Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 19.03.2012 abgeändert. Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D, E, bewilligt.
Gründe:
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.
Die Klägerin steht im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitsuchendes – (SGB II).
Mit Bescheid vom 18.02.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin sowie ihrem damaligen Lebensgefährten, dem zwischenzeitlich verstorbenen Herrn M, für die Zeit vom 01.01.2011 bis zum 30.06.2011 Leistungen in Höhe von monatlich insgesamt 776,21 EUR. Durch Änderungsbescheid vom 23.03.2011 hob die Beklagte die bewilligten Leistungen auf 802,21 EUR an. Mit erneutem Bescheid vom 23.05.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin und ihrem Lebensgefährten für den vorbenannten Zeitraum weiterhin monatlich 802,21 EUR. Nach dem Tod des Lebensgefährten hob die Beklagte mit Bescheid vom 20.06.2011 die Bewilligung für die Monate Mai und Juni 2011 teilweise auf und berechnete den Leistungsanspruch der Klägerin für die Zeit ab dem 01.05.2011 neu. Mit Schreiben vom 25.06.2011 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.05.2011 mit der Begründung ein, der Regelbedarf sei in verfassungswidriger Weise zu gering bemessen. Mit weiterem Widerspruchsschreiben vom 21.07.2011 richtete sich die Klägerin auch gegen den Bescheid vom 20.06.2011. Dieses Widerspruchsverfahren wurde auf Antrag der Klägerin ruhend gestellt. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2011 wurde der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 23.05.2011 zurückgewiesen.
Am 27.09.2011 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben und beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.05.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2011 zu verurteilen, ihr höhere Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Regelungen über die Höhe der Leistungen seien für die Zeit ab dem 01.01.2011 verfassungswidrig.
Sie hat überdies beantragt,
ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D, E, zu bewilligen.
Mit Beschluss vom 19.03.2012, der Klägerin zugestellt am 21.03.2012, hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D, E, abgelehnt. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.
Hiergegen hat die Klägerin am 21.03.2011 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung verweist sie erneut darauf, dass die Höhe der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2011 aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte, die sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D zu gewähren.
Prozesskostenhilfe steht der Klägerin nach § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach summarischer Prüfung hinreichende Erfolgsaussicht aufweist.
Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, wobei diese angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (Bundesverfassungsgericht – BVerfG – Nichtannahmebeschluss vom 19.07.2010 – 1 BvR 1873/09 = NJW 2010, 3083 ff.= juris Rn. 11; Beschluss vom 19.02.2008 – 1BvR 1807/07 = NJW 2008, 1060 ff. = juris Rn. 23 m.w.N). Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, den Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich den Parteien bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung ihrer Rechtsstandpunkte. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren bietet dabei auch dem entscheidenden Gericht nicht selten die Möglichkeit seine eigene – im Prozesskostenhilfeverfahren aufgrund summarischer Prüfung – gebildete Rechtsauffassung zu überdenken.
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Höhe der der Klägerin zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben ermittelt und der Klägerin die entsprechenden Leistungen bewilligt. Etwas Gegenteiliges wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht. Sie rügt lediglich, dass die Ermittlung der konkreten Regelbedarfe durch das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG) vom 24.03.2011 (BGBl. I S 453) verfassungswidrig sei.
Die Höhe des Regelbedarfs ist nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift eindeutig festgelegt, eine vom Wortlaut abweichende Auslegung auch unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht möglich. Die Beklagte und die Gerichte sind an die Gesetze gebunden. Die Entscheidungskompetenz hinsichtlich Feststellungen der Verfassungswidrigkeit obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Der Senat hat gegen die Höhe der gesetzlich geregelten Regelbedarfe für die Zeit ab dem 01.01.2011 keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (so auch etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 – L 12 AS 3445/11 = juris; Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.08.2011 – L 19 AS 305/11 NZB = juris; SG Aachen Urteil vom 20.07.2011 – S 5 AS 177/11 = juris; SG Augsburg, Urteil vom 10.11.2011 – S 15 AS 749/11 = juris) Jedoch ist zu berücksichtigen, dass in der Literatur dezidiert mit ausführlicher und differenzierter Begründung die Auffassung vertreten wird, dass die Neuregelung der Regelbedarfe durch das RBEG nicht den durch das Bundesverfassungsgericht dargelegten Anforderungen entspreche. Im Hinblick auf diesen Diskussionsstand in der Literatur ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtsschutzgleichheit und der Komplexität der Rechtsfrage der Klägerin die Möglichkeit zu eröffnen, ihren Rechtsstandpunkt – Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen der Höhe der Regelbedarfe – darzulegen, um dem Gericht die Möglichkeit des Überdenkens seiner Rechtsauffassung zu geben.
Für den hier streitigen Bewilligungsabschnitt ist auch nach § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich. Eine Beiordnung ist nach dieser Vorschrift dann erforderlich, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig ist oder ein Beteiligter nicht in der Lage ist, seine Rechte angemessen wahrzunehmen (BVerfG Beschluss vom 09.07.2010 – 2 BvR 2258/09). Ob die Beiordnung erforderlich ist, ist stets im Einzelfall zu prüfen (vgl. Beschluss des Senats vom 27.12.2011 – L 19 AS 1538/11 B).
Ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts besteht nicht für die Klärung der betreffenden Rechtsfrage in mehr als einem Verfahren der Kläger.
