Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 16.02.2017 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auch im Berufungsverfahren. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2).
Der am 00.00.1969 geborene Kläger ist Dipl.-Architekt. Seit dem 08.02.1999 ist der Kläger Mitglied bei der Beigeladenen zu 1), der Bayerischen Architektenversorgung, und seit dem 23.01.2001 Pflichtmitglied bei der Beigeladenen zu 3), der Bayerischen Architektenkammer. Zum Zeitpunkt der Begründung der Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 3) hatte der Kläger seinen Wohnsitz in Bayern.
Vom 10.08.1998 bis zum Jahr 2005 war der Kläger als Architekt in einem Architekturbüro beschäftigt. Mit Bescheid vom 15.04.1999 befreite die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, den Kläger für diese Beschäftigung ab Antragstellung (08.02.1999) von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung.
Vom 10.08.2005 bis zum 30.09.2006 war der Kläger als Architekt selbstständig tätig, bevor er ab dem 01.10.2006 ein Beschäftigungsverhältnis bei der Beigeladenen zu 2), der C GmbH & Co. mit Sitz in H in Nordrhein-Westfalen aufnahm. Der Kläger wurde ausweislich der vorgelegten Stellenbeschreibung als Dipl.-Ingenieur Architekt im Hauptbereich der Beigeladenen zu 2) "Abrechnungsservice, Sachbearbeiter Abrechnungsservice" eingestellt. Auf den Inhalt der Stellenbeschreibung wird im Übrigen verwiesen. Nach der Mitteilung der Beigeladenen zu 2) verteilten und verteilen sich die Aufgaben wie folgt: 50 % Energieberatung und Energieausweiserstellung, 20 % Gesamtprozess der Rauchmeldeabwicklung und 10 % Verbrauchsanalyse. Die übrige Arbeitszeit verteilte und verteilt sich gleichmäßig auf die weiteren Hauptaufgaben des Klägers.
Nachdem bei der Beigeladenen zu 2) eine Betriebsprüfung durchgeführt worden war, stellte der Kläger am 19.05.2014 bei der Beklagten einen formularmäßigen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung ab Beginn seiner Beschäftigung für die Beigeladene zu 2) zum 01.10.2006.
Mit Bescheid vom 09.10.2014 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) mit der Begründung ab, dass es sich hierbei um keine spezifische Tätigkeit eines Architekten handele. Es müsse ein innerer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Mitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung bzw. der Kammer bestehen. Insbesondere müsse es sich um eine berufsspezifische Tätigkeit handeln, für welche eine Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bzw. Versorgungseinrichtung erforderlich sei. Das Leistungsbild des Architekten werde durch das zugrundeliegende Hochschulstudium geprägt und durch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) genau definiert. Dies umfasse für die Gebäudeplanung und Realisierung die Leistungsphasen der Grundlagenermittlung, Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung, Ausführungsplanung, Vorbereitung der Vergabe, Mitwirkung bei der Vergabe, Objektüberwachung, Objektbetreuung und Dokumentation. Nach der Gesamtschau der dem Kläger übertragenen Aufgaben entspreche seine Tätigkeit nicht dem spezifischen Bild eines Architekten. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liege im Bereich der Energieberatung/Brandschutz. Hierfür sei weder die Ausbildung zum Architekten erforderlich noch würden etwaige berufsspezifische Tätigkeiten der ausgeübten Tätigkeit das Gepräge geben.
Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Beklagte für die Beurteilung der berufsspezifischen Tätigkeit unzutreffend alleine auf die Honorarordnung der Architekten abstelle und nicht auf die Baukammergesetze der jeweiligen Länder. Diese seien für die Beurteilung maßgeblich, ob es sich um eine berufsspezifische Tätigkeit handele, für die eine Befreiung von der Versicherung in der Rentenversicherung infrage komme. Seine Tätigkeiten würden aber von der maßgeblichen Regelung des Art 3 Abs 1 und 6 des Baukammergesetzes Bayern (BauKaG BY) erfasst. Diesen Bestimmungen unterfalle u.a. seine Sachverständigentätigkeit.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2015 als unbegründet zurück. Die Tätigkeit des Klägers setze nicht zwingend die Ausbildung zum Architekten voraus. Eine Architektenausbildung sei für die Tätigkeit eines Energieberaters bzw. für die Rauchmelderabwicklung vorteilhaft; diese müssten aber nicht zwingend von einem Architekten ausgeführt werden. Das Tätigkeitsprofil des Klägers enthalte einige architektenspezifische Tätigkeiten, nach der Gesamtschau seines Tätigkeitsbereichs seien berufsspezifischen Tätigkeiten eines Architekten jedoch nicht prägend.
