Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 06.02.2013 geändert. Der Antragsgegner wird einstweilen verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für Januar und Februar 2013 in der mit Bescheid vom 28.08.2012 bewilligten Höhe zu erbringen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner trägt ein Drittel der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen; Kosten im Übrigen sind nicht zu erstatten. Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Ablehnung seiner Anträge auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zur Durchsetzung dieses Antrages.
Der am 00.00.1950 geborene verheiratete Antragsteller bezog ab März 2010 ergänzend zu Einkünften aus selbständiger Tätigkeit als Bauingenieur Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt mit Bescheid vom 28.08.2012 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller unter der von diesem mitgeteilten Anschrift Q-weg 00, X, im Hinblick auf noch nicht endgültig feststehende Einkünfte Leistungen für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis 28.02.2013 vorläufig. Der Antragsteller hatte angegeben, von seiner unter der Anschrift C 00, X, wohnenden Ehefrau getrennt zu leben. Ab 01.12.2012 hat der Antragsteller eine Wohnung unter der Anschrift I-str. 00, X, angemietet, dieser Mietvertrag ist nach Angaben des Antragstellers bereits wieder gekündigt. Nach mehreren Außendienstbesuchen von Mitarbeitern des Antragsgegners sowohl im Q-weg 00 als auch unter der Adresse der Ehefrau gelangte der Antragsgegner zu der Einschätzung, der Antragsteller wohne nicht im Q-weg 00 und lebe nicht von seiner Ehefrau getrennt.
Nach einer mittlerweile wieder aufgehobenen Leistungseinstellung zum 31.10.2012 stellte der Antragsgegner mit Bescheid vom 05.12.2012 die Leistungsbewilligung zunächst zum 31.10.2012 ein, weil der tatsächliche Aufenthalt des Antragstellers nicht feststellbar sei. Insoweit wurde der Antragsgegner durch das Sozialgericht Dortmund im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, Leistungen für November und Dezember 2012 zu zahlen, weil eine Rechtsgrundlage für die Zahlungseinstellung nicht vorliege (Beschluss vom 21.12.2012 – S 38 AS 4583/12 ER).
Mit Bescheid vom 27.02.2013 stellte der Antragsgegner die Leistungsbewilligung nunmehr zum 31.12.2012 ein, weil im Hinblick auf eine Einkommenserklärung des Antragstellers vom 28.08.2012 von ausreichendem Einkommen und fehlender Hilfebedürftigkeit auszugehen sei. Der Antragsgegner setzte mit (zwei) Bescheiden vom 06.03.2013 für den Zeitraum vom 01.03.2012 bis 31.08.2012 sowie vom 01.09.2012 bis 31.12.2012 die zustehenden Leistungen endgültig fest und forderte überzahlte Leistungen zurück.
Am 27.02.2013 beantragte der Antragsteller unter der Adresse I-str. 00 die Weiterbewilligung von Leistungen. Der Antragsgegner forderte mit Schreiben vom 04.03.2013 Angaben zum Einkommen und Nachweise über die geleisteten Mietzahlungen von Dezember 2012 bis Februar 2013, der Antragsteller beantwortete die Anfrage am 14.03.2013. Nach Aktenlage ist der Leistungsantrag seit April 2013 nicht weiter bearbeitet worden.
Mit Antrag an das Sozialgericht vom 07.01.2013 hat der Antragsteller die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.12.2012 begehrt. Das Sozialgericht hat den Antragsteller mit Schreiben vom 25.01.2013 unter Fristsetzung zum 04.02.2013 zur Vorlage von Unterlagen, u.a. vollständiger ungeschwärzter Kontenauszüge sämtlicher Konten vom 15.11.2012 bis 25.01.2013, einer tabellarischen Vermögensaufstellung und des Vordrucks für Angaben zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen als Voraussetzung für die Bewilligung von PKH aufgefordert. Daraufhin hat der Antragsteller als Anlage zum Schriftsatz vom 22.01.2013 den Vordruck sowie einige Kontenauszüge eingereicht.
Mit Beschluss vom 06.02.2013 hat das Sozialgericht sowohl den Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners als auch den Antrag auf Bewilligung von PKH abgelehnt. Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
Gegen den am 09.02.2013 zugestellten Beschluss richtet sich die am 06.03.2013 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, in deren Rahmen Akteneinsicht genommen wurde. Die Beschwerde ist bislang nicht begründet worden. Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren zum Beleg seiner durchgängigen Annahme, der Antragsteller wohne nicht an der angegebenen Anschrift, sondern halte sich am vormaligen gemeinsamen Wohnort mit seiner Ehefrau auf, einen Außendienstbericht vom 03.05.2013 über Ermittlungen in der I-str. 00 vorgelegt.
II.
Die zulässigen Beschwerden des Antragstellers sind nur zum Teil begründet.
Teilweise begründet ist die Beschwerde hinsichtlich der Verpflichtung zur Zahlung der mit Bescheid vom 28.08.2012 für Januar und Februar 2013 bewilligten Leistungen.
