Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Den Antragstellern wird für diesen Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, X, beigeordnet.
Gründe:
Der Antrag,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
1. den Antragstellern einmalige Leistungen gemäß § 22 Abs. 8 des Sozialgesetz-buchs Zweites Buch (SGB II) in Höhe von 1.660,66 EUR zur Ausgleichung der Mietschulden sowie ein Darlehen in Höhe von 501,44 EUR zum Ausgleich des Mietkautionsrückstandes auszuzahlen,
hilfsweise, sich gegenüber dem Vermieter der Antragsteller, der fo x GmbH, T, zum Ausgleich des rückständigen Mietzinses von 1.660,66 EUR und der offenen Miet-kaution von 501,44 EUR zu verpflichten,
2. den Mietzins für den Monat März 2017 in Höhe von 549,22 EUR an den Vermieter der Antragsteller zu zahlen,
hat keinen Erfolg. Der Antrag ist zulässig, insbesondere als Antrag auf Erlass einer einst-weiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einst-weilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs voraus. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung erfordert ferner das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund müssen gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht werden. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
Soweit die Antragsteller mit Haupt- und Hilfsantrag die Übernahme von Mietschulden begehren, sei es als Zuschuss oder darlehensweise, ist ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Ein Anordnungsanspruch setzt das Bestehen des materiellen An-spruchs voraus, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Vom Bestehen eines ma-teriellen Anspruchs auf Übernahme der Mietschulden ist nicht auszugehen.
Zunächst haben die Antragsteller keinen Anspruch auf Übernahme von Mietschulden aus §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, ggf. i. V. m. §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 44 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X). Denn der Anspruch der Antragsteller auf Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für die Monate Dezember 2016 bis Februar 2017, für die die Übernahme von Mietschulden begehrt wird, ist bei der Leistungsberechnung in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt worden. Das gilt sowohl für den Änderungsbe-scheid vom 02.01.2017 in Gestalt der weiteren Änderungsbescheide vom 19.01.2017 und 01.02.2017, der die Monate Dezember 2016 und Januar 2017 betrifft, als auch für den Bewilligungsbescheid vom 01.02.2017, der unter anderem den Monat Februar 2017 be-trifft.
Ein Anspruch der Antragsteller auf Übernahme der Mietschulden folgt auch nicht aus § 22 Abs. 8 SGB II. Zumindest die materiellen Voraussetzungen dieser Norm liegen nicht vor.
Gemäß § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen nach Satz 2 übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Die Übernahme der Mietschulden ist nicht ge-rechtfertigt und notwendig. Hieran fehlt es regelmäßig dann, wenn die Wohnung unangemessen ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.06.2010, B 14 AS 58/09, juris, Rn. 26; Landessozialgericht [LSG] NRW, Beschluss vom 23.04.2014, L 7 AS 371/14 B ER, juris, Rn. 17). So liegt der Fall hier. Die tatsächliche Bruttokaltmiete beträgt 489,22 EUR. Angemessen ist nur eine Bruttokaltmiete bis 444,00 EUR.
Bei dem Begriff der Angemessenheit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbe-griff, dessen Auslegung durch die Behörde vollumfänglich gerichtlicher Nachprüfung unterliegt (BSG, Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R, juris, Rn. 13; Urteil vom 16.05.2012, B 4 AS 109/11, juris, Rn. 14). Kosten der Unterkunft und Heizung sind ange-messen, wenn sie entweder abstrakt oder konkret angemessen sind (BSG, Urteil vom 26.05.2011, B 14 AS 132/10 R, juris, Rn. 17). Von abstrakter Angemessenheit ist auszu-gehen, wenn die losgelöst vom Einzelfall ermittelten Angemessenheitsgrenzen nicht überschritten werden (vgl. BSG, Urteil vom 10.09.2013, B 4 AS 77/12 R, juris, Rn. 19). Von konkreter Angemessenheit ist auszugehen, wenn die Kosten der Unterkunft und Heizung zwar nicht abstrakt angemessen sind, im Einzelfall eine Wohnung innerhalb der abstrakten Angemessenheitsgrenzen aber nicht anmietbar ist (BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 10/06 R, juris, Rn. 25). Eine Bruttokaltmiete von höchstens 444,00 EUR ist für die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller sowohl abstrakt als auch im vorlie-genden Einzelfall konkret angemessen.