Hiergegen hat der Kläger am 26.11.2015 Klage bei dem Sozialgericht erhoben. Er hat erneut geltend gemacht, dass es auf die Leistungsbeschreibung der HOAI für die Frage einer berufsspezifischen Tätigkeit nicht ankomme, sondern dass auf die berufsrechtlichen Regelungen zurückgegriffen werden müsse. Beispielsweise umfasse die Tätigkeit der Architekten nach § 1 Abs 1 BauKaG Nordrhein-Westfalen (NW) die gestaltende, technische, energetische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Planung von Bauwerken. Nach der Vorschrift seien auch die Sachverständigentätigkeit sowie die Wahrnehmung der sicherheits- und gesundheitstechnischen Belange bei der Nutzung von Bauwerken Teil des Tätigkeitsfeldes eines Architekten. Selbst wenn man aber auf die HOAI abstellen wolle, werde der Großteil seiner ausgeübten Tätigkeiten von dieser erfasst, insbesondere der energetische Bereich, der mehr als die Hälfte seines Handlungsfeldes ausmache. Ob er für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) eine Ausbildung zum Architekten zwingend benötige, sei ebenso unerheblich wie die konkrete Bezeichnung seiner Stelle. Zwar komme durch die arbeitsvertragliche Bezeichnung seiner Stelle nicht zum Ausdruck, dass es sich hierbei um eine berufsspezifische Tätigkeit eines Architekten handele. Dies liege allerdings allein daran, dass er sich mit seiner Qualifikation und seiner Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) nicht einem gesonderten Abteilungsbereich habe zuordnen lassen. Er sei daher lediglich formal dem Hauptbereich des Abrechnungsservice zugeteilt worden, obwohl er keine Aufgabe im Abrechnungsservice übernehme.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 04.05.2016 zunächst die Bayrische Architektenversorgung sowie die Arbeitgeberin des Klägers, die C GmbH & Co, und anschließend mit Beschluss vom 11.07.2016 die Bayerische Architektenkammer beigeladen.
Letztere hat insbesondere ausgeführt, dass die von der Beigeladen zu 2 beschriebenen Tätigkeitsinhalte des Klägers nicht nur den in Art 3 Abs 1 und 6 BauKaG BY genannten Berufsaufgaben eines Architekten entsprächen. Sie seien im Übrigen auch typische honorarfähige Leistungen nach der HOAI. Dass es wesensverwandte Berufe mit entsprechenden Tätigkeitsprofilen gebe, spreche nicht gegen die Ausübung einer berufsspezifischen Tätigkeit.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.02.2017 hat der Kläger ausgeführt, seine Arbeitgeberin sei nicht mehr eine reine Abrechnungsgesellschaft, sondern biete ihren Kunden umfassende Beratungsleistungen. Auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls wird im Übrigen Bezug genommen. Der Bevollmächtigte der Beigeladenen zu 2) hat im Termin bestätigt, dass die Bezeichnung des Klägers als "Sachbearbeiter Abrechnungsservice" nicht seinem tatsächlichen Tätigkeitsbild entspreche. Der Vertreter der Beklagten hat im Termin zur mündlichen Verhandlung eine Befreiung des Klägers auch für den Zeitraum vor Antragstellung, d.h. vor dem 19.05.2014, für den Fall zugesichert, dass eine rechtskräftige Entscheidung sie hierzu für den Zeitraum ab Antragstellung verpflichte.