Das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit, welches auch dem Institut der Prozesskostenhilfe zugrunde liegt, gebietet es nicht, dem unbemittelten Rechtssuchenden für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt im Hinblick auf die behauptete Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen Prozesskostenhilfe zu gewähren. Denn durch die in einer Sache gewährte anwaltliche Beratung und Prozessführung wird er in die Lage versetzt, die rechtliche Situation auch in den Parallelfällen hinreichend zu beurteilen. Aus der Erstberatung und den aus ihr hervorgegangenen Dokumenten (Anwaltsschreiben) bezieht der Beratene bei Vorliegen mehrerer sachlich und rechtlich (nahezu) gleich gelagerter Fälle spezifische Rechtskenntnisse, die eine im Prinzip rechtlich anspruchsvolle Materie auch für den Laien handhabbar machen können. Die Verweisung auf Selbsthilfe stellt dann keine unverhältnismäßige Einschränkung der Rechtswahrnehmung dar, weil auch ein kostenbewusster Bemittelter das aufgrund der Erstberatung vorhandene Wissen selbständig auf die späteren Fälle übertragen würde (so zur Beratungshilfe BVerfG, Beschluss vom 30.05.2011 – 1 BvR 3151/10 = NJW 2011, 2711 ff. = juris Rn. 12; Beschluss vom 02.09.2010 – 1 BvR 1974/08 = NZS 2011, 462 f. = juris Rn. 13 ff.).
Vorliegend ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2011 bis zum 30.06.2011 streitig. Ein Verfahren über den Folgezeitraum ist von der Beteiligten bereits ruhend gestellt.
Neben der Frage des Streitgegenstands ist im Hinblick auf die zwischenzeitlich anhängigen – und teilweise bereits entschiedenen (BSG Urteil vom 25.01.2012 – B 14 AS 131/11 R = juris) – Verfahren vor dem Bundessozialgericht auch der Zeitpunkt der Klageerhebung für die Frage der Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts von Bedeutung.
Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Bürger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselbe Rechtsfrage bereits in anderen Verfahren in der Revisionsinstanz (sog. unechte Musterverfahren) anhängig ist. Er kann auf diesem Wege – im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung des Revisionsgerichts – vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Geht das Revisionsverfahren hingegen aus Sicht des Betroffenen negativ aus, ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen (so ausdrücklich LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 – L 14 AS 206/12 B PKH = juris Rn 7 unter Bezugnahme auf BVerfG Beschluss vom 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08 = NJW 2010, 988 f. = juris Rn 9; BVerfG Beschluss vom 30.05.2011 – 1 BvR 3151/10 = NJW 2011, 2711 ff. = juris Rn. 12, zur Gewährung von Beratungshilfe; vgl. dazu auch BVerfG Beschluss vom 02.09.2010 – 1 BvR 1974/08 = NZS 2011, 462 f. = juris Rn. 13 ff). Aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs. 3 GG) folgt keine vollständige Gleichheit Unbemittelter und Bemittelter, sondern nur eine weitgehende Angleichung dergestalt, dass Vergleichsperson derjenige Bemittelte ist, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Eine Besserstellung desjenigen, der seine Prozessführung nicht aus eigenen Mitteln bestreiten muss und daher von vorneherein kein Kostenrisiko trägt, gegenüber dem Bemittelten, der sein Kostenrisiko wägen muss, besteht nicht (LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 – L 14 AS 206/12 B = juris Rn 6).
Es reicht aus verfassungsrechtlicher Sicht aus, wenn dem Betroffenen nach Ergehen der "Musterentscheidungen" noch alle prozessualen Möglichkeiten offenstehen, umfassenden gerichtlichen Schutz zu erlangen (BVerfG BVerfG Beschluss vom 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08 = NJW 2010, 988 f. = juris Rn 11; BVerfG Beschluss vom 27.03.1980 – 2 BvR 316/80 = BVerfGE 54, 39 ff. = juris Rn 5). Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Regelleistungen sind mehrere Revisionen beim Bundessozialgericht anhängig, die erste seit dem 11.07.2011 (vgl. dazu auch LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 – L 14 AS 206/12 B PKH = juris Rn 8; LSG NRW Beschluss vom 15.12.2011 – L 2 AS 1774/11 B; LSG NRW Beschluss vom 04.01.2012 – L 12 AS 2100/11 B = juris Rn 2).
Vorliegend hat die Klägerin die Klage zwar nach dem 11.07.2011 erhoben. Nach Auffassung des Senats ist jedoch zu berücksichtigen, dass auch ein seine Verfahren ordnungsgemäß betreibender Verfahrensbeteiligter zum diesem Zeitpunkt von der Anhängigkeit des Verfahrens noch keine Kenntnis haben musste. Als maßgeblicher Zeitpunkt kommt vielmehr erst derjenige in Betracht, zu dem die Anhängigkeit des Rechtsstreits in allgemein zugänglicher Weise bekannt gemacht worden ist. Da die entsprechenden Bekanntmachungen des Bundessozialgerichts regelmäßig erst am Anfang des Folgemonats veröffentlicht werden, war es der Klägerin zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht zuzumuten gewesen, das Betreiben des eigenen Verfahrens zurückzustellen bzw. förmlich zu beantragen, im Hinblick auf die genannten Revisionen das Ruhen des Verfahrens anzuordnen (§ 251 Satz 1 ZPO i.V.m. § 202 SGG; vgl. dazu auch BVerfG Beschluss vom 18.11.2009 – 1 BvR 2455/08 = NJW 2010, 988 f. = juris Rn 11; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 – L 14 AS 206/12 B = juris Rn 8). Die Beiordnung eines Rechtsanwalts war nach alledem erforderlich.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Erstellt am: 10.07.2012
Zuletzt verändert am: 10.07.2012