Gefahr, durch bestimmte schädigende Einwirkungen, die zur Aufnahme in die BK-Liste geführt haben, nicht aus, um ein Tätigwerden des Versicherungsträgers bzw. Leistungen nach § 3 BKV beanspruchen zu können. Erforderlich ist vielmehr, daß der Versicherte über die generelle Gefahr hinaus den besonderen schädigenden Einwirkungen durch seine Arbeit ausgesetzt ist und deswegen unter einer in zeitlich zunehmendem Maße anwachsenden, konkreten, individuellen Gefahr steht, an einer BK zu erkranken (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.1995 – 2 RU 18/94 – = HV-Info 1995, 1505; Mehrtens/Perlebach a.a.O. Rdn. 2.5). Notwendig ist danach, daß ein Risiko einer Schädigung für den Versicherten besteht, das über den Grad hinausgeht, der bei anderen Versicherten in vergleichbarer Beschäftigung besteht. Das bedeutet, daß der individuelle Gesundheitszustand des Versicherten den Anknüpfungspunkt für die Anwendung des § 3 Abs. 1 BKV bildet.
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, daß – wie im Vorprozeß rechtsverbindlich entschieden – eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV beim Kläger nicht vorliegt. Zwar war der Kläger während seiner Tätigkeit als Maurer bzw. Ofen- und Luftheizungsbauer nach den im damaligen Feststellungsverfahren vorgelegten Stellungnahmen des TAD schädigenden Einwirkungen ausgesetzt, die grundsätzlich zu einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV führen können. Die medizinische Beweisaufnahme hat indes – wie der Senat im Beschluss vom 12.03.1997 dargelegt hat und worauf verwiesen wird – ergeben, daß eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS i.S. dieser BK beim Kläger nicht vorliegt. Die Bandscheibenschädigung im Bereich L5/S1 ist allein Folge der anlagebedingten Spondylolisthesis und der damit einhergehenden sekundären degenerativen Veränderungen. Insoweit hat sich der erkennende Senat auch diesbezüglich auf die gutachtliche Stellungnahme von Dr. F. vom 13.11.1995 gestützt, in der insoweit die Zusammenhangsbeurteilung durch Dr. R. und Dr. G. bestätigt worden ist.
Dr. F. hat in dieser Stellungnahme, die vom Senat urkundsbeweislich zu verwerten ist, einleuchtend dargelegt, daß beim Kläger nicht die konkrete individuelle Gefahr des Entstehens einer BK nach Nr. 2108 bestanden habe. Er hat insoweit zum einen betont, daß das beim Kläger im Bereich der unteren LWS bestehende bandscheibenbedingte Schadensbild sich in Form und Ausprägung mit Wahrscheinlichkeit auch dann ergeben hätte, wenn der Kläger keine Tätigkeiten ausgeübt hätte, die mit Belastungen i.S.d. BK 2108 der Anlage zur BKV verbunden sind. Wenn er weiter ausgeführt hat, daß durch belastende Tätigkeiten i.S.d. BK auch eine anlagebedingte Erkrankung verschlimmert werden könne mit der Folge, daß dann eine BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV i.S. einer abgrenzbaren Verschlimmerung vorliege, dies im Falle des Klägers aber deshalb nicht wahrscheinlich zu machen sei, weil bei ihm nur ein in Abhängigkeit von der Formvariante entstandenes monosegmentales Schadensbild vorliege, hingegen die anderen Segmente der LWS völlig frei von degenerativen Veränderungen seien, so ist diese Einschätzung überzeugend.
Die Beweisaufnahme im Klageverfahren durch Einholung des Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. P. hat die Richtigkeit dieser Beurteilung bestätigt. Auch der Sachverständige ist nämlich zu dem Ergebnis gelangt, daß lediglich schicksals- und anlagebedingte Veränderungen im Bereich der LWS i.S. einer Spondylolyse mit Spondylolisthesis L5/S1 vorliegen und diese Veränderungen sich bei Vergleich der jetzigen Befunde mit den früheren zudem nicht verschlimmert haben. Im Gegenteil zeigen die Befundvergleiche, daß es in diesem Bereich durch zunehmende Kalkeinlagerung zu einer Stabilisation gekommen ist. Diese hängt offensichtlich mit einer – ebenfalls als anlagebedingt anzusehenden – besonderen Neigung zu Kalkeinlagerungen der die Wirbelsäule umgebenden Weichteile (hyperostotische Reaktionsform der Spondylarthrose und Osteochondrose) zusammen. Die letztgenannte Erkrankung, die durch die berufliche Tätigkeit weder verursacht noch verschlimmert werden kann, ist danach für die jetzigen Beschwerden des Klägers im Bereich der Wirbelsäule verantwortlich. Prof. Dr. P. hat zudem darauf hingewiesen, daß eine progrediente Spondylolisthesis nicht vorliegt und insoweit der Befund unverändert ist. Wenn er dann in Übereinstimmung mit Dr. F. eine konkrete Gefahr für das Entstehen einer BK nach Nr.2108 der Anlage zur BKV beim Kläger verneint hat, überzeugt diese Risikoprognose auch deshalb, weil eine Abwägung zwischen dem Ausmaß des drohenden Gesundheitsschadens einerseits und der Wahrscheinlichkeit einer Risikoverwirklichung andererseits vorgenommen worden ist und dabei die zu beachtenden Kriterien über Art und Ausprägung der gesundheitlichen Risikofaktoren, Art und Intensität der Einwirkung schädigender Faktoren durch die versicherte Tätigkeit berücksichtigt und aus dem individuellen Erkrankungsverlauf entsprechende Schlußfolgerungen gezogen worden sind (vgl. dazu Mehrtens/Perlebach, a.a.O. Rdn. 2.7 sowie die Kommentierung zur BK 2108 unter M 2108 Rdn. 10).
Nach alledem sind keine hinreichend gesicherten Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß beim Kläger eine konkrete Gefahr bestand, daß es bei Fortsetzung seiner beruflichen Tätigkeit zu einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV gekommen wäre. Die Beklagte hat daher zu Recht die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV abgelehnt. Klage und Berufung mußten daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Zur Revisionszulassung bestand kein Anlaß.
Erstellt am: 16.08.2003
Zuletzt verändert am: 16.08.2003