Der Kläger hat daraufhin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 09.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2015 zu verurteilen, ihn von seiner Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit bei der C GmbH & Co. als "Sachbearbeiter im Bereich Abrechnungsservice" aufgrund seines Antrags vom 19.05.2014 ab dem 19.05.2014 zu befreien.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat weiterhin geltend gemacht, dass für die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen zu 2) keine Architektenausbildung vorausgesetzt sei und nach der Stellenbeschreibung auch keine spezifische Architektentätigkeit ausgeübt werde. Nach dem Gesamtbild seiner Berufstätigkeit übe der Kläger keine für Architekten typische Arbeit aus, für welche eine Kammerzugehörigkeit Voraussetzung wäre. Soweit der Kläger Aufgaben übernehme, die einigen Leistungsphasen der HOAI entsprächen, so würden diese nicht den deutlichen Schwerpunkt seiner Tätigkeit bilden.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Mit Urteil vom 16.02.2017 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2015 verurteilt, den Kläger von seiner Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit bei der C GmbH & Co. als "Sachbearbeiter im Bereich Abrechnungsservice" aufgrund seines Antrags vom 19.05.2014 ab dem 19.05.2014 zu befreien. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger für seine Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) erfülle. Der Kläger sei im streitgegenständlichen Zeitraum wegen seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) Pflichtmitglied der Beigeladenen zu 1) und 3) gewesen. Der Kläger habe eine hierfür erforderliche berufsspezifische Tätigkeit als Architekt ausgeübt, d.h. Berufsaufgaben im Sinne von Art. 3 Abs 1 BauKaG BY wahrgenommen. Die Befreiung wirke gemäß § 6 Abs 4 S 1 SGB VI vom Tag der Antragstellung an.
Gegen das ihr am 17.03.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.04.2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorliegen der erforderlichen berufsspezifischen Tätigkeit anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen sei. Entscheidend sei, ob der Kläger wegen seiner Beschäftigung als Sachbearbeiter im Bereich Abrechnungsservice bei der Beigeladenen zu 2) Pflichtmitglied in der Bayerischen Architektenkammer und zugleich Pflichtmitglied der Bayerischen Architektenversorgung sei. Der Bayerischen Architektenkammer gehörten nach Art 12 Abs 3 BauKaG BY u.a. die in die Architektenliste eingetragenen Architektinnen und Architekten an. Nach Art 4 Abs 2 BauKaG BY sei in die Architektenliste auf Antrag einzutragen, wer Wohnsitz, Niederlassung oder überwiegende berufliche Beschäftigung in Bayern und die weiteren Ausbildungsvoraussetzungen erfüllt habe.
Der Kläger übe seine streitgegenständliche Beschäftigung seit dem Jahr 2006 in H im Bundesland Nordrhein-Westfalen aus. Seit dem 08.02.1999 sei er kraft Gesetzes Mitglied der Beigeladenen zu 1) und seit dem 23.01.2001 kraft Gesetzes Mitglied der Beigeladenen zu 3). Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers bei der Beigeladenden zu 3) bestehe insoweit nicht wegen der streitgegenständlichen Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2).
Im Übrigen sei auf das Urteil des 14. Senats des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 19.05.2017 – L 14 R 1109/14 – zu verweisen, in welchem die Tätigkeit eines Energieberaters für die Verbraucherzentrale NRW nicht als berufsspezifisch bewertet worden sei. Die Nichtzulassungsbeschwerde des dortigen Klägers sei erfolglos geblieben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.02.2017 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Die Beigeladene zu 1) verweist darauf, dass eine materielle Überprüfung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalens vom 19.05.2017 nicht stattgefunden habe, da die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen worden sei. In seinem Urteil vom 07.12.2017 – B 5 RE 10/16 R – habe das Bundessozialgericht allerdings erneut die Verbindlichkeit des berufsrechtlichen Landesrechts als Prüfungsmaßstab dafür, ob eine Tätigkeit berufsspezifisch sei, bestätigt und weitere von der Beklagten geforderte Tatbestandsmerkmale wie die Ausübung einer approbationspflichtigen Tätigkeit abgelehnt. Wenn – wie in der dortigen Entscheidung ausgeführt – für einen Befreiungsanspruch von Tierärzten nicht gefordert werden könne, dass die maßgebliche Tätigkeit approbationspflichtig, also dem Kernbereich der Tätigkeit eines Tierarztes zuzuordnen sei, und es genüge, dass die Tätigkeit als im Sinne des jeweiligen Berufsrechts berufsspezifisch zu bewerten sei, so gelte dies gleichermaßen für den Berufsstand der Architekten. Auch bei den Architekten fordere das Gesetz keine Ausübung einer berufs-exklusiven Tätigkeit für eine Befreiung nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI. Der Aufnahme in die Architektenkammer und das ihr zugeordnete Versorgungswerk komme im Übrigen eine erhebliche Indizwirkung zu, aufgrund derer der Rentenversicherungsträger zunächst durchaus annehmen dürfe und müsse, dass es sich bei der entsprechenden Person um einen Architekten handele. Dies lasse zwar nicht die Prüfungspflicht oder gar das Prüfungsrecht der Beklagten entfallen. Allerdings komme der Auslegung des Berufsrechts durch die Architektenkammer erhebliches Gewicht zu.