Die vorläufige Einstellung von Leistungen ist im SGB II durch Verweisung auf die Vorschriften des SGB III geregelt. Nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB II gilt die Vorschrift des SGB III über die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 SGB III entsprechend und damit auch die sich aus § 331 Abs. 2 SGB III ergebende Verpflichtung des Leistungsträgers, eine vorläufig eingestellte laufende Leistung unverzüglich nachzuzahlen, soweit der Bescheid, aus dem sich der Anspruch ergibt, zwei Monate nach der vorläufigen Einstellung der Zahlung nicht mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben ist. Zwar hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 06.03.2013 den Bescheid vom 28.08.2012 aufgehoben, indes bezieht sich diese Aufhebung nur auf die Zeit bis Dezember 2012. Eine Aufhebung für Januar und Februar 2013 ist noch nicht erfolgt.
Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II ebenso zutreffend abgelehnt, wie den Antrag auf Bewilligung von PKH zur Durchsetzung dieses Anspruchs. Weder im Antragsverfahren noch im Beschwerdeverfahren sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund als kumulativ erforderliche Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG glaubhaft gemacht worden. Der Senat nimmt insoweit auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses Bezug (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG), der die Beschwerde nicht entgegengetreten ist.
Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass jedenfalls der Bejahung eines Anordnungsgrundes auch eine mangelhafte Mitwirkung im Verwaltungsverfahren entgegenstehen kann. Es besteht kein Bedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes, solange nicht alle zumutbaren Möglichkeiten der Rechtsverfolgung ohne Inanspruchnahme des Gerichts ausgeschöpft sind (vergl. hierzu nur: Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. § 73a Rdnr. 26 b mwN). Zu diesen Möglichkeiten zählen u.a. die Antragstellung beim zuständigen Leistungsträger sowie die Beibringung aller entscheidungserheblichen Informationen, insbesondere auch zum tatsächlichen Aufenthalt. Diese Möglichkeiten hat der Antragsteller nicht ausgeschöpft. Vielmehr verweigert er die Kooperation insbesondere bei der Feststellung seines tatsächlichen Wohnortes. Infolge dieses Verhaltens ist weder seine Bedürftigkeit feststellbar, die bei fortbestehender Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau aufgrund ihres Renteneinkommens mindestens teilweise fraglich wäre, noch ermöglicht der Antragsteller die Überprüfung, ob bei ihm ein Leistungsanspruch wegen Ortsabwesenheit kraft Gesetzes gänzlich ausgeschlossen ist.
Nach der hier noch anwendbaren Fassung von § 7 Abs. 4a SGB II (Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006, BGBl I 1706 mit Wirkung vom 01.08.2006), die wegen des bislang unterbliebenen Erlasses der im Nachfolgerecht vorgesehenen Verordnung (§§ 7 Abs. 4a, 13 Abs. 3, 77 Abs. 1 SGB II i.d.F. der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl I 850) weiterhin gilt, wird der Zusammenhang zwischen Leistungsanspruch und Ortsanwesenheit wie folgt hergestellt:
"Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die 1. Änderungsanordnung vom 16. November 2001 (ANBA Nr. 12 vom 28. Dezember 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend."
Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EAO kann ein Arbeitsloser Vorschlägen zur beruflichen Eingliederung zeit – und ortsnah Folge leisten, wenn er in der Lage ist, unverzüglich
1. Mitteilungen des Arbeitsamtes persönlich Kenntnis zu nehmen,
2. das Arbeitsamt aufzusuchen,
3. mit einem möglichen Arbeitgeber oder Träger einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme in Verbindung zu treten und bei Bedarf persönlich mit diesem zusammenzutreffen und
4. eine vorgeschlagene Arbeit anzunehmen oder an einer beruflichen Eingliederungsmaßnahme teilzunehmen.
Nach der Rechtsprechung des BSG zu der bei Ansprüchen nach dem SGB III ebenfalls geltenden EAO ist es unverzichtbar, dass sich der Arbeitslose zu irgendeiner Tageszeit nach Eingang der Briefpost in seiner dem Leistungsträger bekannten Wohnung aufhält, um der Forderung des § 1 EAO zu genügen (vgl. BSG, Urteil vom 03.05.2001 – Az. B. 11 AL 71/00 R = juris Rn. 20 = SozR 3-4300 § 119 Nr. 2).