Die Bruttokaltmiete von höchstens 444,00 EUR ist abstrakt angemessen. Der Wert ergibt sich für einen Zwei-Personen-Haushalt in Wetter (Vergleichsraum II – Nordost) aus dem im Auftrag des F-S-Kreises von der empirica AG erstellten Bericht "Schlüssiges Konzept zur Herleitung von Mietobergrenzen für angemessene Kosten der Unterkunft" (Aktualisierung 2015). Es wird nicht verkannt, dass die Frage, ob dieser Bericht den Anforderungen an ein sogenanntes schlüssiges Konzept (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 45/14 R, juris, Rn. 20; Urteil vom 10.09.2013, B 4 AS 77/12 R, juris, Rn. 28; Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R, juris, Rn. 19) genügt, einer abschließenden Prüfung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zugänglich ist (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 29.08.2016, L 8 AS 675/16 B ER, juris, Rn. 24; LSG NRW, Beschluss vom 23.04.2014, L 7 AS 371/14 B ER, juris, Rn. 17; a. A. Bayerisches LSG, Beschluss vom 03.06.2014, L 7 AS 360/14 B ER, juris, Rn. 17). Das Gericht hat ihn gleichwohl seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Denn die Antragsteller haben glaubhaft zu machen, dass ihre Wohnung angemessen ist. Dies setzt bei – wie hier – Vorliegen eines von sachkundigen Personen erstellten Konzepts zur Ermittlung angemessener Kosten der Unterkunft voraus, dass die Antragsteller zumindest ansatzweise nachvollziehbare Einwendungen gegen die Schlüssigkeit des Konzepts erheben (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 13.02.2015, L 6 AS 127/15 B ER, juris, Rn. 27, wo maßgeblich auf ein Konzept abgestellt wird, "auch wenn es jenseits des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens Bedenken zur Höhe des ermittelten angemessenen Mietpreises unterliegen sollte"; zur Bedeutung des Umstands, dass das Konzept von sachkundigen Personen erstellt wurde, vgl. anhand des Hauptsacheverfah-rens LSG NRW, Urteil vom 24.11.2016, L 7 AS 723/16, juris, Rn. 39 f.). Das haben die Antragsteller auch auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts nicht getan. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hat lediglich angegeben, das Konzept sei "hierhin nicht mitgeteilt" worden. Allein aus der Höhe der als angemessen erachteten Miete ergebe sich die Fehlerhaftigkeit der Mietwerterhebung. Sie bilde den Wohnungsmarkt in Wetter nicht repräsentativ und valide ab. Der Antragsgegner sei verpflichtet, die Rohdaten mitzuteilen, auf denen das Konzept beruhe. Diese lediglich formelhaften Ausführungen ohne Einzelfallbezug sind nicht geeignet, das Konzept ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Soweit der Prozessbevollmächtigte rügt, das – im Internet verfügbare (https://sessionnet.krz.de/en-kreis/bi/vo0050.asp? kvonr=527) – Konzept läge ihm nicht vor, ist nicht ersichtlich, warum er weder den Antragsgegner noch das Gericht um Übersendung bittet.
Die im Rahmen eines schlüssigen Konzepts ermittelte abstrakte Angemessenheit einer Bruttokaltmiete bis 444,00 EUR stellt einen Anscheinsbeweis dafür dar, dass diese Brut-tokaltmiete auch konkret angemessen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, juris, 33; Sozialgericht [SG] Dortmund, Urteil vom 19.02.2016, S 62 SO 444/14, juris, Rn. 48). Von der konkreten Angemessenheit höherer Kosten ist deshalb nur dann auszugehen, wenn die Antragsteller substantiiert darlegen, dass eine Wohnung für sie zu der abstrakt angemessenen Bruttokaltmiete nicht anmietbar ist. Das haben die Antragsteller nicht getan. Der pauschale Hinweis, es sei "aufgrund der aktuellen Situation am Wohnungsmarkt nicht möglich, eine andere Wohnung zu einem niedrigeren Mietzins anzumieten", genügt nicht. Gleiches gilt für die Behauptung, für die Antragstellerin zu 2) wäre ein Umzug wegen einer bei ihr bestehenden Entwick-lungsstörung sehr anstrengend. Es müsse lange nach einem leidensgerechten Umfeld gesucht werden. Denn für eigene Bemühungen der Antragsteller, eine andere, günstigere – ggf. auch leidensgerechte – Wohnung zu finden, ist nichts ersichtlich.
Soweit die Antragsteller ein Mietkautionsdarlehen und die laufende Miete begehren, be-steht jedenfalls kein Anordnungsgrund. Anordnungsgrund kann nur die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung sein. Der Nachteile muss durch die begehrte Entscheidung abgewendet werden können (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 21.05.2012, L 12 AS 687/12 B ER, L 12 AS 688/12 B, juris, Rn. 21). Entscheidend ist insoweit, ob es nach den Umständen des Einzelfalles für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ein wesentlicher Nachteil liegt vor, wenn der Antragsteller konkret in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht ist oder ihm sogar die Vernichtung der Lebensgrundlage droht.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Zwar droht den Antragstellern mit dem Verlust der Wohnung ein wesentlicher Nachteil. Dieser kann jedoch gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) durch ein Mietkautionsdarlehen und laufende Mietzahlungen nicht abgewendet werden, wenn nicht auch die rückständige Miete bezahlt wird. Dazu sind die Antragsteller nach Ablehnung ihres diesbezüglichen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen fehlender eigener finanzieller Möglichkeiten nicht in der Lage.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts hat Erfolg. Die Voraussetzungen der §§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO liegen vor. Die Rechtsverfolgung bietet insbesondere hinreichend Aussicht auf Erfolg. Zwar ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach dem Dafürhalten des Gerichts aus vorstehenden Gründen abzulehnen. Die Entscheidung hängt jedoch mit den Darlegungsanforderungen bezüglich schlüssiger Konzepte im Eilverfahren und dem diesbezüglichen Prüfungsumfang des Gerichts von schwierigen Rechtsfragen ab, die in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sind.
Erstellt am: 03.07.2017
Zuletzt verändert am: 03.07.2017