Die von der Beklagten benannten Vorschriften der HOAI könnten zwar Indiz für das Vorliegen einer berufsspezifischen Tätigkeit sein, bildeten jedoch das mögliche typische Tätigkeitsspektrum eines Architekten im Sinne des BauKaG nicht abschließend ab.
Aus diesem Grund könne nicht die berufsspezifische Tätigkeit eines Architekten auf Honorartatbestände der HOAI reduziert werden. Die Berufsaufgaben würden durch das Berufsrecht und nicht das Preisrecht bestimmt. So heiße es in § 1 HOAI, dass diese Verordnung nur die Berechnung der Entgelte für die Grundleistungen der Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen regele. Und selbst dieser Anwendungsbereich sei nur eröffnet, soweit die Grundleistungen überhaupt durch die HOAI erfasst würden. Folglich gebe es durchaus zahlreiche Tätigkeiten eines Architekten, die im Sinne des BauKaG als für einen Architekten berufsspezifisch definiert würden, jedoch nicht dem Vergütungsregime der HOAI unterfielen.
Schließlich sei zu berücksichtigen, dass der Kläger Pflichtmitglied der Bayerischen Architektenversorgung sei, weil er Mitglied der Bayerischen Architektenkammer sei (§ 15 Abs 1 der Satzung der Bayerischen Architektenversorgung). Für diese Pflichtmitgliedschaft sei es unerheblich, ob und in welchem anderen Bundesland eine betroffene Person ggf. weitere Mitgliedschaften in der jeweiligen Architektenkammer begründe.
Der Kläger hat auf eine Nichtzulassungsbeschwerdeentscheidung vom 13.12.2018 (B 5 RE 1/18 B) verwiesen.
Die Beklagte hat erneut darauf verwiesen, dass der Kläger in Nordrhein-Westfalen beschäftigt sei. Wegen dieser Tätigkeit sei er nicht aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer. Denn diese Mitgliedschaft bestehe lediglich in der Bayerischen Architektenversorgung und der Bayerischen Architektenkammer.
Der Senat hat eine Einwohnermeldeamtsanfrage durchgeführt, ausweislich derer der Kläger in der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.03.2015 weder Haupt- noch Nebenwohnsitz in Bayern hatte.
Die Beigeladene zu 3) hat ausgeführt, das Bestehen eines Nebenwohnsitzes sei ausreichend für die Kammermitgliedschaft. Eine etwaige Löschung bei Wegfall der tatbestandlichen Voraussetzungen sei durch Verwaltungsakt vorzunehmen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht mit Urteil vom 16.02.2017 unter Aufhebung des Bescheides vom 09.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2015 verurteilt, den Kläger von seiner Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit bei der C GmbH & Co. als "Sachbearbeiter im Bereich Abrechnungsservice" aufgrund seines Antrags vom 19.05.2014 ab dem 19.05.2014 zu befreien.
Der angefochtene Bescheid vom 09.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.10.2015 ist rechtswidrig. Der Kläger hat auch zur Überzeugung des Senats ab dem 19.05.2014 einen Befreiungsanspruch.
Nach § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI werden von der Versicherungspflicht Beschäftigte für die Beschäftigung befreit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseigenrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (Berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.