Ob alle Anforderungen nach der EAO uneingeschränkt auf das Recht des SGB II anzuwenden sind (vgl. z.B. die kritischen Äußerungen zur uneingeschränkten Übertragbarkeit des Erfordernisses postalischer Erreichbarkeit auf den Leistungsbereich des SGB II: Bayerisches LSG Urteil vom 02.02.2012 – L 11 AS 853/09), lässt der Senat im vorliegenden Eilverfahren offen. Mit seiner Weigerung, an der Feststellung seines tatsächlichen Aufenthaltes mitzuwirken, verstößt der Antragsteller unabhängig von der Frage, ob sämtliche Anforderungen der EAO gelten, jedenfalls gegen deren Grundgedanken nach Vorstellung des Normgebers. § 7 Abs. 4a SGB II soll dazu beitragen, die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen zu vermeiden (BT-Drucks 16/1696 S. 26). Hintergrund für die Neuregelung war der Umstand, dass bis zur Einfügung des § 7 Abs. 4a SGB II Regelungen über den auswärtigen Aufenthalt (Ortsabwesenheit) nur in der Eingliederungsvereinbarung getroffen werden konnten, also im Wege der schriftlich vereinbarten Absprache zwischen dem Sachbearbeiter des Grundsicherungsträgers und dem Leistungsberechtigten. Hieraus folgte im Falle der Nichteinhaltung der Absprache durch den Leistungsberechtigten eine Absenkung des ALG II nach § 31 Abs. 1 S 1 Nr. 1b SGB II (i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706, m.W.v. 01.01.2007). Insbesondere bei einem länger andauernden Aufenthalt im Ausland, bei dem dennoch der gewöhnliche Aufenthalt in Deutschland bestehen blieb, sei – so die Begründung zum Gesetzentwurf in der Ausschusssitzung – die dort vorgesehene Absenkung um lediglich 30 v.H. der Regelleistung nicht geeignet, den Hilfebedürftigen zu einer Rückkehr nach Deutschland und aktiven Mitwirkung an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bewegen. Deshalb sollte künftig der Anspruch auf Leistungen bei einem Verstoß gegen den in § 7 Abs. 4a SGB II formulierten Grundsatz ganz entfallen (BT-Drucks 16/1696; S 26). Durch die "Androhung" des Wegfalls der passiven Leistungen soll der Leistungsberechtigte zur Mitarbeit an der Eingliederung bewegt werden. Dies folgt auch aus der in § 7 Abs. 4a SGB II in Bezug genommenen EAO selbst. In § 1 Abs. 2 S. 2 EAO heißt es zu den Ausnahmen vom Grundsatz der ständigen Erreichbarkeit des Arbeitslosen ausdrücklich: "Es (das Arbeitsamt) lässt sich von dem Ziel leiten, den Arbeitslosen beruflich einzugliedern ". Ebenso wie die Absenkung der Geldleistung wegen des Eintritts einer Sanktion nach § 31 SGB II hat § 7 Abs. 4a SGB II den Sinn, dem Grundsatz des "Forderns" in § 2 SGB II Nachdruck zu verleihen (BSG, Urteil vom 16.05.2012 – B 4 AS 166/11 R).
Bei dem Antragsteller ist gegenwärtig nicht nur nicht festgestellt, wo er sich tatsächlich aufhält; darüber hinaus bestehen vielmehr auch konkrete Hinweise auf Tätigkeiten außerhalb des Nahbereiches (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners vom 26.06.2013). Es obliegt daher nun dem Antragsteller, durch ausreichende Mitwirkung im Verwaltungsverfahren begründete Zweifel zu beseitigen (zum Umfang der gerade selbständig tätigen Beziehern von Leistungen nach dem SGB II zumutbaren Mitwirkungen vergl. jüngst BSG, Urteil vom 28.03.2013 – B 4 AS 42/12 R).
Erfolglos bleibt die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH für das Antragsverfahren.
Zwar kann der beabsichtigten Rechtsverfolgung die für die Bewilligung von PKH nach §§ 73a SGG, 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nach Vorstehendem nicht gänzlich abgesprochen werden. Es fehlt jedoch durchgehend und weiterhin an der Glaubhaftmachung einer Bedürftigkeit des Antragstellers als weiterer Voraussetzung für die Bewilligung von PKH nach §§ 73a SGG, 114 ZPO. Weder hat der Antragsteller die bereits vom Sozialgericht mit Schreiben vom 01.02.2013 angeregte Ergänzung der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt noch im gesamten, mehr als drei Monate umfassenden Beschwerdeverfahren irgendeinen Beitrag zur Transparenz seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse geleistet. Auch im Hinblick auf die vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 26.06.2013 plausibel geschilderten Umstände, die den Verdacht einer "Scheinselbständigkeit" des Antragstellers begründen, ist es dem Antragsteller nicht gelungen, die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH auch nur glaubhaft zu machen.
Die Kostenentscheidung bezüglich des Eilverfahrens beruht auf § 193 SGG entsprechend. Die Kostenquote orientiert sich am Verhältnis des Obsiegens für zwei Monate zur regelmäßigen, auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes insoweit den Maximalerfolg limitierenden Bewilligungsdauer von sechs Monaten nach § 41 Abs.1 S. 4 SGB II. Hinsichtlich der Entscheidung über die PKH beruht die Kostenentscheidung auf §§ 73a Abs.1 Satz 1 SGG, 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 24.07.2013
Zuletzt verändert am: 24.07.2013