Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 12.08.2009 dahin geändert, dass der Antragstellerin unter Beiordnung von Rechtsanwalt I ab dem 28.04.2009 für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wird. Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe:
Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit Bescheid vom 26.03.2009 für die Zeit vom 10.02. bis 31.07.2009. Aufgrund wiederholter Meldeversäumnisse hob die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 07.04.2009 die Bewilligung ab dem 01.05.2009 auf, weil unklar sei, wo sich die Antragstellerin zur Zeit aufhalte und wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreite.
Die Antragstellerin hat am 28.04.2009 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf beantragt, die Antragsgegnerin vorläufig zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Sie hat geltend gemacht, sich aufgrund ihres schlechten physischen und psychischen Gesundheitszustandes bei ihrer Tochter, die wie die Antragstellerin in E wohnt, aufgehalten zu haben und einmal wöchentlich den Briefkasten ihrer Wohnung kontrolliert zu haben. Unter diesen Umständen könne ihr nicht der Vorwurf der Nichterreichtbarkeit gemacht werden.
Mit Beschluss vom 12.08.2009 hat das SG den Antrag sowie Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe ist zulässig und begründet.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Anordnungsantrags ist ebenfalls zulässig, jedoch nicht begründet.
Das SG hat das einstweilige Rechtsschutzbegehren zu Unrecht als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 86 Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewertet, wonach einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig sind, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Auch wenn dies dem schriftlich gestellten Antrag der anwaltlichen vertretenen Antragstellerin entsprach – vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren -, ist dieser dahin auszulegen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruch gegen den Einstellungs-/ Aufhebungsbescheid der Antragsgegnerin vom 07.04.2009 begehrt worden ist. Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin in die Leistungsbewilligung vom 26.03.2009 – die dem SG allerdings nicht vorlag – eingegriffen. Gegen derartige Eingriffsakte ist einstweiliger Rechtsschutz aber nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu gewähren, wonach in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise auf Antrag durch das Gericht angeordnet werden kann.
Der Widerspruch der Antragstellerin, der jedenfalls konkludent in dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz liegt, gegen den Bescheid vom 07.04.2009 entfaltet gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, weil durch diesen Verwaltungsakt Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende aufgehoben worden sind. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung richtet sich – anders als bei der vom SG geprüften Regelungsanordnung nach 86b Abs. 2 S. 2 SGG – in erster Linie nach dem Grad der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Eingriffsbescheides und den daraus folgenden Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 12 f.).
Der Bescheid vom 07.04.2009 erweist sich weder als offenkundig rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig.
Da nach den aktenkundigen Vorgängen und den Erklärungen der Antragstellerin davon auszugehen ist, dass ihre Erreichbarkeit, auf deren Fehlen allein die angefochtene Entscheidung der Antragsgegnerin gestützt worden ist, schon bei Erlass des Bewilligungsbescheides vom 26.03.2009 gefehlt hat, durfte die Aufhebung der Leistungsbewilligung nur unter den Voraussetzungen des § 45 SGB X erfolgen. Danach darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder ein rechtlich-erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, dieser, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Insoweit ist zunächst offen, ob die fehlende tägliche Erreichbarkeit der Antragstellerin unter ihrer Wohnanschrift zur Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung geführt hat.
Nach § 7 Abs. 4a SGB II erhält Leistungen nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend. Die Antragstellerin hat sich nach ihren Angaben, die auch von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen werden, im streitigen Zeitraum nicht in ihrer Wohnung, wohl aber im Nahbereich des Behördensitzes der Antragsgegnerin aufgehalten. Dieser umfasst alle Orte, von denen der Leistungsempfänger die Behörde täglich ohne unzumutbaren Aufwand erreichen kann (vgl. Hänlein in Gagel, SGB II III, § 7 SGB II Rn. 84b). Dies ist hier nicht zweifelhaft, da auch die Wohnung der Tochter, bei der sich die Antragstellerin aufgehalten hat, in E liegt.
Verstoßen hat die Antragstellerin allerdings gegen die Pflicht aus § 1 S. 2 EAO, wonach der Leistungsempfänger sicherzustellen hat, dass die ARGE ihn persönlich an jedem Werktag an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung) durch Briefpost erreichen kann. Es jedoch umstritten und in der Rechtsprechung bisher nicht hinreichend geklärt, ob ein solcher Verstoß zum Fortfall des Leistungsanspruchs führt (bejahend Hackethal in jurisPK-SGB II, § 7 Rn. 56; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 7 Rn. 111; ablehnend Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn. 80; kritisch auch Winkler, info also 2007, 3, 7; offengelassen von LSG NRW Beschl. v. 12.01.2009 – L 20 B 135/08 AS = www.juris.de Rn. 6 ff.).
Des Weiteren steht – sofern die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung zu bejahen ist – die Rücknahmeentscheidung nach § 45 Abs. 1 SGB X im Ermessen der Behörde (darf zurückgenommen werden), sofern nicht ein schuldhaftes handeln des Leistungsempfängers im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegt (§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II iVm § 330 SGB III). Ob Letzteres der Fall ist, kann insbesondere unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin hier ebenfalls nicht abschließend festgestellt werden.
Sind demnach die Erfolgsaussichten in einer Klage im Hauptsacheverfahren offen, sind die Folgen abzuwägen, die ohne die begehrte Anordnung eintreten (vgl. Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, aaO). Diese bewertet der Senat zum Zeitpunkt seiner Entscheidung aber dergestalt, dass der Antragstellerin ohne den begehrten einstweiligen Rechtsschutz derzeit keine wesentlichen Nachteile drohen, die die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gebieten.
Dies folgt zum einen daraus, dass die Antragstellerin seit Juli 2009 wieder Leistungen von der Antragsgegnerin erhält, so dass ihr Lebensunterhalt gesichert ist. Zum anderen könnte die rückwirkende Auszahlung der bis Juli 2009 bewilligten Leistungen einschließlich der Kosten der Unterkunft den Verlust der Wohnung der Antragstellerin nicht mehr verhindern. Nach ihren Angaben vor dem Urkundsbeamten des SG ist die Klage gegen die Kündigung ihrer Wohnung erfolglos geblieben und die Räumungsklage bereits längerfristig anhängig (drohender Räumungstitel). Unter diesen Umständen führt die nachträgliche Zahlung des Mietzinses aber nicht mehr zur Unwirksamkeit der Kündigung (vgl. §§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -). Bei dieser Sachlage sind keine wesentlichen Nachteile mehr ersichtlich, die eine Entscheidung zugunsten der Antragstellerin erforderlich machen.
Dagegen hat sich die Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung beim SG anders dargestellt, da weder Leistungen durch die Antragsgegnerin gezahlt wurden noch der Räumungsanspruch des Vermieters unabwendbar erschien. Daher hat der Antrag hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne der §§ 73a Abs. 1SGG, 114 Zivilprozessordnung (ZPO) geboten, so dass der Antragstellerin, die über keine hinreichende Mittel verfügt, ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des SG zu bewilligen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten bezüglich der Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Erstellt am: 06.01.2010
Zuletzt verändert am: 06.01.2010