Ob die vorgenannten Tatbestandsvoraussetzungen der Norm vorliegen, ist anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen zu prüfen (BSG Urteil vom 07.12.2017 – B 5 RE 10/16 R). Wegen der Anknüpfung des Befreiungstatbestandes an die konkret ausgeübte Beschäftigung kommt es nicht auf die abstrakte berufliche Qualifikation des Beschäftigten an. Maßgebend ist vielmehr die Klassifikation konkret der Tätigkeit, für welche die Befreiung begehrt wird (BSG Urteil vom 31.10.2012 – B 12 R 3/11 R, Rn 35). Gesetzlich gefordert ist die positive Feststellung, dass dieselbe Erwerbstätigkeit, die die Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung begründet hat, wegen ihrer Ausübung in der Form der Beschäftigung zugleich Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet (BSG Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R, Rn 46). Die Formulierung in § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI, dass die betreffende Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung "wegen" einer Beschäftigung bestehen muss, kam mit der Neufassung durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze mit Wirkung vom 01.01.1996 in das Gesetz. Um eine schärfere Abtrennung der Berufsgruppen vorzunehmen, die in einem berufsständischen Versorgungswerk versichert sind, wurde die Befreiungsmöglichkeit der Mitglieder einer berufsständischen Versorgung nur noch für den Fall zugelassen, dass neben der Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk die Mitgliedschaft in der jeweiligen Berufskammer vorgeschrieben wurde (BT-Drs 13/2590 S 18). Mit der Entwurfsbegründung und dem geänderten Gesetzeswortlaut befasst sich Giessen in "Rentenversicherungspflicht angestellter Freiberufler" in NZA 2014, 1297, 1298 und arbeitet heraus, dass weder die Entwurfsbegründung noch die Wortlautauslegung bei der Interpretation des "wegen" weiterhelfen. Grund sei, dass ein Versicherter nie wegen irgendeiner Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung ist. Er ist Einrichtungsmitglied, weil er Mitglied einer Kammer ist. Die Kammermitgliedschaft wiederum beruht nicht auf einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit, sondern darauf, dass eine bestimmte Qualifikation erzielt wurde. Erforderlich, aber auch ausreichend für die normativ gebotene kausale Verknüpfung von Tätigkeit und Mitgliedschaft in der entsprechenden Kammer und Versorgungseinrichtung ist daher die Ausübung einer berufsspezifischen Tätigkeit.
Die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt der Kläger jedenfalls für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom Zeitpunkt seiner Antragstellung am 19.05.2014 an. Einschlägig für diese Feststellung sind die versorgungs- und kammerrechtlichen Normen des Bundeslandes Bayern.
Der Kläger ist bei der Beigeladenen zu 2) in nicht geringfügigem Umfang abhängig und damit versicherungspflichtig beschäftigt.
Seit dem 23.01.2001 ist der Kläger durchgehend Pflichtmitglied bei der Beigeladenen zu 3), der Bayerischen Architektenkammer. Die Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 3) bestand während des gesamten hier streitgegenständlichen Zeitraums. Nach Art 12 Abs 3 Satz 1 BauKaG BY gehören der Architektenkammer (u.a.) alle in die Architektenliste eingetragenen Architekten an. Die entsprechende Eintragung des Klägers in die Architektenliste erfolgte 2001 zu Recht. Nach Art 4 Abs 2 Nrn 1-3 BauKaG BY ist in die Architektenliste auf Antrag einzutragen, wer Wohnsitz, Niederlassung oder überwiegende berufliche Beschäftigung in Bayern, eine erfolgreiche Abschlussprüfung in einem Studium [ ] der Fachrichtung Architektur und eine nachfolgende praktische Tätigkeit in der betreffenden Fachrichtung von mindestens zwei Jahren ausgeübt hat. Der Kläger erfüllte zum damaligen Zeitpunkt diese Voraussetzungen einschließlich des Wohnsitzes in Bayern. Seine Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 3) ist auch nicht durch den Umstand entfallen, dass er seinen Hauptwohnsitz 2005 nach NRW verlegt hat und seit 2006 für die Beigeladene zu 2), d.h. für ein in dem Bundesland Nordrhein-Westfalen ansässiges Unternehmen tätig wurde. Zwar hatte der Kläger in der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.03.2015 weder Haupt- noch Nebenwohnsitz in Bayern und erfüllte damit jedenfalls während eines Teils des hier streitigen Zeitraums, nämlich vom 19.04.2014 bis zum 31.03.2015 nicht mehr die Voraussetzungen für die Eintragung in die Architektenliste der Beigeladenen zu 3). Allerdings hat der Kläger ab dem 01.04.2015 und damit auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats wieder einen Nebenwohnsitz in Bayern begründet. Er erfüllt damit die Voraussetzungen für die Eintragung, Art 4 Abs 2 Nr 1 BauKaG BY. Die entsprechende Sichtweise der Beigeladenen zu 3) findet ihre Bestätigung in der Gegenüberstellung mit der Parallelnorm des § 4 Abs 1 BaukaG NW, welche abweichend an das Vorliegen einer "Hauptwohnung" anknüpft. In der Zwischenzeit hat der Kläger seinen Status als Mitglied der Architektenkammer nicht verloren. Nach Art 12 Abs 3 Satz 2 BauKaG BY endet die Mitgliedschaft, wenn die Eintragung in der Architektenliste gelöscht wird. Die Löschung der Eintragung in der Architektenliste bedarf eines Verwaltungsaktes. Nach Art 6 Abs 2 Nr 4 BauKaG BY ist die Eintragung zu löschen, wenn die eingetragene Person ihren Wohnsitz, ihre Niederlassung oder ihre überwiegende berufliche Beschäftigung in Bayern dauerhaft aufgibt. Ob die Voraussetzung der dauerhaften Aufgabe des Wohnsitzes hier vorliegt, spielt keine Rolle. Denn jedenfalls hat die Beigeladene zu 3) eine entsprechende Löschungsentscheidung bis zur Wiederbegründung des Nebenwohnsitzes nicht getroffen.
Die durchgehende Pflichtmitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 1) während des streitgegenständlichen Zeitraums beruht ohne weiteres auf der Mitgliedschaft bei der Beigeladenen zu 3), § 15 Abs 1 der Satzung der Bayerischen Architektenversorgung, und besteht damit aufgrund einer auf Gesetz beruhenden Verpflichtung.
Der Kläger hat schließlich im o.g. Sinne auch eine berufsspezifische Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2) ausgeübt.
Diese Feststellung richtet sich nach Art 3 Abs 1 und 6 BaukaG BY in der bis zum 31.07.2017 gültigen Fassung. Nach Abs 1 dieser Vorschrift sind Berufsaufgaben der Architektin und des Architekten insbesondere die gestaltende, technische, wirtschaftliche, umweltgerechte und soziale Planung von Bauwerken sowie die Orts- und Stadtplanung innerhalb ihrer oder seiner Fachrichtung. Nach Abs 6 der Vorschrift gehören zu den Berufsaufgaben nach Abs 1 auch die Beratung, Betreuung und Vertretung des Auftraggebers in den mit der Planung, Ausführung und Steuerung des Vorhabens zusammenhängenden Angelegenheiten sowie die Überwachung der Ausführung und die Projektentwicklung.
Nicht erforderlich ist, dass die Tätigkeit von der HOAI, d.h. dem Preisrecht der Architekten, erfasst ist. Ebenso wenig ist eine "berufs-exklusive" Tätigkeit, d.h. eine solche, die nur von einem Architekten ausgeübt werden darf, erforderlich. In diesem Zusammenhang ist auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 13.12.2018 – B 5 RE 1/18 B – hinzuweisen, in welcher betont wird, dass der Tatbestand des § 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI nicht durch ungeschriebene Tatbestandsmerkmale – wie die Approbationspflichtigkeit der ausgeübten Tätigkeit oder sonstige einschränkende Umstände – angereichert und dadurch in seinem Anwendungsbereich eingeengt werden dürfe. Nach § 1 Abs 1 des (dort maßgeblichen) Architektengesetzes Baden-Württemberg sei Berufsaufgabe des Architekten "insbesondere" die gestaltende, technische, wirtschaftliche, ökologische und soziale Planung von Bauvorhaben. Der Begriff "insbesondere" stelle eine Öffnungsklausel für weitere Tätigkeitsfelder eines Architekten dar.
Auch Art 3 Abs 1 BauKaG BY enthält diese Öffnungsklausel. Bereits nach dem bis zum 31.07.2017 geltenden bayerischen Berufsrecht der Architekten ist also von einem breit gefächerten Berufsbild auszugehen.
Der überwiegende Teil der vom Kläger ausgeübten regelmäßigen Tätigkeit erweist sich als berufsspezifisch.
Der Kläger war und ist im Kernbereich des Berufsbildes des Architekten tätig, nämlich in der Beratung des Auftraggebers bei der technischen und umweltgerechten Planung von Bauwerken.
Unter den Bereich der Beratung der umweltgerechten Planung von Bauwerken ist die Tätigkeit des Klägers im Bereich der Energieberatung und Energieausweiserstellung für Kunden der Beigeladenen zu 2) zu fassen, namentlich die Erstellung von ordnungsgemäßen Energieverbrauchs- und Energiebedarfsausweisen sowie die qualifizierte Beratung bei Anfragen von Gebäudeeigentümern zur energetischen und wirtschaftlichen Planung von Bauwerken bzw. Bauteilen und der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung von baulichen Maßnahmen unter Berücksichtigung der Genehmigungsfähigkeit von Bauvorhaben. Die Beratung im energetischen Bereich und die abschließende Erstellung von Energieausweisen zielen unmittelbar auf die umweltgerechte Planung von Bauwerken. Die Berufsbezogenheit dieses Tätigkeitsanteils wird dadurch verdeutlicht, dass die Beigeladene zu 3) mit Beschluss vom 07.12.2004 den Kläger als verantwortlichen Sachverständigen nach § 2 der bayrischen Zuständigkeits- und Durchführungsverordnung (ZVEnEV) zur Energieeinsparverordnung (EnEV) zugelassen hat. Die Befugnis zur Ausstellung solcher Ausweise setzt eine entsprechende Qualifikation voraus, beispielsweise nach § 21 Abs 1 S 1 Nr 1 lit a) 1. Alt EnEV einen berufsqualifizierenden Hochschulabschluss in der Fachrichtung Architektur. Da nach der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf das breite Berufsbilds des Architekten abzustellen ist, sind zur Überzeugung des Senats auch nicht (mehr) die vom 14. Senats des LSG NRW in seinem Urteil vom 19.05.2017 – L 14 R 1109/14 – zum Energieberater bei der Verbraucherzentrale NRW zugrunde gelegten Kriterien maßgeblich.
Darüber hinaus ist unter den Bereich der Beratung des Auftraggebers bei der technischen und umweltgerechten Planung von Bauwerken jedenfalls die Tätigkeit des Klägers für die Beigeladenen zu 2) im Bereich "Gesamtprozess der Rauchmelderabwicklung" zu fassen; namentlich die Tätigkeit als Ansprechpartner bei kundenseitiger Erstellung von Brandschutzkonzepten, bei der Erstellung von Leistungsbeschreibungen mit Leistungsverzeichnissen und im Bereich vorbeugender baulicher und bautechnischer Brandschutz, Brandschutzplanung und -ausführung. Die Berufsbezogenheit dieses Tätigkeitsanteils wird wiederum dadurch bestätigt, dass gerade die Beigeladene zu 3) den Kläger am 08.12.2004 in die Liste der Nachweisberechtigten für den vorbeugenden Brandschutz bei Vorhaben mittlerer Schwierigkeit eingetragen hat.
Dass Teile der Tätigkeit des Klägers nach der überzeugenden Darstellung der Beigeladenen zu 3) nach wie vor von der HOAI erfasste Tatbestände erfüllten, bedarf vor dem Hintergrund vorstehender Feststellungen keiner weiteren Darlegung.
Zur Überzeugung des Senats stellen die vorbezeichneten Tätigkeiten nach wie vor den überwiegenden Teil der Tätigkeit des Klägers dar. Dass die Tätigkeit im Bereich der Energieberatung und Energieausweiserstellung 50 % und die Tätigkeit im Bereich der Rauchmelderabwicklung 20 % der regelmäßigen Arbeitszeit des Klägers umfassen, hat die Beigeladene zu 2) schriftsätzlich und auch im Termin zur mündlichen Verhandlung erster Instanz schlüssig und unwidersprochen ausgeführt. In diesem Zusammenhang hat der Senat keinen Anhalt an der übereinstimmenden Darstellung des Klägers und der Beigeladenen zu 2) zu zweifeln, dass die formale Zuordnung des Arbeitsplatzes des Klägers zum Bereich Abrechnungsservice den tatsächlichen Inhalt seiner Tätigkeit nicht widerspiegelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG.
Erstellt am: 28.07.2020
Zuletzt verändert am: 28.07.2020